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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 29.08.2000
Aktenzeichen: 9 U 186/98
Rechtsgebiete: ZPO, AKB, VVG


Vorschriften:

ZPO § 141
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 538 Abs. 1 Nr. 3
AKB § 7 Ziffer 5 Nr. 4
AKB § 7 Ziffer 1 Nr. 2
VVG § 6 Abs. 3
VVG § 6 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES GRUNDURTEIL

9 U 186/98 24 O 405/97 (Landgericht Köln)

Anlage zum Protokoll vom 29.08.2000

Verkündet am 29.08.2000

Littek-Driesslein, JAng. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 11.07.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Münstermann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Halbach und die Richterin am Landgericht Schneider

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 16.11.1998 - 24 O 405/97 - abgeändert:

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs wird die Sache an die 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

- Ohne Tatbestand gemäß § 543 Abs. 1 ZPO -

Entscheidungsgründe:

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Der geltend gemachte Anspruch ist dem Grunde nach gegeben. Diese Feststellung folgt aus dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme. Da der Rechtsstreit zum Grund des Anspruchs entscheidungsreif ist, kann insoweit Grundurteil ergehen. Zur Höhe des geltend gemachten Anspruchs ist dagegen weiterer Beweis zu erheben, so dass der Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen war.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Entschädigung aus der Kaskoversicherung gegen die Beklagte gemäß §§ 1 Abs. 1, 49 VVG; 12 Abs. 1 Ziffer I b AKB wegen des Diebstahls am 02.11.1996 zu.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts scheitert der Anspruch nicht bereits daran, dass die Beklagte aufgrund einer Obliegenheitsverletzung des Klägers von der Leistung frei geworden wäre. Zwar ist der Versicherungsnehmer nach § 7 Ziffer I Nr. 2 AKB verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands dienlich sein kann. Hierzu gehört auch, dass er alle sachgerechten Fragen des Versicherers wahrheitsgemäß beantworten muss. Verstöße führen nach Maßgabe von § 7 Ziffer V Nr. 4 AKB i. V. m. § 6 Abs. 3 VVG zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen gilt dies bei folgenlos gebliebenen vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen jedoch nur, wenn der Versicherungsnehmer über die Konsequenzen falscher Angaben in den Schadenfragebögen ordnungsgemäß belehrt worden ist (vgl. BGH VersR 67, 593).

Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er habe dem Zeugen B. gegenüber bei Aufnahme der Schadenanzeige nicht erwähnt, dass es sich bei dem Fahrzeug um einen Unfallwagen handele. Diese behauptete Obliegenheitsverletzung ist jedoch folgenlos geblieben, denn die Beklagte hat keinen Nachteil erlitten. Sie hat keine Leistungen an den Kläger erbracht und den früher einmal begutachteten Vorschaden alsbald durch eigene Ermittlungen aufgedeckt. Leistungsfreiheit der Beklagte käme demnach nur in Betracht, wenn der Kläger im Rahmen der Aufnahme der Schadenanzeige ordnungsgemäß über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt worden wäre. Das ist hier jedoch nicht der Fall, denn die von der Beklagten in der Schadenanzeige (Bl. 40 d. A.) verwendete Belehrung ist unzureichend und rechtlich unzutreffend.

Die Belehrungspflicht des Versicherers ist daraus abzuleiten, dass die Regelung des § 6 Abs. 3 S. 1 VVG eine für den Versicherungsnehmer äußerst einschneidende Rechtsfolge enthält, nämlich Totalverlust des Versicherungsschutzes bei vorsätzlich falschen Angaben, auch wenn dem Versicherer daraus kein Nachteil entstanden ist. Eine solche Rechtsfolge ist dem Zivilrecht sonst unbekannt. Die ausreichende und in der Regel von den Versicherern verwendete Belehrung lautet daher wie folgt:

"Bewusst unwahre oder unvollständige Angaben führen auch dann zum Verlust des Versicherungsschutzes, wenn dem Versicherer daraus kein Nachteil entsteht" (vgl. OLG Köln, r + s 97, 317; 99, 362, 363).

Der von der Beklagten verwendete Belehrungstext weicht von dieser - allgemein üblichen - Formel insoweit ab, als ein Verlust des Versicherungsschutzes auch dann eintreten soll, wenn die unrichtigen Angaben "... für die Entscheidung der Sache keine Bedeutung haben."

Durch diesen Hinweis ist der Kläger nicht ausreichend belehrt worden. Die Aufklärungsobliegenheiten des Versicherungsnehmers gemäß § 7 Ziffer 1 Nr. 2 AKB gehen nur soweit, wie das Aufklärungsinteresse des Versicherers reicht, d. h., der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, alle die Angaben zu machen, die der Versicherer benötigt, um eine Entscheidung im Regulierungsverfahren zu treffen. Was für die Regulierungsentscheidung hingegen keine Bedeutung hat, unterliegt auch nicht der Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers, so dass falsche Angaben insoweit auch nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen können. Dagegen ergibt sich aus der Belehrung der Beklagten gerade nicht, dass die Falschbeantwortung von Fragen, die für die Feststellung des Schadens sehr wohl Bedeutung haben, auch dann zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, wenn diesem im Einzelfall daraus kein Nachteil erwachsen ist. Die Belehrung ist somit missverständlich und daher nicht geeignet, Leistungsfreiheit des Versicherers bei einer vorsätzlichen, jedoch folgenlos gebliebenen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach sich zu ziehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. r + s 97, 317, 318; 99, 362, 363).

