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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: Ausl 27/03 (2)
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 42 Abs. 1
IRG § 66 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Ausl 27/03

In den Rechtshilfeverfahren

pp.

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Schmidt

am 16.09.2004

beschlossen:

Tenor:

Die Sache wird, soweit Rechtshilfe wegen der Herausgabe von Unterlagen bzw. deren Fotokopien an die britischen Behörden erbeten wird, gemäß §§ 42 Abs.1, 61 Abs. 1 S. 4 IRG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung der folgenden Rechtsfrage vorgelegt:

Ist es in einem Rechtshilfeverfahren für die Zulässigkeit der Herausgabe von Gegenständen, die in einem ausländischen Strafverfahren als Beweismittel dienen können, nach § 66 Abs. IRG unabdingbar erforderlich, dass die zur Zulässigkeit der Beschlagnahme nach § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG vorgesehene Ersatzerklärung im ersuchenden Staat von einem Gericht oder einer zu Beschlagnahmen befugten Stelle abgegeben wird oder genügt eine Erklärung der ausländischen Ermittlungsbehörden, aus der sich die Zuständigkeit des dortigen Gerichts sowie die materiellen Voraussetzungen zum Erlaß eines entsprechenden Beschlagnahmebeschlusses ergeben? Gründe:

I.

In der Zeit vom 31.10.2000 bis 7.5.2002 gingen bei den Staatsanwaltschaften Bonn und Köln zehn verschiedene Rechtshilfeersuchen der britischen Zollbehörde (HM Customs and Excise) ein, denen Verfahren in Großbritannien gegen verschiedene Unternehmen und Personen wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung in erheblichem Umfang zugrunde liegen. Mit Schreiben vom 12. August 2004 hat HM Customs and Excise erklärt, dass Rechtshilfe nunmehr nur noch in Sachen

- Kurshid u.a./ Rechtshilfeersuchen vom 21.09.2001 (GStA-Ausl 1332/01 )

- Bielen u.a./Rechtshilfeersuchen vom 11.04.2002 ( GStA- Ausl 109/02 )

erbeten werde, während die weiteren Rechtshilfeersuchen nicht mehr verfolgt werden. In einem dieser beiden Rechtshilfeersuchen (GStA Ausl 109/02 ), das vom 11. April 2002 datiert und als ersten Beschuldigten C. B. nennt, ist neben weiteren Personen auch B. M. Beschuldigter und die von ihm als Geschäftsführer geleitete Fa. E. E. GmbH als Gesellschaft betroffen. Ziel dieser Ersuchen, die von der Staatsanwaltschaft Köln unter dem Aktenzeichen 24 AR 2770/02 zusammengefaßt worden sind, ist im wesentlichen die Erlangung von Auskünften über verschiedene Unternehmen, u.a. der Fa. E., insbesondere deren Geschäftsbeziehungen mit namentlich genannten britischen Firmen, Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen dieser Unternehmen, Einsicht in bei der kontoführenden Bank befindlichen Kontounterlagen, Vernehmung von Zeugen, Sicherstellung aller als Beweisstücke in Betracht kommender Unterlagen und die Verbringung dieser Beweisstücke - in Form von Kopien - in das Vereinigte Königreich zwecks Verwendung in einem Strafprozess. Die Staatsanwaltschaft hat in beiden hier noch interessierenden Verfahren die Zulässigkeit der Rechtshilfe bejaht, und zwar am 15.11.2001 (vgl. Bl. 444 Akten StA Köln -24 AR 2770/02 - ) bzw. am 10.05.2002 ( Bl. 533 Akten StA Köln -24 AR 2770/02 -).

