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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: 9 U 17/06
Rechtsgebiete: BGB, ARB 94, VVG, EStG, WpHG


Vorschriften:

BGB § 826
ARB 94 § 1
ARB 94 § 2 a
ARB 94 § 3 Abs. 2 f
VVG § 158 l Abs. 2
EStG § 23
WpHG § 2 Abs. 2a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 22. Dezember 2005 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 288/05 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag (Versicherungsscheinnummer X**-**********-*) für die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14. Mai 2004 (Az: 20 O 8814/02) bedingungsgemäßen Rechtsschutz zu gewähren hat.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen dem Kläger und dem H. L. besteht eine im Urteilstenor konkretisierte Rechtsschutzversicherung, auf die die ARB 94 Anwendung finden. Die Beklagte ist für den Versicherer als Schadensabwicklungsunternehmen tätig.

Der Kläger erhielt von der Beklagten eine Deckungszusage für einen Rechtsstreit, den er vor dem Landgericht München I (Aktenzeichen 20 O 8814/02) gegen Herrn C. T., Frau J. C. und die D. AG führte. Er nahm die dortigen Beklagten auf Ersatz von 288.013,54 € in Anspruch, weil er einen entsprechenden Schaden durch den Erwerb bzw. durch den späteren Verkauf von Aktien der Firma D. AG erlitten hatte. Nachdem das Landgericht München I mit Urteil vom 14. Mai 2004 die Klage abgewiesen hatte, verneinte die Beklagte ihre Einstandspflicht für die vom Kläger beabsichtigte Berufung mit der Begründung, der Aktienerwerb sei als ein Spekulationsgeschäft zu werten. Die dennoch vom Kläger durchgeführte Berufung hatte Erfolg. Die Eheleute C. und die D. AG wurden als Gesamtschuldner zu Schadensersatz in der beantragten Höhe verurteilt (Urteil des OLG München vom 28. April 2005 - 23 U 4675/04 -, GA 28 ff), die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm aus dem zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag (Versicherungsscheinnummer X**-**********-*) für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Herrn C. T., Frau J. C. und die D. AG u. a. wegen sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB im Zusammenhang mit dem Erwerb der Aktien der D. AG am 25.4.2001 bedingungsgemäß Versicherungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und einen Risikoausschluss gemäß § 3 Abs. 2 f ARB 94 bejaht, weil der Aktienerwerb hier als ein einem Termingeschäft vergleichbares Spekulationsgeschäft anzusehen sei. Wegen der Einzelheiten und der übrigen Feststellungen wird auf das Urteil Bezug genommen. Mit der Berufung greift der Kläger die Entscheidung und die Annahme der Voraussetzungen des fraglichen Risikoausschlusses an.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des am 22. Dezember 2005 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln, Az.: 24 O 288/05, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm aus dem zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag (Versicherungsscheinnummer X**-**********-*) für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Herrn C. T., Frau J. C. und die D. AG unter anderem wegen sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB im Zusammenhang mit dem Erwerb der Aktien der D. AG am 25. April 2001 bedingungsgemäßen Versicherungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sein Antrag sich nur auf das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht München bezieht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage bestehen schon deshalb keine Bedenken, weil eine (endgültige) Kostenausgleichung der durch das Berufungsverfahren entstandenen Kosten noch nicht stattgefunden hat.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Die Beklagte ist zur Gewährung von Rechtsschutz für das vor dem Oberlandesgericht München geführte Berufungsverfahren verpflichtet, §§ 1, 2 a ARB 94. Der Kläger nimmt entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 158 l Abs. 2 VVG zutreffend nicht den Rechtsschutzversicherer, sondern die Beklagte als das für den Versicherer tätige Schadensabwicklungsunternehmen in Anspruch.

Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf einen Risikoausschluss gemäß § 3 Abs. 2 f ARB 94. Nach dieser Bestimmung besteht kein Rechtsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen "in ursächlichem Zusammenhang mit Spiel- oder Wettverträgen sowie Termin- oder vergleichbaren Spekulationsgeschäften". Darüber, dass der Aktienerwerb, durch den das Vermögen des Klägers geschädigt wurde, nicht als Spiel- oder Wettvertrag anzusehen ist, besteht Einigkeit, so dass weitere Ausführungen hierzu entbehrlich sind. Auch ein Termingeschäft im eigentlichen Sinn liegt nicht vor (zur Definition ausführlich OLG Karlsruhe NJW-RR 2004, 325, vgl. auch LG München I NJW 2002, 1807).

Der Aktienkauf ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch nicht als ein einem Termingeschäft vergleichbares Spekulationsgeschäft anzusehen. Für die Auslegung des vereinbarten Risikoausschlusses kommt es auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers an (vgl. etwa BGHZ 123, 83, 85; BGH VersR 2006, 968). Für die Auslegung ist neben dem Wortlaut und dem mit der Klausel verfolgten Zweck auch der erkennbare Sinnzusammenhang entscheidend (BGH Urteil vom 25. September 2002 - IV ZR 248/01 - VersR 2002, 1503 unter 2 b).

