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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 20.07.2000
Aktenzeichen: 7 U 201/97
Rechtsgebiete: LBG NW, BGB, ZPO


Vorschriften:

LBG NW § 99
BGB § 823
BGB § 254
BGB § 288 Abs. 1 S. 1
BGB § 291
BGB § 288 Abs. 2
BGB § 847
BGB § 249
BGB § 398
ZPO § 91
ZPO § 100 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 2
ZPO § 515 Abs. 3
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 U 201/97 4 O 117/97 LG Aachen 4 O 141/97 LG Aachen

Anlage zum Protokoll vom 20.07.2000

Verkündet am 20.07.2000

Lingnau, JHS'in als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

pp.

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Prior sowie die Richter am Oberlandesgericht Martens und Dr. Kling

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufungen der Klägerinnen zu 1) und zu 2) und des Beklagten zu 1) werden die Teilurteile des Landgerichts Aachen vom 17.09.1997 - 4 O 117/97 und 4 O 141/97 - sowie das Schlussurteil vom 25.03.1998 - 4 O 117/97 - und das Grund- und Teilurteil vom 25.03.1998 - 4 O 141/97 - abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

A.

Im Streitverhältnis der Klägerin zu 2) zu den Beklagten (4 O 117/97 LG Aachen, 7 U 205/97 und 59/98 OLG Köln):

1.)

Die Beklagte zu 3) wird verurteilt, an die Klägerin zu 2) 70.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 07.04.1997 zu zahlen.

2.)

Die Klage gegen die Beklagten zu 1) und 2) wird abgewiesen.

3.)

Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

a) 1. Instanz (4 O 117/97 LG Aachen):

Die Klägerin zu 2) trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) und alle Kosten, die nach dem Teilurteil vom 17.09.1997 angefallen sind. Die Beklagte zu 3) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Von den bis einschließlich des Teilurteils vom 17.09.1997 angefallenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) und Gerichtskosten trägt die Klägerin zu 2) 2/3, die Beklagte zu 3) 1/3.

b) 2. Instanz bis zum Verbindungsbeschluss des Senats vom 29.10.1998:

Die Kosten des Berufungsverfahrens 7 U 205/97 OLG Köln trägt die Beklagte zu 3) mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2), bezüglich derer die Berufung zurückgenommen worden ist; deren Kosten trägt die Klägerin zu 2).

Die Kosten des Berufungsverfahrens 7 U 59/98 OLG Köln trägt die Klägerin zu 2).

c) 2. Instanz ab Verbindungsbeschluss des Senats vom 29.10.1998:

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) tragen diese selbst und die Beklagte zu 3) je zu 1/2.

Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt die Klägerin zu 2) 10 %.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) trägt diese selbst.

Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 2) und die Beklagte zu 3) jeweils 5 %.

4.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten zu 3) wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung seitens der Klägerin zu 2) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zu 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Klägerin zu 2) wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung seitens des Beklagten zu 1) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zu 1) vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Alle Sicherheitsleistungen können durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.

B.

Im Streitverhältnis der Klägerin zu 1) zu den Beklagten zu 1) und 3) (4 O 141/97 LG Aachen, 7 U 201/97 und 77/98 OLG Köln):

1.)

Die Klage gegen den Beklagten zu 1) wird abgewiesen.

2.)

Die Beklagte zu 3) wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) zu zahlen:

a) 241.176,55 DM nebst 6 % Zinsen seit dem 11.04.1997;

b) weitere 250.806,15 DM.

3.)

Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 3) verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) alle Aufwendungen zu ersetzen, die dieser aus dem Unfall des Regierungsdirektors W. M. D. vom 10.02.1996 im T. F. K. noch entstehen werden, soweit sie diesem zur Gewährung von Leistungen infolge des Unfalls verpflichtet ist.

4.)

Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

a) 1. Instanz (4 O 141/97 LG Aachen):

Die Klägerin zu 1) trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) und alle Kosten, die nach dem Teilurteil vom 17.09.1997 angefallen sind.

Die Beklagte zu 3) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Von den bis einschließlich des Teilurteils vom 17.09.1997 angefallenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) und Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 1) und die Beklagte zu 3) jeweils 1/2.

b) 2. Instanz bis zum Verbindungsbeschluss des Senats vom 29.10.1998:

Die Kosten des Berufungsverfahrens 7 U 201/97 OLG Köln trägt die Beklagte zu 3).

Die Kosten des Berufungsverfahrens 7 U 77/98 OLG Köln trägt die Klägerin zu 1).

c) 2. Instanz ab Verbindungsbeschluss des Senats vom 29.10.1998:

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) tragen diese selbst und die Beklagte zu 3) je zu 1/2.

Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt die Klägerin zu 1) 90 %.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) trägt diese selbst.

Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 1) und die Beklagte zu 3) jeweils 45 %.

5.)

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten zu 3) wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung seitens der Klägerin zu 1) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 580.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zu 1) vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Klägerin zu 1) wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung seitens des Beklagten zu 1) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zu 1) vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Alle Sicherheitsleistungen können durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die beklagte Gemeinde betreibt in K. das "T. Freizeitbad K.". Zu den Anlagen des Freizeitbades gehört eine Wasserrutsche von ca. 97 m Länge. Die - vom Technischen Überwachungsverein Bayern genehmigte und in regelmäßigen Abständen überprüfte - Rutsche besteht aus einer blau eingefärbten unteren Halbschale aus glasfaserverstärktem Kunststoff, auf der gerutscht wird, und einer durchsichtigen Kunststoffhaube als Abdeckung. Beide Elemente zusammen formen eine Röhre mit fast kreisförmigem Durchmesser. Zugang und Landebereich gehören zur Schwimmhalle, die Röhre mit dem eigentlichen Rutschbereich verläuft in mehreren Kurven und Kehren außerhalb des Gebäudes durchs Freie. Den Start erreicht man über eine Spindeltreppe in einem eigens an der Schwimmhalle errichteten ca. 10 m hohen Turm.

