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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 09.06.2009
Aktenzeichen: 9 W 36/09
Rechtsgebiete: VVG, ZPO


Vorschriften:

VVG § 215
VVG § 215 Abs. 1 n.F.
ZPO § 17
ZPO § 36 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 567
ZPO § 574 Abs. 2
ZPO § 574 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 14.04.2009 wird der Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln - AZ 20 O 50/09 - vom 26.03.2009 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 04.05.2009 aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Rechte aus einem Versicherungsvertrag geltend, nachdem die in B. ansässige Vertreterin der Beklagten, die C. H. T. GmbH, mit Schreiben vom 21.10.2008 (Anlage K 3, Bl. 30 f AH) und vom 18.11.2008 (Anlage K6, Bl. 38 AH), Leistungen abgelehnt hat. In der Klage vom 13.01.2009 hat sich die Klägerin hinsichtlich der Zuständigkeit auf § 215 VVG berufen. Mit Bestimmung eines frühen 1. Termins hat das Landgericht auf Bedenken hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit hingewiesen und die Auffassung geäußert, § 215 Abs. 1 VVG n.F. (Gerichtsstand am Sitz des Versicherungsnehmers) finde gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG auf Altverträge keine Anwendung. Gleichzeitig ist die Anfrage erfolgt, ob Verweisung, ggf. an welches Gericht, beantragt werde. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 09.03.2009 Verweisung an das Landgericht Aachen beantragt. Mit Verfügung vom 13.03.2009 - ausgeführt am 17.03.2009 - hat das Landgericht Köln die Zuleitung des Antrags an die Beklagte mit einer einwöchigen Stellungnahmefrist veranlasst. Eine förmliche Zustellung ist nicht erfolgt, die Beklagte hat mitgeteilt, der Antrag sei ihr bzw. ihrer Vertreterin am 19.03.2009 zugegangen. Die Klageerwiderungsfrist ist antragsgemäß bis zum 14.04.2009 verlängert worden. Am 26.03.2009 ist Verweisungsbeschluss ohne Begründung ergangen, der den Beteiligten formlos mitgeteilt wurde. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 14.04.2009 hat das Landgericht mit Nichtabhilfebeschluss vom 04.05.2009 die Verweisung an das Landgericht Aachen begründet und dabei auf die mit Terminsverfügung mitgeteilten Hinweise sowie auf § 17 ZPO verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet.

1.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 567 ZPO statthaft. Zwar sieht § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Unanfechtbarkeit von Verweisungsschlüssen vor. Entgegen dieser Regelung bejaht jedoch die ganz herrschende Meinung die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde in Fällen fehlender Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen (KG, NJW-RR 1997, 250 ff; Musielak- Foerste, ZPO, 6. Aufl., § 281 Rn 11; Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 281, Rn 12; Baumbach-Lauterbach, ZPO, 67. Aufl., § 281, Rn 46; MüKo- Prütting, ZPO, 2. Aufl., § 281, Rn 41; Fischer, NJW 1993, 2417, 2420 - jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen, die die vom BGH zur Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen entwickelten Grundsätze anwenden; a.A.: KG MDR 1988, 417; OLG Köln, 17. Zivilsenat, VersR 1992, 1111; OLG Köln, 13. Zivilsenat, OLGR Köln 2004, 137; Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 281 Rn 14).

Der BGH (NJW 1978, 1163 f; NJW 1984, 740; NJW 1988, 1794) hat entschieden, der Grundsatz der Prozessökonomie gebiete es, in Fällen von Willkür oder Verstößen gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs das Fehlen der Bindungswirkung anzuordnen.

Der Senat schließt sich der herrschenden Meinung an. Aus prozessökonomischen Gründen ist in Fällen fehlender Bindungswirkung nicht nur das Gerichtsstandsbestimmungsverfahren gemäß § 36 Nr. 6 ZPO zuzulassen (so OLG Köln, 13. Zivilsenat, OLGR Köln 2004, 137), sondern auch die sofortige Beschwerde gemäß § 567 ZPO. Die Verletzung rechtlichen Gehörs kann nur dann effektiv gerügt werden, wenn dem Verletzten ein eigenes Anfechtungsrecht zugebilligt wird und die Überprüfung nicht davon abhängig ist, dass die Gerichte ein Gerichtsstandsbestimmungsverfahren gemäß § 36 Nr. 6 ZPO einleiten.

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist verletzt. Zwar ist der Verweisungsantrag vom 09.03.2009 der Beklagten formlos zugeleitet worden. Diese hat ihn am 19.03.2009 erhalten. Jedoch war die einwöchige Stellungnahmefrist am 26.03.2009 noch nicht abgelaufen, sondern erst am Folgetag.

2.

Die im Übrigen zulässige Beschwerde ist auch begründet, die Gehörsverletzung ist kausal für die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses geworden. Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts AACHEN ist nicht ersichtlich, insbesondere nicht nach § 17 ZPO. Denn die Klägerin greift den Vortrag der Beklagten, sie habe nicht dort, sondern in München ihren Sitz, nicht weiter an, sondern hat einem entsprechenden Rubrumsberichtigungsantrag der Beklagten zugestimmt. Einen Verweisungsantrag zum Landgericht München hat die Klägerin nicht gestellt, vielmehr ausdrücklich einer Verweisung widersprochen. Der Verweisungsbeschluss war demnach aufzuheben.

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass das Landgericht Köln örtlich zuständig sein dürfte.

Der seit dem 01.01.2008 geltende § 215 VVG sieht vor, dass für Klagen aus dem Versicherungsvertrag auch das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat.

