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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 09.08.2007
Aktenzeichen: 7 U 140/06
Rechtsgebiete: VwVfG, Fleischhygiene-VO


Vorschriften:

VwVfG § 38 Abs. 1
VwVfG § 38 Abs. 3
VwVfG § 48 Abs. 3
Fleischhygiene-VO § 6 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1.

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29. September 2006 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 1 O 546/05 - wird zurückgewiesen.

2.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3.

Der Klägerin wird gestattet, die Zwangsvollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden.

4.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin, deren Betrieb auf die Ausbeinung von Rinderköpfen spezialisiert war und die die dafür seinerzeit erforderliche Genehmigung nach § 6 Abs. 3 Fleischhygieneverordnung besaß, verlangt Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs und Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung wegen Maßnahmen bzw. Unterlassungen der Beklagten im Zusammenhang mit der BSE-Krise.

Die EG-VO Nr. 999/2001 vom 22.05.2001, die noch die Entfernung von spezifizierten Risikomaterialien von über 12 Monate alten Rindern auch außerhalb von Schlachthöfen in dafür zugelassenen Zerlegungsbetrieben erlaubte, wurde durch die EG-VO Nr. 270/02 vom 14.02.2002 mit Wirkung ab 01.04.2002 geändert (Anlage K 7). Nach deren Anhang II (der Anhang XI Teil A der früheren Verordnung ersetzte) waren spezifizierte Risikomaterialien, zu denen unter anderem Schädel einschließlich Hirn und Augen von über 12 Monate alten Rindern gehörten (Nr. 1 a i), zu entfernen und zu beseitigen. Die spezifizierten Risikomaterialien mussten - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - in Schlachthöfen entfernt werden (Nr. 5 a). Den Mitgliedstaaten wurde gestattet, die Gewinnung von Backenfleisch oder Zungen aus Rinderköpfen in Zerlegebetrieben zuzulassen, die über eine spezifische Zulassung für diesen Zweck verfügten (Nr. 6 a). Eine solche Ausnahmeregelung haben einige, aber nicht alle Mitgliedsländer erlassen.

Nachdem das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft mit Schreiben vom 12.03.2002 (Anlage K 6) und mit weiterem Schreiben an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Anlage K 12) unter anderem mitgeteilt hatte, es sei nicht beabsichtigt, von der genannten Ausnahmemöglichkeit Gebrauch zu machen, kam es am 28.03.2002 zu einem Gespräch der betroffenen Unternehmen einschließlich der Klägerin mit Vertretern des Ministeriums. Über dessen Inhalt herrscht Streit. Die Klägerin behauptet, den betroffenen Unternehmen sei zugesichert worden, dass sie ihre gewerbliche Tätigkeit fortsetzen könnten; es sei vereinbart worden, eine wissenschaftliche Studie betreffend eventuelle Verbraucherrisiken erstellen zu lassen, so- dann habe die Beklagte darüber befinden wollen, ob von der gemeinschaftsrechtlich eingeräumten Ausnahme endgültig Gebrauch gemacht werden solle oder nicht; bis spätestens 31.12.2002 habe deshalb die Gewinnung von Kopffleisch und die Verbringung von Rinderköpfen geduldet werden sollen.

Nach einer Bund-Länder-Besprechung am 15.04.2002 (vgl. dazu Ergebnisvermerk vom 16.04.2002, Anlage K 19), einer Stellungnahme des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin - BgVV - vom 25.04.2002 (Anlage K 22) und einem Gespräch von Sachverständigen am 15.05.2002 (Anlage K 25, hierzu Anlage 2) wurde am 17.07.2002 eine Ausnahmeverordnung erlassen (Anlage K 27). Diese konnte jedoch zumindest in der Mehrzahl der Rinderkopf-Zerlegungsbetriebe aus tatsächlichen Gründen nicht umgesetzt werden.