Auf den Begriff des Spekulationsgeschäfts im Sinne des Einkommensteuergesetzes ist nicht abzustellen, weil nach dem Inhalt der vereinbarten Bedingungen (§ 3 Abs. 2 f ARB 94) die Vergleichbarkeit mit einem Termingeschäft entscheidendes Kriterium für den Ausschluss vom Versicherungsschutz sein soll (OLG Karlsruhe a.a.O.). Dieses Kriterium hat mit dem steuerrechtlichen Begriff des Spekulationsgeschäfts nichts zu tun. Der Begriff "Spekulationsgeschäft" findet sich nur in früheren Fassungen des Einkommensteuergesetzes, für Veranlagungszeiträume ab 1999 wurde er durch den Begriff des "privaten Veräußerungsgeschäfts" in § 23 EStG ersetzt (vgl. zur historischen Entwicklung BVerfG, Urteil vom 9. März 2004, Az: 2 BvL 17/02 BVerfGE 110, 94 - 141 unter A I. 2.). Der Sinn und Zweck der Besteuerung von privaten Veräußerungsgeschäften bzw. Spekulationsgeschäften im Sinne des § 23 EStG liegt darin, dass Wertmehrungen aus verhältnismäßig kurzfristigen Wertdurchgängen eines Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer unterworfen werden sollen (vgl. BVerfG a.a.O. unter A I. 3. mit Verweis auf die Urteile des BFH vom 30. November 1976 - VIII R 202/72 -, BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384, unter II b, und vom 29. März 1989 - X R 4/84 -, BFHE 156, 465, BStBl II 1989, 652, unter a). Der rein zeitliche Anknüpfungspunkt spielt aber für den von der Beklagten in den ARB 94 vorgesehenen Risikoausschluss ersichtlich keine Rolle. Vielmehr sollen Termingeschäfte sowie die diesen vergleichbaren Geschäfte nicht von der Rechtsschutzversicherung erfasst werden, weil sie von vornherein mit einem extrem hohen wirtschaftlichen Risiko behaftetet sind, das nicht in den Bereich der gedeckten Geschäfte übernommen werden soll.

Ein Aktienerwerb kann grundsätzlich einem Termingeschäft nicht gleichgestellt werden. Unter den Begriff des Termingeschäfts fallen nach üblichem Verständnis und der in § 2 Abs. 2a WpHG (in der aktuellen Fassung) niedergelegten Definition solche Geschäfte, bei denen der Anleger bindende Verpflichtungen für einen zukünftigen Zeitpunkt eingeht und bei denen der Preis durch künftige Entwicklungen des Marktes bestimmt wird. Derartige Geschäfte sind durch den hinausgeschobenen Erfüllungszeitpunkt und durch die besonderen Risiken der Marktentwicklung gekennzeichnet. Sie sind durch als Spekulation auf eine günstige, aber ungewisse Entwicklung des Marktpreises, die die Auflösung des Terminengagements ohne Einsatz eigenen Vermögens durch ein gewinnbringendes Glattstellungsgeschäft ermöglichen soll, anzusehen (BGHZ 103, 84, 88; BGH Urteil vom 12. März 2002, Az: XI ZR 258/01, BGHZ 150, 164-172). Ein Aktienerwerb an der Börse birgt solche wirtschaftlichen Risiken nicht. Das Geschäft ist von beiden Parteien sogleich zu erfüllen und der Anleger erhält durch die Aktie eine Beteiligung, die der jeweiligen Bewertung am Markt entspricht. Die weitere Entwicklung des Aktienwertes hängt von der Geschäftsentwicklung des Unternehmens ab und von der Bewertung dieser Entwicklung durch den Markt. Ob ein als Börsengeschäft abgewickelter Aktienerwerb bei besonderen Risiken im Einzelfall einem Termingeschäft vergleichbar sein kann, erscheint als zweifelhaft, bedarf aber hier keiner Entscheidung, denn dafür, dass der Kläger ein derartiges Risiko eingehen wollte, ist nichts ersichtlich. Der Kläger hat sich vielmehr nach seiner unwidersprochenen Darstellung durch Rückfragen vergewissern wollen, ob die Unternehmensberichte der D. AG zuverlässig waren. Er hat insoweit positive Auskünfte erhalten und sich daraufhin zum Erwerb der Aktien entschieden. Der später eingetretene rapide Wertverlust der vom Kläger erworbenen Aktien beruhte nicht auf den üblichen Risiken des Marktes, sondern auf dem betrügerischen Handeln von Personen, die für die D. AG im Rechtsverkehr tätig wurden. Die vom Kläger aus diesem Grund in Anspruch genommenen (natürlichen) Personen sind auch wegen entsprechender Straftaten unbestritten rechtskräftig verurteilt worden.

Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg. Die geringfügig vom Wortlaut des Klageantrags abweichende Tenorierung geschieht zur Klarstellung und bedeutet keine inhaltliche Einschränkung des verfolgten Klageziels.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ein Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht. Für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nichts ersichtlich. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Selbst wenn man annimmt, dass ein Aktienkauf im Einzelfall als Spekulationsgeschäft angesehen und einem Termingeschäft gleichgestellt werden kann, führt dies zu keiner anderen Beurteilung des vorliegenden Falles.

Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 37.000 €

Ende der Entscheidung

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