Da eine Abweisung der Klage infolge einer Obliegenheitsverletzung des Klägers nicht in Betracht kommt, hatte der Senat die zwischen den Parteien streitige Frage aufzuklären, ob es am 02.11.1996 tatsächlich zu einem Diebstahl des versicherten Fahrzeugs gekommen ist.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist es dem Kläger gelungen, ein Mindestmaß an Tatsachen zu beweisen, aus denen sich das äußere Bild eines Diebstahls schließen lässt. Da der Versicherungsnehmer in der Diebstahlversicherung den Vollbeweis für den Eintritt des Versicherungsfalles in den allerwenigsten Fällen wird führen können, gewährt die Rechtsprechung dem Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen. Der Versicherungsnehmer muss lediglich einen Sachverhalt darlegen und beweisen, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Fahrzeugentwendung zulässt (BGH VersR 84, 29). Verlangt wird nicht der Vollbeweis, sondern nur der Nachweis des äußeren Bildes einer Fahrzeugentwendung. Dazu reicht in der Regel der Nachweis, dass der Versicherungsnehmer sein Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt und dort später nicht wieder aufgefunden hat (BGH, r + s 95, 288 = VersR 95, 909). Für diesen Mindestsachverhalt muss der Versicherungsnehmer allerdings den Vollbeweis erbringen, z. B. durch einen Zeugen in seiner Begleitung, der das Abstellen und/oder Nichtwiederauffinden des Fahrzeugs gesehen hat (BGH r + s 93, 169 = VersR 93, 571). Fehlen Zeugen für das Abstellen, das Nichtwiederauffinden oder für das gesamte äußere Bild, so kann der Versicherungsnehmer auch durch eigene Angaben im Rahmen einer Anhörung nach § 141 ZPO den erforderlichen Beweis für das äußere Bild führen. Dabei setzt der Nachweis des äußeren Bildes durch eigene Angaben einen uneingeschränkt glaubwürdigen Versicherungsnehmer voraus.

Der Senat hat den Kläger in der Sitzung vom 01.02.2000 (Bl. 204 ff) persönlich gemäß § 141 ZPO angehört und den Zeugen Ba. (Bl. 208) sowie die Zeugin N. (Bl. 210) vernommen. Außerdem hat die Zeugin S. im Wege der Rechtshilfe zur Sache ausgesagt (Bl. 240 ff. d. A.). Trotz einiger Abweichungen in den Aussagen sieht der Senat das äußere Bild des Diebstahls durch die Beweisaufnahme als erwiesen an.

Über das Abstellen des Fahrzeugs haben nur die Zeugin N. und der Kläger in seiner persönlichen Anhörung Angaben machen können. Beide haben übereinstimmend bekundet, dass das Auto auf einem großen Parkplatz, der sich - von der Wohnung der Tante aus gesehen - auf der anderen Straßenseite befand, abgestellt worden ist. Dies entspricht zwar nicht genau den Angaben in der Klageschrift, steht dazu aber auch nicht in einem direkten Widerspruch, denn das Auto war jedenfalls nahe der Straße geparkt worden. In der Klageschrift heißt es: "Das Fahrzeug wurde 50 m vom Haus der Tante entfernt, nämlich auf der Straße G. abgestellt und dort zwischen 20.00 Uhr und 21.00 Uhr an besagtem Tage entwendet." Nach der vom Kläger angefertigten Skizze (Bl. 223) stand das Fahrzeug auf dem Parkplatz, aber nahe der Straße. Die Skizze der Zeugin N. (Bl. 224) macht über den Standort des Wagens keine Aussage, die Zeugin hat aber eindeutig ausgesagt (Bl. 211), das Fahrzeug sei nahe der Straße geparkt worden.

Weitere Differenzen bestehen zwischen den Entfernungsangaben in der Klageschrift (50 m bis zum Haus der Tante) und den Angaben der Zeugin (200m - 300 m). Da solche Entfernungsangaben sehr schwer zu schätzen sind, darf man diese Differenz nicht überbewerten. Letztlich decken sich beide Angaben in der Aussage, das Fahrzeug sei recht nah in Sichtweite der Wohnung der Tante abgestellt worden.

Durch die Aussage der Zeugin N. ist somit bewiesen, dass der Kläger seinen Wagen am Abend des 02.11.1996 auf einem Parkplatz gegenüber der Wohnung der Zeugin S. abgestellt hat.

