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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: 83 Ss 70/06
Rechtsgebiete: BtMG, StPO, StGB


Vorschriften:

BtMG § 29 Abs. 1
BtMG § 29 Abs. 3 Nr. 1
BtMG § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
BtMG § 31a
StPO § 267 Abs. 3 S. 4
StPO § 274
StGB § 56 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Zum Schuldspruch wird die Revision mit der Maßgabe verworfen, dass die "Freisprechung im übrigen" entfällt.

Im Rechtsfolgenausspruch wird das angefochtene Urteil mit den dazu gehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.

Gründe:

A.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten "wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Cannabis in vier Fällen, davon einmal tateinheitlich mit Besitz von Cannabis in nicht geringer Menge" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und vier Monaten (Einzelstrafen von einmal 1 Jahr 2 Monate und dreimal 1 Jahr) verurteilt.

Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts ausweislich der Urteilsformel der Sitzungsniederschrift dahingehend abgeändert, dass es den Angeklagten "unter Freisprechung im übrigen wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt hat. Der Tenor der Urteilsurkunde weist die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 4 Monaten aus.

Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts.

B.

Die Revision hat zu einem Teil Erfolg.

I.

Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch und werden ihrerseits von der Beweiswürdigung getragen.

Zum Schuldspruch hat das Landgericht Folgendes festgestellt:

"1.

Am 06.07.2005 fuhr der Angeklagte mit einem Zug von O. nach L., wo er gegen 13:15 Uhr eintraf. Weil er nicht im Besitz einer Fahrkarte war, wurde er zur Bundespolizeiinspektion L. gebracht, wo in seiner Unterhose verborgen ein Beutel mit 95,5g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 8,5% = 8,1175g THC sichergestellt wurde. Nach der nicht zu widerlegenden Einlassung des Angeklagten war die Hälfte hiervon für seinen Eigenkonsum bestimmt, während er die andere Hälfte gewinnbringend in L. verkaufen wollte.

2.

Am 07.07.2005 verkaufte der Angeklagte im I.-N.Park in L. auf einer Parkbank zwischen der C. und der E. Straße Marihuana und zwar an den A. B.-F. 0,83g für 10, Euro und an den K. W. 1,8g für 5, Euro.

3.

Am 12.07.2005 hielt sich der Angeklagte erneut in der oben genannten Parkanlage am B. Weiher in L. auf, wo er sich bereit erklärte, dem Zeugen T. A. Z. Marihuana für 10, Euro zu verkaufen. Da er dieses nicht vorrätig hatte, veranlasste der Angeklagte den Zeugen, ihm zum D.-platz zu folgen, von wo er mit dem Kleingeld des Zeugen einen ihm bekannten Dealer anrief. Anschließend, begaben sich der Angeklagte und Zapfe zum I. Weg in L.A., wo der Angeklagte in einem Hinterhof verschwand und anschließend dem Zeugen 1,26g Marihuana gegen Zahlung von 10, Euro übergab.

Der Wirkstoffgehalt der vorstehend unter 2. und 3. aufgeführten Marihuanamengen konnte nicht festgestellt werden, da das Betäubungsmittel in den Verfahren gegen die vorgenannten Zeugen, die allesamt nach § 31a BtmG eingestellt worden sind, inzwischen vernichtet worden waren."

1.

In Bezug auf die Fälle 1 und 2 bedurfte es der Erörterung einer Bewertungseinheit nicht.

Es ist nicht geboten, festgestellte Veräußerungsakte schon deshalb zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass sie ganz oder teilweise aus einem Vorrat stammen könnten (BGH NJW 1995, 2300; BGH NStZ 1997, 137 u. 344; BGH NStZ 1999, 192; BGH StV 1999, 431; SenE v. 11.07.2000 - Ss 288/00; Weber, BtMG, 2. Auflage, Vor §§ 29 ff. Rn. 478).