Die Klägerin hatte schon im Juni 2002 die Gewinnung von Rinder-Kopffleisch eingestellt. Nachdem die EG-VO Nr. 999/2001 durch EG-VO Nr. 1139/2003 vom 27.06.2003 (Anlage K 30) erneut geändert worden war, nahm die Klägerin diese gewerbliche Tätigkeit im Oktober 2003 wieder auf.

Die Klägerin verlangt Ersatz des ihr in dem betreffenden Zeitraum angeblich entgangenen Ertragsausfalls in Höhe von 1.066.667,00 € nebst 25.000,00 € Reinigungskosten, die im Zuge der Betriebseinstellung angefallen seien, und - im Wege des Feststellungsantrags - Ersatz darüber hinausgehender Schäden, insbesondere entgangenen Gewinns.

Sie hat geltend gemacht:

Durch die Nichteinhaltung der in der Besprechung vom 28.03.2002 gemachten Zusage und den Erlass der in der Praxis nicht umsetzbaren Verordnung vom 17.07.2002 habe die Beklagte rechtswidrig in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb eingegriffen und de facto ihren Geschäftsbetrieb unmöglich gemacht. Ihr Verhalten sei nicht aus Gründen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt oder auch nur vertretbar gewesen. Zum Einen sei die Stellungnahme des BgVV vom 25.04.2002, die sich die Beklagte zurechnen lassen müsse, wissenschaftlich unhaltbar gewesen, zum Anderen sei ein effektiver Verbraucherschutz unmöglich gewesen, da andere Mitgliedsländer von der Möglichkeit der Ausnahmeregelung umfassend Gebrauch gemacht hätten und das dort gewonnene Fleisch nach den Regeln des Binnenmarkts rechtmäßig in die Bundesrepublik habe eingeführt werden können. Jedenfalls sei eine Abwägung zwischen ihrem, der Klägerin, Grundrecht aus Artikel 14 GG und dem Verbraucherschutz entweder gar nicht oder sachwidrig erfolgt. Solange ein Risiko für den Verbraucher nicht wissenschaftlich fundiert gewesen sei, sei ein Eingriff in den Gewerbebetrieb unzulässig gewesen. Faktisch habe die Beklagte die ihr, Klägerin, schon erteilte Zulassung (§ 6 Abs. 3 Fleischhygieneverordnung), die Nr. 6 a des Anhangs XI der EG-VO genügt habe, aberkannt. Das Gemeinschaftsrecht habe nicht etwa ein Verbot der Gewinnung von Rinder - Kopffleisch vorgesehen, sondern nur die Gestaltungsmöglichkeiten der Gewinnung von Backenfleisch und Zungen den Mitgliedstaaten überlassen. Das Gemeinschaftsrecht gehe davon aus, das Kopffleisch, Backen und Zungen kein sogenanntes spezifisches Risikomaterial seien, daher grundsätzlich verzehrt werden könnten. Dementsprechend bestehe auch ein Amtshaftungsanspruch, da von den Maßnahmen der Beklagten nur ca. 12 Zerlegungsbetriebe in der Bundesrepublik betroffen worden seien, auch unter dem Gesichtspunkt normativen Unrechts - die Verordnung vom 17.07.2002 sei eine Einzelfall-Norm -.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.091.667,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (19.01.2006) zu zahlen,

2.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen weiteren Schaden zu ersetzen, der ihr daraus entstanden ist und noch entsteht, dass sie ab Juni 2002 bis einschließlich Oktober 2003 die gewerbliche Tätigkeit der Zerlegung von Rinderköpfen nicht ausüben konnte.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.

