Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 19.01.2007
Aktenzeichen: 83 Ss 110/06
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 32
StGB § 212
StGB § 227
StGB § 241
StGB § 241 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt.

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen.

Zum Schuldspruch hat die Strafkammer Folgendes festgestellt:

"Der Angeklagte unterhält auf seinem Grundstück pp. einen Unterstand für Gänse, Enten, Hühner und Schafe. Nachdem die örtliche Ordnungsbehörde eine Beseitigung dieser Bauten verlangt hatte, kam es zu zahlreichen Verwaltungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren zwischen dem Angeklagten und der zuständigen Ordnungsbehörde. Im Rahmen der Auseinandersetzung beanstandete der Angeklagte, dass Mitarbeiter der Ordnungsbehörde ohne eine entsprechende vorhergehende Benachrichtigung unbefugt sein umzäuntes Grundstück betreten hätten.

Mit Schreiben vom 04. Dezember 2005, gerichtet an den Landrat des S.-T.-Kreises in U., legte der Angeklagte Widerspruch gegen eine ihm am 02.12.2005 zugestellte Ordnungsverfügung ein. Im vorletzten Absatz dieses Schreibens heißt es:

"Ich muss davon ausgehen, dass Sie die Klageerhebung ausbremsen wollen, in dem Sie den Widerspruch nicht zügig bearbeiten bzw. nicht weitergeleitet haben. Meine Persönlichkeitsrechte haben Sie alles in allem ca. ein Dutzend mal durch Missachtung des § 12 DS verletzt, vom zusätzlichen Betreten des Grundstücks trotz ausdrücklichem Verbot und ohne Ordnungsverfügung ganz abgesehen. Inzwischen haben wir einen Herdenschutz und sollten wir Sie bei einer der vorgenannten Aktionen überraschen, wird das Tier Sie stellen. Ob der Abtransport dann noch im Krankenwagen oder in einer schwarzen "Limousine" erfolgt, bleibt abzuwarten.

Vorsorglich werde ich die Staatsanwaltschaft informieren und um Rat bitten, ob es noch andere wirksame Möglichkeiten gibt, mich vor Ihren Übergriffen zu schützen."

Zur Einlassung des Angeklagten heißt es im Berufungsurteil:

"Der Angeklagte hat die Abfassung des entsprechenden Schreibens sowie die Übersendung dieses Schreibens an den Landrat des S.-T.-Kreises in der Hauptverhandlung eingeräumt. Er hat sich jedoch dahingehend eingelassen, er habe damit keine Mitarbeiter des S.-T.-Kreises bedrohen wollen. Vielmehr habe er nur zum Ausdruck gebracht, dass er einen Hund habe und es Eigenart eines Hundes sei, einen unbefugten Eindringling "zu stellen". Dann hänge es allein von dem Verhalten des Eindringlings ab, ob der Hund ruhig bleibe oder ihn angreife.

Auch habe er in demselben Schreiben darauf hingewiesen, dass er sich an die Staatsanwaltschaft wenden werde. Dieses stehe in Widerspruch zu einer Absicht, jemanden bedrohen zu wollen."

Zur Beweiswürdigung und rechtlichen Wertung hat die Strafkammer ausgeführt:

"Die Einlassung des Angeklagten vermag diesen nicht zu entlasten.

Bereits in tatsächlicher Hinsicht lassen sich die Ausführungen des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nicht mit dem Wortlaut seines Schreibens in Einklang bringen.

Durch die Formulierung "sollten wir Sie bei eine der vorgenannten Aktionen überraschen " wird deutlich, dass der Angeklagte eine Situation beschrieben hat, bei der er selbst Zeuge wird, wie ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes sein Grundstück betritt. In dieser Situation und in Kenntnis des Umstandes, dass es sich um einen Mitarbeiter der zuständigen Ordnungsbehörde handelt, will er den Hund auf den Mitarbeiter hetzen, damit dieser ihn "stellt". Es geht somit nicht um die eigenständige Entscheidung eines Wachhundes, das ihm zugewiesene Revier zu "verteidigen", sondern um das dem bewussten Einsatz eines Hundes gegen einen als solchen erkannten Mitarbeiter der zuständigen Ordnungsbehörde. Die weitergehende Formulierung "ob der Abtransport dann noch im Krankenwagen oder einer schwarzen Limousine erfolgt, bleibt abzuwarten" kann und sollte nur dahingehend verstanden werden, dass der auf dem Grundstück angetroffene Beamte durch den beabsichtigen Angriff des Hundes auf jeden Fall derart schwer verletzt werden soll, dass sein Abtransport in einem Krankenwagen erforderlich wird.

Durch den Verweis auf den ebenfalls in Betracht zu ziehenden Abtransport in einer schwarzen "Limousine" - also in einem Leichenwagen - bringt der Angeklagte zum Ausdruck, dass er auch in Betracht zieht, dass der Beamte infolge des von dem Angeklagten veranlassten Angriff des Hundes versterben wird.