Vorliegend bestehen keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Betäubungsmittel der Fälle 1 und 2 aus demselben Vorrat stammen. Diese ergeben sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte nach der am 06.07.2005 erfolgten Sicherstellung der 95,5 g Marihuana (Fall 1) am nächsten Tag (Fall 2) schon wieder in der Lage war, 0,83 g und 1, 8 g Marihuana zu verkaufen. Denn diese geringen Mengen kann er sich - wie im Fall 3 - auch unmittelbar vor dem Verkauf beschafft haben.

2.

Hinsichtlich der Fälle 2 und 3 tragen die Feststellungen (noch) die Annahme eines Handeltreibens.

Es wird zwar nicht festgestellt, dass der Angeklagte in Gewinnerzielungsabsicht gehandelt hat (vgl. zu diesem Erfordernis: BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 34; BGH StV 1989, 201; 2002, 254; SenE vom 07.02.2006 - 83 Ss 4/06; Weber, BtMG, 2. Auflage, § 29 Rn. 166). Eine solche Absicht kann aber dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden. Wenn der Angeklagte 95,5 g Marihuana "gewinnbringend in L. verkaufen wollte" (Fall 1), spricht nichts dafür, dass er bei den späteren Verkäufen diese Absicht aufgegeben hatte, zumal er nach dem Verlust dieser Menge - als Bezieher von Sozialleistungen und Drogenkonsument - Geld brauchte.

Ob er bei diesen Geschäften tatsächlich einen Gewinn erzielen konnte, ist für die Tatbestandsverwirklichung und - im Hinblick auf die geringen Verkaufspreise von 5 Euro bzw. 10 Euro - auch für den Schuldumfang unerheblich.

Unschädlich ist schließlich auch, dass das Landgericht in den Fällen 2 und 3 keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel getroffen hat. Davon kann nämlich abgesehen werden, wenn auszuschließen ist, dass der Wirkstoffgehalt das Strafmaß beeinflusst hätte (so insgesamt Senatsentscheidung StV 1999, 440; Weber, BtMG, 2. Aufl. vor §§ 29 ff. Rn 743).

Das ist bei geringen Mengen einer weichen Droge wie Marihuana der Fall.

3.

Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils ist lediglich in der Weise zu berichtigen, dass der Teilfreispruch entfällt.

Insoweit heißt es im Berufungsurteil:

"Soweit der Angeklagte in dem angefochtenen Urteil wegen der Verkäufe am 07.07.2005 wegen zweier Taten des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt worden war, war er hinsichtlich einer Tat freizusprechen, da zu seinen Gunsten davon auszugehen war, dass die Verkäufe aus dem gleichen Vorrat stammten, somit rechtlich nur eine Tat vorlag."

Beim Wegfall tatmehrheitlich angeklagter Delikte durch die Annahme von Bewertungseinheiten ist der Angeklagte indessen nicht freizusprechen, wenn sich (wie hier) die weggefallenen materiell-rechtlich selbständig angeklagten Taten als Bestandteil der Strafen erweisen, deretwegen Verurteilung erfolgt ist. Denn in einem solchen Fall wird der gesamte Verfahrensgegenstand durch die Verurteilung erschöpfend erledigt (BGH, NStZ 1994, 547; BGHR StPO § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 14 (Gründe) - Aufgabe BGH NStZ 1997, 90 -; BGH NStZ 2004, 109).

Soweit auch der Senat im Anschluss an BGH NStZ 1997, 90 die Auffassung vertreten hat, es sei ein Teilfreispruch veranlasst, wenn tatmehrheitlich angeklagte Taten wegen Bewertungseinheit zusammengefasst werden (SenE v. 05.08. 2003 - Ss 293/03), hält auch er daran nicht mehr fest.

II.

Zur Rechtsfolgenseite hält das Berufungsurteil der Überprüfung nicht stand.

1.

