Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 19.12.2008
Aktenzeichen: 6 AuslA 95/08
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antrag auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die albanischen Behörden ersuchen um die Auslieferung der Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung eines in ihrer Abwesenheit ergangenen Urteils des Amtsgerichts in Tirana vom 26.3.2003 (Akt Nr. 208), durch das gegen sie wegen Betruges eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren verhängt worden ist. Nach den Urteilsfeststellungen hatte die in Deutschland wohnende Verfolgte es gegen Zahlung von zunächst 10.000 DM übernommen, ein in Albanien an einer Nierenerkrankung leidendes Kind in deutschen Krankenhäusern behandeln zu lassen. Später hatte sie weitere 10.000 DM verlangt, die an ihre Schwester in Albanien ausbezahlt worden sind. Die Verfolgte schickte das Kind als geheilt zurück. Dessen Gesundheitszustand verschlimmerte sich jedoch, bis es schließlich in Frankreich eine Nierentransplantation erhielt. Die Verfolgte hat die Rückzahlung von 10.000 DM versprochen. Hinsichtlich der weiteren 10.000 DM hat sie behauptet, sie nicht erhalten zu haben. Die Schwester der Verfolgten hat zugegeben, 5.000 DM behalten zu haben. Hinsichtlich der weiteren 5.000 DM hat sie eine Zahlungsanweisung vorgelegt. Die Verfolgte ist durch ein deutsches Gericht zur Rückzahlung von 15.000 DM verurteilt worden.

Das Strafverfahren in Albanien wurde in Abwesenheit der Verfolgten geführt. Gegen sie liegt ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Tirana, ausgestellt durch den Staatsanwalt Robert Kote, vom 15.4.2003 vor.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, einen Auslieferungshaftbefehl zu erlassen.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist nicht zu entsprechen, da die Auslieferung unzulässig ist.

Die deutschen Gerichte sind bei Prüfung der Zulässigkeit einer Auslieferung regelmäßig verpflichtet zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zu Grunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik vereinbar sind (BGHSt 47, 120; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 62; KG StV 1993, 207).

Nach deutschem Verfassungsrecht gehört es zu den elementaren Anforderungen des Rechtsstaats, die insbesondere im Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs ihre Ausprägung gefunden haben, dass niemand zum bloßen Gegenstand eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden darf; auch die Menschenwürde des Einzelnen wäre durch ein solches staatliches Handeln verletzt (BVerfG NJW 1991, 1411). Daraus ergibt sich für das Strafverfahren das zwingende Gebot, dass der Beschuldigte im Rahmen der von der jeweiligen Verfahrensordnung aufgestellten, angemessenen Regeln die Möglichkeit haben und auch tatsächlich nutzen können muss, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen sowie deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und ggf. auch Berücksichtigung zu erreichen (BVerfG B. v. 9.3.1983, 2 BvR 315/83). Der wesentliche Kern dieser Gewährleistungen gehört von Verfassungs wegen zum unverzichtbaren Bestand der deutschen Ordnung wie auch zum völkerrechtlichen Mindeststandard, der über Art. 25 GG einen Bestandteil des in der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich geltenden Rechts bildet (BVerfG 63, 332,338 = NJW 1983, 1726, 1727).

a.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze können die Verfahrensrechte des Beschuldigten ausreichend gewahrt sein, wenn er von dem gegen ihn anhängigen Verfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, sich diesem durch Flucht entzogen hat und im Verfahren von einem ordnungsgemäß bestellten Pflichtverteidiger unter Beachtung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen verteidigt werden konnte (BVerfG NJW 1990, 1411; Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hacker, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, § 73 IRG, Rdn. 78). Ein Fluchtfall ist vorliegend nicht gegeben, da die Verfolgte schon vor der Tatbegehung in Deutschland lebte.

b.

Liegt kein Fluchtfall vor, ist die Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen, in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils unzulässig, wenn der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des ihn betreffenden Verfahrens in irgendeiner Weise unterrichtet war, noch ihm tatsächlich eine wirksame Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen (BVerfG a.a.O.; EUGRZ 1992, 539 und 541; NJW 2001, 2387).

