Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 24.10.2007
Aktenzeichen: 8 W 80/07
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, StromGVV, GasGVV, EnWG, GWB, NAV, NDAV, AVBWasserV, BGB


Vorschriften:

ZPO § 29
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
ZPO § 937 Abs. 1
GVG § 23 Nr. 1
StromGVV § 9
StromGVV § 19 Abs. 2
StromGVV § 22
GasGVV § 19 Abs. 2
GasGVV § 22
EnWG § 36
EnWG § 37
EnWG § 102
EnWG § 102 Abs. 1
EnWG § 102 Abs. 1 Satz 1
EnWG § 102 Abs. 1 Satz 2
EnWG § 102 Satz 1
EnWG § 102 Satz 2
GWB § 87
NAV § 21
NAV § 21 Abs. 1 Satz 1
NAV § 24 Abs. 2
NAV § 24 Abs. 3
NDAV § 21
NDAV § 21 Abs. 1 Satz 1
NDAV § 24 Abs. 2
NDAV § 24 Abs. 3
AVBWasserV § 33 Abs. 2
BGB § 315
BGB § 315 Abs. 1
BGB § 315 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Zuständig ist das Amtsgericht Wipperfürth.

Gründe:

Das zuständige Gericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen, nachdem sich sowohl das Amtsgericht Wipperfürth mit Beschluss vom 14.09.2007 als auch das Landgericht Köln mit Beschluss vom 08.10.2007 für unzuständig erklärt haben (§§ 36 Abs.1 Ziffer 6, Abs.2, 37 ZPO).

1. Sachlich und örtlich zuständig ist das Amtsgericht Wipperfürth. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus § 23 Nr. 1 GVG, die örtliche aus § 22 StromGVV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz - Stromgrundversorgungsverordnung), § 22 GasGVV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz - Gasgrundversorgungsverordnung) und im Übrigen aus den §§ 937 Abs. 1, 29 ZPO (BGH NJW 2003, 3418; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Auflage, 2007, § 29 Rn. 25 "Energieversorgungsverträge", m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Wipperfürth ergibt sich aus § 102 Abs. 1 EnWG (Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung - Energiewirtschaftsgesetz) keine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts, wenn - wie hier - lediglich die Rechtsfolgen der Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen des Kunden eines Energieversorgungsunternehmens im Streit stehen. Ein diesbezüglicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, wie er den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet, stellt keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 102 Satz 1 EnWG dar, die sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergibt; die Entscheidung des Rechtstreits hängt auch nicht im Sinne von § 102 Satz 2 EnWG ganz oder teilweise von einer Entscheidung ab, die nach diesem Gesetz zu treffen ist (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 14.09.2007 - 8 W 75/07; ebenso LG Kassel, Urteil vom 10.05.2007 - 1 S 430/06, BeckRS 2007, 09957, LSK 2007, 410162).

a) Ob sich die Rechtsstreitigkeit aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergibt oder von einer hiernach zu entscheidenden Vorfrage abhängt, bestimmt sich nach dem prozessual geltend gemachten Anspruch, also dem Klagebegehren (ebenso LG Kassel, a.a.O.; für den Parallelfall des § 87 GWB: Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Auflage, 2001, § 87, Rn. 9 m.w.N.). Hier begehrt die Antragsstellerin vor dem Hintergrund dargelegter Zahlungsrückstände des Antragsgegners die Duldung des Zutritts zu seinen Räumlichkeiten zum Zwecke der Einstellung der Energie- und Wasserversorgung sowie des Ausbaus der Strom-, Gas- und Wasserzähler. Im Streit stehen damit weder die Grundversorgungspflicht des Energieversorgungsunternehmens (§ 36 EnWG) noch eventuelle Ausnahmen von der Grundversorgungspflicht (§ 37 EnWG). Denn die §§ 36, 37 EnWG betreffen lediglich den Anspruch des Kunden gegen den Grundversorger auf Abschluss eines Versorgungsvertrages und damit ausschließlich das "Ob" eines Vertragsschlusses (Kontrahierungszwang), wohingegen sich die Einzelheiten der vertraglichen Ausgestaltung nach den Strom- und Gasgrundversorgungsverordnungen richten, die gemäß ihres jeweiligen § 1 Vertragsbestandteil der Versorgungsverträge mit dem Kunden werden, sowie ergänzend nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften, nicht aber nach dem Energiewirtschaftsgesetz (LG Kassel, a.a.O.). Ihre Pflicht, den Antragsgegner mit Strom und Gas zu beliefern, erkennt die Antragstellerin vorliegend nicht nur an. Sie hat den Anspruch des Antragsgegners auf entsprechende Vertragsabschlüsse sogar bereits erfüllt, indem sie mit ihm entsprechende Belieferungsverträge abschloss. Allerdings obliegt der Antragstellerin die Belieferung des Antragsgegners nur nach den Allgemeinen Bedingungen für die Grundversorgung in Niederspannung und Niederdruck und unter Zugrundelegung der Allgemeinen Preise (§ 36 Abs. 1 Satz 1 EnWG). Sie ist nicht etwa verpflichtet die Grundversorgung kostenlos zu erbringen und muss auch Vertragsverletzungen des Kunden, insbesondere die Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen, nicht rechtlos hinnehmen.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind ausschließlich die Rechte der Antragstellerin infolge eines behaupteten Zahlungsverzugs des Antragsgegners. Die Rechte des Energieversorgungsunternehmens im Falle einer Vertragsverletzung durch den Kunden finden ihre Grundlage nicht im Energiewirtschaftsgesetz, sondern - was das Recht auf Unterbrechung der Stromversorgung bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung und Androhung anbelangt - in § 19 Abs. 2 StromGVV i.V.m. §§ 21 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 2, 3 NAV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung - Niederspannungsanschlussverordnung), was das Recht auf Unterbrechung der Gasversorgung angeht, entsprechend in § 19 Abs. 2 GasGVV i.V.m. §§ 21 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 2, 3 NDAV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Gasversorgung in Niederdruck - Niederdruckanschlussverordnung) und - was das Recht auf Unterbrechung der Wasserversorgung betrifft - schließlich in § 33 Abs. 2 AVBWasserV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser), auf den es in Abgrenzung zu § 102 EnWG aber nicht entscheidend kommt, weil die Wasserversorgung von vornherein nicht in den Regelungsbereich des Energiewirtschaftsgesetzes fällt. Die geltend gemachten Zutrittsrechte ergeben sich ebenfalls nicht aus dem Energiewirtschaftsgesetz, sondern, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, aus den §§ 9 StromGVV, 21 NAV, 21 NDAV und 16 AVBWasserV.