Die Badegäste beginnen die Rutschfahrt im sogenannten Startbereich und rutschen auf einem Wasserfilm abwärts. Für die Rutschfahrt abwärts waren zur Unfallzeit die Rutschhaltungen "Rückenlage, Blick nach vorn" und "Sitzend, Blick nach vorn" erlaubt. Auf einem Schild im Startbereich wird auf die Einhaltung eines Rutschabstandes von "ca. 10 Sekunden" hingewiesen.

Am 10.02.1996 besuchte der in Landesdiensten stehende Regierungsdirektor M.- D. zusammen mit seiner Ehefrau und einigen Kindern das Freizeitbad in K.. Dabei stieß er bei einer Rutschfahrt, wie er angibt, noch innerhalb der Rutschenröhre mit dem ihm nachfolgenden - damals 14-jährigen - Beklagten zu 1) zusammen. Seither ist er querschnittsgelähmt.

Mit der vorstehenden Klage nimmt die Klägerin zu 1) die Beklagten zu 1) und 3) aus übergegangenem Recht auf Ersatz des materiellen Schadens (Behandlungskosten und weiter gezahlte Dienstbezüge) und die Klägerin zu 2) die Beklagten zu 1) und 3) - ursprünglich auch die Beklagte zu 2) - aus abgetretenem Recht auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch. Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage wegen Verletzung ihr als Mutter des Beklagten zu 1) obliegenden Aufsichtspflichten ist durch - nach Berufungsrücknahme - rechtskräftiges Teilurteil des Landgerichts Aachen vom 17.09.1997 - 4 O 117/97 - (Bl. 146 ff. d. Akten 4 O 117/97) abgewiesen worden.

Die Klägerinnen haben geltend gemacht, dass der Beklagte zu 1) den zeitlich vorgegebenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten und die Beklagte zu 3) ihr obliegende Verkehrssicherungspflichten verletzt habe.

Die Klägerin zu 1) hat beantragt,

1)

die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 241.176,55 DM nebst 6 % Zinsen seit Rechtshängigkeit sowie weitere 250.806,15 DM zu zahlen,

2)

festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr alle Aufwendungen zu ersetzen, die ihr aus dem Unfall des Regierungsdirektors W. M.-D. vom 10.02.1996 im "T. Freizeitbad K." noch entstehen werden.

Die Klägerin zu 2) hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, auf die Schmerzensgeldforderungen des Geschädigten M.-D. einen Teilbetrag von 70.000,00 DM nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit an sie zu zahlen.

Der Beklagte zu 1) hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, dass ihm die Hinweise zur Benutzung der Wasserrutsche bekannt gewesen seien und dass er sie stets beachtet habe. Er habe sogar länger gewartet als vorgesehen. Der Geschädigte M.-D. müsse aus Gründen, die er nicht kenne, in der Rutschenröhre liegengeblieben sein. Er habe ihn erst kurz hinter einer Kurve gesehen und deshalb den Unfall nicht mehr verhindern können.

Die Beklagte zu 3) hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, dass der Unfall sich in der Auffangeinrichtung ereignet habe und von dem Geschädigten M.- D. selbst verschuldet worden sei, weil er zu nahe an der Rutsche gestanden habe. Im übrigen könne ihr die Verletzung von Aufsichts- oder Verkehrssicherungspflichten nicht vorgeworfen werden.

Das Landgericht hat die gegen die Beklagte zu 3) gerichteten Klagen der Klägerinnen zu 1) und 2) durch Teilurteile vom 17.09.1997 - 4 O 141/97 und 4 O 117/97 - (Bl. 131 ff. d. Akten 4 O 141/97 und Bl. 146 ff. d. Akten 4 O 117/97) abgewiesen. Der Klage der Klägerin zu 2) gegen den Beklagten zu 1) hat es nach Beweisaufnahme - Vernehmung der Zeugen L., L. und M.- D. - durch Schlussurteil vom 25.03.1998 - 4 O 117/97 - stattgegeben (Bl. 222 ff. d. Akten 4 O 117/97). Im Streitverhältnis der Klägerin zu 1) zu dem Beklagten zu 1) hat es die Klageansprüche durch Grundurteil vom 25.03.1998 - 4 O 141/97 - dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und zugleich mit Teilurteil der Feststellungsklage stattgegeben.

Im wesentlichen hat das Landgericht dazu ausgeführt:

Die Beklagte zu 3) habe die ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten mit dem Hinweis erfüllt, dass ein Abstand von ca. 10 sec zum Vorausrutschenden einzuhalten sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Rutschbahn vom Einstieg aus nur über eine kurze Strecke einsehbar sei. Dieser Tatsache trage die Beklagte zu 3) gerade mit der Regelung Rechnung, die von den Benutzern das Einhalten einer Abstandszeit von ca. 10 sec verlange. Ersichtlich handele es sich hierbei um eine Zeitspanne, die nach der Erfahrung erforderlich sei, um ein gefahrfreies Benutzen der Rutsche sowohl durch den Vorausrutschenden als auch den ihm Nachfolgenden zu gewährleisten. Hiernach liege es in der Eigenverantwortung der Benutzer, aufgrund der ihnen selbst am besten bekannten eigenen Rutschgeschwindigkeit abzuschätzen, ob sie den ausreichenden Abstand einhalten können oder nicht. Dass es bei einer Fehleinschätzung über den einzuhaltenden Abstand, einem Verstoß gegen die Abstandsvorschrift oder aber aufgrund einer im unteren Bereich der Rutschbahn unvorhergesehenen Verlangsamung zu einem Unfall kommen könne, sei eine für jeden Benutzer ohne weiteres erkennbare und im Ergebnis nie vollständig zu beseitigende Gefahr.

Für die Folgen des Badeunfalls hafte hingegen der Beklagte zu 1), weil er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme den erforderlichen Sicherheitsabstand zu dem vorausrutschenden Zeugen M.-D. nicht eingehalten habe.

Die Klägerin zu 1) hat gegen das ihr am 26.09.1997 zugestellte Teilurteil vom 17.09.1997 - 4 O 141/97 - mit bei Gericht am 24.10.1997 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie innerhalb der ihr bis zum 05.02.1998 gewährten Fristverlängerung mit einem bei Gericht am 03.02.1998 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Die Klägerin zu 2) hat gegen das ihr am 25.09.1997 zugestellte Teilurteil vom 17.09.1997 - 4 O 117/97 - mit einem am 27.10.1997 (Montag) eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie innerhalb der ihr bis zum 29.12.1997 gewährten Fristverlängerung mit einem bei Gericht am selben Tage eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Mit Schriftsatz von demselben Tag hat sie ihre gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Berufung zurückgenommen.

