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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 09.01.2002
Aktenzeichen: 5 U 91/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 287
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
BGB § 847
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln Im Namen des Volkes Teil-Urteil

5 U 91/01

Verkündet am 09.01.2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schmitz-Pakebusch und den Richter am OLG Dr. Thurn

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 18.4.2001 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen (11 O 327/97) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner ein Schmerzensgeld in Höhe von 153.387,56 € (300.000.- DM) nebst 4% Zinsen seit dem 9.10.1997 zu zahlen.

Die hinsichtlich des Schmerzensgeldes weitergehende Klage wird abgewiesen und die entsprechende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die auf Abweisung der Klage hinsichtlich eines 100.000.- DM übersteigenden Schmerzensgeldbetrages gerichtete Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 190.000.- € abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheitsleistungen können auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin ist die Alleinerbin ihrer am 7.9.1988 geborenen und am 1.6.1998 verstorbenen Tochters F., der vormaligen Klägerin.

Die Klägerin brachte F. am späten Nachmittag des 15.8.1994 wegen außergewöhnlich heftiger Bauchschmerzen, die das Kind im Wechsel mit apathischen Zuständen immer wieder schrill aufschreien ließen, in die Notfallaufnahme der Klinik der Beklagten zu 1). Dort wurde F. von den Beklagten zu 2) bis 6) im Laufe des 15.8. und in der Nacht zum 16.8.1994 mehrfach äußerlich und einmal sonographisch untersucht. Festgestellt wurde ein stark geblähtes Abdomen unklarer Genese. Trotz fortdauernder Schmerzen und häufigen Erbrechens des Kindes sowie eines sich verschlechternden Allgemeinzustands sahen sich die Beklagten hingegen zunächst weder zu weiteren Untersuchungen (insbesondere radiologischen) noch zu einer Operation veranlasst. Am frühen Morgen des 16.8.1994 verschlechterte sich der Zustand von F. derart, dass intensivmedizinische lebensrettende Maßnahmen erforderlich wurden. Gegen 10 Uhr wurde sie in die neonatologische Abteilung verlegt, wo bei sehr schlechtem Allgemeinzustand des Kindes ein akutes Abdomen diagnostiziert und ein CT des Abdomens veranlasst wurde, das aber nicht zu einer Klärung der Ursache führte. Gegen 12 Uhr 30 wurde F. in die Chirurgie verlegt und operiert. Bei Eröffnung der Leibeshöhle fiel ein Riesenkonglomerat schwarzen Darmes vor. Dick- und Dünndarm waren infolge eines Darmverschlusses durch einen Volvulus in praktisch gesamter Länge irreversibel nekrotisch geschädigt und mussten bis auf einen kleinen Rest vollständig entfernt werden.

F. verblieb zunächst bis zum 16.12.1994 in der Behandlung der Beklagten zu 1). In dieser Zeit wurde eine weitere Operation erforderlich, um weitere Darmreste zu entfernen, und zwei weitere Operationen als Folge starker Magenblutungen. F. behielt hierdurch eine große Narbe vom Schambein bis zum Brustkorb sowie Narben am Hals zurück, ferner durch die Intubation Phonationsstörungen. Sie wurde zunächst nach Hause entlassen. Durch den nahezu vollständigen Verlust des Darmes war es für F. nicht mehr möglich, Nahrung auf normalem Weg aufzunehmen. Sie musste über einen implantierten Dauerkatheter, der zum Herzen führte, total parenteral ernährt werden. Dieser Katheder musste im Verlaufe der folgenden Jahre mehrfach operativ ersetzt werden. Die Infusionen erfolgten täglich über einen Zeitraum von 16 bis 22 Stunden. Sie wurden vorgenommen in einem eigens dafür hergerichteten Raum in der Wohnung der Klägerin, in dem absolut sterile Bedingungen hergestellt und aufrecht erhalten werden mussten. Zur Vermeidung eines ständigen Erbrechens von Stuhl und ätzenden Verdauungssäften musste F. mehrere Stunden des Tages und der Nacht auf einem Topf verbringen und ansonsten Windeln tragen. Nach jeder mit einer Narkose verbundenen Operation musste der Verdauungstrakt erneut entsprechend trainiert werden. Nach etwa anderthalb Jahren wurde versucht, zur Erhaltung des Schluckreflexes und zum Training des Verdauungstraktes F. geringfügige Mengen von Nahrung auf normalem Weg beizubringen, was allerdings nur in geringem Maße gelang, da der Körper dies letztlich nicht vertrug. Diese Lebensumstände machten den fast vollständigen Aufenthalt F.s im Haus erforderlich. Lediglich kurze Ausfahrten waren in den Folgejahren in Phasen relativ stabiler Gesundheit möglich. Ein Schulbesuch war nicht möglich. Die Klägerin und einige Hilfskräfte unterrichteten F. zu Hause. Kontakte zu anderen Kindern waren nur noch in äußerst eingeschränktem Maße möglich.

