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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 06.06.2000
Aktenzeichen: 9 U 155/99
Rechtsgebiete: ZPO, VVG, AKB


Vorschriften:

ZPO § 141
ZPO § 286 Abs. 1
ZPO § 540
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 539
VVG § 12 Abs. 3
AKB § 8 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 155/99 24 O 331/95 LG Köln

Anlage zum Protokoll vom 06.06.2000

Verkündet am 06.06.2000

Meinecke, JHS'in als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 09. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Münstermann, die Richterin am Oberlandesgericht Keller und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Halbach

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 30.09.1999 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 331/95 - aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Köln zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens wird dem Landgericht übertragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin betreibt ein Leasingunternehmen. Sie verlangt auf Grund einer von der Leasingnehmerin mit der Beklagten abgeschlossenen Kaskoversicherung für einen BMW 850 i (amtliches Kennzeichen: ...) Entschädigung wegen eines angeblichen Diebstahls vom 29.01.1994. Mit Leasingvertrag vom 30.03.1992 hatte die Klägerin den Kraftwagen an die U.V. GmbH verleast. Zu Gunsten der Klägerin wurde ein Sicherungsschein ausgestellt.

Die Klägerin hat behauptet, der Geschäftsführer der Leasingnehmerin, der Zeuge U.V., habe am 28.01.1994 das Fahrzeug gegen 18.30 Uhr hinter seiner Wohnung vor einer Garage abgestellt. Gegen 2.00 Uhr nachts sei der Wagen noch dort gesehen worden, als der Zeuge zu diesem Zeitpunkt aus dem Fenster geschaut habe. Am 29.01.1994 habe er gegen 8.15 Uhr festgestellt, dass das Fahrzeug gestohlen worden sei. Der Wiederbeschaffungswert sei mit 100.000,-- DM anzusetzen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 100.000,-- DM nebst 12 % Zinsen seit dem 11.11.1995 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den Ablauf der Frist nach § 12 Abs. 3 VVG berufen, weil sie bereits mit Schreiben vom 16.09.1994 den Versicherungsschutz versagt habe, die Klage aber erst am 25.10.1995 bei Gericht eingegangen sei. Außerdem hat die Beklagte die Entwendung bestritten. Es sei vielmehr von einem vorgetäuschten Diebstahl auszugehen. Die Leasingnehmerin sei nahezu "pleite" gewesen. Ein von der Beklagten beauftragter Sachverständiger habe die drei übergebenen Fahrzeugschlüssel überprüft. Danach hätten sämtliche Schlüssel Gebrauchsspuren aufgewiesen, der überreichte Nebenschlüssel und der Hauptschlüssel mit Infrarot - Fernbedienung hätten aber nicht zu dem als gestohlen gemeldeten Fahrzeug gehört. Der Zeuge V. habe bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, dass er beim Kauf des Wagens drei Schlüssel erhalten hätte. In Wahrheit habe er aber vier Schlüssel erhalten. Außerdem habe der Zeuge V. bei der Polizei die Laufleistung mit 65.000 km, eine Woche später gegenüber der Beklagten mit 55.000 km angeben. Der Wiederbeschaffungswert betrage netto 78.608,70 DM.

Der Zeuge V. ist in den Terminen zur Beweisaufnahme vor der Kammer vom 05.12.1996, 13.11.1997, 13.8.1998, 18.02.1999 und 09.09.1999 nicht erschienen. Wegen der Einzelheiten der Umstände wird auf die jeweiligen Sitzungsniederschriften des Landgerichts verwiesen. Die Vorführung zu dem letzten Termin konnte nicht ausgeführt werden, weil der Zeuge inzwischen umgezogen war.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis des äußeren Bildes des Diebstahls nicht erbringen können, da der einzige von ihr benannte Zeuge, der Geschäftsführer der Leasingnehmerin V., nicht erreichbar sei und durch sein Verhalten zu erkennen gegeben habe, dass er nicht bereit sei auszusagen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses ihren Prozeßbevollmächtigten am 05.10.1999 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Klägerin am 04.11.1999 Berufung eingelegt, die sie nach Fristverlängerung bis zum 06.02.2000 mit am 07.02.2000 (Montag) bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht im Wesentlichen geltend, das Landgericht hätte jedenfalls die Klägerin als Anspruchsinhaberin zum äußeren Bild anhören müssen, wenn der einzige Zeuge nicht erscheine. Sie beruft sich weiterhin insoweit auf das Zeugnis des Zeugen V.. Da der Zeuge die weiteren Schlüssel zusammen mit anderen in einer Schublade aufbewahrt habe, sei es nicht ungewöhnlich, dass er auf Grund der Vielzahl der vorhandenen Schlüssel nicht mehr gewusst habe, wie viele und welche zu dem BMW 850i gehörten.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nach ihren Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen,