Der Beklagte zu 1) hat gegen das ihm am 30.03.1998 zugestellte Schlussurteil vom 25.03.1998 - 4 O 117/97 - mit einem bei Gericht am 16.04.1998 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er innerhalb der ihm bis zum 18.06.1998 gewährten Fristverlängerung mit einem bei Gericht am selben Tage eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Gegen das ihm am 30.03.1998 zugestellte Grund- und Teilurteil vom 25.03.1998 - 4 O 141/97 - hat er mit einem bei Gericht am 16.04.1998 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er innerhalb der ihm bis zum 18.06.1998 gewährten Fristverlängerung mit einem bei Gericht am selben Tage eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Die Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Klägerin zu 1) beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils gemäß den Schlussanträgen I. Instanz zu erkennen und die Berufung des Beklagten zu 1) zurückzuweisen.

Die Klägerin zu 2) beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu 3) als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 1) zu verurteilen, an sie auf die Schmerzensgeldforderung des Geschädigten M.- D. einen Teilbetrag von 70.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen und die Berufung des Beklagten zu 1) zurückzuweisen.

Die Beklagte zu 3) beantragt,

die Berufungen der Klägerinnen zu 1) und 2) zurückzuweisen.

Der Beklagte zu 1) beantragt,

die Klagen der Klägerinnen zu 1) und 2) unter Aufhebung der Urteile des Landgerichts Aachen vom 25.03.1998 - 4 O 117/97 und 4 O 141/97 - abzuweisen.

Der Senat hat die Verfahren 7 U 201/97 - insoweit führend -, 7 U 205/97, 7 U 59/98 und 7 U 77/98, alle OLG Köln, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Er hat ferner Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen M., W.-L. und L., durch Vernehmung des Beklagten zu 1) als Partei, durch Einholung eines schriftlich erstatteten Gutachtens des Sachverständigen S., das dieser mündlich erläutert und ergänzt hat, sowie durch Augenscheinseinnahme der Örtlichkeiten im "T. Freizeitbad K.".

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 22.02.1999 (Bl. 337 bis 345 d. GA) und 18.05.2000 (Bl. 491 bis 494 d. GA) und auf das zu den Akten gereichte Gutachten verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseits gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Strafakten 22 Js 1072/96 StA Aachen, die Gegenstand der Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen der Klägerinnen zu 1) und 2) und die des Beklagten zu 1) sind in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. In der Sache selbst haben sie auch Erfolg.

I.

1)

Den Klägerinnen steht gegenüber der Beklagten zu 3) aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ein Anspruch auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens zu, den der Geschädigte M.-D. infolge des Badeunfalls am 10.02.1996 erlitten hat (§§ 823, 847, 249, 398 BGB; § 99 LBG NW). Überdies ist ein Anspruch der Klägerin zu 1) auf Ersatz des materiellen Schadens auch unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung des zwischen dem Geschädigten und der Beklagten zu 3) geschlossenen Badbenutzungsvertrages gegeben. Zwar geht nach § 99 LBG NW nur ein "gesetzlicher Schadensersatzanspruch" über, der dem Beamten infolge der Körperverletzung gegen einen Dritten zusteht. Als übergangsfähig im Sinne dieser Vorschrift gelten aber auch vertragliche Ersatzansprüche, wenn sie der Verletzung von Pflichten entspringen, die - wie hier die Verpflichtung der Beklagten zu 3), Badegäste vor Gesundheitsschäden zu bewahren - dem Vertragsschuldner im außervertraglichen Bereich kraft Gesetzes nicht geringer aufgegeben sind (BGH NJW 1983, 1374 (1377); Palandt-Heinrichs, 59. Aufl., Vorbem v § 249, Rd. 151 m.w.N.).

a)

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Geschädigte M.-D. (noch) innerhalb der Rutschenröhre mit dem Beklagten zu 1) zusammengestoßen ist. Dies haben der Zeuge M.-D. (Bl. 190 ff. d. GA), der zunächst als Zeuge und später auch als Partei vernommene Beklagte zu 3) (Bl. 162 ff. und Bl. 360 ff. d. GA) sowie ferner die Zeugin L. (Bl. 165 ff. d. GA) ausdrücklich bestätigt. Der Senat sieht keinen Anlass, deren Bekundungen in Zweifel zu ziehen. Soweit die Beklagte zu 3) behauptet und durch den - zur Unfallzeit 11-jährigen - Zeugen M. unter Beweis stellt, dass der Aufprall des Beklagten zu 1) auf den Geschädigten M.-D. (erst) im Auffangbecken erfolgt sei, führt dessen Aussage zu keiner abweichenden Beurteilung. Der Zeuge hatte bei seiner Vernehmung vor dem Senat (Bl. 354, 355 d. GA) nur noch ganz verschwommene Erinnerungen an einen Vorfall im "T. Freizeitbad K.". Seine Erklärung, der Geschädigte M.-D. habe sich "vielleicht eine halbe Minute" im Auffangbecken aufgehalten, bevor ihm ein anderer Mann in den Rücken "gedonnert" sei, lässt sich mit den Angaben der Zeugen M.-D. und L. sowie auch des Beklagten zu 1), die an dem Unfallgeschehen unmittelbar beteiligt waren bzw. dessen Vorgeschichte unmittelbar verfolgt haben, nicht in Einklang bringen. Auch seine Angabe im Ermittlungsverfahren (Vernehmung vom 12.03.1996; Bl. 58 ff. d. GA), der Geschädigte M.-D. solle sich in Begleitung eines Kindes befunden haben, steht im Widerspruch zu der Darstellung der anderen Beteiligten. Möglich ist, dass der Zeuge sich an einen ganz anderen Vorfall erinnert, der mit dem vorstehenden Unfall nichts zu tun hat. Jedenfalls hat seine Bekundung insbesondere angesichts der anderslautenden Aussagen der Unfallbeteiligten keinen Beweiswert.

