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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 26.02.2003
Aktenzeichen: 5 U 89/01
Rechtsgebiete: AGBG, AVB, ZPO


Vorschriften:

AGBG § 3
AGBG § 8
AGBG § 9
AGBG § 9 Abs. 1
AGBG § 9 Abs. 2
AGBG § 9 Abs. 2 Nr. 2
AVB § 4 Nr. 1
AVB § 4 Nr. 2.2
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 17.01.2001 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 26 O 89/00 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte bietet Krankenversicherungen an, denen u. a. folgende Bedingungen zugrunde liegen (AVB 4/99):

§ 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes.

1. Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannten Ereignisse. Er gewährt im Versicherungsfall

1. in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonstige vereinbarte Leistungen, ...

2. Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung der versicherten Person wegen Krankheit und Unfallfolgen. ...

3. Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich aus dem Versicherungsschein, späteren schriftlichen Vereinbarungen, den allgemeinen Versicherungsbedingungen (Musterbedingungen mit Anhang, Tarif mit Tarifbedingungen) sowie den gesetzlichen Vorschriften. ...

§ 4 Umfang der Leistungspflicht

1. Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit Tarifbedingungen. ...

* Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlung durch approbierte und niedergelassene Behandler im Sinne des Psychotherapiegesetzes sind im Rahmen der für diese geltenden gebührenrechtlichen Regelungen erstattungsfähig, sofern der Tarif nichts anderes vorsieht. ...

Im Krankheitskosten-Tarif GB für ambulante, stationäre und zahnärztlicher Heilbehandlung sind die Leistungen des Versicherers u. a. wie folgt bestimmt:

"1. Ambulante Behandlungen: 20 % (30%/40%/50%)

der Aufwendungen für

* ...

* psychotherapeutische ambulante Behandlungen bis zu 20 Sitzungen pro Kalenderjahr,

* ..."

Die Klägerin nimmt als eingetragener Verein Verbraucherinteressen wahr. Sie meint unter Bezugnahme auf BGH MDR 1999/1065 f. = VersR 1999, 745 = NJW 1999, 3411, dass die im Tarif GB für ambulante psychotherapeutische Behandlungen bestimmte Beschränkung auf die Erstattung der Aufwendungen für 20 Sitzungen pro Kalenderjahr wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam sei, denn sie gefährde die Erreichung des Vertragszwecks. Der Beklagten sei deshalb die weitere Verwendung dieser Bedingung zu untersagen.

Die Beklagte meint, der Tarif, bei dem es sich um einen Beihilfeergänzungstarif handele, sei bereits gemäß § 8 AGBG der gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogen. Ein Verstoß gegen § 3 AGBG liege nicht vor, weil der Versicherungsnehmer durch § 4 Nr. 1 AVB ausdrücklich auf die Maßgeblichkeit des Tarifs mit dessen Bedingungen hingewiesen werde. Im übrigen halte die Leistungseinschränkung auch einer Inhaltskontrolle statt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie rügt fehlerhafte Rechtanwendung.

Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und die von den Parteien im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen. Wegen der Anträge wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.01.2003 Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen S. vom 30.08.2002 und dessen mündliche Erläuterungen vom 20.01.2003 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis mit Recht abgewiesen.

Die von dem Kläger beanstandete Tarifbedingung verstößt weder gegen § 3 AGBG (jetzt § 305 c BGB) noch gegen § 9 Abs. 1, 2 AGBG (jetzt § 307 BGB).