Der Gesundheitszustand von F. war bis zu ihrem Tod erheblichen Schwankungen unterworfen, verschlechterte sich allerdings im Laufe der Zeit zusehends. Sie musste immer wieder für unterschiedlich lange Zeiträume in ein Krankenhaus eingeliefert werden, u.a. für notwendige Operationen zum Auswechseln des Katheters aufgrund von Entzündungen, Materialfehlers oder falscher Lage des Katheters, ferner für eine notwendige Entfernung der Gallenblase oder wegen heftiger Bauchschmerzen. Die Gesamtdauer der etwa 20 Krankenhausaufenthalte betrug ungefähr ein Jahr. Etwa ein Jahr nach der Entfernung des Darms stellte sich eine Gelbsucht ein, die sich zunehmend verstärkte. Leber und Milz vergrößerten sich stetig. In der Folgezeit kam es ferner zu Wassereinlagerungen im Körper und im Herzen sowie einer Pericarditis mit der Notwendigkeit zu einer Herzoperation, zu fortschreitender Ödemneigung mit Pleuraerguss, zu Rheuma in Hand- und Fingergelenken mit stetig zunehmenden Gelenkdeformationen, zu einer starken Reduzierung der Thrombozyten mit heftigen Einblutungen in Hals- und Brustbereich und der Notwendigkeit, auch kleinste Blutungen strikt zu vermeiden, zu einem erhöhten Bilirubinspiegel, der einen stetigen Juckreiz bewirkte, und insgesamt immer wieder zu Phasen mit heftigen Schmerzen. Die vom Körper nicht mehr verarbeiteten Verdauungssäfte führten zu ständigen Entzündungen im Analbereich. Im Jahr 1998 entschied sich die Klägerin, in Paris eine Leber- und Darmtransplantation vornehmen zu lassen. Hierzu kam es aber wegen des sich dramatisch verschlechternden Gesamtzustandes F.s nicht mehr. Das Mädchen verstarb am 1.6.1998 in einer Essener Kinderklinik an den Folgen innerer Vergiftung.

Während der gesamten Zeit wurde F. durch die Klägerin, die selbst ein Medizinstudium absolviert hat, rund um die Uhr betreut und versorgt, wobei sie von verschiedenen Hilfskräften unterstützt wurde.

Die Klägerin hat den Beklagten vorgeworfen, durch unzureichendes und verspätetes Handeln am 15.8.1994 den Darmverschluss bei F. nicht erkannt und rechtzeitig behandelt zu haben. Eine sorgfältige Untersuchung und eine sofortige Operation hätte mit Sicherheit zu einer weitestgehenden Erhaltung des Darmes geführt, so dass F. ein normales weiteres Leben ermöglicht worden wäre. Die Unterlassungen der Beklagten seien als grob fehlerhaft zu werten. Die Klägerin hat zuletzt Schmerzensgeld in Höhe eines Kapitalbetrages von 350.000.- DM zuzüglich einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 450.- DM für die Zeit vom 15.8.1994 bis zum Tod F.s (insgesamt 18.225,- DM) geltend gemacht, ferner Pflegemehraufwendungen, die sie unter Berücksichtigung staatlicher Leistungen mit insgesamt 525.956,25 DM errechnet hat, wobei sie von einem ungedeckten Pflegeaufwand von 23.222,25 Stunden ausgegangen ist und einen Stundensatz von 25.- DM für angemessen erachtet. Sie hat Art und Umfang ihrer pflegerischen Leistungen detailliert dargelegt. Auf die entsprechenden Schriftsätze (insbesondere Bl. 358 ff.) nebst den zugehörigen Anlagen wird Bezug genommen.