Dass der Geschädigte M.-D. durch die Kollision eine Querschnittslähmung erlitten hat, wird von den Beklagten nicht (mehr) bestritten.

b)

Die Körperverletzung beruht darauf, dass die Beklagte zu 3) ihr obliegende Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt hat.

aa)

Nach der vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen und vom Senat und anderen Oberlandesgerichten geteilten Ansicht müssen die Anlagen in einem öffentlichen Schwimmbad so beschaffen sein, dass die Benutzer vor vermeidbaren Gefahren bewahrt bleiben. Dabei gehen die an Sport- und Spielgeräte zu stellenden Anforderungen dahin, den Benutzer vor Gefahren zu schützen, die über das übliche Risiko hinausgehen und die nicht vorhersehbar und von ihm nicht ohne weiteres erkennbar sind. Demgegenüber dürfen überschaubare und von vornherein erkennbare Gefahren in Kauf genommen werden (BGH VersR 1978, 739 = NJW 1978, 1629; OLG Hamm VersR 1979, 943 u. ZfSch 1999, 50 = RuS 1999, 23; OLG Köln VersR 1989, 159). Auch können Vorkehrungen gegen jede denkbare, nur entfernt liegende Möglichkeit einer Gefährdung nicht verlangt werden (BGH VersR 1978, 561 = NJW 1978, 1629). Jedoch darf die - vorgeschriebene - sachgemäße Benutzung von Schwimmbadanlagen zumindest nicht mit erheblichen Gefahren verbunden sein (BGH VersR 1962, 825; OLG München VersR 1974, 200; OLG Köln a.a.O.). Die ein Freizeitbad betreibende Gemeinde muss überdies in Betracht ziehen, dass Kinder und Jugendliche dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich unbesonnen zu verhalten; die dem Betreiber obliegende Verkehrssicherungspflicht kann daher auch die Vorbeugung gegenüber solchem missbräuchlichem Verhalten umfassen (BGH VersR 1978, 561 u. VersR 1980, 863).

bb)

Die von der beklagten Gemeinde im "T. Freizeitbad K." betriebene Wasserrutsche genügte zum Zeitpunkt des Unfallereignisses am 10.02.1996 diesen Anforderungen nicht.

Zwar sind die sicherungstechnischen Anforderungen der damals geltenden DIN 7937 in der Ausgabe 08/1987 und sogar auch die der kurz nach dem Unfallereignis - im März 1996 - herausgegebenen DIN/EN 1069 eingehalten worden. Nach der DIN 7937 wurden für die bestimmungsgemäße Benutzung drei Möglichkeiten zur Auswahl gestellt:

1) "Rückenlage, Blick nach vorn" (DIN 7937, S. 6, Bild 8),

2) "Sitzend, Blick nach vorn" (DIN 7937, S. 6 Bild 9),

3) "Liegend, Blick nach vorn" (DIN 7937, S. 6, Bild 10).

Weitere Benutzungshinweise, insbesondere auf einen in der Wasserrutsche einzuhaltenden Abstand oder auf ein bestimmtes Startprozedere, enthält die Norm nicht. Anordnungen für die Benutzung der Wasserrutsche bleiben vielmehr dem Betreiber überlassen.

Von der Beklagten wurden zum Unfallzeitpunkt zwei Rutschmöglichkeiten zur Auswahl gestellt, nämlich

1) "Rückenlage, Blick nach vorn" und

2) "Sitzend, Blick nach vorn".

Die entsprechenden Hinweise erfolgten in Form von Piktogrammen, die sich auf Schildern am Fuß des Zugangsturms und links neben dem Start der Rutsche befinden (vgl. Bl. 22 des Privatgutachtens M.). Angegeben wird ferner, soweit dies hier interessiert, das zulässige Alter der Benutzer (keine unbegleitete Nutzung für Kinder unter 6 Jahren) und der Schwierigkeitsgrad (geringe Schwierigkeit). Zusätzlich weist ein Schriftzug am unteren Schildrand darauf hin, dass andere Rutschhaltungen nicht erlaubt sind. Schließlich werden auf einem großen Textschild folgende zusätzliche Verhaltenshinweise gegeben (vgl. Bl. 21 d. Privatgutachtens M. und Bild 1 der Anlage B d. Gutachtens S.):

- Rutschabstand ca. 10 Sekunden

- nur einzeln rutschen

- nicht in der Rutsche anhalten

- nicht überholen

- Landebecken sofort freimachen

- kein Wasser stauen.

Diese auf die Verhütung von Unfällen abzielenden Hinweise genügen nicht den Sicherheitsanforderungen, die an Wasserrutschen vergleichbarer Bauart zu stellen sind, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme selbst bei hinweisgerechtem Rutschen die nicht fern liegende Möglichkeit besteht, dass zwei hintereinander Rutschende, die die Zeitvorgabe von "ca. 10 sec" einhalten, innerhalb der Rutschenröhre mit nicht unerheblicher Geschwindigkeitsdifferenz zusammenstoßen und sich dabei schwer verletzen.

Die von dem Sachverständigen S. mit drei bzw. fünf Probanden durchgeführten Rutschversuche zeigen erheblich voneinander abweichende Ergebnisse:

Bei der Rutschhaltung "Sitzend, Blick nach vorn" beträgt

- die Durchschnittsdurchlaufzeit 36,78 sec,

- die schnellste Durchlaufzeit 28,2 sec,

- die langsamste Durchlaufzeit 45 sec.

Bei der Rutschhaltung "Rückenlage, Blick nach vorn" beträgt

- die Durchschnittsdurchlaufzeit 23,77 sec,

- die schnellste Durchlaufzeit 20 sec,

- die langsamste Durchlaufzeit 30,2 sec.

Bei der Rutschhaltung "Po blank" oder "Rutschen, so schnell wie möglich" beträgt

- die Durchschnittsdurchlaufzeit 19,72 sec,

- die schnellste Durchlaufzeit 16,6 sec,

- die langsamste Durchlaufzeit 24,7 sec.