1. Eine jeder Bedingungskontrolle grundsätzlich vorauszugehende Auslegung der zu überprüfenden Klausel (vgl. BGH VersR 99, 746), ist im Streitfall nicht veranlasst, denn es fehlt an der Auslegungsbedürftigkeit. Hat die Klausel nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt, ist für eine Auslegung kein Raum (BGHZ 25, 319). So ist es hier. Die sich aus § 1 Nr. 1 a) Nr. 2 und § 4 Nr. 2.2 AVB unzweifelhaft ergebende grundsätzliche Leistungspflicht für ambulante psychotherapeutische Behandlungen ist, worauf in § 1 Nr. 3 und § 4 Nr. 1 AVB hingewiesen wird, durch die in Rede stehende Tarifbedingung ebenso unzweifelhaft auf 20 Sitzungen pro Kalenderjahr beschränkt. Unklar könne allenfalls sein, was unter "Sitzung" zu verstehen ist. Aber auch insoweit besteht kein ernstlicher Zweifel, weil hiermit ersichtlich auf das verwiesen werden soll, was im Zuge einer psychotherapeutischen Behandlung als an einem Tag indizierte in sich abgeschlossene Behandlungsmaßnahme notwendigerweise anfällt. Im übrigen besteht hierüber zwischen den Parteien auch keine Unklarheit.

2. Die Tarifbedingung ist nicht überraschend im Sinne von § 3 AGBG. Ihr wohnt kein Überrumpelungseffekt inne (vgl. dazu BGH a. a. O., S. 747).

Jeder durchschnittliche Versicherungsnehmer weiß, dass der Versicherer Erstattungen grundsätzlich nur in einem bestimmten, vertraglich vereinbarten Umfange leistet. Es dürfte keine Versicherung geben, die nicht Ausschlüsse und Einschränkungen der Leistungspflicht enthält. Das kann als bekannt vorausgesetzt werden. Erst recht kann es für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nach von ihm zu fordernder (vgl. BGH VersR 93, 957, 958) Durchsicht der dem Krankenversicherungsvertrag hier zugrunde liegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen und unter Berücksichtigung des daraus erkennbaren Sinnzusammenhangs nicht überraschend sein, dass in den Tarifbedingungen eine Leistungseinschränkung für die ambulante psychotherapeutische Behandlung statuiert ist. Es wird in §§ 1 Nr. 3; 4 Nr. 1 und - in Bezug auf die Erstattungsfähigkeit anfallender Gebühren - in § 4 Nr. 2.2 unmissverständlich darauf hingewiesen, dass sich der Leistungsumfang im einzelnen u. a. aus dem "Tarif mit Tarifbedingungen" ergibt.

3. Die Tarifbedingung ist ferner nicht nach § 9 Abs. 1 AGBG unter dem Gesichtspunkt der Intransparenz (jetzt § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) unwirksam, wie die Klägerin meint. Ein Versicherer ist nicht gehalten, jegliche Leistungsbeschränkung dort zu platzieren, wo Gegenstand, Umfang und Geltungsbereicht des Versicherungsschutzes geregelt sind. Es ist gerade Sinn des Tarifs, auf den §§ 1 Nr. 3; 4 Nr. 1 - wie bereits erwähnt - ausdrücklich hinweisen, eine planvoll geordnete Zusammenstellung der versprochenen Leistungen zu liefern. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird selbstverständlich den Tarif nebst Bedingungen zur Hand nehmen, um sich über den genauen Leistungsumfang zu informieren.

4. Schließlich ist auch kein Verstoß gegen § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG (jetzt § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) festzustellen.

Wann eine Tarifbedingung der in Rede stehenden Art einer Inhaltskontrolle nach dieser Vorschrift (nicht) standhält, ist durch BGH VersR 1999, 748 grundsätzlich geklärt. Die Grenze zur Wirksamkeit ist erreicht, wenn der mit dem Abschluss einer Krankenversicherung in der hier betroffenen Ausgestaltung verfolgte Vertragszweck, nämlich die Abdeckung des Kostenrisikos, das durch die notwendige Behandlung von Krankheiten einschließlich psychotherapeutischer Behandlungen entsteht, dadurch im Kern gefährdet ist, dass in den Tarifbedingungen eine Leistungsbeschränkung niedergelegt wird, die bezogen auf eine bestimmte Behandlungsart praktisch einen Leistungsausschluss bewirkt, so dass der Vertrag ausgehöhlt und letztlich zwecklos wird (vgl. auch BGH VersR 01, 576). Daraus wird deutlich, dass eine Leistungsbeschränkung gerade im Bereich der Psychotherapie grundsätzlich zulässig ist (so auch OLG Karlsruhe Recht und Schaden 1999, 292; OLG Oldenburg VersR 2002, 696 - Zulässigkeit einer Begrenzung auf 30 Behandlungen pro Jahr).

