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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 27.01.2000
Aktenzeichen: 7 U 123/98
Rechtsgebiete: BauO, BauNVO, BGB, VwVfG, OBG, ZPO


Vorschriften:

BauO § 6
BauO § 6 Abs. 6
BauO § 6 Abs. 2 S. 2
BauO § 6 Abs. 6 S. 1
BauNVO § 15
BGB § 839
BGB § 254
VwVfG § 48 Abs. 2 S. 3
OBG § 40
OBG § 39
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 U 123/98 5 O 230/97 LG Köln

Anlage zum Protokoll vom 27.01.2000

Verkündet am 27.01.2000

Lingnau, JHSŽin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Prior und die Richter am Oberlandesgericht Martens und Dr. Kling

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 24.03.1998 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 5 O 230/97 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung i.H.v. 100.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheit kann beiderseits auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Zusammenhang mit der Genehmigung eines Bauvorhabens in Anspruch.

Die Klägerin (vormals P.-Einkaufszentrum GmbH & Co. N. KG) erwarb im Februar 1994 ein rund 5000 qm großes, im Ortszentrum von N. gelegenes Areal, das sie in den Jahren 1995 bis 1997 mit einem Einkaufszentrum bebaut hat. Die Gemeinde N., von der sie den überwiegenden Teil des Grundbesitzes ankaufte, unterstützte das Bauvorhaben in planungsrechtlicher Hinsicht, indem sie den für das Gebiet maßgebenden Bebauungsplan Nr. 47 im Bauvoranfrageverfahren abänderte und damit den Plänen der Klägerin anpasste.

Als zuständige Bauordnungsbehörde erteilte der Beklagte der Klägerin am 10.03.1995 eine Teilbaugenehmigung für Erdarbeiten und am 23.05.1995 die Baugenehmigung für das Gesamtvorhaben.

Das Bauvorhaben stieß auf den Widerstand des Nachbarn S., der Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks auf der dem Einkaufszentrum gegenüber liegenden Seite der M.straße ist. Er legte am 04.07.1995 Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein und beantragte beim Verwaltungsgericht Köln den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Bauarbeiten stillzulegen. Er rügte eine Verletzung des § 6 BauO (Abstandsflächen) sowie des § 15 BauNVO (Rücksichtnahmegebot). Auf Antrag der Klägerin ordnete der Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 01.08.1995 - teilweise - die sofortige Vollziehung der Baugenehmigung an (Bl. 55 ff. der beigezogenen Akte 2 L 1347/95 VG Köln).

Das Verwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 31.08.1995 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her und verpflichtete den Beklagten, die Baustelle unverzüglich stillzulegen. In den Gründen des Beschlusses bejahte es einen Verstoß sowohl gegen § 6 BauO wie auch gegen § 15 BauNVO. Die Voraussetzungen für das von der Klägerin in Anspruch genommene sogenannte Schmalseitenprivileg gemäß § 6 Abs. 6 BauO lägen nicht vor, da die Abstandsflächen bereits auf zwei anderen Seiten des Grundstücks, wo das teilweise bis an die Grundstücksgrenzen reichende Parkdeck aus dem Geländeniveau herausrage, nicht eingehalten seien. Auch sei das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, weil die zugunsten des Nachbarn zu beachtenden Anforderungen an den Lärmschutz nicht erfüllt seien. Entgegen den Feststellungen des dazu von der Klägerin eingeholten Sachverständigengutachtens werde der einzuhaltende Immissionsrichtwert von 55 dB(A) durch die Verladevorgänge in dem an die M.straße grenzenden und dem Nachbarn S. unmittelbar gegenüberliegenden Teil des Bauwerks (sog. Andienung) überschritten.

Gegen den Beschluss legten die im Verwaltungsgerichtsverfahren beigeladene Klägerin und der Beklagte Beschwerde ein, wobei die Klägerin, um den Verstoß gegen § 6 BauO auszuräumen, auf die Errichtung des davon betroffenen Hauses 3 verzichtete. Das Oberwaltungsgericht wies die Beschwerden mit Beschluss vom 14.11.1995 zurück. Es bejahte wegen der immissionsintensiven Vorgänge im Bereich der sog. Andienung und der unmittelbar daneben gelegenen Müllsammelstelle ebenfalls eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots gem. § 15 BauNVO.