Dabei ist von Bedeutung, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen S. bei allen Rutschhaltungen ein unterschiedliches Körpergewicht so gut wie keine Rolle spielt. Die erheblich höhere Geschwindigkeit bei der Rutschhaltung "Rückenlage, Blick nach vorn" ergibt sich im wesentlichen aus der Positionierung des Körpers, die dazu führt, dass das Körpergewicht auf eine größere Fläche verteilt wird und damit die Reibungsverluste vermindert werden. Bei der Rutschhaltung "Sitzend, Blick nach vorn" ist ein Vorankommen bis zum Ende der Rutsche überhaupt nur möglich, wenn sich die Probanden aktiv mit den Händen an der Rutsche zusätzlich anschieben.

Die noch geringeren Durchlaufzeiten bei der "freien Rutschhaltung" resultieren daraus, dass der Kontakt des Badezeugs mit dem Untergrund soweit wie möglich vermieden wird (blanker Po oder Rutschhaltung allein auf Fersen und Schulterblättern).

Stellt man auf die Geschwindigkeit ab - die freie Rutschhaltung soll dabei außer Betracht bleiben -, so ergeben sich unterschiedliche Geschwindigkeiten von (maximal) 8,3 km/h = 2,31 m/s (langsamste Geschwindigkeit "Sitzend, Blick nach vorn") und 16,2 km/h = 4,51 m/s (schnellste Geschwindigkeit "Rückenlage, Blick nach vorn"). Stellt man auf die Durchlaufzeit ab, so beträgt die Differenz zwischen der langsamsten Durchlaufzeit ("Sitzend, Blick nach vorn") und der schnellsten Durchlaufzeit ("Rückenlage, Blick nach vorn") 25 sec. Innerhalb der beiden Rutschlagen "Sitzend, Blick nach vorn" und "Rückenlagen, Blick nach vorn" beträgt die Differenz zwischen der langsamsten und der schnellsten Durchlaufzeit 16,8 bzw. 10,2 sec.

Hieran wird deutlich, dass die Angabe "Rutschabstand ca. 10 Sekunden" den tatsächlichen Gegebenheiten bei wahlweise zugelassenen Rutschhaltungen in keiner Weise gerecht wird und deshalb die Gefahr eines Zusammenstoßes noch innerhalb der Rutschenröhre auch bei Befolgung der Weisung durchaus gegeben ist.

Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass es auch bei den Benutzern, die guten Willens und bestrebt sind, die Zeitvorgabe von "ca. 10 sec" einzuhalten, zu unterschiedlichen Einschätzungen über den Startbeginn kommen wird. Vielen Menschen fällt es erfahrungsgemäß schwer, eine Zeitspanne - und sei sie auch nur, wie hier, von kurzer Dauer - zuverlässig einzuschätzen. Dies gilt insbesondere für Kinder, die die Wasserrutsche, soweit sie älter als 6 Jahre sind, ohne Begleitung benutzen dürfen. Ein verbreitetes Hilfsmittel, das bei hinreichender Erfahrung eine einigermaßen zuverlässige Einschätzung von (kürzeren) Zeitspannen ermöglicht, ist das "gedankliche" Mitzählen. Dass in einem laufenden Badebetrieb im Startbereich der Wasserrutsche so verfahren wird, ist allerdings eher unwahrscheinlich. In der Mehrzahl der Fälle wird deshalb die Entschließung zum Starten gefühlsmäßig getroffen werden. Durch die "ca."-Angabe wird dem Benutzer zudem der Eindruck vermittelt, dass es auf die exakte Einhaltung des Startzeitpunktes nicht genau ankommt. Der Startzeitpunkt wird innerhalb eines nicht näher bestimmten Rahmens in das Belieben des Benutzers gestellt.

cc)

In der (vormals) betriebenen Form stellt die Wasserrutsche eine erhebliche Gefahrenquelle dar. Auf der Grundlage der von dem Sachverständigen S. vorgenommenen Rutschversuche ergeben sich Differenzgeschwindigkeiten von (bis zu) 7,9 km/h (= 2,2 m/s). Es liegt auf der Hand, dass bei dieser Sachlage die Gefahr besteht, dass sich die Benutzer, vor allem der Vorausrutschende, bei einer Kollision verletzen. Es tritt hinzu, dass kollisionsverhindernde Maßnahmen kaum möglich sind, vor allem der Vorausrutschende einer Verletzungsgefahr ausgesetzt wird, ohne ihr wirksam begegnen zu können. Für eine Reaktion auf einen bevorstehenden Aufprall steht nach den Feststellungen des Sachverständigen S. allenfalls ein Zeitraum von 2,5 sec zur Verfügung. Selbst wenn der Vorausrutschende die nahende Gefahr erkennen sollte, so ist ihm allenfalls noch möglich, die Rutschhaltung - von liegend auf sitzend oder umgekehrt - zu verändern. Die Verletzungsgefahr bleibt aber auch dann bestehen.

dd)

Die danach wegen der Art der Benutzungsregelung (objektiv) gegebene Verletzungsgefahr für die Benutzer der Wasserrutsche war für die Beklagte zu 3) als Betreiberin der Anlage vermeidbar.

In einem ersten Schritt bietet sich an, die Bewegungsabläufe zu harmonisieren, indem als Rutschhaltung entweder nur "Sitzend, Blick nach vorn" oder "Rückenlage, Blick nach vorn" zugelassen wird. Im letzten Fall führt dies auf der Grundlage der von dem Sachverständigen S. vorgenommenen Rutschversuche zu einer Durchlaufzeit von (maximal) nur wenig über 10 sec (10,2 sec), d. h. die Vorgabezeit braucht nur wenig verlängert zu werden. Die Beklagte zu 3) hat inzwischen auch die Benutzung der Wasserrutsche in dieser Weise umgestellt (vgl. die abgebildete Beschilderung auf Seite Nr. 2 der Anlage B des Gutachtens S.).

Damit ist allerdings noch nicht das Risiko ausgeräumt, dass die (ein wenig erhöhte) Vorgabezeit dennoch falsch eingeschätzt wird. Dem kann jedoch die Beklagte dadurch entgegenwirken, dass sie in einem zweiten Schritt entweder im Startbereich eine Vorrichtung (Ampel, Zeituhr oder ähnliches) installiert, an Hand derer der Ablauf der Vorgabezeit zu kontrollieren ist, oder dass die Anlage mit einer Videoanlage ausgestattet wird, die den Benutzern die Prüfung ermöglicht, ob der Vorausrutschende das Ende der Wasserrutsche erreicht hat.

