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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 06.10.2006
Aktenzeichen: 6 Ausl 9/06
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 73
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Auslieferung des albanischen Staatsangehörigen B M zur Vollstreckung der gegen ihn durch Urteil des Tribunalgerichts in Tropoje vom 27.10.2000 erkannten Freiheitsstrafe von 17 Jahren nach Albanien wird für zulässig erklärt.

Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird angeordnet.

Gründe:

I.

Der Verfolgte wurde aufgrund eines Festnahmeersuchens von Interpol Tirana vom 3.5.2005 am 31.1.2006 in Köln festgenommen. Grundlage des Ersuchens ist eine am 27.10.2000 durch das Tribunalgericht in Tropoje verhängte 17-jährige Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Tötung. Dem Verfolgten wird vorgeworfen, am 15.7.1993 im Dorf N den C M mit einer Feuerwaffe getötet zu haben. Die Verurteilung erfolgte in Abwesenheit des Verfolgten, wobei er durch einen Pflichtverteidiger verteidigt wurde.

Der Senat hat durch Beschluss vom 9.2.2006 die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet. In diesem Zusammenhang wurden die albanischen Behörden um weitere Informationen zur Identität der festgenommenen Person mit dem gesuchten B M gebeten. Dies erfolgte im Hinblick darauf, dass der Festgenommene erklärt hatte, nicht der Gesuchte, sondern dessen Bruder K M zu sein. Durch Beschluss vom 31.3.2006 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet und um ergänzende Angaben zum Abwesenheitsurteil sowie zu den Rechten des Verfolgten auf ein neues Gerichtsverfahren gebeten. Durch Verfügungen vom 15.5.2006 und 20.6.2006 hat der Senat weitere Mitteilungen betreffend die Identität des Verfolgten erbeten. Durch Beschluss vom 20.7.2006, berichtigt durch Beschluss vom 26.7.2006, wurde die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet. Zu den zwischenzeitlich eingegangenen ergänzenden Auslieferungsunterlagen hat das Amtsgericht Köln den Verfolgten am 7.8.2006 angehört. Soweit nach dem 7.8.2006 weitere Feststellungen insbesondere zur Identität erfolgt sind, wurden diese dem Beistand des Verfolgten zur Kenntnis gebracht. Dieser hat mit Schriftsatz vom 8.9.2006 hierzu Stellung genommen. Zuletzt hat der Senat durch Beschluss vom 13.9.2006 die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet und zugleich eine ergänzende Auskunft zur Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich des Abwesenheitsurteils eingefordert. Hierzu haben die albanischen Behörden zwischenzeitlich Stellung genommen. Die hierzu übermittelten Unterlagen wurden dem Beistand des Verfolgten durch die Generalstaatsanwaltschaft Köln zur Kenntnis gebracht.

Der Verfolgte hat in der Zeit vom 28.2.2006 bis zum 27.6.2006 in anderer Sache eine Untersuchungshaft verbüßt. In dieser Sache wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Barmbeck vom 27.6.2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten wegen vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 2 Fällen verurteilt. Diese Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt nunmehr, die Auslieferung für zulässig zu erklären.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist zu entsprechen. Zugleich ist die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.

1.

Das Ersuchen wurde durch die zuständigen albanischen Behörden gestellt. Die nach Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk erforderlichen Unterlagen wurden übermittelt. Die Auslieferung ist auch nach Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk zulässig. Die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat ist sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates (Art. 83 des alten albanischen Strafgesetzbuches) als auch nach deutschem Recht (§§ 211, 212 StGB) strafbar.

2.

