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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 14.09.2004
Aktenzeichen: 9 U 108/03
Rechtsgebiete: AVS 99, VVG


Vorschriften:

AVS 99 § 19 Nr. 1e
AVS 99 § 19 Nr. 2
VVG § 6 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 108/03

Verkündet am 14.09.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Münstermann, die Richterin am Oberlandesgericht Keller und die Richterin am Amtsgericht Dr. Dinkelbach

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23. Mai 2003 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 10 O 5/03 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger war unter der Bezeichnung "T. & L. GbR" gemeinsam mit Herrn O. L. Betreiber des Lokals T. in M.. In dem Lokal brach am 21./22.02.2001 ein Feuer aus, das von selbst erlosch. Am 02.03.2001 kam es erneut zu einem Brand, der zur Zerstörung des Gastronomiebetriebes führte. In beiden Fällen lag nach den Feststellungen der Kriminalpolizei Brandstiftung vor. Das Objekt war bei der Beklagten im Rahmen einer Vario Sachversicherung unter anderem gegen Brandschäden versichert.

Am 09.03.2001 fand eine Besprechung zwischen dem Kläger, seiner Lebensgefährtin und dem Regulierungsbeauftragten der Beklagten, dem Zeugen X., statt. Im Rahmen des Gesprächs wurde der Kläger danach gefragt, ob er oder seine Ehefrau bereits von Schäden betroffen gewesen seien. Der Kläger gab an, es sei zu einem Vorschaden in einer Gaststätte namens S. gekommen und zu einem Vorschaden in einem privaten Anwesen. Entsprechende Angaben finden sich in dem vom Kläger unterzeichneten Verhandlungsprotokoll (Anlage B 25). Tatsächlich hatten der Kläger und seine geschiedene Ehefrau weitere Brandschäden von erheblichem Ausmaß erlitten.

Der Kläger behauptet, bei den Brandereignissen vom 21./22.02.2001 und 02.03.2001 sei ein Gesamtschaden von 260.000 € entstanden. Sein Mitgesellschafter L. habe ihm unter dem 18.06.2001 alle Ansprüche gegen die Beklagte aus beiden Schadensfällen abgetreten. In Höhe von rund 160.000 € habe der Kläger seinerseits die gegenüber der Beklagten bestehenden Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an verschiedene Gläubiger zu Sicherungszwecken abgetreten. Ihm selbst verbleibe jedenfalls ein Restanspruch von 102.000 €.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

a) an ihn 5.000 € zu zahlen;

b) an die A. T. Getränkevertrieb GmbH, N.-Q.-Straße 8, U., 5.000 € zu zahlen;

c) an die H. Brauerei AG, vertreten durch den Vorstand, I.-Straße 132, J., 5.000 € zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage als zur Zeit unbegründet abzuweisen, hilfsweise, sie als unbegründet abzuweisen.

Widerklagend hat sie beantragt,

festzustellen, daß dem Kläger auch über die mit der Teilklage geltend gemachten 15.000 € zur Zeit keine Ansprüche zustehen, hilfsweise festzustellen, daß dem Kläger auch über die mit der Teilklage geltend gemachten 15.000 € keine Ansprüche zustehen.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger habe die streitgegenständlichen Brände selbst gelegt oder legen lassen. Im übrigen beruft sie sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben, weil die Beklagte wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei sei. Wegen weiterer Einzelheiten und der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung macht der Kläger geltend, die Beklagte habe die Vorschäden gekannt, sie sei schon bei Vertragsschluß darauf hingewiesen worden. Im übrigen fehle es an einer ordnungsgemäßen Belehrung über die Folgen unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bonn vom 23.05.2003 - 10 O 5/03 - die Beklagte zu verurteilen,

a) an ihn 5.000 € zu zahlen;

b) an die A. T. Getränkevertrieb GmbH, N.-Q.-Straße 8, U., 5.000 € zu zahlen;

c) an die H. Brauerei AG, vertreten durch den Vorstand, I. Straße 132, J., 5.000 € zu zahlen.

2. unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die zur Information beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft M. 706 UJs 982/00, 706 Js 38403/96 und 706 UJs 2323/99 Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Landgericht hat die Teilklage zutreffend abgewiesen und auf die Widerklage mit Recht festgestellt, daß dem Kläger wegen der beiden streitgegenständlichen Brandereignisse keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.

Nach § 19 Nr. 1e, 2 AVS 99 (GA 33/34) in Verb. mit § 6 Abs. 3 VVG ist die Beklagte schon deswegen leistungsfrei, weil der Kläger in dem Verhandlungsprotokoll vom 09.03.2001 unzutreffende, nämlich unvollständige, Angaben zu früheren Versicherungsfällen gemacht hat. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird insoweit Bezug genommen.