Zum Nichtwiederauffinden des Fahrzeugs und den danach entwickelten Aktivitäten haben die Zeugen N., S. und Ba. Angaben gemacht. Diese Angaben stimmen in einigen Details nicht überein, geben aber viele andere Details und insbesondere das Kerngeschehen übereinstimmend wieder, so dass das äußere Bild der Entwendung bewiesen ist und es nicht mehr der Anhörung der hierzu noch nachbenannten 3 Zeugen (Bl. 227, 229) bedurfte.

Die Angaben des Klägers und die Aussagen der Zeugen decken sich, soweit behauptet wird, der Kläger nebst Frau und Kleinkind seien am Abend des 02.11.1996 bei der Zeugin S. zu einem kurzen Zwischenstop auf der Rückreise nach Deutschland gewesen. Außerdem seien die Eheleute S. in der Wohnung gewesen. Vom Balkon der Wohnung aus habe man dann festgestellt, dass das Auto nicht mehr auf dem Parkplatz gestanden habe. Der Kläger habe sofort die Polizei angerufen. Vor dem Haus auf dem Weg zur Polizei hätten der Kläger und Herr S. den Zeugen Ba. getroffen, der sie mit seinem Wagen dann zur Polizei gefahren habe. Nach der Rückkehr von der Polizei habe der Kläger seinen Bruder in Deutschland angerufen, der ihn und seine Familie am anderen Tag abgeholt habe. Der Zeuge Ba. sei außerdem mit der Zeugin N. noch zu einem Geschäft gefahren, um Milch und Windeln für das Kind zu kaufen. Bei einem M. K. sei später der Kinderausweis der Tochter des Klägers gefunden worden.

Nicht einigen konnten sich der Kläger und der Zeuge Ba. über die Frage, ob Frau S. mit zur Polizei gefahren ist oder nicht. Da diese Frage im Ergebnis keine Rolle spielt, kann nicht von einer bewussten Falschangabe ausgegangen werden, sondern es dürfte sich insoweit um eine Erinnerungslücke entweder beim Kläger oder bei dem Zeugen handeln. Die Zeugin N. konnte sich insoweit nicht erinnern, die Zeugin S. hat das Ehepaar S. in ihrer Aussage nicht erwähnt, wahrscheinlich weil sie von dem polnischen Richter dazu nicht befragt worden ist.

Unterschiedlich sind die Angaben des Klägers und des Zeugen Ba. außerdem zum genauen Ablauf des Besuchs bei der Polizei. Der Zeuge Ba. will für den Kläger übersetzt haben, dagegen will der Kläger die Anzeige allein aufgegeben haben, während die anderen draußen gewartet haben sollen. Nach einem Zeitablauf von 4 Jahren erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass in einem solchen Punkt unterschiedliche Angaben gemacht werden. Einig waren sich jedenfalls alle Zeugen, dass der Kläger gemeinsam mit Herrn S., möglicherweise mit Frau S. und dem Zeugen Ba. in dessen Wagen zur Polizei gefahren ist und dort wegen des Diebstahls Anzeige erstattet hat. Da die Polizei dann auch eine Fahndung eingeleitet und einen Tatverdächtigen ermittelt hat, bei dem der Ausweis der Tochter des Klägers gefunden worden ist, sind die Differenzen erklärbar mit dem Zeitablauf und dem nun einmal oft unzulänglichen menschlichen Gedächtnis. Sie rechtfertigen es daher nicht, die Aussage der Zeugen im übrigen in Frage zu stellen.

Die unterschiedlichen Angaben zur Frage, wer warum mit wem auf den Balkon gegangen ist und den Verlust des Fahrzeugs festgestellt hat, sind nur auf den ersten Blick widersprüchlich und können zur Deckung gebracht werden. Am genauesten hat die Zeugin N. den Ablauf geschildert. Die Angaben des Klägers und der Zeugin S. stehen dem nicht entgegen, denn letztlich waren 2 Personen ("wir" = Aussage Kläger) auf dem Balkon, wobei Herr S. schon auf dem Balkon gewesen sein kann, als der Kläger (Aussage S.) auf den Balkon ging, um nach dem Auto zu sehen.

Insgesamt rechtfertigt sich durch die Aussagen der Zeugen eine Beurteilung dahingehend, das "äußere Bild" der Entwendung als bewiesen anzusehen.

Für die Annahme einer erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls reichen die Feststellungen nicht aus.

Insofern spricht lediglich gegen den Kläger, dass nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme davon auszugehen ist, dass der Kläger dem Zeugen B. gegenüber den Unfallschaden verschwiegen hat. Außerdem ist eine frühere Klage des Klägers in einer Versicherungssache abgewiesen worden (Bl. 140 ff. d. A.).

Diese Tatsachen allein reichen noch nicht aus, um eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls nahezulegen.

Dem Grunde nach ist die Beklagte daher verpflichtet, den Wiederbeschaffungswert des gestohlenen Fahrzeugs zu ersetzen. Da die Höhe des Anspruchs zwischen den Parteien streitig und der Rechtsstreit insoweit noch nicht zur Entscheidung reif ist, war die Sache gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch im Hinblick auf die Kostenentscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückzuverweisen.

Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Beklagten: 15.000,00 DM



Ende der Entscheidung

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