Die Beklagten haben Behandlungsfehler bestritten und die Vorgehensweise vom 15. und 16.8.1994 für insgesamt sachgerecht erachtet. Jedenfalls sei der Darm bereits zum Zeitpunkt der Einlieferung in gleichem Umfang geschädigt gewesen wie zum Zeitpunkt der Operation. Den geltend gemachten Pflegemehraufwendungen sind sie nach Art und Umfang entgegen getreten.

Die Kammer hat nach Einholung von Sachverständigengutachten mit Urteil vom 18.4.2001 die Beklagten zur Zahlung von 450.000.- DM verurteilt, wovon 200.000.- DM auf die Schmerzensgeldforderung und 250.000.- DM auf den Pflegemehraufwand entfallen. Das Gericht hat es aufgrund der eingeholten Sachverständigengutachten für erwiesen angesehen, dass das Verhalten der Beklagten fehlerhaft gewesen sei. Es hat ferner für erwiesen angesehen, dass ein rechtzeitiges Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Rettung des Darmes geführt hätte. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat die Kammer berücksichtigt, dass F. in keiner Beziehung mehr ein normales Leben führen konnte und praktisch an das Haus und die lebensnotwendigen Infusionen gefesselt gewesen sei, ferner, dass sie im Alter von 6 Jahren ihren alsbaldigen Tod realisiert habe. Ein höherer Schmerzensgeldbetrag sei hingegen nicht gerechtfertigt, da sich dies nicht mit dem allgemeinen Gefüge des in Deutschland ausgeurteilten Schmerzensgeldes einfügen würde. Hinsichtlich des Pflegemehraufwandes hat die Kammer auf der Grundlage der detaillierten Darlegungen der Klägerin von § 287 ZPO Gebrauch gemacht und diesen Betrag als pauschale Abgeltung unter weitergehender Berücksichtigung staatlicher Leistungen sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass für F. auch ohne die durch die Darmentfernung eingetretenen Folgen ein höherer Pflegeaufwand als von der Klägerin angegeben erforderlich gewesen sei, für angemessen erachtet.

Gegen das Urteil haben sowohl die Beklagten als auch die Klägerin selbstständig Berufung eingelegt.

Die Beklagten greifen das Urteil dem Grunde nach nicht an, wenden sich aber gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes. Sie halten einen Schmerzensgeldbetrag von höchstens 100.000.- DM für angemessen. Die Kammer habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass F. bereits nach knapp vier Jahren verstorben sei. Sie könne daher nicht behandelt werden wie ein vergleichbar Verletzter, der für die normale Dauer eines Lebens die Leiden zu ertragen habe. Sie wenden sich ferner gegen die pauschale Festsetzung des Pflegemehraufwandes und meinen, der notwendige Mehraufwand könne nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens ermittelt werden. Die von der Klägerin ermittelten Stundenzahlen bestreiten sie. Ferner halten sie lediglich einen Stundensatz von 15.- DM für angemessen. Der Klägerin stünden auch insoweit nur Ansprüche in Höhe von 100.000.- DM zu. Den Betrag von 200.000.- DM zuzüglich Zinsen haben die Beklagten zwischenzeitlich geleistet.