Durch die vorgenannten Formulierungen hat der Angeklagte die zuständigen Mitarbeiter des Ordnungsamtes des S.-T.-Kreises mit der Begehung eines gegen sie gerichteten Verbrechens des Totschlages im Sinne des § 212 StGB oder zumindest einer vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge im Sinne des § 227 StGB bedroht.

Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht in Ansehung des Umstandes, dass der Angeklagte in dem streitgegenständlichen Schreiben weiter ausgeführt hat, er werde vorsorglich die Staatsanwaltschaft informieren und um Rat bitten, "ob es noch andere wirksamere Möglichkeiten gebe, ihn vor Übergriffen zu schützen". Dieser Passage kann nur entnommen werden, dass er sich bei der Staatsanwaltschaft nach Mitteln erkundigen will, die die Mitarbeiter veranlassen könnten, sein Grundstück gar nicht erst zu betreten. Keineswegs hat der Angeklagte hierdurch jedoch von seiner Drohung Abstand genommen, für den Fall, dass ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes sein Grundstück betreten werde, den Hund auf diesen zu hetzen und hierbei den Tod des Mitarbeiters zunächst zumindest billigend in Kauf zu nehmen.

Der Strafbarkeit wegen Bedrohung gemäß § 241 StGB steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte die angedrohte Tat von der Bedingung abhängig gemacht hat, dass ein Mitarbeiter des S.-T.-Kreises sein Grundstück widerrechtlich betreten sollte. Die angedrohte Tat wäre nämlich auch in diesem Fall rechtswidrig, weil sich der Angeklagte nicht auf ein Notwehrrecht im Sinne des § 32 StGB berufen könnte. Selbst wenn Mitarbeiter des Ordnungsamtes widerrechtlich das Grundstück des Angeklagten betreten sollten, würde dieses sein angekündigtes Verhalten nicht rechtfertigen, weil eine derartige Maßnahme weder erforderlich, noch verhältnismäßig wäre. Auch mussten die zuständigen Mitarbeiter des S.-T.-Kreises von der Ernsthaftigkeit des Ansinnens des Angeklagten ausgehen. ...

Seine Bedrohung musste und sollte daher als ernsthaft angesehen werden."

Die Revision des Angeklagten rügt Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie hat (zumindest vorläufigen) Erfolg. Auf die Sachrüge führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Zutreffend ist die Strafkammer freilich davon ausgegangen, dass der objektive Tatbestand des § 241 Abs. 1 StGB das In-Aussicht-Stellen eines bestimmten tatsächlichen Verhaltens voraussetzt, das als Verbrechen zu beurteilen wäre (BGHSt 17, 307, 308; SenE vom 26.09.2000 - Ss 391/00 = StV 2001,158). Die wesentlichen Merkmale des Verbrechens müssen aus der Äußerung - bzw. der Bedrohungshandlung - eventuell in Verbindung mit den Begleitumständen ersichtlich sein und die Drohung muss objektiv den Eindruck der Ernstlichkeit erwecken (Eser in Schönke/Schröder, StGB, 27. Auflage, § 241 Rn. 4, 5 mit weiteren Nachweisen). Die Drohung kann auch von einer Bedingung abhängig gemacht werden, es sei denn, dass ein rechtswidriges Verhalten des Bedrohten oder sonstige Umstände zur Bedingung gesetzt werden, bei deren Eintritt die angedrohte Tat (z.B. durch Notwehr) gerechtfertigt wäre (Eser a.a.O. § 241 Rn. 5). Auch kann gegenüber einem gegenwärtigen Angriff die Drohung als solche unter Umständen dann gerechtfertigt sein, wenn ihre Realisierung nicht gerechtfertigt wäre (Eser a.a.O.).

Die Erwägungen der Strafkammer, die zu dem Ergebnis geführt haben, der Angeklagte habe mit der Begehung eines Totschlags im Sinne des § 212 StGB oder zumindest einer Körperverletzung mit Todesfolge im Sinne des § 227 StGB gedroht und drohen wollen, halten allerdings materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie sind in revisionsrechtlich bedeutsamer Weise lückenhaft.