Beides zusammen, die Harmonisierung der Rutschaltung verbunden mit einer unwesentlich veränderten Vorgabezeit und die Installation einer Vorrichtung zur Eigenkontrolle der Vorgabezeit, führt dazu, dass bei bestimmungsgemäßer Benutzung die Gefahr eines Aufpralls innerhalb der Rutschenröhre weitgehend vermieden wird. Die von der Beklagten zu 3) - bereits zum Unfallzeitpunkt - installierte Videoanlage mit einem Monitor im Schwimmmeisterraum ermöglicht allenfalls unter der Voraussetzung, dass sich ständig eine Person im Schwimmmeisterraum aufhält, die Überwachung des Startbereichs. Die Einhaltung der Rutschabstände kann sie jedoch nicht sicherstellen.

Soweit die Beklagte zu 3) in diesem Zusammenhang geltend macht, dass weitere sichernde Maßnahmen die Situation nicht verbessern und insbesondere nicht sicherstellen, dass diese von dem Benutzer auch angenommen und befolgt werden, trifft dies schon rein tatsächlich nicht zu. Eine solche Anlage stellt vielmehr zunächst sicher, dass sich derjenige, der sich richtig verhalten will, auch erst nach der Freigabe rutscht und damit den erforderlichen zeitlichen Abstand einhält. Fehleinschätzungen werden damit vermieden. Aber auch der sorglose oder leichtfertige Benutzer wird auf diese Weise psychisch unter Druck gesetzt, die vorgegebene Zeit einzuhalten. Im anderen Fall läuft er Gefahr, von Mitbenutzern dazu ermahnt zu werden, oder dann, wenn etwas passiert, zur Verantwortung gezogen zu werden. Darüber hinaus kommt es für die Frage der Verkehrssicherungspflicht in erster Linie auf den "gewöhnlichen" Benutzer an, der sich bestimmungsgemäß verhält. Tut er dies nicht, so geschieht dies auf sein Risiko. Für den Fall, dass die Benutzungsanordnungen von einzelnen Benutzern ständig missachtet werden, bleibt der Beklagten zu 3) die Möglichkeit, diese von der Benutzung auszuschließen.

c)

Im Streitfall spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Unfall für den Fall, dass die Beklagte zu 3) den ihr obliegenden Sorgfaltspflichten nachgekommen wäre, vermieden worden wäre.

aa)

Die Anwendung der Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen für den eingetretenen Erfolg kausal geworden ist, ist immer dann geboten, wenn das Schadensereignis nach allgemeiner Lebenserfahrung eine typische Folge der Pflichtverletzung darstellt. Diese Voraussetzungen sind in der Regel nicht nur bei Verletzung von Schutzgesetzen (vgl. etwa: BGH NJW-RR 1986, 1350 = LM § 823 (Ef) BGB Nr. 17 = VersR 1986, 916 (917)) und bei Verstößen gegen Unfallverhütungsvorschriften (vgl. etwa: BGH LM § 640 RVO Nr. 20 = VersR 1984, 775 (776)), sondern auch bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten anzunehmen. Diese sollen wie Schutzgesetze und Unfallverhütungsvorschriften durch genaue Verhaltensanweisungen typischen Gefährdungen entgegenwirken. Hinzutreten muss, dass sich in dem Schadensereignis gerade diejenige Gefahr verwirklicht, der durch die Auferlegung der konkreten Verhaltenspflichten begegnet werden sollte (so ausdrücklich: BGH NJW 1994, 945 (946); RGRK-Steffen, 12. Aufl., § 823 Rd. 520).

bb)

Die Beklagte zu 3) ist als verkehrssicherungspflichtige Betreiberin der Wasserrutsche gehalten, durch geeignete Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass bei (bestimmungsgemäßer) Benutzung der Rutsche niemand zu Schaden kommt. Dies ist durch Benutzungsanordnungen sicherzustellen. Diese müssen so gestaltet sein, dass sie, wenn sie eingehalten werden, ein gefahrfreies Rutschen ermöglichen. Voraussetzung dafür ist, dass sie klar gefasst sind und von den Benutzern ohne Schwierigkeiten befolgt werden können. Diesen Erfordernissen genügten die Benutzungshinweise der beklagten Gemeinde, wie oben bereits ausgeführt, nicht. Auch bei bestimmungsgemäßer Benutzung bestand die Gefahr, dass zwei hintereinander rutschende Personen, die sich an die Zeitvorgabe hielten, innerhalb der Rutschenröhre zusammenstießen. Gerade diese Gefahr hat sich auch im Streitfall verwirklicht und dazu geführt, dass der Zeuge M.-D. schwer verletzt wurde.

cc)

Der danach bestehende Beweis des ersten Anscheins kann nur durch feststehende Tatsachen entkräftet werden, die die Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ernsthaft in Betracht kommen lassen.

Grundsätzlich kann mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Benutzer der Anlage die Benutzungshinweise und -anordnungen beachten werden. Im Streitfall könnte sich indessen die Beklagte zu 3) möglicherweise entlasten, wenn feststünde, dass der Beklagte zu 1) schon die (zu kurz bemessene) Zeitvorgabe von "ca. 10 sec" nicht eingehalten hat. Eine solche Feststellung lässt sich indessen nicht treffen.

