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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 29.01.2008
Aktenzeichen: 9 U 71/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, VVG, AVB, HGB


Vorschriften:

ZPO § 68
ZPO § 73
ZPO § 74
ZPO § 256 Abs. 1
BGB § 398
BGB § 1282
VVG § 154 Abs. 1
VVG § 156 Abs. 1
VVG § 157
AVB § 1 Abs. 1
AVB § 4 Nr. 5
HGB § 25
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 22.02.2007 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 24 O 246/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

(abgekürzt nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)

I. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, auf Grund der Vermögenshaftpflichtversicherung zwischen der T GmbH und der Beklagten den Schaden zu ersetzen, der der Klägerin auf Grund der fehlerhaften Anlageberatung des Beraters I M bezüglich der Genussrechte der T GmbH, Genussrechtsserie X XXX, vom 13.12.2001 über 6.135,50 € sowie vom 05.02.2002 über 7.500,00 € entstanden ist. Hilfsweise begehrt sie Zahlung von 13.635,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin.

II. Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Der Klägerin hat zwar ein rechtliches Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der von ihr begehrten Feststellung.

Wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet ist, so erwirbt der Geschädigte entsprechend § 1282 BGB ein Einziehungsrecht unmittelbar gegenüber dem Versicherer, sobald der Anspruch fällig geworden ist (vgl. BGH, VersR 1991, 414; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 1020; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 157, Rn 3). Wird der Anspruch zur Insolvenztabelle festgestellt, so tritt Fälligkeit im Sinne von § 154 Abs. 1 VVG (jeweils a.F.) ein. Auch wenn man berücksichtigt, dass sich die Feststellung zur Insolvenztabelle durch das inzwischen rechtskräftige Urteil im Haftungsprozess des Landgerichts Hof - 32 O 859/03 - Oberlandesgericht Bamberg 8 U 77/04 - nur auf das Vermögen der T AG als Rechtsnachfolgerin der Versicherungsnehmerin, T GmbH, bezieht, so besteht auch in diesem Fall ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Deckung gegenüber dem Haftpflichtversicherer (vgl. zur Beschränkung auf die Feststellungsklage BGH, VersR 1991, 414; VersR 2001, 90; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 1020; Langheid in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 157, Rn 3). Aus der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung, wie sie in den Schutzvorschriften für den Geschädigten, §§ 157, 156 Abs. 1 VVG, zum Ausdruck kommt, ergibt sich, dass dem Geschädigten jedenfalls ein rechtliches Interesse an einer gerichtlichen Feststellung des Deckungsschutzes zukommen soll (vgl. BGH, aaO).

2. Der Klägerin steht gegen die Beklagte jedoch kein Anspruch aus der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung nach den §§ 1 Abs. 1 AVB i. V. 154, 157 VVG, 398 BGB zu.

a) Der Entschädigungsanspruch der Klägerin gegenüber der Versicherungsnehmerin ist vom Deckungsumfang der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung der T GmbH nicht erfasst.

aa) Die Klägerin leitet ihren Anspruch aus einer fehlerhaften Anlageberatung durch den Mitarbeiter der T GmbH, I M, her.

Nach Teil II Nr. 1 der Besonderen Vereinbarungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung der T GmbH (Bl. 17 GA) besteht Versicherungsschutz nur für "die Vermittlung von geschlossenen Immobilienfonds und Genussrechten", wobei die Haftung "wegen unrichtigen Prospektinhalts oder wegen von dem Prospekt abweichenden Angaben" nicht versichert ist.

Die Klägerin hat vorgetragen und auch in ihrem Feststellungsantrag zum Ausdruck gebracht ("fehlerhafte Anlageberatung"), dass der Mitarbeiter M die Klägerin und ihren Ehemann aufgesucht habe, um sie in vermögensrechtlichen Angelegenheiten zu beraten. Der Berater M habe die gesamte finanzielle Situation der Eheleute überprüft. Gegenstand der Vermögensberatung sei dabei das Gesamteinkommen der Eheleute und deren sinnvolle, langfristige und seriöse Anlagestrategie gewesen. In diesem Zusammenhang habe der Berater dem Ehemann der Klägerin unter anderem geraten, eine private Rentenversicherung durch eine anderweitige zu ersetzen. Inhalt und Hauptgrund der vermögensrechtlichen Beratung sei gewesen, dass die Eheleute einen Geldbetrag von circa 12.000,00 DM, den sie aus einem verlustreichen Verkauf von Aktienfondsanteilen zur Verfügung hatten, seriös und konservativ anlegen wollten. Damit ist die Tätigkeit des Mitarbeiters der T GmbH als Anlageberatung und nicht als Anlagevermittlung gekennzeichnet (vgl. zur Anlagenberatung BGH, NJW-RR 2006, 109; MDR 2006, 2041). Dementsprechend hat in Übereinstimmung damit auch das Landgericht Hof im Haftpflichtprozess durch Urteil vom 17.11.2004 festgestellt, dass die Klägerin und ihr Ehemann nicht lediglich um eine Vermittlung einer Beteiligung gebeten, sondern eine umfassende Anlageberatung gewünscht und auch erhalten hätten. Dies zeige sich darin, dass der Ehemann der Klägerin nicht nur Genussrechte gezeichnet habe, sondern vielmehr auch eine Rentenversicherung sowie eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen habe.

