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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 17.05.2005
Aktenzeichen: 8 Ss 87/05
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 302 |
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS
In der Strafsache
wegen Diebstahls
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Kerpen vom 01. Dezember 2004 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO
am 17. Mai 2005
beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Kerpen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall" zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Das Protokoll der Hauptverhandlung weist im Anschluss an die Urteilsverkündung aus: "Angeklagter erklärt Rechtsmittelverzicht". Einen Vermerk, dass die beurkundete Erklärung verlesen und von dem erklärenden Angeklagten genehmigt worden sei, enthält es nicht.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 08. Dezember 2004 Rechtsmittel eingelegt, welches - nach Zustellung des Urteils am 20. Dezember 2004 - mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 20. Januar 2005 zur Revision bestimmt und als solche begründet worden ist. Die Revision sieht eine etwaige Rechtsmittelverzichtserklärung als jedenfalls nicht wirksam an und beantragt unter Erhebung der näher ausgeführten Sachrüge die Aufhebung des Urteils mit seinen Feststellungen und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision wegen wirksam eingelegten Rechtsmittelverzichts als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die nach §§ 333, 335 StPO statthafte (Sprung-) Revision ist zulässig, weil von einem wirksamen Rechtsmittelverzicht nach § 302 StPO nicht ausgegangen werden kann. Das Rechtsmittel hat auch mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg; es führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Kerpen.
1.)
Ein in der Hauptverhandlung vom 01. Dezember 2004 erklärter Rechtsmittelverzicht steht der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen.
Es ist zwar davon auszugehen, dass der Angeklagte den aus dem Hauptverhandlungsprotokoll (Bl. 62 d.A.) ersichtlichen Rechtsmittelverzicht tatsächlich erklärt hat. Ihm ist jedoch die rechtliche Anerkennung zu versagen.
a)
Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Rechtsmittelsverzichts ist zunächst, dass der Erklärende verhandlungsfähig war, d.h. sich verständig und verständlich verteidigen konnte (vgl. BGH NStZ 99, 258 und NStZ 99, 526, 527; Ruß in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 302 Rn. 2). Insoweit bestehen hier keine Bedenken. Der Angeklagte hat sich umfangreich sowohl zur Person als auch zur Sache eingelassen und ein Geständnis abgelegt. Die Hauptverhandlung konnte zudem ohne Dolmetscher in deutscher Sprache durchgeführt worden.
Was die Form eines Rechtsmittelverzichts angeht, gelten die selben Bestimmungen wie für die Einlegung von Rechtsmitteln; es ist also Schriftform oder Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle erforderlich (BGHSt 18, 257, 260; BGHSt 31, 109, 111; Ruß a.a.O. Rn. 8). Ein im Anschluss an die Urteilsverkündung erklärter Verzicht kann auch im Sitzungsprotokoll vermerkt werden (BGHSt 18, 257, 258; BGH NStZ 96, 297; vgl. auch die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Ruß a.a.O. Rn. 9). Hierbei handelt es sich aber nur dann um einen zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärten Verzicht, wenn die Beurkundungsförmlichkeiten des § 273 Abs. 3 StPO beachtet worden sind (vgl. BGHSt 31, 109; BGH NStZ 84, 181; BGH NStZ 96, 297; BGH NJW 97, 2691; OLG Düsseldorf NStZ 84, 44 und VRS 97, 138). Im Protokoll hätte also vermerkt werden müssen, dass die beurkundete Erklärung verlesen und vom Erklärenden, also dem Angeklagten, genehmigt worden ist (BGHSt 18, 257, 258). Daran fehlt es vorliegend. Dies führt zunächst jedoch nur dazu, dass der Vermerk nicht die weit gehende Beweiskraft des § 274 StPO genießt, sondern nur ein Beweisanzeichen ist, das den Rechtsmittelverzicht des Angeklagten beweisen kann, aber nicht notwendig zu beweisen braucht (BGH a.a.O.). Auch in einem solchen Falle ist jedoch die Form für einen Rechtsmittelverzicht gewahrt, weil die im Protokoll vermerkte Erklärung dem Erfordernis der Schriftform genügen kann (vgl. BGH NJW 84, 1973, 1974). Die in das Protokoll aufgenommene Erklärung über einen Rechtsmittelverzicht des Angeklagten führt zur Wahrung der Schriftform deswegen, weil es sich - wenn die Erklärung tatsächlich abgegeben worden ist - um eine durch einen Ermächtigten niedergeschriebene Erklärung (zu verstehen: des Angeklagten selbst) handelt. Kommt einem Vermerk wie dem vorliegenden als "wesentlichem Beweisanzeichen" (BGH wistra 94, 29) für die Verzichtserklärung Bedeutung zu, so bedarf es vorliegend auch nicht etwa der Einholung dienstlicher Stellungnahme im Freibeweisverfahren dazu, ob die Verzichtserklärung tatsächlich erfolgt ist. Selbst die Revisionsbegründung stellt nicht ausdrücklich in Abrede, dass der Angeklagte einen Rechtsmittelverzicht erklärt habe. Sie führt nur aus, der Angeklagte habe dem Verteidiger (nachträglich) erklärt, er sei sich "nicht bewusst", eine Erklärung dahingehend abgegeben zu haben, dass er gegen das Urteil kein Rechtsmittel einlegen wolle. Richtig mag zwar die weitere Äußerung der Revisionsbegründung sein, dass der Angeklagte den Begriff "Verzicht" nicht gekannt habe (dazu auch nachstehend zu b.). Die Abgabe einer - möglicherweise von dem Gericht erfragten oder angeregten - Verzichtserklärung wird so aber nicht mit Bestimmtheit bestritten.