Der Senat geht aufgrund der von den albanischen Behörden mitgeteilten Umstände sowie der erhobenen Beweise davon aus, dass die Identität des Verfolgten mit dem von den albanischen Behörden gesuchten B M feststeht. Die Behauptung des Verfolgten, er sei der Bruder K M, ist damit widerlegt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

a)

Im Rahmen der in anderer Sache in zulässiger Weise durchgeführten Telefonüberwachung wurde festgestellt, dass sich der Verfolgte mit dem Namen B M gemeldet und mit diesem Namen hat ansprechen lassen. Nach dem Protokoll eines am 25.1.2006 geführten Telefonats heißt es (Bl. 13 d.A.):

"L fragt, wer den D angerufen hatte, ob es der T war. D bestätigt, T habe ihn angerufen und mitgeteilt, dass man die Fingerabdrücke von Žihm` verlangt hat. L fragt, ob man sie hierher (nach Deutschland) geschickt hat. D bejaht es. L sagt, es würde also bedeuten, dass man den B am Arsch hat (sinngemäß) und fügt hinzu, D soll es dem B dann auch laut sagen, dass man ihn am Arsch hat, denn er (B) höre gerade mit. B geht dazwischen und fragt, ob Žer` (T) gesagt hat, dass man sie (die Fingerabdrücke) hierher (nach Deutschland) geschickt hat. D sagt, Žer` (T) habe gesagt, er wisse es nicht genau und D habe auch nicht so genau gefragt, denn D habe zu T gesagt, dass man ihn noch zurückrufen wird. D fügt noch hinzu, er (T) habe gesagt, man soll ihm (B) ausrichten, dass er aufpassen soll. Daraufhin fragt B, ob er sich jetzt mitten in Deutschland drinnen aufhalten soll. B sagt weiter, es sei ihm "Scheiß egal", er sehe nicht ein, dass er auch in Deutschland sich in einem Zimmer einsperren soll. ..."

Über ein Telefonat am 28.1.2006 ist im Protokoll vermerkt:

"B begrüßt den Tn. Tn. fragt, wer am Telefon ist. B sagt, er sei der M (Nachname). Tn. begrüßt ihn dann und fragt, was es denn Neues gibt. B sagt, dass sein Cousin ihm mitteilen wollte, dass er ab dem 01. nicht mehr in der Wohnung sein würde, sodass der Tn. die Wohnung ab dem 01. wieder vermieten könne. ..."

Der Verfolgte hat diese Gespräche selbst eingeräumt. Für den Umstand, sich mit dem Namen B gemeldet zu haben und angesprochen worden zu sein, hat er keine nachvollziehbare Erklärung abgegeben. Soweit sein Beistand ausführt, die Gründe hierfür könnten in Drogengeschäften liegen, überzeugt das in dieser Allgemeinheit nicht. Somit ergibt sich als einzige Erklärung, dass es sich bei dem Verfolgten tatsächlich um den B M handelt.

b)

Darüber hinaus haben die albanischen Behörden Bilder und Fingerabdrücke des im Jahre 2002 dort erkennungsdienstlich behandelten K M vorgelegt. Es wurde festgestellt, dass diese Fingerabdrücke nicht mit denen des Verfolgten übereinstimmen. Die Fingerabdrücke des Verfolgten stimmen lediglich mit Fingerabdrücken überein, die im Jahre 2003 in Mailand von einer Person aufgenommen worden sind, die sich dort ebenfalls als K M ausgegeben hat. Hieraus folgt, dass der Verfolgte und der im Jahre 2002 in Albanien erkennungsdienstlich behandelte K M nicht personenidentisch sind. Somit muss es sich beim Verfolgten um den B M handeln. Zweifel daran, dass die von den albanischen Behörden übermittelten Fingerabdrücke nicht echt sind bzw. nicht dem K M zuzuordnen sind, bestehen nicht.

c)

Die im Laufe des Verfahrens weiterhin gewonnenen Erkenntnisse stehen diesen Feststellungen zur Identität des Verfolgten mit der gesuchten Person nicht entgegen.