Sie hat geltend gemacht:

Das von der Klägerin beanstandete Verbot der Ausbeinung von Rinderköpfen beruhe auf europäischem Gemeinschaftsrecht, nicht auf von ihr, der Beklagten, getroffenen Maßnahmen. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, eine den Wünschen der Klägerin entsprechende Ausnahmeverordnung zu erlassen. Die Restriktionen gemäß der Verordnung vom 17.07.2002 seien auf der Grundlage des damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes im Interesse des vorbeugenden Gesundheitsschutzes für Verbraucher geboten gewesen. Die Stellungnahme des BgVV vom 25.04.2002, wesentliche Grundlage dieser Verordnung, sei keineswegs wissenschaftlich unhaltbar gewesen, habe sich auch nicht im Nachhinein als falsch herausgestellt, sondern sei auch im Zusammenhang mit dem Erlass der EG-VO vom 27.06.2003 berücksichtigt worden. Es sei ihr, der Beklagten, nur nicht gelungen, die strikten Vorgaben auf Gemeinschaftsebene vollständig durchzusetzen; die genannte Verordnung beruhe nicht auf einer unterschiedlichen Einschätzung des Kontaminationsrisikos, sondern sei Resultat eines von dem Ziel abschließender Harmonisierung getragenen Kompromisses. In die Substanz des Gewerbebetriebs der Klägerin sei ohnehin nicht eingegriffen worden, da diese keinen Anspruch auf Fortbestand einer ihr günstigen Rechtslage habe. Erst recht sei ein solcher Eingriff nicht durch die Verordnung vom 17.07.2002 erfolgt, da diese gegenüber dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot nur die rechtlichen Möglichkeiten erweitert habe. Selbst wenn diese Verordnung ungültig gewesen wäre - was nicht der Fall gewesen sei -, fehle es an einem Eingriff, da dann das gemeinschaftsrechtliche Verbot einschlägig gewesen wäre. Bedeutungslos sei, dass andere EU-Mitgliedstaaten weiterreichende Ausnahmeregelungen getroffen hätten und das dort gewonnene Fleisch in die Bundesrepublik habe eingeführt werden dürfen. Dies sei die notwendige Folge der gemeinschaftsrechtlichen Zulassung von Ausnahmebestimmungen der Länder. Zudem habe das betreffende Fleisch von seiner Quantität her das früher in der Bundesrepublik gewonnene nicht vollständig ersetzen können.

In der Besprechung vom 28.03.2002 habe sie, Beklagte, nur erklärt, sie wolle sich für eine übergangsweise - keineswegs bis zur Vorlage einer von den betroffenen Unternehmen in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Untersuchung - Duldung der Gewinnung von Backenfleisch gegenüber den zuständigen Vollzugsbehörden der Bundesländer einsetzen. Da diese zu einer vorübergehenden Duldung nicht bereit gewesen seien und das BgVV in seiner Stellungnahme vom 25.04.2002 konkrete Vorgaben gemacht habe, sei der Erlass der Verordnung vom 17.07.2002 geboten gewesen.

Die Beklagte hat ferner geltend gemacht, der Anspruch scheitere auch daran, dass die Klägerin von den ihr zustehenden Möglichkeiten des primären Rechtsschutzes keinen Gebrauch gemacht habe. Die Anspruchshöhe hat sie bestritten.

Mit dem angefochtenen und hiermit in Bezug genommenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung, mit der die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Sie wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere betont sie, dass das Gemeinschaftsrecht die Gewinnung von Kopffleisch bzw. Backen- und Zungenfleisch nicht verboten, sondern in den Schlachthöfen ausdrücklich zugelassen habe. Das betreffende Fleisch - kein spezifiziertes Risikomaterial - sei offensichtlich nicht als so gefährlich eingestuft worden, dass dessen Gewinnung und Inverkehrbringung überhaupt nicht mehr zulässig sein sollte. Dem habe die Beklagte durch ihr Verhalten nicht Rechnung getragen.

Sie, Klägerin, habe in Gestalt der ihr nach § 6 Abs. 3 Fleischhygieneverordnung erteilten Genehmigung die spezifische Zulassung für die Gewinnung von Kopffleisch besessen.

Einen enteignungsgleichen Eingriff durch aktives Tun sieht die Klägerin auch in der Stellungnahme des BgVV vom 25.04.2002.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Berufungsvorbringen mit näheren Ausführungen entgegen.