Die Klägerin änderte daraufhin ihre Pläne, indem sie namentlich den Immissionsschutz in dem an die M.straße grenzenden Anlieferbereich durch eine sog. Einhausung verbesserte. Zur Erhaltung des Schmalseitenprivilegs ließ sich von seiten der Eigentümer der an das Parkdeck grenzenden Grundstücke Baulasten bestellen. Die Bauarbeiten waren länger als ein Jahr unterbrochen. Sie wurden von der Klägerin, nachdem der Nachbar S. mit einem weiteren Rechtsmittel erfolglos geblieben war, im November 1996 wieder aufgenommen.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Ersatz des Schadens, den sie dadurch erlitten haben will, dass sie auf die Rechtmäßigkeit der Teilbaugenehmigung vom 10.03.1995 und der Baugenehmigung vom 23.05.1995 vertraute. Sie hat geltend gemacht, der Beklagte habe die Genehmigungen bei richtiger Anwendung des § 6 BauO und des § 15 BauNVO nicht erteilen dürfen. Für sie, die Klägerin, seien die vom Verwaltungsgericht und vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Rechtsverstöße nicht erkennbar gewesen. Dadurch, dass sie im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigungen mit den Bauarbeiten begonnen habe, seien Mehrkosten bei der Umplanung des Gesamtvorhabens, nutzlose Zinsaufwendungen, Kostenerhöhungen und Gewinnausfall entstanden. Insgesamt belaufe sich der bereits entstandene Schaden auf 4.543.408,30 DM. Für die Zukunft müsse sie noch mit Schadensersatzansprüchen ihrer Vertragspartner rechnen.

Die Klägerin hat - nach teilweiser Rücknahme der Klage in Höhe von 702,15 DM - beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.542.706,20 DM nebst 11,5 % Zinsen seit dem 16.01.1996 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den künftigen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Erteilung der Teilbaugenehmigung vom 10.03.1995, der Baugenehmigung vom 23.05.1995 und der Ordnungsverfügung vom 14.09.1995 noch entstehen wird.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat sich darauf berufen, die Klägerin habe im Genehmigungsverfahren unrichtige und unvollständige Angaben gemacht sowie notwendige Unterlagen und Erklärungen verspätet beigebracht. Insbesondere habe sie nicht rechtzeitig für die Baulasterklärungen seitens der Nachbarn Sorge getragen. Stattdessen habe sie während der gesamten Planungs- und Genehmigungsphase starken Druck auf alle Beteiligten ausgeübt und versucht, zur Beschleunigung ihres Vorhabens rechtswidrige Entscheidungen herbeizuführen. Schließlich habe sie die Bauarbeiten trotz Kenntnis des Nachbarwiderspruchs und sogar noch über den Stillegungsbeschluss des Verwaltungsgerichts hinaus fortgesetzt.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 24. März 1998 abgewiesen. Es hat gemeint, der Klägerin stehe der von ihr beanspruchte Vertrauensschutz nicht zu, weil gegen ihr Vorhaben von Anfang an bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Bedenken bestanden hätten, die sie selbst gekannt habe oder jedenfalls ohne Mühe hätte erkennen können. Auf diese Bedenken sei sie im Rahmen einer Besprechung, die am 17.01.1995 stattgefunden habe, ausdrücklich hingewiesen worden. Sie habe die Problematik überblickt und habe deshalb auch mit Nachbarwidersprüchen rechnen müssen. Ein Anspruch aus § 839 BGB stehe ihr im übrigen auch deshalb nicht zu, weil sie ihre Architekten in Anspruch nehmen könne und insoweit über eine anderweitige Ersatzmöglichkeit verfüge.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie bekräftigt ihre Auffassung, dass sie auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigungen habe vertrauen dürfen. Das Abstandsflächenproblem sei erstmals im Verwaltungsgerichtsverfahren angesprochen worden. Im Hinblick auf das von ihr eingeholte schalltechnische Gutachten sei auch die vom Verwaltungsgericht und vom Oberverwaltungsgericht bejahte Verletzung des § 15 BauNVO für sie nicht erkennbar gewesen. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung. Er bekämpft die Auffassung der Klägerin zur Frage des Vertrauensschutzes und wiederholt dazu sein erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen aller näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich des genauen Inhalts der gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil und auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der Senatssitzungen vom 10.12.1998 und 02.12.1999 Bezug genommen. Die Akten 2 L 1347/95, 1406/96 und 2526/96 des Verwaltungsgerichts Köln und die Bauakten des Beklagten (8 Bände) sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

1.

Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts davon aus, dass das Vorhaben der Klägerin aus zwei Gründen nicht genehmigt werden durfte, nämlich wegen der Nichteinhaltung der Abstandsflächen gem. § 6 BauO (Haus 3) und wegen der Unvereinbarkeit mit dem Rücksichtnahmegebot des § 15 BauNVO (Andienung). Insoweit ist die Rechtslage zwischen den Parteien auch außer Streit.

In tatsächlicher Hinsicht haben das erst im Nachhinein gelöste Abstandsflächenproblem und die Notwendigkeit der Umplanung im Bereich der Andienung unterschiedliche Auswirkungen auf das Baugeschehen gehabt. Auf diesen Unterschied käme es nicht weiter an, wenn der Beklagte für beide Komplexe haftungsrechtlich in gleicher Weise verantwortlich wäre. Die beiden Verstöße unterliegen aber im Hinblick auf den Schutzbereich der von den Bediensteten des Beklagten verletzten Amtspflichten einer unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung.

2.

Was den Verstoß gegen § 15 BauNVO betrifft, so obliegt die Prüfung, ob das Bauvorhaben nach dieser Vorschrift zulässig ist, der Baugenehmigungsbehörde zwar grundsätzlich auch im Interesse des Bauherrn, der auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigung vertraut und dementsprechend wirtschaftlich disponiert. Indessen lagen hier besondere Umstände vor, die im Ergebnis dazu führen, dass die Klägerin die Folgen ihrer Fehlplanung nicht auf den Beklagten abwälzen kann.

a)

Zweifelhaft ist bereits, ob die Genehmigung überhaupt das Vertrauen rechtfertigte, dass sich die an der Grenze zur M.straße vorgesehene Andehnung wie von der Klägerin geplant realisieren lassen würde.

Bei realistischer Einschätzung der örtlichen Gegebenheiten musste es sich aufdrängen, dass es mit dem Nachbarn auf der gegenüberliegenden Seite der M.straße Schwierigkeiten geben würde. Ebenso evident war, dass der Nachbar durch die in der Andienung geplanten Einrichtungen und Betriebsvorgänge eine Beeinträchtigung erfuhr, die das Vorhaben im Hinblick auf § 15 BauNVO von vornherein äußerst problembehaftet erscheinen ließ. Die diesbezüglichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat die Klägerin nicht in Zweifel gezogen. In der nur durch die schmale M.straße vom Anwesen des Nachbarn getrennten Andienung hatte die Klägerin die gesamte Ver- und Entsorgung des großflächigen Einzelhandels konzentriert. Dabei war der Anlieferungsbereich bautechnisch so ausgestaltet, dass er von den Lieferfahrzeugen nur rückwärts angefahren werden konnte, wodurch es zwangsläufig zu Rangiervorgängen mit entsprechenden hohen Lärm- und Abgasemmissionen kommen musste. Hinzu kam die von der Müllsammelstelle zu erwartende Geruchsbelästigung, die im Hinblick auf die geplante Verarbeitung von Frischfleisch und Fisch sowie die sonst anfallenden verderblichen Waren wie Obst, Gemüse und Milchprodukte eine zusätzliche erhebliche Störung für den Nachbarn erwarten ließ.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Bauherr, der ungeachtet des Risikos eines erfolgreichen Nachbarwiderspruchs mit den Bauarbeiten beginnt oder diese fortsetzt, mit Ansprüchen gegen die Genehmigungsbehörde in vollem Umfang ausgeschlossen sein kann. Das Handeln auf eigene Gefahr, das sich der Bauherr in solchen Fällen mit anspruchsmindernder oder anspruchsausschließender Wirkung anrechnen lassen muss, hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit stets unter dem Blickwinkel des Mitverschuldens gem. § 254 BGB gewürdigt (BGH, NJW 1975, 1968, 1969; 1985, 265 und 1692, 1693). Demgegenüber würdigt die neuere Rechtsprechung das Verhalten des Bauherrn, der leichtfertig auf die Rechtmäßigkeit einer später aufgehobenen Genehmigung (oder auf die Richtigkeit einer zur Frage der Bebaubarkeit erteilten positiven Auskunft) vertraut hat, nicht mehr - nur - nach § 254 BGB, sondern unter dem Gesichtspunkt des Schutzbereichs der verletzten Amtspflicht (BGHZ 117, 83, 90; 134, 268, 283 ff.). Nach dieser Rechtsprechung muss der amtshaftungsrechtliche Vertrauensschutz bereits im "Vorfeld" des § 254 BGB generell dort seine Grenzen finden, wo bereits nach allgemeinem Verwaltungsrecht grundsätzlich von vornherein jeder Vertrauensschutz für den Adressaten des Verwaltungsakts ausscheidet. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen in dem Maße nicht schutzwürdig, in dem der Bürger selbst erkennt oder es sich ihm aufdrängen muss, dass der Verwaltungsakt geltendes Recht verletzt. Richtschnur soll dabei der Rechtsgedanke des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG sein. Ein Verwaltungsakt, der mit einem "Makel" i.S.d. § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG behaftet ist, soll als Vertrauensgrundlage für den Begünstigten regelmäßig ausscheiden, und zwar unabhängig davon, ob und inwieweit der Verwaltungsakt mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung versehen worden ist (BGHZ 134, 268, 285).