Zu diesem Ergebnis führt schon die Divergenz zwischen der verkündeten Urteilsformel, wie sie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt (1 Jahr), und derjenigen in der Urteilsurkunde (1 Jahr 4 Monate). Der authentische Wortlaut der Urteilsformel ergibt sich allein aus der nach § 274 StPO maßgebenden Sitzungsniederschrift (BGH NStZ-RR 2002, 100; BGHSt 34, 11, 12; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 10; Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, § 268 Rn. 18).

Die vor der Urteilsverkündung niedergeschriebene Urteilsformel (§ 268 Abs. 2 Satz 1 StPO; Blatt 281 der Akten), die eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten ausweist, nimmt an der Beweiskraft nach § 274 StPO nicht teil, weil sie nicht in das Sitzungsprotokoll integriert worden ist; sie ist weder darin eingefügt noch zur Anlage des Protokolls gemacht worden.

Eine Auslegung des Protokolls ist nur dann zulässig, wenn dessen Sinn zweifelhaft ist. Das ist hier nicht der Fall. Das Protokoll ist eindeutig, es leidet - für sich betrachtet - nicht an offensichtlichen Mängeln, ist weder unklar, erkennbar lückenhaft oder widersprüchlich (vgl. BGH StV 2006, 287 = NStZ-RR 2006, 112).

Es ist auch nicht etwa so, dass nach dem Schuldspruch eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr völlig sinnwidrig wäre. Der Tenor enthält einen Teilfreispruch, so dass eine Herabsetzung der Strafe nicht von vornherein als undenkbar erscheint. Dass das Landgericht jede der Taten als besonders schweren Fall im Sinne des § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG (Gewerbsmäßigkeit) gewertet hat (Mindeststrafe jeweils 1 Jahr), ergibt sich erst aus den Urteilsgründen.

Wegen der Eindeutigkeit des Protokolls waren dem Senat Ermittlungen zum Strafausspruch im Freibeweisverfahren verwehrt. Selbst übereinstimmende Erklärungen der Urkundspersonen, verkündet worden sei eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 4 Monaten, könnten den Inhalt des Protokolls zum Nachteil des Angeklagten nicht in Frage stellen (BGH a.a.O. mit Nachweisen ).

2.

Abgesehen davon, dass die Strafzumessungserwägungen demnach mit der Urteilsformel nicht in Einklang stehen, halten sie auch für sich genommen rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a.

Zur Strafrahmenwahl hat die Strafkammer ausgeführt:

"Bei der Strafzumessung war bei allen drei Taten vom Strafrahmen des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtmG auszugehen, da der Angeklagte in allen Fällen gewerbsmäßig handelte, nämlich um sich eine nicht unbedeutende Einkommensquelle auf unbestimmte Dauer zu verschaffen. Dementsprechend war bei jeder Tat von einem Strafrahmen auszugehen, der Freiheitsstrafe von 1 bis 15 Jahren umfasst. Alleine der Umstand, dass sich die Taten des Angeklagten auf weiche Drogen bezogen und er bei den Taten 2. und 3. nur geringe Mengen verkauft hat, reichen nicht aus, anstelle des erhöhten Strafrahmens wegen Gewerbsmäßigkeit: vom Regelstrafrahmen des § 29 Abs. 1 auszugehen; denn der Angeklagte verfügte wie die Tat vom 06.07.2005 zeigt, durchaus über größere Mengen. Zudem hatte er sich trotz der polizeilichen Festnahmen am 06.07. und 07.07. nicht von der weiteren Tat am 12.07.2005 abhalten lassen."

Diese Erwägungen sind materiell-rechtlich unvollständig.

Auch wenn die Merkmale eines Regelbeispiels für die Annahme eines besonders schweren Falles erfüllt sind, so begründet dies lediglich eine Indizwirkung dafür, dass die Anwendung des erhöhten Strafrahmens veranlasst ist.