Es lässt sich den überreichten Unterlagen nicht zuverlässig entnehmen, dass die Verfolgte über das Verfahren in Kenntnis gesetzt worden ist. Eine Zustellung der Ladung in Deutschland ist nicht erfolgt. Soweit das Bundesverfassungsgericht es genügen lässt, dass der Verfolgte in irgendeiner Weise vom Termin unterrichtet worden ist (BVerfG StV 2005, 675; anders EGMR EGRZ 1992, 539: formelle Mitteilung erforderlich, ebenso Löwe-Rosenberg, StPO, Art. 6 MRK Rdn. 189 Fn. 1005: ordnungsgemäße Ladung erforderlich) lässt sich auch das vorliegend nicht feststellen. Die Schreiben des in Albanien lebenden Vaters der Verfolgten, an den offensichtlich eine Ladung übersandt worden ist, reichen nicht aus, um zu belegen, dass er die Verfolgte tatsächlich über den Termin unterrichtet hat. Die tatsächliche Kenntnis muss aber zur festen Überzeugung des über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheidenden Oberlandesgerichts feststehen (Lagodny a.a.O. § 73 IRG Rdn. 81 m.w.N.).

c.

Es ist auch nicht gewährleistet, dass die Verfolgte nach der Auslieferung die Möglichkeit eines neuen Verfahrens hat, in welchem sie ihre Rechte geltend machen kann.

aa.

Art. 147 Abs. 2 der albanischen Strafprozessordnung sieht zwar die Möglichkeit vor, bei einer Abwesenheitsentscheidung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung der Berufung zu stellen. Diese Regelung begegnet allerdings Bedenken. Das dem in Abwesenheit Verurteilten zur Verfügung stehende Rechtsmittel ist nur dann effektiv, wenn ihm nicht eine besondere Darlegungs- und Beweislast auferlegt wird (EGMR EUGRZ 1985, 631 Fall Calozza und NJW 2001, 2387 Fall Krombach; BGH Beschluss vom 16.10.2001 - 4 Ars 4/01 Fall Swingler; Lagodny a.a.O. § 73 Rdn. 85; Vogel in Grützner/Pötz/Kress, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, § 73 IRG Rdn. 87). Nach Art. 147 Abs. 2 der albanischen Strafprozessordnung, muss der Verfolgte aber nachweisen, dass er über die Entscheidung keine Kenntnis bekommen hat. Diesen Negativbeweis wird ein Verfolgter kaum erbringen können.

Ob Art. 147 Abs. 3 der albanischen Strafprozessordnung für den Fall des Abwesenheitsurteils dem Verfolgten ein von dem in Art. 147 Abs. 2 geforderten Nachweis unabhängiges Wiedereinsetzungsrecht innerhalb von 10 Tagen nach Kenntniserlangung vom Urteil einräumt, lässt sich der gesetzlichen Regelung nicht hinreichend sicher entnehmen. Näher liegt es, diesen Absatz als bloße Regelung der Antragsfrist zu verstehen, während Abs. 2 bestimmt, unter welchem Umständen im Falle des rechtzeitigen Antrags ein Wiedereinsetzungsrecht begründet ist. Für ein von dieser Auslegung abweichendes Verständnis der Vorschrift durch die albanischen Gerichte haben die albanischen Behörden nichts vorgetragen.

bb.

Es liegt auch keine Art. 3 Abs. 1 S. 2 des 2. ZP-EuAlÜbk entsprechende Zusicherung der albanischen Behörden vor, dass der Verfolgten das Recht auf ein neues Verfahren gewährleistet wird, in dem ihre Verteidigungsrechte gewahrt werden. Der Senat hatte eine solche Zusicherung für erforderlich erachtet. Die albanischen Behörden haben daraufhin auf die Gesetzeslage verwiesen und mitgeteilt, dass die albanischen Gerichte für den Fristbeginn auf die Unterschrift des Verfolgten unter die für die Vollstreckung erforderliche Niederschrift abstellen. Eine weitergehende Zusicherung könne im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip nicht abgegeben werden. Damit bleiben die zuvor dargelegten Bedenken an der Effektivität des Rechtsschutzes bestehen.

III.