Bei Anlegung dieses Maßstabs wäre der Klägerin der von ihr beanspruchte Vertrauensschutz zu versagen, wenn sie den Verstoß gegen § 15 BauNVO aus grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hätte. Dagegen spricht, dass die in der Planung der Andienung angelegten Probleme des Immissionsschutzes im Genehmigungsverfahren, soweit ersichtlich, von keiner Seite näher thematisiert worden sind. Auf seiten des Beklagten wurde offensichtlich davon ausgegangen, dass sich das Thema mit dem schalltechnischen Gutachten des Sachverständigen P. erledigt hatte. Selbst das Staatliche Umweltamt Köln bescheinigte dem Beklagten mit Schreiben vom 09.02.1995, dass gegen das Vorhaben "aus der Sicht des Immissionsschutzes keine Bedenken" bestünden (Bauakten I Bl. 187). Andererseits waren die aus der bautechnischen Situation der Andienung und aus der Müllsammelstelle resultierenden Probleme für die Klägerin wesentlich besser erkennbar als für die Bediensteten des Beklagten. Insoweit sprechen schon gewichtige Gründe dafür, dass den für die Planung verantwortlichen Vertretern der Klägerin grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben. Die auf seiten der Klägerin in Bezug auf die Andienung vorhandene bessere Kenntnis und größere Sachnähe sind noch unter einem anderen Gesichtspunkt zu würdigen, der im Ergebnis dazu führt, dass die Klägerin keinen Vertrauensschutz beanspruchen kann.

b)

In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass der Schutzzweck der im Baugenehmigungsverfahren wahrzunehmenden Amtspflichten nicht dahingeht, den Bauherrn vor allen denkbaren wirtschaftlichen Nachteilen zu bewahren, die ihn bei der Verwirklichung seines Bauvorhabens treffen können (BGHZ 39, 358, 364; BGHZ 109, 380, 394). Das Baugenehmigungsverfahren ist insbesondere nicht dazu bestimmt, dem Bauherrn die Verantwortung für die einwandfreie Durchführung und Durchführbarkeit seines Bauvorhabens abzunehmen (BGHZ 39, 358, 365; NVwZ 1995, 620, 622). So obliegt der Baugenehmigungsbehörde zwar auch die Prüfung der Standsicherheit des Gebäudes, speziell der statischen Berechnung und des Baugrundes, wie auch des Feuerschutzes und des Vorhandenseins einer ausreichenden Trinkwasserversorgung. Die Prüfung dieser Aspekte dient aber nicht dem Zweck, den Bauherrn davor zu bewahren, dass er im Vertrauen auf die ihm erteilte Genehmigung Dispositionen trifft, die sich später als schadensträchtig erweisen (BGHZ 39, 358, 365; NVwZ 1995, 620, 622; NVwZ-RR 1997, 675).