Soweit die Klägerin geltend macht, der Mitarbeiter M habe Pflichten eines Anlagevermittlers verletzt, kann dem bei Überprüfung des hier vorliegenden Pflichtenkreises nicht gefolgt werden. Der Anlageberater schuldet nicht die Vermittlung einer bestimmten Kapitalanlage, sondern umfassende anlegergerechte und objektgerechte Beratung (vgl. BGHZ 123, 126). Er muss das Anlageziel des Kunden und sein einschlägiges Fachwissen abklären sowie über Umstände und Risiken, die für die Anlageentscheidung Bedeutung haben, vollständig und zutreffend informieren (vgl. im einzelnen Palandt-Heinrichs, BGB,67. Aufl., § 280, Rn 47 mwN). Davon ist hier auszugehen. Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin hat der Mitarbeiter M die Beraterpflichten im Zusammenhang mit dem Anlageziel, nämlich eine seriöse und konservative Anlage vorzunehmen, verletzt, indem er die erheblichen Risiken der Genussrechte nicht aufgezeigt hat. Dies hat auch das Landgericht Hof im Haftungsprozess entsprechend festgestellt.

Insoweit besteht Bindungswirkung im Deckungsprozess. Feststellungen im vorangegangenen Haftpflichtprozess zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer haben im nachfolgenden Deckungsprozess Bindungswirkung, soweit Voraussetzungsidentität gegeben ist (vgl. BGH, VersR 2004, 590 m.w.N.). Nach dem in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzip ist grundsätzlich im Haftpflichtprozess zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der Versicherungsnehmer dem Dritten haftet (vgl. BGH, VersR 2001, 1103). Notwendige Ergänzung des Trennungsprinzips ist die Bindungswirkung des rechtskräftigen Haftpflichturteils für den nachfolgenden Deckungsrechtsstreit. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess gefundene Entscheidung im Deckungsprozess erneut überprüft wird. Die Bindungswirkung geht aber nur soweit, als eine für die Entscheidung im Deckungsprozess maßgebliche Frage sich auch im Haftpflichtprozess als entscheidungserheblich erweist, also Voraussetzungsidentität anzunehmen ist. Das ist vorliegend zu bejahen. Es geht um die für beide Rechtsverhältnisse maßgebliche Frage der schadensverursachenden Pflichtverletzungen durch fehlerhafte Anlageberatung.

Der Umstand, dass der Haftungsprozess gegenüber der T AG entschieden worden ist, Versicherungsnehmerin aber die T GmbH ist, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn die Haftung der AG ergibt sich auf Grund der Firmenfortführung nach § 25 HGB. Ein Haftungsübergang ist bei Schuldverhältnissen der vorliegenden Art zu bejahen (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 25, Rn 23). Danach gelten die genannten Grundsätze zur Bindungswirkung auch hier.

bb) Soweit das Landgericht Hof im Haftpflichtprozess einen Schadensersatzanspruch der Klägerin auf Grund Prospekthaftung als gegeben ansieht, weil der Genussrechtsprospekt zumindest in Teilen fehlerhaft gewesen sei, greift Teil II Nr. 1 der Besonderen Bedingungen ein, wonach der Fall nicht versichert ist, dass der Versicherungsnehmer wegen unrichtigen Prospektinhalts oder wegen von dem Prospekt abweichender Angaben in Annspruch genommen wird. Diese Regelung ist nicht darauf beschränkt, dass ausschließlich der Verkaufsprozess fehlerhaft gewesen ist.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Prospekt vollständig dem Anleger vorgelegen hat. Entscheidend ist, dass der Prospekt entsprechend dem Vertriebskonzept bestimmungsgemäß Grundlage für die Unterrichtung der Anleger geworden ist. Dann wirken sich Fehler genauso aus, als wäre der Prospekt dem Anlage Interessenten persönlich ausgehändigt worden (vgl. BGH Urteil vom 03.12.2007 - II ZR 21/06 ).

b) Die Beklagte ist aber außerdem nach § 4 Nr. 5 AVB leistungsfrei. Danach bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schadenstiftung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Machtgebers (Berechtigten) oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Mindestens einer der gesetzlichen Vertreter der Versicherungsnehmerin hat nämlich wissentlich gegen seine Pflichten verstoßen.

