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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 16.08.2005
Aktenzeichen: 6 Ausl 63/05 - 31/05
Rechtsgebiete: EuAuslÜbk


Vorschriften:

EuAuslÜbk Art. 12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln Beschluss

6 Ausl 63/05 - 31/05

Verkündet am: 16.08.2005

Tenor:

Gegen den liberianischen Staatsangehörigen J. O. B. wird die Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe:

I.

Der Verfolgte wurde am 09.08.2005 in Köln aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bow Street Magistrates' Court (Vereinigtes Königreich) vom 5.07.2005 festgenommen. Darin wird ihm vorgeworfen, am 06.08.2001 in London seine frühere Geliebte, F. J., in seiner Wohnung mit Gewalt zum Geschlechts- und Oralverkehr gezwungen zu haben. Am folgenden Tag soll er sich nach Deutschland abgesetzt haben.

Der Verfolgte wurde am 10.08.2005 vom Amtsgericht Köln angehört. Er hat sich dabei weder mit der Auslieferung im vereinfachten Verfahren einverstanden erklärt, noch hat er auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferungshaft anzuordnen, ist zu entsprechen.

1. Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 18.07.2005 - 2 BvR 2236/04 - (NJW 2005, 2289) die deutschen Umsetzungsbestimmungen zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das Europäische Haftbefehlsgesetz vom 21.07.2004, für nichtig erklärt hat, richtet sich das Auslieferungsverfahren im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wieder nach den insoweit maßgeblichen völkerrechtlichen Übereinkommen, insbesondere dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk) und dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), und ergänzend nach dem Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG). Dies bedeutet für Europäische Haftbefehle aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Folgendes:

- Der Europäische Haftbefehl stellt sich - anders etwa als die Ausschreibung im Schengener Informationssystem gemäß Art. 95 SDÜ - weiterhin nicht nur als Antrag auf Festnahme, sondern auch als Antrag auf Auslieferung i. S. des Art. 12 EuAlÜbk dar. Dies hat der Senat im Anschluss an die Entscheidung des OLG Koblenz vom 21.07.2005 ((1) Ausl. - III - 15/05) für Europäische Haftbefehle, die vor dem 18.07.2005 eingegangen waren, bereits so entschieden (Beschluss vom 22.07.2005 - Ausl 61/05 -; ebenso nunmehr OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.08.2005 - III - 4 Ausl (A) 4/05 - 246/05 III -). Dies gilt jedoch auch für Europäische Haftbefehle, die erst nach dem 18.07.2005 in Deutschland eingegangen sind. Die Intention, die der Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Europäische Haftbefehl erlassen wurde, mit der Übersendung verbindet, richtet sich nicht nach dem derzeit aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland geltenden Recht, sondern nach dem Zweck des Europäischen Haftbefehls wie er sich aus dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl.EG vom 18.07.2002, Nr. L 190 S. 1) ergibt. Nach Erwägungsgrund 11 des Rahmenbeschlusses soll der Europäische Haftbefehl in den Beziehungen der Mitgliedstaaten alle früheren Instrumente bezüglich der Auslieferung ersetzen. Dementsprechend ist die im Europäischen Auslieferungsübereinkommen enthaltene Trennung zwischen einem Ersuchen um vorläufige Verhaftung (Art. 16 EuAlÜbk) und dem eigentlichen Auslieferungsersuchen (Art. 12 EuAlÜbk) nicht mehr vorgesehen; es gibt nur noch den Europäischen Haftbefehl.

- Die Übermittlung des Europäischen Haftbefehls muss entgegen Art. 12 Abs. 1 S. 1 EuAlÜbk nicht auf diplomatischem Wege erfolgen, sondern kann unmittelbar zwischen den Justizbehörden der beteiligten Länder geschehen. Art. 12 Abs. 1 S. 2 EuAlÜbk lässt eine Abweichung von der Übermittlung auf diplomatischem Wege aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung zwischen den beteiligten Vertragsparteien ausdrücklich zu. Eine solche, die Bundesrepublik völkerrechtlich wirksam bindende Vereinbarung liegt vor. Sie ergibt sich zum einen aus Art. 53 Abs. 1 SDÜ und zum anderen aus Art. 9 Abs.. 1 des Rahmenbeschlusses, dessen völkerrechtliche Verbindlichkeit durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2005 nicht in Frage gestellt wird. Ebenso sind die innerstaatlichen Regelungen, aus denen sich die jeweils zuständige Justizbehörde ergibt, durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2005 nicht berührt worden. Für Nordrhein-Westfalen sind dies § 74 Abs. 2 IRG i. V. m. der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (Zuständigkeitsvereinbarung) vom 04.05.2004 (BAnz Nr. 100 vom 29.05.2004) und dem Gemeinsamen Runderlass des Justizministeriums und des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen über die Ausübung der Befugnisse im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (JMBl.NRW 2004, 171).

- Soweit der Europäische Haftbefehl nicht alle Angaben und Dokumente umfasst, die nach Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk erforderlich sind, steht dies der Wirksamkeit des Auslieferungsersuchens nicht entgegen. In diesen Fällen wird der Senat gemäß Art. 13 EuAlÜbk eine Frist zur Beibringung der fehlenden Angaben oder Unterlagen setzen.

2. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Auslieferungshaft gemäß § 15 Abs. 1 IRG liegen vor.

a) Der Europäische Haftbefehl des Bow Street Magistrates' Court vom 05.07.2005 genügt in jeder Hinsicht den Anforderungen an ein Auslieferungsersuchen i. S. des Art. 12 Abs. 1 EuAlÜbk. Insbesondere enthält er eine Darstellung der dem Verfolgten angelasteten Tat. Die englischen Gesetzesbestimmungen, die durch das Verhalten des Verfolgten verletzt wurden, sind im Haftbefehl wörtlich zitiert.

b) Eine Auslieferung ist auch nicht von vornherein unzulässig. Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten sind sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates (Sec. 1 (1), 2 (1) und 14 Sexual Offences Act) als auch nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland (§ 177 StGB) strafbar und lassen daher seine Auslieferung nach Artikel 2 Absatz 1 EuAlÜbK zu. Gründe, die der Zulässigkeit einer Auslieferung des Verfolgten, der nicht deutscher Staatsangehöriger ist, nach den Artikeln 3 bis 10 EuAlÜbK entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. § 80 Abs. 3 Nr. 4 IRG, der die Auslieferung von Ausländern, die - wie der Verfolgte - mit einem deutschen Staatsbürger in familiärer Lebensgemeinschaft leben, nur unter bestimmten Voraussetzungen zuließ, ist aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2005 unwirksam.

III.

Die Anordnung der Haft ist geboten. Bei dem Verfolgten besteht Fluchtgefahr. Der Verfolgte ist nicht Deutscher. Er verfügt zwar über familiäre Bindungen in Deutschland, die jedoch in Anbetracht der ihm in England drohenden Bestrafung nicht ausreichen, die Fluchtgefahr auszuschließen. Er hat durch sein Verlassen Englands unmittelbar nach der Tat gezeigt, dass er in der Lage ist, seinen Lebensmittelpunkt auch kurzfristig zu verlegen. Sein massiver Widerstand bei der Festnahme und seine Erklärung bei der richterlichen Anhörung haben darüber hinaus gezeigt, dass er nicht bereit ist, sich diesem Verfahren freiwillig zu stellen.

Ende der Entscheidung

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