Ob einer Erklärung in objektiver und subjektiver Hinsicht die Bedeutung einer Bedrohung beizumessen ist, hat der Tatrichter durch Auslegung zu ermitteln (Senat a. a. O.). Die Auslegung von Äußerungen und Erklärungen ist eine Tatsachenwürdigung (Bedeutungserklärung zum Zwecke der Subsumtion), die nur dem Tatrichter zusteht (vgl. BGHSt 21, 371 = NJW 1968, 309, SenE vom 20.10.1987 - Ss 484-487/87 = NJW 1988, 1802; vom 28.01.1992 - Ss 567-569/91 = NJW 1993, 1486, 1487 = AfP 1992, 292, 294; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 337 Rn. 32, jeweils m.w.N.). Dem Revisionsgericht ist eine eigene Würdigung ebenso versagt wie bei der Beweiswürdigung (vgl. zu letzterem: BVerfG NJW 1991, 2893), auch wenn der Inhalt der betreffenden Schrift oder Darstellung im Urteil wörtlich festgehalten bzw. beschrieben worden ist (Senat NJW 1988,1802; SenE v. 10.10.2006 - 82 Ss 100/06). Das Revisionsgericht hat jedoch die Auslegung des Tatgerichts nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen, d.h. darauf, ob die Auslegung Rechtsfehler enthält (Senat JMBl. NW 1983, 36; Meyer-Goßner a.a.O.). Ein solcher liegt z.B. vor, wenn die Auslegung lückenhaft ist und die Urteilsgründe sich nicht mit allen naheliegenden Möglichkeiten auseinandersetzen und eine umfassende Würdigung des Inhalts, des Zwecks und der Tendenz der Schrift oder Darstellung vermissen lassen (BGHSt 21, 371, 372; Senat NJW 1988, 1802; SenE vom 10.10.2006 - 82 Ss 100/06; Meyer-Goßner a.a.O.). Dem Urteil muss hinreichend entnommen werden können, dass das Tatgericht bei seiner Prüfung keinen wesentlichen Gesichtspunkt außer acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, die Überzeugungsbildung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinträchtigen (BGHSt 25, 285, 286 = NJW 1974, 869; BayObLG NJW 1990, 2479, 2480; SenE vom 04.07.1995 - Ss 219-220/95). Lässt eine Äußerung verschiedene Deutungen zu, sind diese zu erörtern und darzulegen, weshalb der einen oder anderen Interpretation der Vorzug gegeben wird (vgl. BVerfG NJW 1994, 2943).

Nach diesen Grundsätzen ist die tatgerichtliche Auslegung des inkriminierten Schreibens des Angeklagten aus Rechtsgründen zu beanstanden, weil sie nur eine mögliche Interpretation in Erwägung zieht.

Wie dem Inhalt dieses Schreibens zu entnehmen ist, ging es dem Angeklagten darum, ein rechtswidriges Betreten seines Grundstücks durch Mitarbeiter des S.-T.-Kreises - ein Betreten ohne (bestandskräftige) bauaufsichtliche Verfügung - wirksam zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, standen ihm zulässige und unzulässige Maßnahmen zur Verfügung. Wenn es im letzten Absatz seines Schreibens heißt, er werde "die Staatsanwaltschaft informieren und um Rat bitten, ob es noch andere wirksame Möglichkeiten gibt, mich vor Ihren Übergriffen zu schützen", liegt die Annahme nicht fern, dass er sich bei seinen Abwehrbemühungen im Rahmen des rechtlich Zulässigen bewegen, also insgesamt nur rechtmäßige Maßnahmen in Betracht ziehen wollte. Denn wenn er schon die Vorstellung hatte, die Staatsanwaltschaft werde ihn beraten, dann konnte er von dieser Behörde jedenfalls nur den Vorschlag zu solchen Maßnahmen erwarten.

Die Ankündigung, sich gegenüber einem rechtswidrigen Eindringen der Behördenvertreter seines Herdenschutzhundes zu bedienen, steht dazu nicht in einem unauflösbaren Widerspruch. Der Einsatz eines Wachhundes zur Ausübung des Rechts der Besitzwehrung (§ 859 Abs. 1 BGB) ist nämlich nicht generell unzulässig und rechtswidrig (vgl. dazu OLG Koblenz MDR 1978,141; LG Koblenz VersR 1977, 457; BayObLG NJW 1965, 163). Dass ein Herdenschutzhund - also ein ausgebildeter Hütehund - einen "Eindringling" auch auf andere Weise "stoppen" kann, als durch tödliche Bisse, liegt auf der Hand. Dass es andererseits beim Einsatz eines solchen Tieres - nicht zuletzt bedingt durch das Verhalten des Eindringlings - zu Eskalationen kommen kann, die für den Halter nicht mehr beherrschbar sind, dürfte ebenfalls gesichertem Erfahrungswissen entsprechen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der nahe liegenden Möglichkeit, dass der Angeklagte nur rechtmäßige Maßnahmen ergreifen wollte, drängte es sich auf, bei der Auslegung der Textpassage "... wird das Tier Sie stellen. Ob der Abtransport dann noch im Krankenwagen oder in einer schwarzen "Limousine" erfolgt, bleibt abzuwarten" in Erwägung zu ziehen, dass der Angeklagte mit dieser drastischen Formulierung lediglich den Zweck verfolgt haben könnte, die zuständigen Mitarbeiter der Verwaltungsbehörde eindringlich auf das Vorhandensein eines Herdenschutzhundes, dessen (bestimmungsgemäßen) Einsatz und die damit im Extremfall verbundenen Gefahren aufmerksam zu machen, und zwar in der (nachvollziehbaren) Erwartung, diese würden sich schon allein durch diesen Umstand von einem unbefugten Betreten des Grundstücks abhalten lassen.

Das neue Tatgericht wird diese Interpretationsmöglichkeit des Schreibens des Angeklagten vom 02.12.2005 zu erörtern haben.

Ende der Entscheidung

Zurück