Ergänzend wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch weder unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs noch dem der Amtshaftung zusteht.

1.

a)

Nach ständiger Rechtsprechung setzt ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff voraus, dass rechtswidrig in eine durch Artikel 14 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird (siehe zuletzt Urteil des BGH vom 11.01.2007 - III ZR 302/05 - NJW 2007, 830, 833 m. w. N.).

Anerkanntermaßen genießt der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb den Schutz des Artikel 14 GG, allerdings nur bezüglich seiner Substanz, nicht in der Richtung, dass die allgemeinen Gegebenheiten und normativen Re gelungen gleich bleiben, es sei denn, es besteht für den Unternehmer insoweit ein Vertrauenstatbestand (BGH NJW 1968, 293 f.; 1980 2700 f.; WM 2001, 1734, 1735; Staudinger/Wurm, BGB 13. Bearbeitung § 839 Rdnr. 454, 456, 457).

Auch normatives Unrecht des Verordnungs- bzw. Satzungsgebers (anders legislatives Unrecht, d. h. das des Parlamentsgesetzgebers) kann einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff auslösen, wenn die Norm an eigenen, nicht auf ein Parlamentsgesetz zurückgehenden Nichtigkeitsgründen leidet (BGH NJW 1980, 2700; 1990, 3260 f.; Wurm a. a. O. Rdnr. 466; Papier in Münchner Kommentar zum BGB, 4. Auflage § 839 Rdnr. 46).

b)

Es mag sein, dass in der Zeit von Frühjahr 2002 bis zum Inkrafttreten der EG-VO Nr. 1139/2003 vom 27.06.2003 dadurch in die Substanz des Gewerbebetriebs der Klägerin eingegriffen worden ist, dass ihr die Gewinnung von Rinder-Kopffleisch, worauf ihr Betrieb spezialisiert war, unmöglich gemacht wurde. Das beruhte jedoch auf der verbindlichen und in jedem Mitgliedstaat unmittelbar geltenden EG-VO Nr. 270/2002 vom 14.02.2002, die in ihrem Anhang II Nr. 5 Anhang XI der EG-VO vom 22.05.2001 in der Weise änderte, dass die spezifizierten Risikomaterialien (Nr. 1 a: Unter anderem Schädel von über 12 Monate alten Rindern) bis auf die Wirbelsäule (Nr. 5 b) in Schlachthöfen zu entfernen waren (Nr. 5 a). Für die Auswirkungen einer gemeinschaftsrechtlichen, unmittelbar wirkenden Regelung haftet die Bundesrepublik weder wegen enteignungsgleichen Eingriffs noch nach Amtshaftungsgrundsätzen (BGH NJW 1994, 858 ff.; Papier a. a. O. Rdnr. 46 a. E. und 98). Auf die Rechtmäßigkeit der EG-VO vom 14.02.2002, die die Klägerin übrigens gar nicht bezweifelt, kommt es demnach nicht an.

Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht spielt es auch keine Rolle, ob Backenfleisch und Zungen zu den spezifizierten Risikomaterialien gerechnet wurden. Zu diesen gehörte nach der klaren Regelung der Verordnung vom 14.02.2002 jedenfalls der gesamte Schädel, d. h. das gesamte Skelettgerüst des Kopfes. Da jedenfalls nach Nr. 5 a in Verbindung mit Nr. 1 a i der Verordnung der Schädel in Schlachthöfen zu entfernen war und dementsprechend auch die Ausbeinung, ohne die Backenfleisch oder Zungen nicht zu gewinnen waren, dort erfolgen musste, war gemeinschaftsrechtlich eine Ausbeinung in Zerlegebetrieben grundsätzlich ausgeschlossen. Anders wäre auch Nummer 6 a der Verordnung unverständlich, da diese Vorschrift es den Mitgliedstaaten erlaubte, abweichend von Nr. 5 Backenfleisch oder Zungen in Zerlegebetrieben zu gewinnen, die über eine spezifische Zulassung für diesen Zweck verfügten. Eine "abweichende Zulassung" setzt notwendig voraus, dass ohne eine solche die Gewinnung von Backenfleisch oder Zungen in Zerlegebetrieben verboten war. Rechtlich stellt sich die gemeinschaftsrechtliche Regelung als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (für die Mitgliedsländer) dar.