b.)
Der Wirksamkeit eines somit erklärten Rechtsmittelverzichts steht aber entgegen, dass der Angeklagte gehindert war, sich vor Abgabe der Erklärung mit seinem Verteidiger zu beraten (vgl. hierzu BGHSt 19, 101, 104; 45, 51, 57). Dies kann auch dann erheblich sein, wenn - wie hier - der Angeklagte nicht anwaltlich vertreten war (vgl. Ruß a.a.O. Rn. 12 mit ausführlichen Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung).
Es muss gesichert sein, dass der Angeklagte, der einen Rechtsmittelverzicht erwägt, die für und gegen einen solchen Entschluss sprechenden Gründe reichlich überlegen kann und nicht an unüberlegten und vorschnellen Erklärungen festgehalten wird; deswegen muss der mit einem Verteidiger in der Hauptverhandlung erschienene Angeklagte Gelegenheit haben, sich mit diesem zu besprechen (BGHSt 18, 257, 260). Das gilt auch dann, wenn ohne Einwirkung des Gerichts auf den Angeklagten ein entsprechender Verzicht zu Protokoll genommen wird (BGH NStZ-RR 97, 305).
Diese Grundsätze greifen auch dann ein, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung des Beistandes eines Verteidigers entbehren musste, sofern ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO vorlag und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers unterblieben ist (OLG Düsseldorf VRS 57, 357, 359). Vorliegend hat es sich zwar nicht um einen Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO gehandelt, weil der Sachverhalt einfach gelagert war und auch die Straferwartung selbst in Ansehung der von dem Amtsgericht verhängten Freiheitsstrafe noch im unteren Bereich lag. Gleichwohl lag aber auch dem hier zu entscheidenden Fall ein Sachverhalt zugrunde, der einer Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens (so OLG Düsseldorf a.a.O.) zumindest nahe kommt. Der - nach der Revisionsbegründung über keinen Schulabschluss verfügende und damit in seinen intellektuellen Fähigkeiten jedenfalls eingeschränkte - Angeklagte hatte sich durch seinen Verteidiger in der Hauptverhandlung (wenn auch nach kurzfristigem Entschluss) vertreten lassen wollen. Einen Terminsverlegungsantrag des an dem Hauptverhandlungstag verhinderten Verteidigers hat das Amtsgericht abgelehnt, wie nicht nur in der Revisionsbegründung anwaltlich versichert wird, sondern auch aus dem Hauptverhandlungsprotokoll (Bl. 60 d.A.) hervorgeht. Aus Art. 6 Abs. 3 EMRK in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot ist dem Angeklagten aber jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben (BGH StV 98, 246 m.w.N.; BGHSt 45, 51, 57). Dazu bestand auch vorliegend hinreichender Anlass. Aus den Gründen nachstehend zu 2.) zur Begründetheit der Revision, soweit es um die Voraussetzungen eines vollendeten Diebstahls geht, folgt, dass die Rechtslage nicht so einfach war und eine Verteidigung in der Hauptverhandlung dem Angeklagten günstig gewesen wäre. Es kommt für das Erfordernis der Mitwirkung des Wahlverteidigers, wie sie beantragt worden war, zum Strafausspruch die nicht vorauszusehende Divergenz zwischen dem Strafantrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und dem Strafausspruch im Urteil hinzu. Auch von daher war es für das Amtsgericht erkennbar, dass eine Beratung zwischen Angeklagten und Verteidiger vor Abgabe eines Rechtsmittelverzichts angezeigt gewesen wäre.