Durchgreifende Zweifel ergeben sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass der Verfolgte bei seiner Verhaftung einen im Jahre 2005 auf den Namen K M ausgestellten Pass bei sich trug, der nach albanischen Angaben echt ist, das Foto des K M zeigt und zudem von seinem rechtmäßigen Inhaber in Albanien abgeholt worden sein soll. Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass ein Vergleich des Passbildes mit der inhaftierten Person nach den Feststellungen des Bundeskriminalamtes keine eindeutigen Erkenntnisse zulässt. Insoweit wird auf die Stellungnahme vom 8.2.2006 (Bl. 117 d.A.) verwiesen. Aufgrund des Umstandes, dass sich der Verfolgte bereits seit Jahren in Deutschland aufhält, ist zudem zu bezweifeln, ob und inwieweit der Verfolgte bei der angeblichen persönlichen Abholung des Passes durch Personen in Albanien tatsächlich in verlässlicher Weise identifiziert worden ist. An den hiernach bestehenden Unsicherheiten ändert auch nichts der Umstand, dass aufgrund von Ein- und Ausreisevermerken im Pass des Verfolgten und der Ortung eines Handys des Verfolgten es möglich erscheint, dass sich dieser tatsächlich zum Zeitpunkt der Ausstellung des Passes in Albanien aufgehalten hat. Die zum Pass getroffenen Feststellungen lassen daher keine zuverlässigen Schlüsse darauf zu, dass der Verfolgte tatsächlich mit K M personenidentisch ist und den Pass als berechtigter Inhaber dort tatsächlich abgeholt hat. Der Senat kann es daher dahinstehen lassen, ob und inwieweit die früheren Angaben der albanischen Behörden zur Echtheit des Passes und den Umständen seiner Ausstellung durch die vom Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes in Athen am 21.9.2006 mitgeteilten Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Ausstellung des Passes Zweifel an dessen Echtheit begründen. Da der Senat hierauf nicht abstellt, bedurfte es der Gewährung ergänzenden rechtlichen Gehörs für den Verfolgten zu diesen Mitteilungen nicht.

Zweifel an der Identität des Verfolgten ergeben sich auch nicht aufgrund der Aussagen von Verwandten der Brüder M. Der Senat hält diese Aussagen für unglaubhaft. Es ist davon auszugehen, dass sie allein den Zweck verfolgen, den Inhaftierten vor einer Auslieferung zu schützen. Die Aussage der geschiedenen Ehefrau des Verfolgten S Q ist insgesamt zweifelhaft. Sie hat ausgesagt, der Inhaftierte sei K M, einen B M kenne sie nicht. Die Aussage ist viel zu pauschal und enthält keine brauchbaren Angaben zu den Familienverhältnissen. Sie lässt bereits Zweifel daran aufkommen, ob die Eheleute überhaupt zusammen gelebt haben. Nicht glaubhaft ist auch die Aussage des Schwagers des Verfolgten, W H. Dieser hat ausgeführt, bei der inhaftierten Person handele es sich um K M, dessen Bruder B befinde sich in Albanien. Letzteres ist schon deshalb nicht glaubhaft, weil ein Aufenthalt des B M in Albanien im Hinblick auf die dort gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe nicht nachvollziehbar ist. Ebenso kann der eidesstattlichen Versicherung der Schwester des Verfolgten O M nicht gefolgt werden. Sie hat zwar mitgeteilt, der K M befinde sich in Auslieferungshaft. Zudem hat sie ausgeführt, das von den albanischen Behörden nebst Fingerabdrücken übermittelte angebliche Foto des K M aus dem Jahre 2002 zeige eine ihr unbekannte Person. Die Aussage ist jedoch erkennbar von dem Wunsch getragen, den inhaftierten Bruder zu schützen. Sie ist ebenfalls viel zu pauschal, als dass ihr gefolgt werden könnte. Gerade der Schwester müsste es problemlos möglich sein, anhand von Fotos der Geschwister charakteristische Unterschiede ihrer Brüder darzustellen, welche eine eindeutige Identifizierung erlauben. Hieran fehlt es vollends. Zu einer zusätzlichen mündlichen Befragung der Zeugin besteht keine Veranlassung, weil eine weitergehende Aussage nicht zu erwarten ist.

Der Senat geht daher auf der Grundlage des Ergebnisses der Telefonüberwachung und der vorgelegten Fingerabdrücke von der Identität des Verfolgten mit dem in Albanien gesuchten K M aus. Es ist ferner davon auszugehen, dass sich dieser alsbald nach Begehung der Straftat aus Albanien nach Deutschland abgesetzt hat und hier unter verschiedenen Namen gelebt und seine Identität bewusst verborgen hat. Auch der Gebrauch unterschiedlicher Namen seitens des Verfolgten in der Vergangenheit spricht maßgeblich dafür, dass hier eine wahre Identität, nämlich diejenige des B M, verschleiert werden sollte.