c)

Das rechtswidrige Verhalten der Beklagten sieht die Klägerin - vom Bruch einer am 28.03.2002 angeblich getroffenen Vereinbarung zunächst abgesehen - darin, dass die Beklagte von der in Nr. 6 a der genannten Verordnung zugelassenen Ausnahmeregelung für die Gewinnung von Backenfleisch oder Zungen (eine Ausnahme für sonstiges Kopffleisch war den Mitgliedsländern gar nicht erlaubt) nicht sachgerecht Gebrauch gemacht habe.

Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht geht es insoweit nicht um ein aktives Tun der Beklagten, sondern um ein Unterlassen, nämlich das Versäumnis, eine den Wünschen der Klägerin entsprechende Ausnahmeregelung getroffen zu haben. Die von der Beklagten am 17.07.2002 erlassene Ausnahmeverordnung soll laut dem Klagevortrag praktisch gegenstandslos gewesen sein, weil deren Voraussetzungen für die Gewinnung von Backenfleisch oder Zungen in Zerlegebetrieben in der Praxis unerfüllbar gewesen seien. Offenbar hält die Klägerin diese Verordnung deshalb für ungültig. Dies hätte jedoch nur die Konsequenz, dass die Beklagte von der Ausnahmemöglichkeit Nr. 6 a der EG-VO vom 14.02.2002 nicht wirksam Gebrauch gemacht hätte mit der Folge, dass es bei dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot bliebe. Durch die Verordnung vom 17.07.2002 ist der Klägerin jedenfalls nichts über die gemeinschaftsrechtliche Regelung hinaus "genommen" worden, wie es Voraussetzung für einen Eingriff in ein durch Artikel 14 GG geschütztes Recht wäre.

Unzutreffend ist der Versuch der Klägerin, aus der Stellungnahme des BgVV vom 25.04.2002 ein der Beklagten zuzurechnendes aktives Tun herzuleiten. Es fehlt insoweit offensichtlich an der für den enteignungsgleichen Eingriff erforderlichen Unmittelbarkeit, weil das BgVV nur als fachkundige Behörde in den Entscheidungsprozess der Beklagten betreffend die Frage des Erlasses einer Ausnahmeverordnung eingebunden war. Ein unmittelbarer Eingriff mit Außenwirkung, wie es für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff erforderlich ist, ist nicht gegeben, wenn eine zu beteiligende Behörde ihre Zustimmung versagt, dies für die zuständige Behörde aber nicht bindend ist (BGH NVwZ 1992, 913 f.. Anders bei Bindungswirkung, so zum Beispiel bei Versagung der gemeindlichen Zustimmung nach § 36 BauGB; vgl. auch zum Fall einer Bindungswirkung BGH VersR 1986, 372, 374). Es steht außer Frage, dass die Stellungnahme des BgVV vom 25.04.2002 für die Beklagte nicht bindend war. Dementsprechend spielt es auch keine Rolle, ob es zutreffend war, dass das BgVV Seite 1 seiner Stellungnahme davon ausgegangen ist, dass nach der EG-VO vom 14.02.2002 der gesamte Kopf (ohne Zunge) als spezifiziertes Risikomaterial im Schlachthof zu entfernen sei, wenn nicht der Mitgliedstaat von der ihm ermöglichten Ausnahmeregelung Gebrauch mache.