Der Betroffene B. M. hat am 21.8.2002 mit Schriftsatz seines Beistandes beantragt, den Vorgang dem zuständigen Gericht vorzulegen, falls die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen im Rahmen des Rechtshilfeersuchens nicht einstellt. Seiner Meinung nach ist die Durchführung des Rechtshilfeersuchens nicht zulässig. Die Staatsanwaltschaft, die die weitere Durchführung des Rechtshilfeersuchens - zunächst wegen der zehn, nun noch wegen der verbleibenden zwei Vorgänge - weiterhin beabsichtigt, hat daraufhin die Akten der Generalstaatsanwaltschaft zugeleitet. Diese hatte zunächst sämtliche zusammengefassten zehn Rechtshilfeersuchen dem Senat mit dem Antrag vorgelegt festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung der Rechtshilfe gegeben sind.

Mit Datum vom 11. Juni 2003 hat der Senat in einer Zwischenentscheidung (Bl. 44 GA) den britischen Behörden Gelegenheit zur Ergänzung ihrer Ersuchen durch Vorlage einer Beschlagnahmeanordnung einer zuständigen britischen Stelle oder einer Ersatzerklärung gegeben. Nach Vorlage weiterer Schriftstücke durch die britischen Behörden mit Schreiben vom 23.September 2003 hat der Senat, nachdem der Betroffene Stellung genommen und ein Gutachten zur britischen Rechtslage vorgelegt hat, mit Beschluss vom 10. Dezember 2003 die britischen Behörden um ergänzende Äußerung, insbesondere zu dem vorgelegten Gutachten gebeten, und weitere Hinweise gegeben. Hierzu haben sich die britischen Behörden - nach Fristverlängerung bis zum 30.01.2004 - bis Ende März 2004 nicht geäußert.

Der Senat hat mit Entscheidung vom 30.03.2004 die Leistung der Rechtshilfe im Wesentlichen als zulässig angesehen, jedoch die Herausgabe von Unterlagen oder deren Fotokopien im Rahmen der Rechtshilfe als unzulässig abgelehnt, weil für diese Form der Rechtshilfe die gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG erforderliche Ersatzerklärung nicht vorgelegt worden ist. Wegen des weiteren Inhalts der Entscheidung wird auf die in den Akten befindliche Abschrift (Bl. 193 GA) Bezug genommen.

Am 24. Juni 2004 ist dem Senat über die Generalstaatsanwaltschaft ein Schreiben der britischen Zollbehörde - HM Customs and Excise - vom 19.04.2004 vorgelegt worden, das ein Rechtsgutachten zur englischen Rechtslage verbunden mit einer Stellungnahme der britischen Zollbehörde zu den Fragen des Senatsbeschlusses vom 10.12.2003 enthält. Der Senat hat aufgrund der in dem Rechtsgutachten dargestellten Rechtslage die Vorlage an den Bundesgerichtshof in Erwägung gezogen und die Generalstaatsanwaltschaft und den Betroffenen darüber informiert. Beide Beteiligte hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Meinung des Senats an und regt dementsprechend die Vorlage zum Bundesgerichtshof an, nachdem die Rechtshilfe auf die zwei verbleibenden Verfahren beschränkt worden ist.

II.

Der Senat hält eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die Vorlegungsfrage für zulässig und geboten, weil sie entscheidungserheblich und von grundsätzlicher Bedeutung ist. Darüber hinaus will der Senat bei der Entscheidung der Vorlegungsfrage von der Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 08.06.1984 (Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung, U 89) abweichen.

1.

Eine erneute Entscheidung des Senats ist, obschon mit Beschluss vom 30.03.2004 bereits über die Zulässigkeit der Rechtshilfe entschieden worden ist, gemäß § 33 Abs. 2 IRG zulässig, dessen Regelung über § 61 Abs. 1 S. 3 IRG Anwendung findet. Durch das nach Fristablauf und nach Beschlussfassung des Senats vorgelegte Gutachten vom 25.01.2004 zur Rechtslage in Großbritannien, verbunden mit einer Stellungnahme der britischen Behörde sind neue Umstände bekannt geworden, die eine andere Entscheidung zur Zulässigkeit der Rechtshilfe zu begründen vermögen. Das Erfordernis "neue Umstände" im Sinne der erwähnten Vorschrift wird nach allgemeiner Meinung, der sich der Senat anschließt, weit ausgelegt und erfasst nicht nur neue Beweismittel oder Tatsachen, sondern auch Umstände, die die Rechtslage betreffen. Mit dem Gutachten des Standing Counsel bei der britischen Zollbehörde, David Barnard, insbesondere seinen Äußerungen zu der verlangten Ersatzerklärung anstelle einer Beschlagnahmeanordnung sind neue rechtliche Gesichtspunkte bekannt geworden, die einen "neuen Umstand" begründen ( vgl. (Schomburg/Lagodny,Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., § 33 Rdnr. 10 ff ). Angesichts der in diesem Gutachten dargelegten Rechtslage und praktizierten Rechtsanwendung in Großbritannien sieht der Senat Veranlassung, die Frage der Anforderungen an die in § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG verlangten Ersatzerklärung erneut aufzugreifen und zu prüfen.