Der Beklagte zu 1) hat zur Einhaltung der vorgegebenen Zeit von ca. 10 sec recht ungenaue, teils auch widersprüchliche Angaben gemacht. In seiner ersten Vernehmung (noch) als Zeuge (Bl. 163 ff. d. GA) hat er zunächst ganz allgemein bekundet, dass er den "Sicherheitsabstand gewahrt" habe. Auf Nachfrage hat er seine Angabe dann dahin erläutert, dass er "etwa eine halbe Minute" gewartet, jedoch nicht auf die Uhr geschaut habe. Geht man hiervon aus, so hätte er die Zeitvorgabe eingehalten. Dies gilt auch, wenn man seine weiteren Erklärungen zugrunde legt, dass er erst gestartet sei, als er den Geschädigten M.-D. nach "vier bis fünf" Kurven nicht mehr sehen konnte. Die von dem Sachverständigen S. vorgenommenen Rutschversuche haben nämlich gezeigt, dass ein liegend Rutschender - diese Rutschhaltung will der Beklagte zu 1) eingenommen haben - nach 10 sec die erste Kurve passiert hat und sich in dem ersten Teil des geraden Stücks zur zweiten Kurve befindet (vgl. Bild 2 der Anlage A des Gutachtens S. und dort das von ihm eingetragene "Y"). Auch danach hätte der Beklagte zu 1) sehr viel länger als 10 sec gewartet. In seiner Vernehmung vor dem Senat (Bl. 343 d. GA) an Ort und Stelle hat er (ebenfalls) erklärt, dass er "nicht zu früh in die Rutsche gegangen" sei. Abweichend von seiner zuvor gemachten Aussage hat er sich nunmehr dahin festgelegt, dass er gestartet sei, als sich der Geschädigte M.-D. in der dritten Kurve befunden habe. Diese unterschiedlichen Angaben hat er, was plausibel erscheint, damit erklärt, dass ihm jetzt vor Ort eine genauere Bezeichnung möglich sei. Auch danach hat er aber die Zeitvorgabe eingehalten. Danach lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass er vor Ablauf von 10 sec gestartet ist.

Dahingehende Feststellungen lassen sich auch nicht auf der Grundlage der Aussage der - zum Zeitpunkt des Unfalls 7 Jahre alten - Zeugin L. treffen. Auch sie hat in den beiden Vernehmungen (Bl. 165 ff. d. GA und Bl. 340 ff. d. GA) teils unterschiedliche Angaben gemacht, so dass schon zweifelhaft erscheint, ob sie angesichts ihres Alters und der inzwischen vergangenen Zeit noch über ein hinreichend zuverlässiges Erinnerungsbild verfügt. Allerdings hat sie in beiden Vernehmungen hervorgehoben und war sich darin auch sehr sicher, dass der Beklagte zu 1) zu früh gerutscht sei. Der Geschädigte habe sich noch in bzw. innerhalb der ersten Kurve befunden. Ihre Angabe, dass der Beklagte zu 1) zu früh gerutscht sei, hat sie dabei daran orientiert, dass sie selbst erst starte, wenn der Vorausrutschende die dritte Kurve erreicht habe. Jeder, der vorher (vor der dritten Kurve) rutscht, ist danach für sie zu früh. Dies stimmt jedoch nicht mit den objektiven Gegebenheiten überein. Wie der Sachverständige S. erläutert hat, befindet sich ein sitzend Rutschender nach Ablauf von ca. 10 sec ungefähr ausgangs der ersten Kurve (vgl. Bild 2 der Anlage A des Gutachtens S. und die dort von ihm mit "X" bezeichnete Stelle) und ein liegend Rutschender, wie bereits ausgeführt, im ersten Teil des geraden Verbindungsstücks zwischen der ersten und der zweiten Kurve. Der Geschädigte M.- D. ist aber nach den übereinstimmenden Angaben aller Augenzeugen (jedenfalls zunächst) in der Rutschhaltung "Sitzend, Blick nach vorn" (auf dem Po) gerutscht. Den Umständen nach befand er sich nach 10 Sekunden also ausgangs der ersten Kurve. Dann kann aber nicht festgestellt werden, dass der Beklagte zu 1) vor Ablauf von ca. 10 sec gestartet ist. Es spricht sogar eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass er die Zeitvorgabe eingehalten hat.

d)

Die Beklagte zu 3) hat die Verletzung der von ihr zu wahrenden Verkehrssicherungspflicht (wie auch die Verletzung der ihr nach dem Badbenutzungsvertrag obliegenden Schutzpflichten) verschuldet. Hat der Schädiger sich objektiv pflichtwidrig verhalten und einen offensichtlich gefährlichen Zustand geduldet, so spricht ein Anscheinsbeweis für sein Verschulden (Palandt-Thomas, a.a.O., § 823 Rd. 61 m.w.N.).

Es entlastet die Beklagte zu 3) nicht, dass die Wasserrutsche den sicherheitstechnischen Anforderungen und Normen entspricht und dass seit ihrer Errichtung die Sicherheitsstandards auf deren Einhaltung jährlich überprüft wurden sowie dass es ferner, was hier zu ihren Gunsten unterstellt wird, zuvor niemals zu einem Badeunfall gekommen ist. Die Beklagte zu 3) ist als Betreiberin des Freizeitbades verpflichtet, die von ihr errichtete Wasserrutsche daraufhin zu kontrollieren und zu überwachen, ob sich aus der Benutzung heraus Gefahren für die Benutzer ergeben. Ist dies der Fall, so hat sie durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass bei bestimmungsgemäßer Benutzung gefährliche Situationen nicht auftreten. Überdies ist sie gehalten, einer missbräuchlichen Benutzung entgegenzutreten.

Den Bediensteten der Beklagten zu 3), zuallererst den Bademeistern, kann aber aus dem täglichen Badebetrieb heraus nicht verborgen geblieben sein, dass es bei der (vormals) geltenden Benutzungsregelung immer wieder zu Zusammenstößen innerhalb der Rutschenröhre gekommen ist. Angesichts der Feststellungen des Sachverständigen S. über die erheblichen Differenzen bei den Rutschzeiten auch bei bestimmungsgemäßer Nutzung, insbesondere unter Einhaltung der Abstandsvorschrift "ca. 10 Sekunden", ist nicht zweifelhaft, dass den zuständigen Bediensteten der Beklagten zu 3) selbst bei nur sporadischer Beobachtung des Rutschenbetriebs auffallen musste, dass ein Aufrutschen, und zwar jedenfalls zu einem nicht unwesentlichen Teil mit einer erheblichen Differenzgeschwindigkeit, nahezu an der Tagesordnung war. Damit war evident, dass ein Abstand von ca. 10 Sekunden am Start unzureichend war. Belanglos ist, dass die Abstandsvorschrift bei den TÜV-Überprüfungen angeblich nicht beanstandet worden ist. Abgesehen von der Frage, ob sie überhaupt Gegenstand der Prüfung war, konnten die Bediensteten der Beklagten zu 3) aus dem täglichen Badebetrieb sehr viel besser als die Prüfer beurteilen, dass sie ungenügend war, um Zusammenstöße zu vermeiden. Auch wenn dies über einen langen Zeitraum, wie die Beklagte zu 3) behauptet, ohne gesundheitliche Folgen geblieben ist, so konnte sie nicht annehmen und durfte deshalb auch nicht darauf vertrauen, dass die Zusammenstöße stets folgenlos blieben. Vielmehr war bei der Art der hier vorliegenden Zusammenstöße (Aufprall von hinten) und den dabei betroffenen Bereichen (Rücken, Nacken, Kopf, Wirbelsäule) zu erwarten, dass es, wenn es sich unglücklich fügt, zu folgenschweren Verletzungen kommt. Ähnliche Badeunfälle sind auch bereits vor dem streitbefangenen Unfall in der Rechtsprechung beschrieben worden (vgl. etwa: OLG Karlsruhe VersR 1993, 709; OLG Hamm VersR 1979, 943; KG VersR 1990, 168).