Der Kläger hat objektiv falsche Angaben zu Vorschäden gemacht, indem er in dem Verhandlungsprotokoll lediglich einen Schaden aus Mai 2000 angab, obwohl es weitere wesentliche Brandschäden in den Jahren 1994, 1996 und 1999 gegeben hatte. Der Kläger war ausdrücklich sowohl nach eigenen Schäden als auch nach Schäden seiner früheren Ehefrau gefragt und hatte dementsprechend sämtliche Schäden anzugeben, auch soweit er nicht als Versicherungsnehmer betroffen war.

Der Kläger meint, die Beklagte habe durch die lückenhaften Angaben nicht getäuscht werden können, weil sie Kenntnis von den Vorschäden gehabt habe. Der Vortrag des Klägers ist insoweit vage. In der Berufungsbegründung wird die Kenntnis der Beklagten unter Hinweis auf Angaben bei Vertragsschluß behauptet. Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar, weil der Versicherungsantrag von einem Makler aufgenommen wurde, der in dem Antrag die später verschwiegenen Vorschäden nicht aufgenommen hatte. Schon weil die eventuell beim Makler vorhandene Kenntnis der Beklagten bei Vertragsschluß nicht vermittelt wurde und ihr auch nicht zuzurechnen ist, kann es auf Angaben bei Vertragsschluß hier nicht ankommen. Im übrigen ist eine Täuschung des Versicherers auch dann zu bejahen, wenn im Haus des Versicherers an irgendeiner Stelle - hier wäre dies die Vertragsabteilung - Kenntnisse vorhanden sind, aus denen sich ergibt, daß eine Schadensanzeige oder ein Verhandlungsprotokoll unvollständige und damit unrichtige Angaben enthält (vgl. OLG Saarbrücken r+s 1998, 139; OLG Bremen VersR 1998, 1149). Der Versicherer fragt im Schadensfall nach Vorschäden und nach Umständen des aktuellen Versicherungsfalls, um in der Lage zu sein, ohne umfangreiche Recherchen entscheiden zu können, wie in der konkreten Schadenssituation vorzugehen ist. Der Versicherungsnehmer hat in der Regel - und so auch hier - keinen Anlaß zu der Annahme, der Versicherer werde die Umstände, nach denen er fragt, ohnehin ermitteln, denn dies würde die Fragen von vornherein überflüssig und sinnlos machen. Dafür, daß die Beklagte durch sonstige Umstände (etwa durch vorherige Ermittlungen) zur Zeit des Gesprächs mit dem Schadensregulierer Kenntnis von den früheren Versicherungsfällen hatte, ist nichts vorgetragen und nichts ersichtlich. Die entsprechende Behauptung des Klägers entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage und ist aus den dargelegten Gründen auch nicht erheblich.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 19.07.2004 geltend gemacht, er habe bereits in erster Instanz vorgetragen, bei Aufnahme des Schadensprotokolls durch den Zeugen Peter X., sei über sämtliche Vorschäden gesprochen worden. Diese Darstellung des erstinstanzlichen Sachvortrags steht zunächst in Widerspruch zu den tatbestandlichen Ausführungen im angefochtenen Urteil, ohne daß diese angegriffen worden wären. Sie steht aber auch in Widerspruch zu dem Inhalt der Schriftsätze erster Instanz. In dem Schriftsatz vom 14.02.2003 (Bl. 169-190 d. A.), mit dem der Kläger auf die ausführliche Klageerwiderung Stellung genommen hat, findet sich nichts dazu, daß mit dem Zeugen X. über die im Schadensprotokoll nicht erwähnten Vorschäden gesprochen worden sein soll. Soweit in unsubstantiierter Weise behauptet wurde, der Zeuge X. habe "die" Vorschäden (welche?) gekannt, "da die Beklagte den Hof in H. auch mitversichert hatte"(Bl. 189 d. A.), wird unterstellt, dem Zeugen X. seien die Kenntnisse zuzurechnen, die man im Haus der Beklagten - an irgendeiner Stelle - wegen einer bestehenden Doppelversicherung gehabt haben soll. Eine solche Zurechnung findet jedoch nicht statt, so daß es sich erübrigt, hier erneut darauf einzugehen, daß eine frühere Befassung mit einem Schadensfall (noch dazu einem Schadensfall wohl eines anderen Versicherungsnehmers, nämlich der Ehefrau) nicht zu einer Kenntnis führt, die zutreffende und vollständige Angaben des Versicherungsnehmers auf relevante Fragen überflüssig macht.