Sie beantragen,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit ein Betrag von mehr als 200.000.- DM zugesprochen worden ist, hilfsweise, den Beklagten nachzulassen, etwaige Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden, die auch durch die Bürgschaft einer deutschen Großbank, Sparkasse oder Genossenschaftsbank erbracht werden kann.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie begehrt ihrerseits ein höheres Schmerzensgeld, wobei sie einen weiteren Kapitalbetrag von 150.000.- DM und eine bis zum Tod von F. aufgelaufene Rente von 18.225.- DM (auf der Basis von 450.- DM monatlich) geltend macht. Sie verweist unter weiter vertiefter Darlegung der Lebens- und Krankheitsgeschichte F.s auf die erlittenen Beeinträchtigungen und Leiden, vor allem infolge der totalparenteralen Ernährung, auf die weitgehende Isolierung des Kindes und darauf, dass sie ihre Leiden und ihren bevorstehenden Tod bewusst erlebt habe. Sie vertritt die Auffassung, dass das frühe Versterben F.s keinesfalls schmerzensgeldmindernd berücksichtigt werden könne. Umgekehrt sei hingegen das Maß des Verschuldens der Beklagten ebenso schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen wie das spätere Verhalten der Beklagten. Hierzu trägt sie unwidersprochen vor, dass die Beklagte zu 1) sich mit Rücksicht auf den laufenden Rechtsstreit geweigert habe, das sterbende Kind aufzunehmen. Hinsichtlich des Pflegemehraufwandes hält sie den ausgeurteilten Betrag für deutlich zu niedrig. Sie vertieft auch insoweit ihr tatsächliches Vorbringen weiter, errechnet einen gegenüber dem Vorbringen erster Instanz noch höheren Stundenaufwand und stellt insgesamt neue Berechnungen an, ohne allerdings den in erster Instanz zuletzt geltend gemachten Gesamtbetrag zu erhöhen. Hilfsweise beruft sie sich darauf, dass ein Stundensatz von 35.- DM angemessen sei.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

a) an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit dem 9.10.1997 zu zahlen, mindestens aber über die als Schmerzensgeld zuerkannten 200.000.- DM hinaus weitere 168.225,00 DM nebst 4% Zinsen seit dem 9.10.1997,

b) an sie als Schadensersatz wegen Pflegemehraufwand über den zuerkannten Betrag in Höhe von 250.000.- DM nebst 4% Zinsen seit dem 9.10.1997 hinaus weitere 275.956,25 DM zu zahlen, und zwar nebst 4% Zinsen von 40.840,00 DM seit dem 9.10.1997 und von weiteren 235.116,25 DM seit dem 7.2.2001, ferner, ihr zu gestatten, eine Sicherheit auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie treten der Berufung der Klägerin entgegen und bestreiten weiter den geltend gemachten Pflegemehraufwand.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Wegen des genauen Inhalts der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Hinsichtlich des geltend gemachten Schmerzensgeldes sind sie entscheidungsreif. Insoweit hat die Berufung der Klägerin teilweise Erfolg, während die Berufung der Beklagten unbegründet ist. Der Klägerin als Erbin ihrer Tochter F. steht ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 300.000.- DM (153.387,56 €) zu.

Maßgeblich für die Bemessung des nach § 847 BGB zu gewährenden billigen Entschädigung sind die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers (BGHZ 138, 388, 391). Alle diese Umstände sind in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen und in eine angemessene Beziehung zur Entschädigung zu setzen (BGH VersR 1988, 943; VersR 1991, 350, 351; BGHZ 138, 388, 391). Dabei soll das Schmerzensgeld in erster Linie einen Ausgleich für die erlittenen Beeinträchtigungen darstellen, daneben auch der Genugtuung des Geschädigten für erlittenes Unrecht dienen.

Hiervon ausgehend ergibt sich auf der Grundlage des unstreitigen Parteivortrages und der vorliegenden ärztlichen Behandlungsunterlagen, dass die Verletzungen von F. und die hieraus resultierenden Beeinträchtigungen sowie die körperlichen und seelischen Leiden, die auf das als solches nicht mehr streitige schuldhafte Verhalten der Beklagten zurückzuführen sind, als überaus gravierend anzusehen sind und für sich genommen ein Schmerzensgeld im weit oberen Bereich des durch die Rechtsprechung geprägten üblichen Rahmens rechtfertigen. Durch die nahezu vollständige Entfernung des Darmes, die dadurch notwendig gewordene totale parenterale Ernährung, die Notwendigkeit ständiger medizinischer Betreuung, die häufigen und teilweise überaus schwerwiegenden Folgeerkrankungen, die mehrfachen Operationen und dadurch bedingten Klinikaufenthalte, war es F. unmöglich geworden, ein auch nur in Ansätzen mit anderen Kindern vergleichbares normales Leben zu führen. F.s Leben seit dem 15.8.1994 war geprägt durch das fast permanente Angeschlossensein an Infusionsapparaturen und durch stundenlanges Verweilen auf einem Töpfchen. Ihr Aufenthalt war nahezu ausschließlich auf die sterile häusliche Umgebung beschränkt, die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, hatte sie praktisch nie. Kontakte mit anderen Menschen (außer ihrer Mutter und sonstigen betreuenden und pflegenden Menschen) waren äußerst begrenzt, Kontakte zu gleichaltrigen Kindern waren nicht oder fast nicht möglich. Einen normalen Kindergarten und eine normale Schule konnte sie nicht besuchen. Die für ein Kind fundamentale Erfahrung sich entwickelnder Selbstständigkeit blieb ihr verwehrt. Elementarste Dinge und alltägliche Verrichtungen, wie etwa das selbstständige Ankleiden, waren zeitlebens nur mit Hilfe Dritter möglich. Ebenso verwehrt war ihr eine Teilnahme am normalen sozialen Leben. Besonders deutlich wird dies an der Unmöglichkeit, wie ein normaler Mensch essen zu können. Nicht möglich war ihr auch die Entwicklung eines eigenen, normalen Intimlebens. Gegen Ende war infolge der schwerwiegenden Lebererkrankung der ohnehin stark beeinträchtigte Lebens- und Entfaltungsbereich weiter bis auf das Äußerste reduziert.