Unbehelflich ist der Einwand der Beklagten zu 3), es fehle jedenfalls deshalb am Verschulden, weil das Landgericht als Kollegialgericht eine objektive Pflichtverletzung verneint habe. Abgesehen davon, dass die "Richtlinie", wonach es grundsätzlich am Verschulden fehlt, wenn ein Kollegialgericht die objektive Pflichtverletzung verneint hat, im hier in Rede stehenden Anwendungsbereich des § 823 BGB (und einer positiven Vertragsverletzung) ohnehin nicht gilt, beruht die Ansicht des Landgerichts auf mangelhafter Sachaufklärung. Es hat ohne weiteres angenommen, dass "ca. 10 Sekunden" ausreichen, um bei bestimmungsgemäßer Nutzung ein gefahrfreies Rutschen zu ermöglichen. Die Beweisaufnahme durch den Senat hat ergeben, dass dies falsch ist.

e)

Es liegen keine Umstände vor, die ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten M.-D. an dem Unfallereignis gem. § 254 BGB rechtfertigen.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass ihm überhaupt die Möglichkeit blieb, eine den Unfall vermeidende oder die Unfallfolgen vermindernde Abwehrreaktion zu treffen. Als Vorausrutschender konnte er dem Zusammenstoß nicht ausweichen. Dass er auf den nahenden Beklagten zu 1) nach seinen Angaben in der Weise reagiert hat, dass er (wohl zur Orientierung) den Kopf gewendet und versucht hat, sich aufzurichten, um nicht am Kopf getroffen zu werden, erscheint verständlich und kann ihm als "Augenblicksentscheidung" nicht angelastet werden. Abgesehen hiervon kann nicht festgestellt werden, dass dann, wenn er in der liegenden Rutschhaltung verharrt hätte, die (schweren) Unfallfolgen nicht eingetreten wären.

Nicht beweisbar ist, dass der Geschädigte in der Rutsche abgebremst hat, erst recht nicht bis zum Stillstand.

2)

Von dem Beklagten zu 1) können die Klägerinnen demgegenüber keinen Schadensersatz beanspruchen. Wie bereits oben im einzelnen ausgeführt ist, kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, dass er die für den Start vorgegebene Zeit von "ca. 10 sec" nicht beachtet und deshalb den Unfall mitverschuldet hat.

Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass er in letzter Sekunde den Unfall noch hätte abwenden können. Zwar hat der Sachverständige S. ausgeführt, dass für den Fall, dass der Geschädigte M.-D. und der Beklagte zu 1) die Rutschhaltung "Rückenlage, Blick nach vorn" eingenommen haben und dass der vorausrutschende Geschädigte M.-D. die langsamste gemessene Geschwindigkeit und der ihm nachfolgende Beklagte zu 1) die höchste Geschwindigkeit eines der Vergleichsprobanden eingehalten hat, diesem noch aufprallmildernde Reaktionen (Warnruf, Abbremsen, Ausstrecken der Hände) möglich gewesen wären. Jedoch lässt sich, wie der Sachverständige in Erläuterung seines Gutachtens ausgeführt hat, nicht feststellen, dass dadurch der Unfall oder auch nur die schweren Verletzungsfolgen vermieden worden wären.

II.

Zur Anspruchshöhe gilt:

1.)

Angesichts der schweren Verletzungen, die Herr M.-D. erlitten hat, ist der auf das Schmerzensgeld verlangte Teilbetrag von 70.000,00 DM in jedem Fall gerechtfertigt. Die Beklagte zu 3) stellt das auch nicht in Abrede. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1 S. 1, 291 BGB.

2.)

Die schlüssig vorgetragenen Aufwendungen der Klägerin zu 1), die sich sämtlich im Anwendungsbereich des § 99 LBG halten, hat die Beklagte zu 3) nicht bestritten.

Ebenso wenig hat sie den Zinsanspruch, den die Klägerin zu 1) nur bezüglich eines Betrages von 241.176,55 DM verfolgt, bestritten. Er rechtfertigt sich in der geltend gemachten Höhe von 6 %, da die Klägerin zu 1) ständig Kreditmittel in Anspruch nimmt (§ 288 Abs. 2 BGB).

3.)

Die unter B 3.) des Urteilstenors vorgenommene Einschränkung des Feststellungsanspruchs ("soweit ...") folgt aus § 99 LBG. Da sie sich von selbst versteht, liegt hierin keine Teilabweisung.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 100 Abs. 1, 2 und 515 Abs. 3 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert:

Im Streitverhältnis der Klägerin zu 1) zu den Beklagten zu 1) und 3): 641.982,70 DM, (davon 150.000,00 DM für den Feststellungsantrag).

Im Streitverhältnis der Klägerin zu 2) zu den Beklagten: 70.000,00 DM

Insgesamt: 711.982,70 DM.

Die Beschwer der Klägerinnen und der Beklagten zu 3) liegt über 60.000,00 DM.

Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze vom 30.05., 02.06., 06.06. und 14.06.2000 geben keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.



Ende der Entscheidung

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