Die anders lautende Darstellung des Klägers im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.05.2003 (Bl. 235-239) war in erster Instanz nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Im Berufungsverfahren erfolgte eine Bezugnahme auf diesen Schriftsatz erst in dem am Tag vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 19.7.2004. Im Schriftsatz vom 15.05.2003 heißt es, im Rahmen der Erörterung der Vorschäden habe der Zeuge X. erklärt, diese kenne man und brauche nicht näher darauf einzugehen. Diese Darstellung macht nicht deutlich, über welche Vorschäden gesprochen worden sein soll. Schließlich wurden bestimmte Vorschäden vom Kläger mitgeteilt und in das Schadensprotokoll aufgenommen. Nur auf die dort unerwähnt gebliebenen Vorschäden kann es hier ankommen. Im weiteren Text des Schriftsatzes heißt es, dem Zeugen X. seien "sämtliche Schäden" bekannt gewesen, ohne daß klargestellt wird, woher diese Kenntnis gestammt haben soll. Es wird allenfalls suggeriert, keinesfalls aber behauptet, daß sämtliche (!) Vorschäden bei dem Gespräch vom 09.03.2001 erwähnt wurden. Der Schriftsatz vom 15.05.2003 enthält aber keinen entsprechenden Sachvortrag. Soweit es in ihm im Anschluß an die Behauptung, der Zeuge X. habe sämtliche Schäden gekannt, heißt, er habe "also" den Brandschaden H. mit Protokoll vom 22.05.2000 aufgenommen, ist der Sachvortrag nicht nachvollziehbar, zumal dem Kläger hier vorgeworfen wird, mehrere Brandereignisse verschwiegen zu haben. Über welche Vorschäden, die nicht in die Niederschrift vom 09.03.2001 aufgenommen wurden, gesprochen worden sein soll, ist nicht ersichtlich. Woher der Zeuge X. Kenntnisse von Vorschäden hatte, ist ebensowenig nachvollziehbar. Erst recht ist unklar, ob der Zeuge X. die ihm vielleicht aus seiner Tätigkeit tatsächlich bekannten Vorschäden mit dem Kläger in Verbindung brachte oder bringen konnte. Nachdem in dem früheren Schriftsatz vom 14.02.2003 eine Kenntnis des Zeugen X. von Vorschäden aus anderen Erwägungen hergeleitet wurde (nicht etwa mit entsprechenden ausdrücklichen Erklärungen des Klägers begründet wurde) und nachdem in der Berufungsbegründung mit ähnlichen Überlegungen eine bei der Beklagten vorhandene Kenntnis der Vorschäden dargelegt werden sollte, kann der Vortrag im Schriftsatz vom 15.05.2003 nicht dahin verstanden werden, daß der Kläger gegenüber dem Zeugen X. mündlich zutreffende und vollständige Angaben über die Vorschäden gemacht hatte oder aber sich davon überzeugt hätte, daß der Zeuge X. über solche Kenntnisse verfügte. Ein entsprechender Sachvortrag kann auch dem Schriftsatz vom 19.07.2004 nicht entnommen werden, denn dieser Schriftsatz versucht ersichtlich nur, früheren Sachvortrag des Klägers zu interpretieren. Dies und die Vermengung der beiden zitierten Schriftsätze aus der ersten Instanz ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erörtert worden.

Die bei einer folgenlos gebliebenen vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung nach der Relevanzrechtsprechung erforderlichen weiteren Voraussetzungen für den Eintritt der Leistungsfreiheit (vgl. z. B. BGH r+s 1984, 178 = VersR 1984, 228 und ständig; Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rn. 51 ff.; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. Rn. 101 ff.) sind gegeben. Die Obliegenheitsverletzung des Klägers war generell geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, den Kläger trifft ein schweres Verschulden, und er wurde ausdrücklich und zutreffend (auf jeder von ihm unterschriebenen Seite des Protokolls) über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt.

Es wird vermutet, daß die Falschangabe vorsätzlich erfolgte (vgl. § 6 Abs. 3 VVG). Der Kläger müßte die Vorsatzvermutung widerlegen. Insoweit fehlt es jedoch an einem nachvollziehbaren Sachvortrag. Es ist bereits ausgeführt, daß die Darstellung des Klägers zu der behaupteten Kenntnis der Beklagten von Vorschäden unzureichend und nicht nachvollziehbar ist.

Ein erhebliches Verschulden des Klägers ist ebenfalls gegeben. Nur dann, wenn ein Verstoß vorliegt, der auch einem sonst ordentlichen Versicherungsnehmer angesichts der Umstände des Falles leicht unterlaufen kann und für den ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag (vgl. schon BGH VersR 1976, 383 und VersR 1977, 1021), ist erhebliches Verschulden zu verneinen. Eine solche Situation ist hier ersichtlich nicht gegeben. Mehrere Brandschäden größeren Ausmaßes wurden verschwiegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ein Anlaß, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n. F. die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 260.000 €

Ende der Entscheidung

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