Entgegen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft entfiel die Zweckmäßigkeit der Hinzuziehung des Verteidigers und damit das Erfordernis, dem Angeklagten eine Beratung mit diesem vor Abgabe eines Rechtsmittelverzichts zu ermöglichen, auch nicht deswegen, weil der Angeklagte zuvor schon in seinem letzten Wort angegeben hatte, er werde die "Strafe bezahlen". Hieraus kann nicht hinreichend darauf geschlossen werden, dass der Angeklagte akzeptiert hatte, für seine Tat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden zu müssen, und anwaltlicher Beratung nicht bedurfte. Die Erklärung, er werde die Strafe "bezahlen", hat der Angeklagte nämlich abgegeben, nachdem zuvor der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft lediglich die Verhängung einer (umgewandelten) Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 5,- € beantragt und auch der Angeklagte seinerseits nur um eine Geldstrafe gebeten hatte. Wenn dann auf eine Freiheitsstrafe von 4 Monaten ohne Umwandlung in eine Geldstrafe erkannt worden ist, kann der vorangegangenen Erklärung zu einem Bezahlen der Strafe nichts mehr dafür entnommen werden, ob sich der Angeklagte überhaupt der Bedeutung und Tragweite des nunmehr von seiner eigenen Straferwartung abweichenden Urteils bewusst war und von daher auch ohne die Beratung durch einen Verteidiger nach reichlicher Überlegung (BGHSt 18, 257, 260) für einen Rechtsmittelverzicht entschieden hat.
2.)
Die Revision ist auf die Sachrüge hin auch begründet.
Die Feststellungen des Amtsgerichts dazu, dass ein vollendeter Diebstahl nach §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB vorgelegen habe, tragen den Schuldspruch nicht.
Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen in Bezug auf den Angeklagten ausgeführt: "In der Nacht auf den 15.06.2003 begab er sich mit den gesondert Verfolgten P und T auf das Gebrauchtwagenersatzteillager in der I-Straße 126-128 in L. Hierzu bestieg er einen das Gelände einfriedenden Zaun. Er begann, ebenso wie die Mitverfolgten, dort gelagerte Auspuffrohre über den Zaun zu werfen, um diese sodann von außerhalb des Geländes abzutransportieren".
Damit ist - so auch das Amtsgericht - zu diesem Zeitpunkt zwar der Gewahrsam des Eigentümers gebrochen gewesen. Noch nicht aber ist es nach diesen Feststellungen auch schon zur gleichfalls für die Wegnahmehandlung erforderlichen Begründung neuen Gewahrsams (vgl. BGHSt 16, 271; BGH NJW 81, 997; Tröndle-Fischer, StGB, 52. Aufl., § 242 Rn. 17) durch den Angeklagten oder durch seine Mittäter gekommen. Das Erfordernis dieses Merkmals wird in dem angefochtenem Urteil nicht einmal erwähnt.
Für die erneute Hauptverhandlung wird drauf hingewiesen, dass die Strafzumessungserwägungen in dem angefochtenen Urteil zum einen den Anforderungen des § 46 Abs. 2 StGB nicht genügen (sie verhalten sich nur zu § 47 StGB) und dass zum anderen die Ausführungen zur Notwendigkeit einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB dem für diese Vorschrift geltenden Begründungszwang nicht entsprechen. Das Urteil muss eine auf den Einzelfall bezogene, die Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit umfassende Begründung dafür enthalten, welche besonderen Umstände die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe unerlässlich gemacht haben, wobei sich eine Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. BGH NStZ 96, 429; BGH StV 94, 370; ständige Rechtsprechung auch des Senats, vgl. etwa Senatsentscheidungen vom 05. September 2003, Ss 334/03 und vom 16. April 2004, Ss 130/04). Es kommt hinzu, dass das Amtsgericht auch nicht summarisch auf Vorstrafen ("bereits mehrfach als jugendlicher Straftäter in Erscheinung getreten") hätte hinweisen dürfen (vgl. OLG Celle DAR 70, 188; OLG Düsseldorf VRS 39, 328; Schönke-Schröder/Stree, StGB, 26. Aufl., § 47 Rn. 19). Es ist für die Strafzumessung erforderlich, dass bei straferschwerender Berücksichtigung von Vorstrafen neben dem Zeitpunkt der Verurteilung und der Art und der Höhe der Strafen in der Regel auch die den Vorverurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalte zwar knapp, aber doch in einer aussagekräftigen Form zu umreißen sind (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsentscheidungen vom 08.08.2000 - Ss 340/00, vom 28.12.2000 - Ss 513/00 - und vom 27.07.2004 - Ss 340/04 - ; ebenso etwa OLG Koblenz StV 94, 291 und OLG Frankfurt StV 95, 27; vgl. auch Tröndle-Fischer, § 46 Rn. 38: "knappe Zusammenfassung derjenigen Gesichtspunkte, auf welchen die konkrete Verwertung für die neue Strafzumessung beruht").
Ende der Entscheidung
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