Zu diesen drastischen Beeinträchtigungen der Lebens-, Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten kommen körperliche Leiden von ganz erheblichem Ausmaß. Insgesamt stellt sich die F. verbliebene Lebenszeit als ein Zeitraum dar, in dem sie niemals schmerz- und leidensfrei war, in dem sie umgekehrt aber häufig und zunehmend starken Leiden ausgesetzt war. Hervorzuheben sind hier die zahlreichen, teilweise überaus schwerwiegenden Operationen (etwa die Herzoperation), die unmittelbar oder wegen aufgetretener Komplikationen mit erheblichen Schmerzen und Qualen verbunden waren. Hervorhebenswert sind auch die Leiden der letztlich zum Tode führenden Lebererkrankung, von denen die von der Klägerin eingereichten Fotos einen anschaulichen Eindruck vermitteln. Von nicht zu unterschätzendem Gewicht sind ferner die nahezu ständig vorhandenen Entzündungen und Reizungen, etwa im Analbereich, die Verletzungen der inneren Schleimhäute, die Sepsen, Druckstellen, Ödeme, Blutungen, die Gelenkschmerzen, der ständige Juckreiz, die in ihrer Gesamtheit zu einer permanenten, ganz erheblichen Beeinträchtigung des Befindens von F. beigetragen haben. Insgesamt ergibt sich, vermittelt durch die sehr detaillierte Schilderung der Klägerin, die von den Beklagten nicht bestritten wurde und die durch die vorliegenden Behandlungsunterlagen auch umfassend gestützt wird, ein überaus plastisches Bild von einem - ungeachtet gewisser Schwankungen - überaus qualvollen Leben.

Die mit der Beeinträchtigung des Lebens verbundenen seelischen Belastungen erachtet der Senat als mit diesen körperlichen Leiden mindestens gleichwertig, wenn nicht gar noch höhergewichtig. F. hat, da ihre geistigen Fähigkeiten nicht beeinträchtigt waren und sie mit sechs bis neun Lebensjahren schon dazu intellektuell in der Lage war, die Tragweite des Geschehens zumindest in seinem zentralen Kern voll erfassen können. Sie musste damit fertig werden, niemals mehr ein auch nur annähernd normales Leben führen zu können. Sie nahm auch bewusst wahr, dass sich ihr Gesundheitszustand im Laufe der Zeit nicht besserte, sondern immer weiter, zuletzt dramatisch verschlechterte. Dass sie unter den Einschränkungen in der kindlichen Entwicklung, unter dem Mangel an Kontakten zu Gleichaltrigen, unter der fehlenden Teilhabe am sozialen Leben, die bis in elementarste Bereiche wie der Nahrungsaufnahme ging, unter der Unmöglichkeit, ein eigenes Privat- und Intimleben zu entwickeln, unter der totalen Abhängigkeit von Apparaturen und allen sonstigen Beschränkungen des Lebens seelisch stark gelitten hat, erscheint dem Senat als sicher. Schließlich ist in hohem Maße schmerzensgelderhöhend das Bewusstsein zu bewerten, dass sie keine Hoffnung mehr auf ein Weiterleben hatte und ihr Tod bevorstand. Auch dies ziehen weder die Beklagten in Zweifel noch ergeben sich derartige Zweifel für den Senat. F. hatte das sechste Lebensjahr annähernd vollendet, als ihr Darm entfernt werden musste. Als sie starb, war sie neun Jahre und neun Monate alt. In diesem Alter ist ein geistig normal entwickeltes Kind, das F. war, in der Lage, die Tragweite eines solchen Geschehens zumindest in seinem wesentlichen Kern zu erfassen. Dies gilt insbesondere für die Situation des neunjährigen Kindes im Hinblick auf die Hoffnungslosigkeit der Lage. Insofern sieht der Senat keinen Anlass, die Wahrnehmung der Beeinträchtigung, die seinerseits ein das Schmerzensgeld bestimmender Faktor ist (BGHZ 138, 388, 391), bei F. anders zu beurteilen als bei einem älteren Verletzten. Auch besteht keinerlei Anlass, die Möglichkeit der Verarbeitung dieser seelischen Extremsituation oder der Verdrängung der inneren Konflikte bei einem neunjährigen Kind als günstiger oder weniger gravierend zu beurteilen als bei einem Erwachsenen.