Ob § 215 VVG für Streitfälle aus Altverträgen anwendbar ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Nach einer Ansicht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.04.2009, AZ 3 W 20/09, veröffentlicht in juris; OLG Saarbrücken, VersR 2008, 1337 f; LG Stendal, Beschluss vom 30.04.2009, AZ 23 O 432/08, veröffentlicht in juris; Schneider VersR 2008, 859 ff; Schneider in Beckmann/ Matusche- Beckmann, Versicherungsrechts- Handbuch, § 1 a, Rn 45; Fricke, VersR 2009, 15 ff; Junker in juris-PK, § 312 BGB, Rn 157.3; Looschelders in Müko zum VVG, § 215 Rn 38 ff) soll sich aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 EGVVG ergeben, dass es bei der Anwendung des Versicherungsvertragsgesetzes in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung nur dann verbleiben soll, wenn es sich um Vorschriften des Versicherungsvertragsrechts, also materiellen Rechts handele. Bei § 215 VVG n.F. handele es sich hingegen um eine Regelung, die sich auf das Prozessrechtsverhältnis zwischen einem klagenden Versicherungsnehmer und seinem Versicherer beziehe. Diese Auffassung bejaht eine Anwendbarkeit des § 215 VVG ab dem 01.01.2008.

Eine andere Auffassung (OLG Stuttgart, r+s 2009, 102; OLG Stuttgart, r+s 2009, 103; LG Berlin, VersR 2009, 386; OLG Hamburg, VersR 2009, 531 f; Abel/ Winkens, r+s 2009, 103; Muschner in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, § 215 Rn 4; Klär in Schwintowski/ Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum VVG, § 215 Rn 16) vertritt den Standpunkt, dass die Unterscheidung zwischen materiellen und prozessrechtlichen Vorschriften im Gesetz keine Stütze finde und daher § 215 VVG n.F. gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG bei Altverträgen bis zum 31.12.2008 keine Anwendung finde.

Das OLG Hamburg (a.a.O.) vertritt dabei eine differenzierte Ansicht, wonach § 215 VVG nur für Klagen, die der Versicherungsnehmer bis zum Ende des Jahres 2008 gegen den Versicherer aus Altverträgen erhebe, nicht anwendbar sei. § 215 VVG solle dagegen für ab dem 01.01.2009 erhobene Klagen anwendbar sein, auch wenn der Versicherungsfall bis Ende 2008 eingetreten sei. Aus Art. 1 Abs. 2 EGVVG lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten, da der Wortlaut und der Zweck dieser Übergangsregelung dafür sprächen, dass sie sich allein auf die Abwicklung des Versicherungsfalls durch den Versicherer beziehe, ihr aber für die Frage der Geltung des § 215 VVG keine Bedeutung zukomme. Nach anderer Ansicht (Abels/Winkens, r+s 2009, 103) soll das VVG a.F. im Falle des Eintritts des Versicherungsfalls bis zum 31.12.2008 unbegrenzt fortgelten.

Für eine unbegrenzte Fortgeltung sämtlicher Vorschriften des VVG a.F. in den Fällen des Eintritts des Versicherungsfalls bis zum 31.12.2008 sieht der Senat indes keine Veranlassung.

Art. 1 Abs. 1 VVGEG sieht grundsätzlich eine Anwendung des VVG a.F. bei Altverträgen nur bis zum 31.12.2008 vor, es sei denn in Absatz 2 oder den Artikeln 2 bis 6 ist etwas anderes bestimmt. Gemäß dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 EGVVG könnte zwar in den Fällen des Eintritts des Versicherungsfalls bis Ende des Jahres 2008 eine Fortgeltung des VVG a.F. insgesamt in Betracht kommen, da diese Vorschrift nicht zwischen materiellen und prozessrechtlichen Vorschriften des VVG a.F. differenziert.

In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs zu Artikel 1 Abs. 2 VVGEG (BT- Drucksache 16/3945 Seite 117) heißt es allerdings:

Das Inkrafttreten des VVG zum 21.Dezember 2008 für Altverträge ist im Hinblick auf bereits laufende Schadensfälle problematisch. Die Neuregelung für Obliegenheitsverletzungen kann dazu führen, dass bei Eintritt des Versicherungsfalles bestehende Ansprüche und Verpflichtungen verändert werden, wenn sie nach dem Recht, das im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eines Prozesses gilt, zu beurteilen sind. Um eine verfassungsrechtlich problematische Rückwirkung der Übergangsregelung in diesen Fällen zu vermeiden, bestimmt Absatz 2, dass bei Eintritt des Versicherungsfalles bis zum 31.12.2008 auf die sich hieraus ergebenden Rechte und Pflichten der Vertragsparteien weiterhin das Gesetz über den Versicherungsvertrag anzuwenden ist.

Da ausweislich der Begründung auf die "Rechte und Pflichten" der Vertragsparteien - also materielles Recht - abgestellt wird, besteht keine Veranlassung, auch prozessrechtliche Vorschriften weiter anzuwenden. Jedenfalls bei der Anwendung des § 215 VVG ist eine verfassungsrechtlich problematische Rückwirkung nicht ersichtlich. Der Normzweck des § 215 VVG, nämlich die Rechte des Verbrauchers durch einen Gerichtsstand an seinem Wohnort zu stärken (vgl. BT- Drucksache 16/3945, Seite 117), tritt jedenfalls ab dem 01.01.2009 in den Vordergrund. Da die vorliegende Klage im Jahr 2009 erhoben wurde, kann offen bleiben, ob für im Jahr 2008 erhobene Klagen etwas anderes gilt.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da auch die Ausgangsentscheidung keine Kostenentscheidung enthalten durfte (Ball in Musielak, 6. Aufl., § 572 Rn 24 m.w.N.).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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