hilfsweise ihr zu gestatten, eine Sicherheit auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank, oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, die Klägerin könne aus eigener Wahrnehmung keine Angaben machen. Auf das Protokoll der Vernehmung des Zeugen V. im Ermittlungsverfahren könne sich die Klägerin nicht stützen. Die Beklagte verweist im übrigen auf das Schlüsselgutachten und trägt darüber hinaus vor, es sei unverständlich, wie das Fahrzeug trotz eingeschalteter Alarmanlage gestohlen worden sein soll. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Wagen gegen den Willen des Zeugen V. entwendet worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der Schriftsätze sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akte STA Essen 58 UJs 330/94 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin führt gemäß § 539 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, weil das Verfahren des ersten Rechtszuges an einem wesentlichen Mangel leidet, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht.

I. 1. Die Klagefrist der §§ 12 Abs. 3 VVG, 8 Abs. 1 AKB ist allerdings eingehalten.

Es fehlt nämlich an einer im Sinne der genannten Vorschriften ordnungsgemäßen Belehrung desjenigen, der den Anspruch gegen den Versicherer erhebt. Ohne einen solchen Hinweis beginnt die Klagefrist nicht zu laufen (vgl. Prölss in Prölss / Martin, VVG, 26. Aufl., § 12, Rn 35 mit weiteren Nachweisen). Eine korrekte Rechtsbelehrung ist mit dem Schreiben vom 18.07.1994 nur gegenüber den Rechtsanwälten Klein & Kollegen erfolgt. Diese hatten sich aber nur für die Versicherungsnehmerin, die V. GmbH, bestellt. Das Schreiben der Beklagten vom 18.07.1994 gegenüber der Klägerin enthält keine Rechtsbelehrung. Der Hinweis hat sich jedoch an den richtigen Empfänger der Ablehnung zu richten. Das ist der Versicherte, wenn er, wie hier, als Sicherungsscheininhaber über seine Ansprüche verfügen kann (vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 12 VVG, Rn 31, 35 ).

Das Schreiben der Rechtsanwälte B. und Kollegen als Bevollmächtige der Klägerin vom 08.09.1994 führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Hierin wird von diesen nur nachgefragt, ob die Beklagte gegenüber der Versicherungsnehmerin die Zahlung unter Hinweis auf die Sechsmonatsfrist abgelehnt habe. Die Wirkung der Belehrung tritt damit gegenüber der Klägerin nicht ein. Der darauf folgende Hinweis der Beklagten im Schreiben vom 16.09.1994 reicht nicht aus. Er enthält keine Belehrung gegenüber der Klägerin beziehungsweise deren Bevollmächtigten. Ein solche wäre aber erforderlich gewesen.

2. Das Landgericht ist jedoch verfahrensfehlerhaft davon ausgegangen, daß die Klägerin den ihr obliegenden Nachweis des äußeren Bildes des Diebstahls nicht habe erbringen können, nachdem der einzige von ihr benannte Zeuge nicht erreichbar sei. Im Hinblick auf die Klärung dieser - beweiserheblichen - Frage liegt ein Verfahrensverstoß wegen unterbliebener vollständiger Aufklärung vor.

Für den Nachweis des äußeren Bildes der Entwendung reicht es in der Regel aus, wenn der Versicherungsnehmer beweist, dass das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt und später dort nicht wieder aufgefunden worden ist (vgl. zum Beispiel BGH, r + s 1995, 288 = VersR 1995,909; r + s 1993, 169 = VersR 1993, 571). Kann der Versicherungsnehmer den Nachweis nicht durch Zeugen erbringen, so kommt seine Anhörung nach § 141 ZPO in Betracht.

Wenn allerdings ein Zeuge zum Nachweis des äußeren Bildes vorhanden ist, so befindet sich der Versicherungsnehmer nicht in Beweisnot. Vielmehr muss der Zeuge, wenn er benannt ist, auch vernommen werden (vgl. BGH, r + s 1997, 276; siehe auch OLG Hamm, r + s 1997, 491). So liegt es hier. Auf die Verwertung von Angaben im Ermittlungsverfahren im Wege des Urkundenbeweises darf unter diesen Umständen nicht zurückgegriffen werden (vgl. Zöller - Greger, ZPO, 21. Aufl., § 373, Rn 9 mit weiteren Nachweisen).