Allerdings wirkt sich die Tatsache, dass die Leidenszeit von F. auf einen Zeitraum von drei Jahren und neuneinhalb Monaten begrenzt war, in gewissem Maße schmerzensgeldmindernd aus. Die Dauer der Leiden stellt nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, im übrigen aber auch nach der - soweit dem Senat bekannt - einhelligen Auffassung auch der Instanzgerichte, einen maßgeblichen Faktor für die Bemessung des Schmerzensgeldes dar. Dies gilt keineswegs nur in den Fällen, in denen eine überaus schwere Verletzung alsbald zum Tod des Verletzten führt und der Verletzte "nicht mehr lange leiden" muss. Es gilt vielmehr grundsätzlich. Ein Leiden, von dem feststeht, dass es in einem klar überschaubaren Zeitraum sein Ende gefunden hat - und sei es durch den Tod des Verletzten -, ist schmerzensgeldmäßig anders zu behandeln als ein Leiden von unabsehbarer Dauer. Es ist offensichtlich nicht richtig, dass etwa einem schwer Querschnittsgelähmten, der (zufällig) nach kurzer Zeit verstirbt, ein gleich hoher Schmerzensgeldanspruch zugebilligt wird wie einem vergleichbar Verletzten, der noch ein mehrere Jahrzehnte währendes Leben (und Leiden) vor sich hat. Der Funktion des Schmerzensgeldes, zum einen Ausgleich für die tatsächlich erlittenen Beeinträchtigungen und zum anderen Genugtuung für die Schmerzen und Leiden zu sein, würde eine solche Gleichbehandlung, die in Wahrheit eine erhebliche Ungleichbehandlung darstellen würde, eklatant widersprechen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Dauer der Leiden ist dabei, wie grundsätzlich im Zivilprozess, die letzte mündliche Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz. Steht zu diesem Zeitpunkt fest, dass das Leiden des Verletzten auf einen klar umgrenzten Zeitraum beschränkt war, so ist dieser Umstand zugrunde zu legen. Es leuchtet unmittelbar ein, dass hier nicht fingiert werden kann, der Verletzte habe tatsächlich länger gelebt. Steht umgekehrt nicht fest, wie lange die Leidensdauer noch sein wird, kann die Dauer zwangsläufig nicht schmerzensgeldmindernd herangezogen werden. Dass hierbei zufällige Entwicklungen, etwa ein Versterben des Verletzten kurz vor oder kurz nach Beendigung des Prozesses zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, die sich aus der Rückschau als wenig befriedigend darstellen, ist unabänderlich. Es ist dem Schmerzensgeldanspruch immanent, dass er bei einem unerwarteten Versterben des Verletzten seinen eigentlichen Zweck verfehlen kann. Ob dies dazu führen muss, dass je nach Lage des Falles bei der Bemessung des Schmerzensgeldes die mutmaßliche Lebensdauer des Verletzten zu ermitteln und zu berücksichtigen ist, lässt der Senat offen, da es im hier zu entscheidenden Fall ohne Bedeutung ist.