Eine entsprechende Beurteilung ist hier geboten, soweit es um die immissions- und nachbarschutzrechtlichen Aspekte der von der Klägerin geplanten Andienung geht. Sie rechtfertigt sich insbesondere aus der größeren Sachnähe und Sachkompetenz der Klägerin. In welchem Umfang der Nachbar auf der gegenüberliegenden Seite der M.straße durch die Auswirkungen des Anlieferverkehrs und der Entsorgungsvorgänge im Bereich der Müllsammelstelle betroffen sein würde, konnte die Klägerin selbst am besten beurteilen. In weit höherem Maße als der Beklagte verfügte die Klägerin über das technische und organisatorische Wissen (know how), das sie in die Lage versetzte, das Ausmaß der Geräusch- und Geruchsbelästigung für den Nachbarn richtig einzuschätzen.

Aufgrund ihrer betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet des Einzelhandels konnte die Klägerin den zu erwartenden Anlieferverkehr nicht nur nach Art und Umfang voraussehen. Sie war auch mit den einschlägigen Betriebsvorgängen vertraut und konnte deshalb auch die vom Oberverwaltungsgericht betonte "spezifische Lästigkeit" der durch die Großraum-Lastkraftwagen beim Zurücksetzen und Rangieren verursachten Lärmimmissionen leichter erkennen als die Bediensteten des Beklagten. Aufgrund ihrer fachspezifischen Kenntnisse vermochte sie auch eher zu beurteilen, ob der Sachverständige P. die Rangier- und Ladevorgänge in seinem schallschutztechnischen Gutachten gebührend berücksichtigt hatte.

Über noch überlegenere Kenntnisse verfügte die Klägerin hinsichtlich der Störungen, die von der Müllsammelstelle zu erwarten waren. Ob und in welchem Umfang Abfallprodukte aus der besonders geruchsintensiven Verarbeitung von Fleisch und Fisch anfallen würden, konnte nur die Klägerin als Betreiberin des Objekts annäherungsweise voraussehen. Das gleiche gilt für den Anfall sonstiger verderblicher Waren. Auch der Gesamtumfang der zu erwartenden Abfälle und die daraus folgenden Zeitintervalle bei der Entleerung und dem Abtransport durch Müllfahrzeuge konnten von der Klägerin verlässlicher abgeschätzt werden als von den Bediensteten des Beklagten.

Der Wissensvorsprung der Klägerin gebietet es, ihr auch die volle Eigenverantwortung für die Prüfung der immissionsschutzrechtlichen Aspekte ihres Bauvorhabens im Rahmen des § 15 BauNVO zuzuweisen. Angesichts der Größe und wirtschaftlichen Bedeutung ihres Vorhabens muss von der Klägerin als Handelsgesellschaft auch erwartet werden, dass sie über ausreichend qualifiziertes Personal verfügt oder sich qualifizierter Berater bedient, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Insoweit gilt für Gewerbebetriebe ein strengerer Maßstab als für private Bauwillige. In der Rechtsprechung ist die Eigenverantwortung, die Gewerbetreibenden aufgrund ihrer Sachkunde für die Prüfung der spezifisch gewerblichen Aspekte eines Bauvorhabens obliegt, wiederholt betont worden (BGH NJW 1969, 234, 235; 1975, 1968, 1969).

Die Erwägungen, die zur Versagung eines Anspruchs aus § 839 BGB i.V.m. § 34 GG führen, gelten in gleicher Weise und mit dem gleichen Ergebnis für den Entschädigungsanspruch gem. §§ 39, 40 OBG. Es ist anerkannt, dass das Tatbestandsmerkmal "Maßnahme" i.S.d. § 39 OBG die Schutzpflichten der Behörde und den Kreis der geschützten Personen in gleicher Weise begrenzt wie die Figur des "Dritten" i.S.d. § 839 BGB (BGHZ 122, 317, 321).

3.

Was die Abstandsflächenproblematik betrifft, so steht der Klägerin ein Anspruch schon deshalb nicht zu, weil es insoweit an einem durch die Amtspflichtverletzung (bzw. die "Maßnahme" i.S.d. § 39 OBG) verursachten Schaden fehlt.