Es geht mithin um das Unterlassen einer den Wünschen der Klägerin entsprechenden, von ihr allein für sachgerecht gehaltenen Ausnahmeregelung. Grundsätzlich begründet Unterlassen keinen Anspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs, es sei denn, es liegt ein sogenanntes qualifiziertes Unterlassen vor (ständige Rechtsprechung des BGH, so zuletzt Urteil vom 11.01.2007 NJW 2007, 830, 834 m. w. N.; Wurm a. a. O. Rdnr. 464, 466, 476; Papier a. a. O. Rdnr. 44, 45). Dies gilt schon im Bereich des allgemeinen Verwaltungshandelns, erst recht im hier in Rede stehenden Bereich des Erlasses (untergesetzlicher) Rechtsnormen, in dem dem Normgeber ein weites Ermessen zusteht.

Um ein solches qualifiziertes Unterlassen geht es hier nicht. Dieses scheitert schon daran, dass nicht festgestellt werden kann, dass nur ein bestimmtes Verhalten der Beklagten in Betracht kam. Steht das pflichtgemäße Verhalten der öffentlichen Hand nicht fest, bestehen vielmehr Wahlmöglichkeiten, so scheidet ein qualifiziertes Unterlassen aus (BGH NJW 1988, 478, 481; 1994, 858, 861; Wurm a. a. O. Rdnr. 476).

Es kann keine Rede davon sein, dass die Beklagte zu einer Ausnahmeregelung verpflichtet war, die der Klägerin die Fortführung ihres Betriebs in gewohnter Weise oder mit weniger einschränkenden Regelungen als in der Verordnung vom 17.07.2002 geschehen ermöglicht hätte. Die Beklagte musste auf die von BSE ausgehenden Gefahren für den Verbraucher, die zu gemeinschaftsrechtlichen Regelungen geführt hatten, sachgerecht und in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht reagieren. Dabei stand ihr ein weiter Beurteilungsspielraum zu in der Frage, wie sie das tat, insbesondere war sie entgegen der von der Klägerin offenbar vertretenen Ansicht nicht gehalten, die gesundheitlichen Belange der Verbraucher hinter Unternehmerinteressen zurückstehen zu lassen, solange das gesundheitliche Gefahrenpotential wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt war. Der Umstand, dass der Inhalt der Stellungnahme des BgVV vom 25.04.2002 in der Fachwelt nicht unumstritten war, gebot es nicht, Maßnahmen zum gesundheitlichen Schutz der Verbraucher solange zurückzustellen, bis eine abschließende wissenschaftliche Klärung erfolgt war. Der Gesetzgeber darf - nach Auffassung des Senats: muss - alsbald reagieren, wenn ernsthafte gesundheitliche Gefahren drohen; er darf nicht abwarten, bis die wissenschaftliche Diskussion (unter Umständen erst nach Jahren oder nie) abgeschlossen ist und jeweils nach deren Ergebnis feststeht (oder festzustehen scheint), dass eine Gefahr tatsächlich vorhanden ist oder nicht. Dass hier mitten in der BSE-Krise eine ernstliche Gesundheitsgefahr für Verbraucher in Rede stand, unterliegt keinem vernünftigen Zweifel. Es war zumindest vertretbar, dass die Beklagte in der damaligen Situation Unternehmerinteressen, mochten sie auch durch Artikel 14 GG geschützt sein, hinter den Gesundheitsbelangen der Verbraucher zurückstellte.