Diese Wirkung kann durch Umstände, die den Unrechts- und Schuldgehalt des Regelbeispiels kompensieren, ausgeräumt werden (BGH NStZ 2004, 265; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur SenE v. 21.04.2006 - 83 Ss 19/06 mit weiteren Nachweisen; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 46 Rn. 90, 91 m.w.N.). Es ist daher auch in den Regelbeispielfällen zur Bestimmung des maßgeblichen Strafrahmens stets eine Gesamtwürdigung aller für die Strafzumessung wesentlichen Umstände vorzunehmen (BGH StV 1982, 225; Senat a.a.O.; vgl. Weber, BtMG, 2. Auflage, Vor §§ 29 ff. Rn. 539, 543; Tröndle/Fischer a.a.O.).

Diese Würdigung hat die Strafkammer nicht hinreichend vollständig vorgenommen. Es drängte sich auf, in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Geständnisses des Angeklagten zu erörtern sowie die Tatsache zu werten, dass der Angeklagte Drogenkonsument ist und die Betäubungsmittel nicht in Verkehr gelangt sind.

b.

Zur Strafzumessung im engeren Sinne heißt es im angefochtenen Urteil:

"Bei der konkreten Strafzumessung ist die vom Amtsgericht für die Tat vom 06.07.2005 festgesetzte Einsatzstrafe von 1 Jahr 2 Monaten schuld und tatangemessen. Eine Herabsetzung kam nicht in Betracht, da die gesetzliche Mindeststrafe nur geringfügig erhöht worden ist und unter Berücksichtigung der gesamten Tatumstände nicht von einem denkbar leichten Fall auszugehen war. Hinsichtlich der übrigen Taten sind ohnehin nur die Mindeststrafen festgesetzt worden, so dass eine Herabsetzung dieser Einsatzstrafen ausscheidet. Unter Berücksichtigung der gesamten Tatumstände und der Persönlichkeit des Angeklagten insbesondere des Umstandes, dass die vorangegangene Verbüßung von neun Monaten Freiheitsstrafe noch die Festnahmen am 06.07. und 07.07.2005 ihn nicht von der Begehung der weiteren Tat abgehalten haben, ist die vom Amtsgericht festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten, die nur einen Monat über der gesetzlich möglichen unteren Grenze der Gesamtstrafe liegt, eher zu niedrig. Eine Erhöhung war der Kammer indes wegen des Verschlechterungsverbotes verwehrt."

Auch insoweit fehlt eine Erörterung/Bewertung der oben angeführten Strafzumessungsgesichtspunkte (Geständnis, Drogenkonsument, Betäubungsmittel nicht in Verkehr gelangt).

c.

Rechtsfehlerhaft ist schließlich das Fehlen jeglicher Erörterung zur Strafaussetzungsfrage. Schon im Hinblick auf § 267 Abs. 3 S. 4 StPO hätte es solcher bedurft. Die Verteidigung hatte beantragt, die Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Die festzusetzenden Einzelfreiheitsstrafen und die Gesamtstrafe dürfen 1 Jahr nicht übersteigen.

Hat der Angeklagte zwischen Begehung und Aburteilung der Tat durch Haft erstmals einen längeren Freiheitsentzug erlitten, so muss das Tatgericht bei seiner Prognoseentscheidung (§ 56 Abs. 1 StGB) auch darauf eingehen, welche Wirkungen diese Haft auf den Angeklagten hatte (vgl. OLG Dresden StV 2001, 626; BayObLG DAR 1982, 248; OLG Dresden StV 2002, 658 = StraFo 2003, 21; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Senat v. 05.10.1993 = NStZ 1994, 205; SenE v. 03.05.2005 - 8 Ss 64/05; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 56 Rn. 6 b m.w.N.). Der erste (längere) Freiheitsentzug wird in der Regel am spürbarsten empfunden und kann durchaus eine spezialpräventive Wirkung - z.B. in Form der Nachreifung und Stabilisierung (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 38) - entfaltet haben, die eine günstige Prognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB rechtfertigt. Das kann auch in den Fällen gelten, in denen dem erstmaligen Freiheitsentzug ein Bewährungsbruch vorausgegangen ist (vgl. BGH a.a.O.).

Ende der Entscheidung

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