Eine Anhörung des Geschäftsführers der Komplementärin der Klägerin als Leasingeberin zum äußeren Bild scheidet aus. Die Anhörung ist nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn die Partei Gewährsperson für das Abstellen und Nichtwiederauffinden ist. Im vorliegenden Fall kann die Klägerin, vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter, zum Nachweis des äußeren Bildes der Entwendung jedoch aus eigener Wahrnehmung nichts beitragen, weil sie mit dem Abstellen des Fahrzeugs am maßgebenden Tage nichts zu tun hatte.

Kommt es danach allein auf den einzigen Zeugen V. an, so hat das Landgericht fehlerhaft angenommen, der Zeuge sei unerreichbar und werde sich um jeden Preis einer Vernehmung entziehen. Damit hat das Landgericht seiner durch § 286 Abs. 1 ZPO begründeten Pflicht zur möglichst vollständigen Aufklärung des Sachverhalts durch Vernehmung eines benannten Zeugen nicht entsprochen (vgl. dazu BGH, NJW 1992, 1768). Im Interesse einer umfassenden Klärung der Sache sind an die Annahme der Unerreichbarkeit eines Zeugen und der Prognose des dauernden Sichentziehens strenge Anforderungen zu stellen. Unerreichbar ist ein Zeuge nur, wenn er auf unabsehbare Zeit nicht erreicht werden kann (vgl. Zöller - Greger, ZPO, 21.Aufl., vor § 284, Rn 11a; Thomas - Putzo, ZPO, § 284, Rn 7). Davon kann hier, jedenfalls nach den bisherigen Umständen, nicht ausgegangen werden.

Der Zeuge V. ist in den Terminen zur Beweisaufnahme vor dem Landgericht am 05.12.1996, 13.11.1997 und 13.08.1998 nicht erschienen und hat die gegen ihn ausgesprochenen Ordungssgelder, in den ersten beiden Fällen vollständig und im übrigen teilweise, beglichen. Zu dem neu angesetzten Termin zur Beweisaufnahme vom 18.02.1999 sollte der Zeuge vorgeführt werden. Der Gerichtsvollzieher hat dazu mitgeteilt, er habe den Zeugen nicht angetroffen. Sodann ist ein weiterer Vorführungsbefehl zu dem Termin vom 09.09.1999 unter der Anschrift "G. W.straße " in H. ergangen. Diese Vorführung ist gescheitert, weil der Zeuge dort nicht mehr wohnhaft war und nach dem Inhalt des Vermerks des mit der Vorführung betrauten Wachtmeisters seit circa drei Monaten nach "H. Weg " in H. umgezogen war. Unter dieser Anschrift ist eine Vorführung indes nicht versucht worden.

Ausweislich der Niederschrift der Sitzung vom 09.09.1999 hat der Vertreter der Klägerin erklärt, einer ihrer Mitarbeiter habe versucht, mit dem Zeugen Kontakt aufzunehmen, um ihn an den heutigen Termin "zu erinnern". Dieser habe den Zeugen erreicht, der mitgeteilt habe, "dass er den Termin vergessen habe und gerade dienstlich nach Belgien unterwegs sei". Auf welche Weise der Zeuge Kenntnis vom Termin erlangt hatte, den er "vergessen" haben will, ist unklar geblieben. Damit durfte sich das Landgericht jedoch nicht zufrieden geben und seine Bemühungen einstellen. Aus den Umständen war nämlich, angesichts der nicht mehr zutreffenden Anschrift im Vorführungsbefehl, nicht der Schluss zu ziehen, der Zeuge werde endgültig nicht vor dem Gericht erscheinen.

3. Eine solche unterbliebene gebotene Aufklärung stellt sich als wesentlicher Verfahrensmangel dar ( vgl. BGH, NJW 1992, 1768; Thomas - Putz, a.a.O., § 539, Rn 7; Zöller - Gummer, a.a.O., § 539, Rn 16). Da das Urteil nicht verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist, war es aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Senats nach § 540 ZPO lagen nicht vor.

4. Auf die - möglicherweise - auch noch aufzuklärenden Fragen im Zusammenhang mit der Vortrag der Beklagten zur erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung der Entwendung und zu einer Obliegenheitsverletzung kam es danach nicht an.

II. Da noch nicht feststeht, welche Seite, gegebenenfalls in welchem Umfang, obsiegen wird, ist die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens dem Landgericht zu übertragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Die Beschwer ist nach § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzen.

Streitwert für die Berufungsinstanz und Wert der Beschwer der Klägerin und der Beklagten: 100.000,-- DM.



Ende der Entscheidung

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