Ebenso unzutreffend ist die von der Klägerin vertretene Ansicht, die Beklagte sei zu einer umfassenden Ausnahmeregelung verpflichtet gewesen, weil einige EU-Länder, speziell Niederlande und Österreich, eine solche erlassen hätten und das dort gewonnene Rinder-Kopffleisch nach den Regeln des Binnenmarkts ohne weiteres in die Bundesrepublik eingeführt werden konnte. Wenn eine gemeinschaftsrechtliche Verordnung den Mitgliedstaaten Ausnahmeregelungen überlässt, impliziert dass die Möglichkeit von unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Staaten. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass eine gegenteilige Ansicht dazu führe, dass jeder einzelne Staat sich mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu begnügen habe, was selbstverständlich unvertretbar wäre. Die Möglichkeit der Einfuhr von Rinder-Backenfleisch oder -Zungen aus solchen Staaten änderte nichts an der Eignung der Maßnahmen bzw. des Unterlassens der Beklagten für den Gesundheitsschutz, denn jedenfalls deutsches Backenfleisch oder Zungen aus Zerlegebetrieben stand auf dem deutschen Markt nicht zur Verfügung. Bereits die Minimierung der Gesundheitsgefahr war ein sachgerechtes Ziel. Eine Abschottung des deutschen Marktes war der Beklagten aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen nicht möglich. Von einer solchen Minimierung konnte sie ausgehen. Es kann auch kaum ein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass diese - worauf es letztlich aber noch nicht einmal ankommt - tatsächlich erreicht wurde, denn es erscheint ganz unrealistisch, dass das aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Kopffleisch den durch das Verhalten der Beklagten eleminierten früheren deutschen Marktanteil vollständig ersetzt hat.

Der Senat hat nicht darüber zu befinden, ob das Verhalten bzw. Unterlassen der Beklagten das einzig Richtige war oder sie besser eine Regelung geschaffen hätte, wie sie später durch die EG-VO vom 27.06.2003 geschaffen wurde. Vertretbar - und darauf allein kommt es an - war das Verhalten der Beklagten allemal.

d)

Die angeblich am 28.03.2002 getroffene Vereinbarung hilft der Klägerin nicht weiter. Eine Beweisaufnahme über deren Inhalt ist deshalb überflüssig. Die Klägerin behauptet, es sei eine Duldung der bisherigen Art der Gewinnung von Rinder-Kopffleisch verabredet worden bis zur Vorlage der wissenschaftlichen Studie eines unabhängigen Instituts über Risiken für den Verbraucher, spätestens bis zum 31.12.2002. Ob das hinreichend substantiiert ist, kann dahinstehen. Immerhin lässt der sonstige Inhalt des vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin erstellten Protokolls (Anlage K 15) - Beteiligung der für den Vollzug zuständigen Bundesländer; von Staatssekretär N betonter Vorrang des gesundheitlichen Verbraucherschutzes, was zwangsläufig eine Änderung bei Vorliegen neuer Erkenntnisse (so dann durch die BgVV-Stellungnahme vom 25.04.2002) erforderlich machte - die Behauptung der Klägerin ganz fernliegend erscheinen. Darüber hinaus hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben an das Ministerium vom 15.04.2002 (Anlage K 18 a) darum gebeten, schnellstmöglichst weitergehende Rechtssicherheit zu schaffen; bisher sei eine Duldung in ausdrücklicher Form nur bis zum 30.04.2002 zugesagt worden. Auf die behauptete Absprache (Zusicherung) kommt es jedenfalls deshalb nicht an, weil eine Zusicherung des behaupteten Inhalts rechtswidrig und unwirksam gewesen wäre. Es fehlte schon an der nach § 38 Abs. 1 VwVfG erforderlichen Schriftform und Beteiligung der (für den Vollzug zuständigen) Bundesländer. Die fehlende Schriftform konnte auch nicht durch spätere Äußerungen der Beklagten ersetzt werden, die gerade nicht eine Duldung der bisherigen Praxis bis zum Abschluss einer von den betroffenen Unternehmen in Auftrag zu gebenden wissenschaftlichen Studie bestätigten. Letzteres gilt auch für das Schreiben des Bundeskanzleramtes vom 24.04.2002 (Anlage K 18 b); auf dessen Seite 2 Absatz 2 heißt es:

"Als Voraussetzung hierfür hat sich das BMVEL bei den zuständigen obersten Behörden der Länder dafür eingesetzt, bis Ende April 2002 das Verbringen von Rinderköpfen aus Schlachtbetrieben in Zerlegungsbetriebe zu dulden."