b) Die Entscheidung des vorliegenden Rechtstreits hängt auch nicht ganz oder teilweise von einer Entscheidung ab, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen ist (§ 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG). Hierfür müsste sie von einer Vorfrage abhängig sein, die - wäre sie Hauptfrage - unter § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG fiele; dabei ist das Merkmal der Vorgreiflichkeit streng zu handhaben (so für den Parallelfall des § 87 GWB: Karsten Schmidt, a.a.O., § 87, Rn. 24). An der Vorgreiflichkeit einer Frage, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu entscheiden wäre, fehlt es hier aber schon deswegen, weil die Antragstellerin ihre Grundversorgungspflicht niemals bestritten, sondern im Gegenteil mit dem Antragsgegner Versorgungsverträge abgeschlossen hat. Die Antragstellerin ist allerdings - wie dargelegt - nur verpflichtet, ihm Strom und Gas nach den Allgemeinen Bedingungen und Allgemeinen Preisen zu liefern und braucht eventuelle Vertragsverletzungen seinerseits nicht zu dulden.

c) Für das hier gefundene Ergebnis sprechen auch Sinn und Zweck des § 102 EnWG. Die Vorschrift entspricht § 87 GWB (Begründung zu § 102 EnWG, BT-Drucks. 15/3917, S. 75) und dient damit wie diese der Vereinheitlichung der Rechtspflege durch Konzentration der zivilprozessualen energiewirtschaftsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten bei bestimmten, besonders sachkundigen Gerichten und Spruchkörpern (Karsten Schmidt, a.a.O., vor § 87 Rn. 2, § 87 Rn. 1), unter Umständen sogar bei einem Landgericht für mehrere Bezirke (§ 103 Abs. 1 EnWG). Dieser Konzentration bedarf es indessen nur bezüglich Fragen, die von grundsätzlicher, über den einzelnen Fall hinausgehender Bedeutung sind. Hingegen erfordert es dieser Zweck gerade nicht, auch hinsichtlich individueller Streitigkeiten über einzelvertragliche Ansprüche die allgemeine streitwertabhängige Zuständigkeitsregelung außer Kraft zu setzen (ebenso LG Kassel, a.a.O.). Diese Rechtsstreitigkeiten sind im Gegenteil, sofern die Streitwertgrenze nicht überschritten wird, sachgerecht bei den Amtsgerichten vor Ort angesiedelt.

d) Dahingestellt bleiben kann, ob die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG erfüllt wären, wenn über die Frage der Billigkeit des Energiepreises gemäß § 315 Abs. 1 und 3 BGB zu entscheiden wäre. Denn das vorliegende Verfahren hat diese Frage nicht zum Gegenstand und unterscheidet sich hierdurch wesentlich von vielen anderen gerichtlichen Verfahren, deren Entscheidungen sich zur sachlichen Zuständigkeit der Amts- oder Landgerichte im Zusammenhang mit § 102 EnWG verhalten; dies gilt namentlich für das von dem Amtsgericht Wipperfürth in Bezug genommene Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 10.11.2005 (7 O 116/05), in dem es um Überprüfung der Erhöhung des Gasbezugspreises gemäß § 315 BGB geht (weitere Nachweise bei Holling/Peters, ZNER 2007, 161, insbesondere in Fn. 13 und 18). Man mag zu § 315 BGB mit gutem Grund die Auffassung vertreten können, dass diese Norm eine kartellrechtliche Vorfrage erfasst (vgl. Nachweise bei Holling/ Peters, a.a.O., Fn. 13); jedoch greift dieses Argument dann nicht, wenn es - wie hier - um die Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtungen eines einzelnen Kunden geht.

2. Das Landgericht Köln ist auch nicht aufgrund der grundsätzlich nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO eintretenden Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Wipperfürth zuständig.

Einem Verweisungsbeschluss kommt dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, weil er entweder auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht - dies ist hier nicht der Fall - oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (BGH NJW 2002, 3634 ff.). Dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Wipperfürth lastet ein solch schwerwiegender Rechtsfehler an, weshalb er als willkürlich anzusehen ist. Denn das Amtsgericht hat in seinem Beschluss vom 14.09.2007 ohne tragfähige Begründung und unter evidenter Verkennung des Inhalts der Regelung angenommen, dass § 102 EnWG die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln begründe.

Dieser Mangel ist auch nicht durch die Ausführungen in dem Vorlagebeschluss vom 11.10.2007 geheilt worden. Denn darin hat sich das Amtsgericht Wipperfürth in keiner Weise mit der in entscheidender Hinsicht abweichenden Fallkonstellation auseinandergesetzt, die namentlich dem dort genannten Urteil des Landgerichts Mönchengladbach zugrunde lag.

Ende der Entscheidung

Zurück