Die Klägerin hat für die zur M.straße hin gelegene Giebelseite des Hauses 3 im Genehmigungsverfahren zwei Abstandsflächenberechnungen eingereicht, die erste mit Lageplan vom 24.01.1995 (Bauakten I Bl. 242) und die zweite mit Lageplan vom 23.02.1995 (Bauakten II Bl. 61). Die Tiefe der Abstandsfläche (§ 6 Abs. 4 BauO) ist in der ersten Berechnung mit 5,87 m und in der zweiten Berechnung mit 5,57 m ermittelt. Die Änderung beruhte auf einer Verkürzung der Wandhöhe (§ 6 Abs. 4 S. 1 BauO), die wiederum das Resultat einer Reduzierung des Dachgeschosses war, wie sich aus einem Vergleich der alten Ansicht vom 16.02.1995 (Bauakten II Bl. 113) mit der geänderten Ansicht vom 20.02.1995 (Bauakten II Bl. 81) ergibt. Durch die Änderung wurde erreicht, dass die Grenze des § 6 Abs. 2 S. 2 BauO bei Anwendung des Faktors 0,4 gewahrt blieb. Dass an der Grenze zwischen Kerngebiet und allgemeinem Wohngebiet nicht der Kerngebietsfaktor von 0,5 H, sondern der Faktor 0,8 H galt, war den Architekten der Klägerin offenbar bewusst. Sie hatten sowohl in der früheren wie auch in der geänderten Berechnung mit dem Faktor 0,4 gearbeitet, der sich nur bei Zugrundelegung des Schmalseitenprivilegs (§ 6 Abs. 6 S. 1 BauO) ergeben konnte. Zweifel an der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 6 S. 1 BauO wurden, soweit ersichtlich, im Baugenehmigungsverfahren zu keinem Zeitpunkt geäußert. Selbst der Berichterstatter des Verwaltungsgerichts sah anfänglich, wie er in seiner Berechnung vom 28.07.1995 festhielt, für das Schmalseitenprivileg keine Hinderungsgründe (Akten 2 L 1347/95 VG Köln Bl. 50). Den Verbrauch des Schmalseitenprivilegs durch die Höhe des Bauwerks im Grenzbereich zu den Parzellen 49, 50, 637 und 600 stellte das Verwaltungsgericht erst in seinem Beschluss vom 31.08.1995 fest. Nur in diesem Punkt war die letzte, für die Genehmigung maßgebende Abstandsflächenberechnung fehlerhaft.

Insoweit ist der Beklagte nur für den Schaden verantwortlich, den die Klägerin dadurch erlitten hat, dass sie darauf vertraute, das Haus 3 in der geplanten Höhe unter Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs bauen zu können. Für einen dahingehenden Schaden hat sie nichts vorgetragen.

Das entscheidende Hindernis für die Realisierung des Bauvorhabens war nicht die Giebelhöhe des Hauses 3, sondern die immissionsträchtige Gestaltung der an die M.straße grenzenden Andienung. Als das Verwaltungsgericht die Stillegung der Baustelle anordnete, war die im Hinblick auf § 6 BauO kritische Wandhöhe im Bereich des Hauses 3 noch nicht erreicht. Das Abstandsflächenproblem konnte kurzerhand dadurch ausgeräumt werden, dass die Klägerin im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren auf die Errichtung des Hauses 3 verzichtete. Wie sie in ihrer Beschwerdeschrift vom 21.09.1995 ausführte, waren hinsichtlich des Hauses 3 noch "keinerlei Bautätigkeiten" erfolgt; auch war der Verzicht "ohne weitere Abrissmaßnahme durchführbar" (Seite 3, Akten 2 L 1347/95 VG Köln Bl. 94). Für fehlgeschlagene Aufwendungen ist demnach nichts ersichtlich. Auch wären die Bauarbeiten, wenn es nur das Abstandsflächenproblem gegeben hätte, allenfalls für kurze Zeit unterbrochen worden. Durch den von ihr erklärten Verzicht hätte die Klägerin auch ohne Anrufung des Oberverwaltungsgerichts eine alsbaldige Aufhebung der Stilllegungsanordnung durch das Verwaltungsgericht herbeiführen können. Schließlich ist auch fraglich, ob wegen der Abstandsflächen überhaupt eine Umplanung des Hauses 3 erfolgt ist. Denn im späteren Verlauf des Genehmigungsverfahrens wurde das Abstandsflächenproblem dadurch gelöst, dass die Klägerin sich mit den Eigentümern der süd-östlich an ihr Grundstück grenzenden Parzellen auf die Bestellung von Baulasten einigte, durch die das Schmalseitenprivileg wiederhergestellt wurde. Für abstandsflächenbedingte Umplanungs- und Umbaukosten hat die Klägerin jedenfalls nichts vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und Sicherheitsleistung folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer: 4.642.706,20 DM.

Ende der Entscheidung

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