Dies ergibt sich aus dem Inhalt der in Auszügen beigezogenen Akten 133 Js 11505/02 der Staatsanwaltschaft Hof und den übrigen unstreitigen Umständen.

Der verurteilte Geschäftsführer J hat in seiner Einlassung die Vorwürfe der Anklage im Zusammenhang mit der Schädigung der Genussrechtsanleger voll eingeräumt. Er hat insbesondere eingeräumt, dass es ihm ab dem 01.01.2001 darauf angekommen sei, die vorhandenen und künftigen Genussrechtsanleger nicht erfahren zu lassen, dass bei der T GmbH spätestens ab Mitte des Jahres 2000 eine ganz erhebliche Untererdeckung im Aktienportfolio vorhanden gewesen sei, also der Stand des Depots weit niedriger gewesen sei, als das eingezahlte Genussrechtskapital.

Wie aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Hof - 4 KLs 133 Js 11505/02 - vom 23.03.2006 hervorgeht, hatte J zunächst auf Aktienbeteiligungen der sogenannten old economy gesetzt und insbesondere Berkshire-Heathaway-Aktien erworben. Im Laufe des Jahres wich er von dieser Strategie ab und verkaufte einen Großteil der Aktien und investierte den Erlös und weitere Genussrechtsgelder in Technologiewerte. Hierbei kam es im zweiten Quartal 2000 zu massiven Kursverlusten, die J dadurch kompensieren wollte, dass er mit neu herein kommenden Genussrechtsgeldern weitere Anlagegeschäfte tätigte. Er änderte seine bisherige konservative Anlagestrategie dahingehend, dass er mit den vereinnahmten Genussrechtsgeldern hoch riskante Börsentermingeschäfte einging, die allerdings ebenfalls nicht erfolgreich waren, sondern die finanzielle Schieflage, in der sich die T GmbH befand, nur noch verstärkte. J, der zwar einerseits auf wieder steigende Aktienkurse hoffte, jedoch andererseits auch damit rechnete, dass es zumindest zu einer konkreten Gefährdung der Rückzahlungsansprüche der neu zu werbenden Genussrechtskunden kommen könnte, ließ den Vertrieb bewusst weiterlaufen. Er brachte damit als Geschäftsführer konkludent zum Ausdruck, dass ihm keine Umstände bekannt seien, die seine Einschätzung rechtfertigen würden, die Genussrechtskunden könnten mit ihren Rückzahlungsansprüchen künftig ausfallen. In der firmeneigenen Zeitschrift "T Intern" stellte er zunächst den jeweiligen Aktienbestand der T GmbH wesentliche höher dar, als er tatsächlich war. Zudem war die im ersten Nachdruck des Genussrechtsprospekts 2000 auf seine Veranlassung abgedruckte Bilanz und die vorläufige Gewinn- und Verlustrechnung zum 31.12.2000 falsch. Statt des in diesem Geschäftsjahr tatsächlich erzielten Verlustes in Höhe vom circa 78 Millionen DM war dort wahrheitswidrig ein kleiner Gewinn von 0,71 Millionen DM ausgewiesen. Im Genussrechtsprospekt war zudem die falsche Angabe enthalten, dass die Genussrechtsgelder vollständig in Aktien angelegt sein würden. Spätestens ab dem 01.01.2001 verfügte die T GmbH nicht mehr über ausreichendes Vermögen, um die Ansprüche der Genussrechtskunden vollständig erfüllen zu können, so dass die Genussscheinerwerber durch entwertete Genussscheine geschädigt waren.

Angesichts des bereits durch dieses Verhalten des Geschäftsführers J eingetretenen Schadens kommt es auf die Frage, ob das Handeln der Geschäftsführer für das Insolvenzverfahren ursächlich war, in diesem Zusammenhang nicht mehr an.

Die Bindungswirkung des Urteils im Haftpflichtprozess steht der Annahme des Risikoausschlusses des § 4 Nr. 5 AVB nicht entgegen. Der Versicherer kann sich trotz Bindungswirkung im Hinblick auf den Umfang des Versicherungsschutzes im Deckungsprozess auf versicherungsrechtliche Einwendungen wegen Obliegenheitsverletzung oder Risikoausschlusses berufen (vgl. BGH, VersR 2001, 1103).

Die Interventionswirkung nach den §§ 68, 73, 74 ZPO führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Die versicherungsrechtlichen Einwendungen beleiben erhalten. Die Klägerin kann sich auf die Streitverkündung des Insolvenzverwalters nicht berufen. Die Wirkung tritt nicht zu Gunsten der Klägerin ein, vielmehr wirkt die Streitverkündung auch ohne Beitritt gemäß § 68 ZPO wie eine Nebenintervention (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, 28. Aufl., § 74, Rn 4).

2. Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordert im vorliegenden Einzelfall die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 13.635,00 €

Ende der Entscheidung

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