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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 20.05.2003
Aktenzeichen: 9 U 224/02
Rechtsgebiete: StVG, PflVG, BGB


Vorschriften:

StVG § 7 I
StVG § 7 II
StVG § 17 I
StVG § 18 I a.F.
PflVG § 3 Nr. 1
PflVG § 3 Nr. 2
BGB § 284
BGB § 288
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 U 224/02

Anlage zum Protokoll vom 20.05.2003

Verkündet am 20.05.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 8.4.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Münstermann, die Richterin am Oberlandesgericht Keller und den Richter am Landgericht Dr. Kunkel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 10.10.2002 - 6 O 9/02 - teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.670,87 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz aus 6.288,75 € vom 20.11.2001 bis zum 20.12.2001 und aus 4.670,87 € seit dem 21.12.2001 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten der 1. Instanz tragen der Kläger zu 27%, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 73%. Die Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger zu 40%, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 60%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Verkehrsunfall, der sich am Abend des 21.10.2001 auf der J-Straße in L ereignete. Beteiligt waren der Kläger als Fahrer und Halter eines Citroen mit dem amtlichen Kennzeichen #### und der Beklagte zu 1) als Fahrer und Halter eines Saab mit dem amtlichen Kennzeichen ###1, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.

Der Kläger und der Beklagte zu 1) befuhren beide die J-Straße in Richtung A. Der Unfall ereignete sich im Bereich der F-Straße, wo sich die J-Straße von 2 auf 3 Spuren erweitert. Vor der Ampelkreuzung M-Straße/N-Straße hatte sich ein Rückstau gebildet. Am Ende dieses Rückstaus fuhr der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug des Klägers auf. Das Fahrzeug des Klägers wurde hinten links, das Fahrzeug des Beklagten zu 1) vorne rechts beschädigt. Insgesamt entstand unstreitig ein Sachschaden (einschließlich Wertminderung, Nutzungsausfall und Kostenpauschale) für den Kläger in Höhe von 12.321,67 € = 24.099,09 DM.

Der Kläger behauptet, er habe auf der rechten Fahrspur hinter dem letzten dort stehenden Fahrzeug angehalten. Nachdem er bereits etwa 5 bis 10 Sekunden gestanden habe, sei der Beklagte zu 1) aufgefahren. Der Beklagte zu 1) hingegen trägt vor, er habe den Stau auf der rechten Fahrspur bemerkt und sei deshalb auf die an dieser Stelle beginnende mittlere Fahrspur gefahren, die "relativ frei" gewesen sei. In dem Moment, als er unmittelbar hinter dem Fahrzeug des Klägers gewesen sei, sei dieser, ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen, ebenfalls nach links auf die mittlere Fahrspur ausgeschert, so dass er nicht mehr in der Lage gewesen sei, sein Fahrzeug abzubremsen.

Der Kläger hat vollen Schadensersatz in Höhe von 12.321,67 € = 24.099,09 DM begehrt. Die Beklagte zu 2) hat vor Zustellung der Klage am 12.12.2001 einen Betrag von 6.979,56 DM (3568,59 €) gezahlt. In dieser Höhe hat der Kläger die Klage zurückgenommen. Nach Zustellung der Klage am 18.12.2001 hat die Beklagte zu 2) am 20.12.2001 weitere 3.164,29 DM (1.617,88 €) gezahlt. In dieser Höhe haben die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 23.4.2002 übereinstimmend für erledigt erklärt.

Das Landgericht hat dem Kläger den Ersatz der Hälfte seines Schadens zugebilligt. Unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Zahlungen hat es die Beklagten zur Zahlung weiterer 1.905,69 DM (974,36 €) verurteilt. Es hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Polizeibeamten, der den Unfall aufgenommen hat, und durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen I. Außerdem hat es den Kläger und den Beklagten zu 1) zum Unfallhergang angehört.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger weiterhin sein Begehren, den vollen Schaden in Höhe von 12.321,67 € = 24.099,09 DM ersetzt zu erhalten. Unter Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen beantragt er, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn weitere 12.049,54 DM = 6.160,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 19.11.2001 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 10.10.2002 (Bl. 131 ff. d.A.) Bezug genommen (§ 540 I Nr. 1 ZPO n.F.).

II.

Die zulässige, insbesondere statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagten einen über den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag von 974,36 Euro hinausgehenden Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt noch 4.670,87 € gemäß §§ 7 I, 17 I, 18 I StVG a.F., 3 Nr. 1 und 2 PflVG, 823 BGB.

Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch in Höhe von 80% des aufgrund des Unfalls vom 21.10.2001 verursachten Schadens zu.

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1.) mit seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug des Klägers aufgefahren ist und er dabei die erforderliche Sorgfalt hat vermissen lassen. Zwar hat die alle Beweismittel ausschöpfende Beweisaufnahme weder die Unfallversion des Klägers noch die der Beklagten bestätigen können. Zugunsten des Klägers greift aber der Beweis des ersten Anscheins ein.