Der Senat hat zur Klärung der Frage, ob die Begrenzung auf 20 Sitzungen pro Jahr praktisch auf einen Ausschluss des an sich vereinbarten Versicherungsschutzes hinsichtlich psychotherapeutischer Behandlungen hinaus läuft, ein Sachverständigengutachten eingeholt, weil es insoweit in erster Linie auf medizinische Fachkompetenz ankommt. Die überzeugende Begutachtung durch den Sachverständigen S. hat ergeben, dass eine solche Begrenzung durchaus noch mit dem Vertragszweck vereinbar ist. Dass der Versicherungsnehmer danach allerdings nicht vollumfänglich "geschützt" ist, der Versicherungsschutz im Gegenteil durchaus beachtliche Lücken aufweist, ist hinzunehmen. Der Versicherungsnehmer weiß (oder muss dies jedenfalls bei gehöriger Aufmerksamkeit wissen), dass er sich nur einen begrenzten Schutz "erkauft" hat. Es ist seine Entscheidung, sich hierauf um den Vorteil geringerer Beiträge einzulassen.

Nach den nachvollziehbaren und von dessen eigener praktischer Erfahrung sowie den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien getragenen Darlegungen des Sachverständigen sind im Rahmen einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung mit 20 Sitzungen pro Kalenderjahr durchaus messbare Therapieerfolge zu erzielen. Abhängig von der Art der Erkrankung und dem jeweiligen Beschwerdebild können bereits nach wenigen Sitzungen gute Erfolge und bei Inanspruchnahme von etwa 20 Sitzungen sogar Heilungen im Sinne einer Rehabilitation erreicht werden, wenngleich diese Phase ganz überwiegend erst nach "Monaten bis Jahren" umfassender Behandlungen erreicht wird. Der Sachverständige hat dies anhand von auf wissenschaftlichen Studien basierenden "Besserungskurven" anschaulich erläutert. Der Zustand der Remoralization (Patient gewinnt neue Hoffnung, so dass er in der Lage ist, eigene Ressourcen zu mobilisieren) wird häufig bereits nach wenigen Sitzungen erreicht, so dass eine weitere Behandlung vom Patienten gar nicht mehr in Anspruch genommen wird. 20 Sitzungen genügen ferner bei einem "größeren Teil der Patienten" um eine Remediation im Sinne einer entscheidenden Symptomverbesserung herbeiführen zu können. Auf weitere Einzelheiten des Gutachtens braucht nicht weiter eingegangen zu werden, weil bereits danach klar ist, dass von einer ernstlichen Gefährdung des Vertragszwecks bzw. Zwecklosigkeit durch Aushöhlung der Leistungszusage keine Rede sein kann.

Nach allem hat die beanstandete Bedingung Bestand, so dass die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage, nach welcher Maßgabe in Tarifbedingungen ohne Verstoß gegen §§ 3, 9 AGBG Leistungsbeschränkungen aufgenommen werden können, höchstrichterlich geklärt ist. Die Frage, ob eine Beschränkung auf die Erstattung der Aufwendungen für 20 psychotherapeutische Behandlungen (Sitzungen) pro Jahr zu einer Aushöhlung des Vertragszweckes führt, unterfällt tatrichterlicher, auf sachverständiger Begutachtung sich gründender Beurteilung. Die Entscheidung des erkennenden Senats steht ersichtlich mit der zitierten Rechtsprechung des BGH und anderer Oberlandesgerichte in Einklang. Der Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung ist nicht betroffen.

Berufungsstreitwert: 5.112,91 EUR (= 10.000,00 DM).

Ende der Entscheidung

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