3.

Der Auslieferung steht nicht entgegen, dass das gegen den Verfolgten zu vollstreckende Urteil in dessen Abwesenheit ergangen ist.

Nach § 73 IRG ist die Rechtshilfe indessen unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widerspricht. Hierbei sind der nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindliche völkerrechtliche Mindeststandard und die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze zu berücksichtigen. Zu diesen Grundsätzen zählt es, dass ein Beschuldigter im Rahmen der von der jeweiligen Verfahrensordnung aufgestellten, angemessenen Regeln die Möglichkeit hat und auch tatsächlich ausüben können muss, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen sowie deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und ggf. auch Berücksichtigung zu erreichen (BVerfG B. v. 9.3.1983, 2 BvR 315/83, NJW 1983, 1726, 1727). Insoweit bestehen Bedenken, wenn der Beschuldigte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des Verfahrens in irgendeiner Weise unterrichtet war, noch ihm tatsächlich eine wirksame Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen (BVerfG a.a.O.). Demgegenüber können die Verfahrensrechte des Beschuldigten ausreichend gewahrt sein, wenn dieser von dem gegen ihn anhängigen Verfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, sich diesem durch Flucht entzogen hat und im Verfahren von einem ordnungsgemäß bestellten Pflichtverteidiger unter Beachtung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen verteidigt werden konnte (BVerfG B. v. 24.1.1991, 2 BvR 1704/90, NJW 1990, 1411; Schomburg/Lagodny-Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 73 IRG, Rdn. 78).

Das zu vollstreckende Urteil vom 27.10.2000 ist in Abwesenheit des Verfolgten ergangen. Das zugrunde liegende Verfahren wurde ebenfalls in Abwesenheit des Verfolgten geführt. Hierbei lässt sich nicht feststellen, ob und inwieweit der Verfolgte von der Durchführung des Verfahrens überhaupt Kenntnis erlangt hat. Der Senat kann daher nicht davon ausgehen, dass der Verfolgte sich dem Verfahren durch Flucht entzogen hat. In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass die Tat im Zeitpunkt der Verurteilung bereits ca. 7 Jahre zurück lag. Darüber hinaus ist der Verfolgte bereits erstmals im Jahre 1993 nach Deutschland eingereist. Eine Kenntnis des Verfolgten von dem gegen ihn geführten Verfahren ist daher nicht nachweisbar.

Dem maßgeblichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Bundesrepublik Deutschland wird jedoch dadurch zur Genüge Rechnung getragen, dass der Verfolgte nach Auslieferung in Albanien die Möglichkeit eines neuen Verfahrens hat, in welchem er seine Rechte geltend machen kann. Nach der albanischen Strafprozessordnung kann gegen ein Abwesenheitsurteil Wiedereinsetzung beantragt werden (Art. 147). Die stattgebende Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag führt dazu, dass alle Vorgänge, an denen teilzunehmen die betroffene Partei das Recht gehabt hätte, wiederholt werden (Art. 148 Nr. 1). Der Senat sieht in dieser Wiedereinsetzung eine hinreichende Möglichkeit, sich gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen. Der damit eröffnete Rechtsschutz ist auch effektiv. Art. 147 Nr. 3 der albanischen Strafprozessordnung sieht für den Wiedereinsetzungsantrag eine 10-Tages-Frist nach Kenntnisnahme von dem Urteil vor. Nach der Mitteilung der albanischen Behörden vom 2.10.2006 beginnt diese Frist im Falle der Auslieferung erst mit dem Tag der Übergabe an die albanischen Behörden. Somit hat der Verfolgte noch nach seiner Auslieferung die Möglichkeit, in Albanien eine Wiedereinsetzung zu beantragen.

4.

Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist aus den Gründen ihrer Anordnung geboten.

Ende der Entscheidung

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