Die dargelegten Grundsätze bedeuten allerdings nicht, dass die begrenzte Dauer der Leiden zu einer schematischen Berücksichtigung, gar einer mathematischen Berechnungen zugänglichen Minderung führt. Vielmehr sind auch insoweit die Umstände des Einzelfalles umfassend zu berücksichtigen und abzuwägen. Die Dauer der Leiden ist ein Faktor, der für sich einzuschätzen und in Beziehung zu anderen Faktoren zu setzen ist. Insofern macht es nach Überzeugung des Senats durchaus einen Unterschied, ob ein Verletzter etwa plötzlich und unerwartet stirbt, oder ob der Tod eine zwangsläufige Folge der Verletzung ist und die Hoffnungslosigkeit der eigenen Situation vom Verletzten bewusst erfasst und erlitten wird, wie es bei F. der Fall war. Die Tatsache, dass das weitere, ohnehin nur noch sehr eingeschränkte Leben nur noch ein Warten auf den zwangsläufigen Tod war, relativiert die Kürze der Leidenszeit erheblich, wenn es auch nicht zur Bedeutungslosigkeit dieses Umstandes führen kann. Insoweit kann das Ende des Leidens von F. durch ihr Sterben nicht verglichen werden mit dem gedachten Fall, sie sei - etwa durch eine erfolgreiche Transplantation - geheilt worden. In letzterem Fall müsste die Dauer der Leidenszeit weit stärker schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen sein als vorliegend.

Weitere den Schmerzensgeldanspruch deutlich beeinflussende Faktoren sieht der Senat nicht. Dies gilt insbesondere für die der Genugtuungsfunktion zuzuordnenden Fragen des Verschuldens der beteiligten Ärzte. Die Kammer hat - anders als die Sachverständigen - sich nicht zu einer Festlegung genötigt gesehen, ob das Verhalten der Beklagten schon als grob fehlerhaft zu werten war oder nicht. Auch der Senat lässt diese Frage dahinstehen. Gemessen an der Ausgleichsfunktion, die sich auf die tatsächlichen körperlichen und seelischen Leiden bezieht, kommt der Genugtuungsfunktion keine besondere Bedeutung zu. Selbst wenn das Vorgehen der Ärzte sich unter objektiv medizinischen Gesichtspunkten als schlechterdings unverständlich darstellen sollte, so liegt das Gewicht des Fehlverhaltens offensichtlich weniger auf persönlicher Nachlässigkeit oder Leichtfertigkeit als auf mangelnder Kompetenz.

Auch der zuletzt vorgetragene Umstand, dass die Beklagte zu 1) dem sterbenden Kind mit Blick auf den laufenden Zivilrechtsstreit die Aufnahme als unzumutbar verweigerte, führt zu keiner maßgeblich anderen Bewertung. Der Senat verhehlt nicht, dass ein solches von den Beklagten nicht bestrittenes Verhalten zutiefst befremdet und die Empörung der Klägerin verständlich erscheint. Allerdings geht es bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht um Genugtuung für die Klägerin, sondern für F.. Dass F. in ihrem damaligen Zustand aber überhaupt noch etwas von der Auseinandersetzung ihrer Mutter mit der Beklagten bewusst miterlebt hat, ist nicht behauptet worden und auch nicht anzunehmen. Im übrigen ist festzustellen, dass F. trotz der Vorgeschichte wiederholt bei der Beklagten zu 1) aufgenommen und behandelt wurde, von einer F. gegenüber grundsätzlich feindseligen oder ablehnenden Haltung der Beklagten also keine Rede sein kann.

Schließlich vermag der Senat auch im Regulierungsverhalten der Beklagten keine schmerzensgelderhöhenden Umstände zu erkennen. Dass die Beklagten einen Behandlungsfehler zunächst von sich gewiesen haben und sich auf fehlende Kausalität berufen haben, ist angesichts der nicht von vornherein völlig eindeutigen Sachlage nicht als unangemessenes Verhalten zu qualifizieren. Auch das Vorgehen im Rahmen des Berufungsrechtszuges stellt sich nicht als Verzögerung der gebotenen Regulierung dar. Immerhin haben die Beklagten auf die Überprüfung des Haftungsgrundes verzichtet, nehmen den Vorwurf fehlerhaften Verhaltens hin und haben den rechtskräftigen Teil alsbald angewiesen.