Nach einhelliger Ansicht greift der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden, wenn sich beide Fahrzeuge im gleichgerichteten Verkehr befunden haben (KG MDR 2001, 808). Dieser Anscheinsbeweis kann von dem Auffahrenden dann entkräftet werden, wenn er Umstände darlegt, die die ernsthafte Möglichkeit ergeben, dass das Geschehen atypisch verlaufen ist, und er diese Umstände gegebenenfalls auch beweist. Ein solcher atypischer Verlauf liegt beispielsweise dann vor, wenn der Vorausfahrende in engem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall die Fahrspur gewechselt hat (BGH NJW 1991, 230, 231; OLG Köln VRS 93 (1997), 46, 47; OLG Köln VersR 1991, 1195; OLG Schleswig, Urteil vom 18.12.1985 - 9 U 34/85; KG, Urteil vom 1.11.1993 - 12 U 7089/91; KG MDR 2001, 808). Es reicht dementsprechend nicht aus, wenn der Auffahrende bloß behauptet, der Vorausfahrende habe die Spur gewechselt (so ausdrücklich KG, Urteil vom 1.11.1993 - 12 U 7089/91 - und unter Auseinandersetzung mit der Entscheidung des OLG Celle, VersR 1982, 960: OLG Köln VersR 1991, 1195). Es müssen sich aus den unstreitigen oder in der Beweisaufnahme festgestellten Umständen zumindest konkrete Anhaltspunkte und Indizien ergeben, dass dies so gewesen ist.

Solche Umstände haben die Beklagten über die bloße Behauptung des Spurwechsels hinaus nicht darlegen oder gar beweisen können. Der einzige Anhaltspunkt, der für einen Spurwechsel sprechen könnte, ist die geringe Überdeckung der Fahrzeuge. Nach den Feststellungen des Sachverständigen I erreichte die Überdeckung etwa die Breite der Scheinwerfer samt Blinklicht (Bl. 103 d.A.). Diese Feststellung allein kann den Beweis des ersten Anscheins zu Lasten des Auffahrenden jedoch nicht erschüttern. Dieser gilt grundsätzlich auch bei Teilüberdeckung der Stoßflächen (vgl. KG MDR 2001, 808). Der Sachverständige hat dazu auch ausführlich Stellung genommen und dargelegt, dass aus diesem Umstand keinerlei Rückschlüsse auf die Fahrweise der beiden unfallbeteiligten Fahrzeugführer gezogen werden können. Diese geringe Überdeckung wäre wegen der Breite der Fahrspuren sogar dann möglich, wenn beide ohne Spurwechsel in ein und derselben Spur gefahren sind. Die geringe Überdeckung müsste ergänzt werden durch weitere Anhaltspunkte. Ein solcher könnte beispielsweise der Umstand sein, dass der Aufprall schräg erfolgt ist (vgl. KG MDR 2001, 808). Dies hat der Sachverständige aber gerade nicht festgestellt. Vielmehr lässt sich aus den Beschädigungen der beiden Fahrzeuge keine Winkelabweichung ermitteln. Sonstige Umstände sind ebenfalls nicht ersichtlich. Aus der Unfallanzeige und den - zugegebenermaßen nicht sehr ergiebigen - Ausführungen des Zeugen POM T ergibt sich nicht der geringste Anhaltspunkt für einen Fahrspurwechsel des Klägers.

Aus dem Eingreifen des Anscheinsbeweises folgt, dass eine Schadensteilung 50:50, wie sie das Landgericht in Anlehnung an die der absolut h. Rspr. entgegenstehenden Entscheidung des OLG Celle (VersR 1982, 960) vorgenommen hat, nicht bestehen bleiben kann. Dies führt indes nicht dazu, dass der Kläger in vollem Umfang obsiegt. Er muss sich vielmehr die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs anrechnen lassen. Dies wäre gemäß § 7 II, 18 I StVG a.F. dann nicht der Fall, wenn er beweisen könnte, dass der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Dieser Beweis ist dem Kläger nicht gelungen. Die Beweisaufnahme hat den Hergang des Unfalls nicht klären können. Es ist auch denkbar, dass die Version der Beklagten zutrifft und der Kläger einen Fahrspurwechsel vorgenommen hat. Der Anscheinsbeweis hilft dem Halter und Fahrer bei dem von ihm zu erbringenden Beweis der Unabwendbarkeit nicht weiter (Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 36. Aufl. 2001, § 7 StVG Rdnr. 48; Greger in Großkommentar StVG, § 7 Rdnr. 515; OLG Naumburg NZV 1995, 73; OLG Hamburg VersR 1967, 886, 887). Die Betriebsgefahr ist mit einer Quote von 20% anzusetzen.

Die Höhe des Anspruchs ist zwischen den Parteien unstreitig. Der gesamte Schaden des Klägers betrug 24.099,49 DM = 12.321,67 €. Die Beklagten haben 80% dieses Schadens zu ersetzen, mithin 19.279,27 DM = 9.857,34 €. Unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen in Höhe von 10.143,85 DM = 5.186,47 € verbleibt ein noch auszugleichender Teil von 9.135,43 DM = 4.670,87 €.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 284, 288 BGB. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, er habe zuletzt am 13.11.2001 mit Fristsetzung zum 19.11. 2001 zur Zahlung aufgefordert. Bis zur Teilzahlung in Höhe von 3.164,29 DM = 1.617,88 € am 20.12.2001 sind die Zinsen aus 6.288,75 €, danach aus 4.670,87 € zu erbringen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 269 III , 92, 91a ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Anlass, gemäß § 543 II ZPO n.F. die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Streitwert:

Für die erste Instanz: bis 23.4.2002 24.099,09 DM = 12.321,67 € danach 13.955,24 DM = 7.135,20 € Für das Berufungsverfahren: 12.049,55 DM = 6.160,84 €

Ende der Entscheidung

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