Die behauptete Zusicherung wäre zudem gemeinschaftswidrig gewesen, denn unter einer Ausnahmeregelung im Sinne des Anhangs XI (II) Nr. 6 a der Verordnung vom 14.02.2002 kann nicht eine schlichte Duldung der bisherigen Praxis durch den Mitgliedstaat, sondern nur eine abstrakt-generelle Regelung verstanden werden. Die an der angeblichen Vereinbarung nicht beteiligten Bundesländer waren an das Gemeinschaftsrecht ebenso gebunden wie die Beklagte.

Es kommt hinzu, dass nach § 38 Abs. 3 VwVfG die Bindung an eine Zusicherung entfällt bei Änderung der Sach- und Rechtslage derart, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung (hier: Stellungnahme des BgVV vom 25.04.2002) die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen.

Der Bruch der angeblichen Zusicherung vom 28.03.2002 würde im Übrigen den geltend gemachten Anspruch nicht rechtfertigen. Denkbar - wenn auch ganz fernliegend, da die anwaltlich vertretene Klägerin über die Unwirksamkeit der ihr angeblich gegebenen Zusicherung vernünftigerweise nicht im Unklaren sein konnte - ist allenfalls ein Anspruch auf Ersatz unnützer Aufwendungen im Vertrauen auf die behauptete Abrede. Mehr als dieses sogenannte negative Interesse sieht auch der von der Klägerin in Bezug genommene § 48 Abs. 3 VwVfG nicht vor. Das negative Interesse - zum Beispiel wegen unnützer Aufwendungen, speziell in Gestalt von Zahlungen an Prof. Dr. E - ist jedoch nicht Klagegegenstand.

2.

Auch ein Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG) besteht nicht.

Bezüglich des Bruchs der angeblichen Zusicherung vom 28.03.2002 gilt das soeben Gesagte entsprechend.

Im Übrigen steht - angebliches - normatives Unrecht in Rede, das die Klägerin in der nach ihrer Meinung untauglichen Ausnahmeverordnung vom 17.07.2002 sieht. Grundsätzlich trifft den Normgeber keine drittschützende Amtspflicht. Eine Ausnahme gilt für Maßnahme-/Einzelfallnormen (BGH NJW 1971, 1172, 1174; 1988, 478, 482; 1989, 101; WM 1996, 2203, 2204; Wurm a. a. O. Rdnr. 181, 183).

Darum geht es hier nicht. Das Handeln bzw. Unterlassen der Beklagten diente allgemeinen Interessen des Verbraucherschutzes. Dass davon - zufällig - nur rund ein Dutzend Rindfleisch-Zerlegebetriebe betroffen wurden, reicht nicht für einen Maßnahme- bzw. Einzelfallcharakter.

Selbst wenn das anderes beurteilt würde, hätte die Klage keinen Erfolg. Den Normgeber trifft grundsätzlich keine Rechtspflicht zum Erlass eines bestimmten Rechtssetzungsaktes. Hier gilt keine Ausnahme. Den Normgeber steht jedenfalls ein weiter Ermessens-/Gestaltungsspielraum zu. Dieser ist nicht überschritten, wie sich aus den obigen Ausführungen zum enteignungsgleichen Eingriff ergibt.

3.

Die von der Klägerin vertretene Ansicht, sie habe die im Anhang XI (II) Nr. 6 a der EG-VO vom 14.02.2002 angesprochene spezifische Zulassung besessen, trifft nicht zu. Die ihr zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt erteilte Genehmigung nach § 6 Abs. 3 Fleischhygieneverordnung reichte dafür ersichtlich nicht aus.

4.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Entscheidung des Senats beruht auf der Anwendung langjähriger Rechtsprechungsgrundsätze auf den konkreten Einzelfall. Es erscheint völlig fernliegend, dass der Bundesgerichtshof diese seine Rechtsprechung anhand des Streitfalls ändern würde.

Streitwert zweiter Instanz und Wert der Beschwer: 1.241.667,00 €

Ende der Entscheidung

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