Unter Abwägung all dieser Gesichtspunkte hält der Senat einen Gesamtbetrag von 300.000.- DM damit für angemessen, aber auch für ausreichend. Er hält sich im Rahmen der bislang von der Rechtsprechung ausgeurteilten Beträge. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es einen unmittelbar vergleichbaren Fall, soweit ersichtlich, nicht gibt. Vom Maß der Beeinträchtigungen ebenso wie von der Schwere und dem Gewicht der körperlichen und seelischen Leiden ist der obere Bereich des bislang durch die Rechtsprechung vorgegebenen Rahmens berührt. Die Leidensdauer von F. führt in begrenztem Umfang zu einer Verminderung. Soweit in der Rechtsprechung noch deutlich höhere Schmerzensgeldbeträge (nämlich bis 500.000.- DM, ggf. zuzüglich Schmerzensgeldrente) ausgeurteilt wurden, betraf dies in der Regel Fälle schwerster Querschnittslähmungen. Hiermit ist der Fall von F. nicht unmittelbar zu vergleichen, denn es darf nicht verkannt werden, dass die Beeinträchtigungen der Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten bei derart Betroffenen teilweise noch deutlich weiter gehen, vor allem aber die zeitliche Dauer der Leiden ausgedehnter ist. Gänzlich fern liegen allerdings die Überlegungen der Beklagten, die den Fall von F. in den Bereich der Fälle bis 100.000.- DM einordnen wollen. Über die dort zu findenden Verletzungen gehen die Leiden F.s bei weitem hinaus. Für in etwa vergleichbar erachtet der Senat den Fall des LG Bonn (Urteil vom 2.5.1994, zitiert nach Hacks-Ring-Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 19. Auflage 1999, Nr. 2382), bei dem ein 9-jähriger Junge durch ein verabreichtes Gerinnungspräparat mit HIV infiziert wurde, was die hohe Wahrscheinlichkeit eines alsbaldigen Versterbens und weitgehende soziale Ausgrenzung bedeutete, und wo ein Schmerzensgeld von 250.000.- DM nebst einer Schmerzensgeldrente von 1000.- DM monatlich gewährt wurde.

Einen Anspruch auf Gewährung von rückständiger Schmerzensgeldrente hat die Klägerin daneben nicht. Ob einem Verletzten anstelle oder neben eines Kapitalbetrages eine monatliche Rente zuzubilligen ist, obliegt richterlicher Einschätzung nach § 287 ZPO, wobei auch insoweit alle Umstände des Falles zu würdigen sind. Es entspricht allerdings allgemeiner Auffassung und auch der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Zubilligung einer Rente nur in Betracht kommt, wenn das schädigende Ereignis zumindest in irgendeiner Weise beim Verletzten noch fortwirkt. Eine Rentenzahlung soll Ausgleich dafür sein, dass die Lebensbeeinträchtigung immer wieder neu und immer wieder schmerzlich empfunden wird (grundlegend BGHZ 18, 149, 154 ff.). Sie verbietet sich daher, wenn die Leidensentwicklung abgeschlossen ist, und sei es durch den Tod des Verletzten. Maßgeblich ist auch insoweit der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Durch das Versterben von F. ist damit der Grund für die - zunächst zweifellos berechtigte - Gewährung einer Rente entfallen. Soweit ihr ursprünglich ein Teil des Schmerzensgeldes als Rentenzahlung zuzubilligen gewesen wäre, ist dieser Teil nunmehr von der Kapitalabfindung mit umfasst.

Hinsichtlich der geltend gemachten Pflegemehraufwendungen ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. Sollten sich insoweit die Parteien nicht zu einer gütlichen Einigung verstehen können - der Senat wird nach Rechtskraft dieses Teilurteils den Parteien einen begründeten Vergleichsvorschlag unterbreiten -, beabsichtigt der Senat, hierzu ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Beschwer für die Klägerin: 68.225,00 DM (34.882,89 €), Beschwer für die Beklagten: 200.000.- DM (102.258,38 €).

Ende der Entscheidung

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