Der Senat, der sich in der Vergangenheit auf weitergehendere Zusicherungen der albanischen Behörden verlassen hat, sieht sich daran aufgrund folgenden Falles gehindert:

Im Verfahren 6 AuslA 82/07 - 66/07 hatte der Senat über ein Ersuchen der albanischen Behörden um Auslieferung eines Albaners zu entscheiden, der in seiner Abwesenheit wegen Zuhälterei zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt worden war. Er war im Verfahren durch einen Pflichtverteidiger vertreten worden, der für ihn Rechtsmittel eingelegt hatte, die in allen Instanzen verworfen worden waren. Nachdem die Republik Albanien mitgeteilt hatte, das Recht des Verfolgten auf Wiedereröffnung des Prozesses werde in Anlehnung an die albanische Verfassung und Art. 147, 148, 450 und 453 der albanischen Strafprozessordnung vorläufig garantiert, wies der Verfolgte, beraten durch seinen damaligen Pflichtverteidiger, darauf hin, das Wiedereinsetzungsrecht bestehe nach der Rechtsprechung der albanischen Gerichte nicht, wenn gegen das erstinstanzliche Abwesenheitsurteil Rechtsmittel eingelegt worden seien. Daraufhin hat der Senat die albanischen Behörden um Mitteilung gebeten, ob der Verfolgte das Recht auf Wiedereinsetzung und damit einen Anspruch auf eine neue Tatsacheninstanz habe, obwohl sein Pflichtverteidiger gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt habe, über die auch entschieden worden sei. Das Justizministerium der Republik Albanien hat zu dieser Anfrage mit Schreiben vom 25.1.2008 folgende Erklärung abgegeben:

"In Referenz der gegebenen Zusicherungen in Respektierung des Rechts des albanischen Staatsangehörigen ......... auf Wiederaufnahme des Verfahrens, wegen der in seiner Abwesenheit durchgeführten Gerichtsverhandlung teilen wir mit, dass Subjekt dem Artikel 147/3 der Strafprozessordnung, das Recht auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand binnen 10 Tagen ab seiner Übergabe in Albanien effektiv benutzen kann."

Im Vertrauen auf diese Zusicherung hat der Senat die Auslieferung für zulässig erklärt.

Nachdem der Verfolgte am 17.3.2008 ausgeliefert worden war, übersandte sein Beistand dem Senat einen Beschluss des Gerichts des Gerichtsbezirks Fier vom 22.4.2008, durch den der Antrag des Verfolgten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung abgelehnt worden war, das Strafverfahren sei bereits in allen Instanzen, sowohl vom Appellgericht wie auch vom Hohen Gericht verhandelt worden. Zudem seien die Rechtsmittel von einem von der Familie des Verfolgten beauftragten Rechtsanwalt eingelegt worden, so dass der Verfolgte von seinem Einspruchsrecht vor höheren Gerichten Gebrauch gemacht habe.

Nachdem das Bundesamt der Justiz die albanischen Behörden um Stellungnahme gebeten hatte, wie sich die Entscheidung mit der abgegebenen, garantierten Zusicherung des albanischen Justizministeriums auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Einklang bringen lasse, hat das Justizministerium der Republik Albanien mitgeteilt, das Gericht sei die zuständige Behörde, die über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheide. Da das Justizministerium Teil der Exekutive sei, habe es keine Kompetenz, sich in die Urteile des Gerichts einzumischen.

Damit kann der Senat sich nicht mehr auf in Abwesenheitsverfahren gegebene Zusicherungen der albanischen Behörden verlassen. Zwar ist auch in der Bundesrepublik Deutschland der Grundsatz der Gewaltenteilung zu beachten. Es kann aber im Auslieferungsverkehr, in dem die beteiligten Staaten sich gegenseitig Vertrauen entgegenbringen sollen, erwartet werden, dass vor einer entsprechenden Zusicherung die Rechtslage und die Praxis der Spruchgerichte bezogen auf den konkreten Fall sorgfältig geprüft und die entsprechende Ergebnisse dem ersuchten Staat mitgeteilt werden. Das gilt allgemein, in besonderem Maße aber dann, wenn sich eine entsprechende Einschränkung des Wiedereinsetzungsrechts durch die albanischen Gerichte nicht aus dem Gesetz ergibt und der ersuchte Staat konkret auf ein seitens des Verfolgten an ihn herangetragenes Bedenken hingewiesen hat.

Wenn gleichwohl eine Zusicherung abgegeben wird, die später nicht eingehalten wird, kann der Senat nicht davon ausgehen, dass in Albanien rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt werden.

Ende der Entscheidung

Zurück