2.

Die Anrufung des Bundesgerichtshofes zur Entscheidung einer Rechtsfrage ist in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 1 IRG auch in Rechtshilfeverfahren zulässig, wie die Verweisung in § 61 Abs. 1 S.4 IRG zeigt ( Grützner/Pötz/ Wilkitzki, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl., § 61 Rdn. 17; Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 61 Rdn. 37).

Auch die Anrufung bei beabsichtigter Abweichung gemäß § 42 Abs. 1 2. Alt. IRG ist nicht nur auf Auslieferungssachen beschränkt, sondern ebenso in Rechtshilfeverfahren zulässig (vgl. Grützner/Pötz/ Wilkitzki,a.a.O.; a.A. - allerdings ohne Begründung - wohl Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 42 Rdnr. 21).

3.

Die Vorlegungsfrage ist entscheidungserheblich.

Die Zulässigkeit der Rechtshilfe, soweit die Herausgabe von Unterlagen bzw. deren Fotokopien von den britischen Behörden erbeten wird, hängt allein von der Frage ab, ob § 66 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. IRG verlangt, dass die anstelle einer Beschlagnahmeanordnung vorzulegende Erklärung "einer solchen Stelle", aus der hervorgeht, dass die Voraussetzungen einer Beschlagnahme bei gleicher Sachlage in dem ersuchenden Staat vorlägen, ausschließlich von einem Gericht oder einer sonst zu Beschlagnahmen zuständigen Stelle ausgestellt werden muss.

a.

Der Senat hat gemäß § 61 Abs. 1 S.2 IRG über die Zulässigkeit der Leistung der Rechtshilfe zu entscheiden. Es liegt ein diesbezüglicher Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 05. 02.2003 ( Bl. 3ff GA) vor.

Das erforderliche Rechtsschutzinteresse für die beantragte Entscheidung ist nach wie vor gegeben.

Das Rechtsschutzinteresse entfällt nicht schon deshalb, weil sich die Rechtshilfe auf deutscher Seite bereits erledigt hätte und in einem solchen Fall für eine nachträgliche Sachentscheidung nur unter engen Voraussetzungen Raum wäre (dazu OLG Düsseldorf, NStZ 02, 108). Zwar sind im vorliegenden Fall bereits Rechtshilfehandlungen erfolgt, auch sollen Unterlagen in Form von Kopien an britische Behörden weitergeleitet worden sein. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch in ihrem ursprünglichen Antrag deutlich gemacht, dass die Rechthilfe noch nicht abgeschlossen ist. Daran ändert sich auch nichts durch die Erklärung der britischen Behörden vom 12.08.2004, womit die Rechtshilfeersuchen bis auf die zwei oben genannten Fälle als erledigt bezeichnet werden. In den beiden noch aufgeführten Fällen bitten die ausländischen Behörden ausdrücklich um weitere Durchführung der Rechtshilfe und Überlassung von Beweismaterial, mithin um Herausgabe von Unterlagen Schr. vom 12.08.2004, S. 2 = Bl. 280 Rechtshilfeakten ). Die Generalstaatsanwaltschaft hat durch Vorlage der Akten zur Entscheidung durch den Senat und der Anregung, eine Vorlage an den Bundesgerichtshof durchzuführen, zu erkennen gegeben, dass die Ausführung der Rechtshilfe in den beiden Fällen Z. K. u.a. und C. B. u.a. noch nicht abgeschlossen ist und es einer abschließenden Senatsentscheidung über deren Zulässigkeit bedarf.

b.

Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen zur Leistung der Rechtshilfe liegen vor:

Wie schon im Senatsbeschluss vom 11.Juni 2003 ( Bl. 44 GA ) ausgeführt, ist das Rechtshilfeersuchen von einer zuständigen Stelle des britischen Staates gestellt worden, § 59 Abs. 1 IRG. Als zuständige Stellen sind Gerichte und Behörden ausländischer Staaten anzusehen, in deren Zuständigkeit nach nationalem Recht die Durchführung von Maßnahmen in strafrechtlichen Angelegenheiten fällt, für die das Ersuchen gestellt ist. Einer Prüfung der Zuständigkeit der ersuchenden Stelle wird es in der Regel nicht bedürfen, wenn diese nach ihrem Geschäftsbereich und den Gepflogenheiten im zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr für die Stellung des Ersuchens befugt erscheint (Grützner/Pötz/Wilkitzki, a.a.O., § 59 Rdn. 12).

Das ist hier der Fall. Die Ersuchen sind ersichtlich von einer britischen Behörde, nämlich dem "HM Customs and Excise - Solicitor`s Office" angebracht worden, die als Zollbehörde tätig ist und in dieser Eigenschaft auch Rechtshilfeersuchen erstellen kann.

Dies wird auch von der gutachtlichen Stellungnahme vom 7.2.2003, die der Beistand des Betroffenen M. vorgelegt hat, nicht in Frage gestellt. Ob die Person, die das Rechtshilfeersuchen unterzeichnet hat, nach dortigen innerstaatlichen Vorschriften zuständig ist, was mit Schriftsatz des Beistandes vom 26.3.2003 in Zweifel gezogen worden ist, ist für die Zulässigkeit des Rechtshilfeersuchens im ersuchten Staat grundsätzlich ohne Belang. Entscheidend ist, dass das Ersuchen von einer zuständigen Stelle auf diplomatischen oder ministeriellem Geschäftsweg angebracht wird. In der Übermittlung auf diesem offiziellen Weg ist grundsätzlich die Bestätigung der Zuständigkeit der ersuchenden Behörde zu sehen ( Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 2 Rdn. 31 ).

Die beiden Rechtshilfeersuchen sind im vorliegenden Fall vom britischen Innenministerium ( Home Office ) an das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen gestellt worden, somit auf offiziellem Weg bei der zuständigen deutschen Stelle eingegangen.

Die vorliegenden Ersuchen genügen im Übrigen - bis auf das Verlangen nach Herausgabe von Unterlagen - den formellen Voraussetzungen, da hierzu keine besonderen Anforderungen gestellt werden ( vgl. Grützner/Pötz, Wilkitzki, a.a.O. § 59, Rdn. 5 ) und darüber hinaus die Ersuchen auch eine ausführliche Sachverhaltsdarstellung und die Angabe der einschlägigen britischen Straf- und Strafprozessvorschriften enthalten. Der Senat hat in seinen vorangegangenen Beschlüssen bereits klar gestellt, dass es zur Bewilligung des Rechtshilfeersuchens nach § 59 IRG keines Anfangsverdachts oder eines hinreichenden Tatverdachts bedarf ( vgl. Grützner/Pötz/Wilkitzki, a.a.O., § 59 IRG, Rdnr. 12 ff zu den Voraussetzungen und zum Inhalt des Ersuchens ). Die Grenze für die Bewilligung der Rechtshilfe stellt § 59 Abs. 3 IRG dar. Dafür, dass diese hier (z.B. wegen einer drohenden grundrechtswidrigen Behandlung, vgl. Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 59 Rdn. 25) überschritten ist, bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

Auch die weiteren Voraussetzungen, die für die dem Herausgabeverlangen vorangehenden Durchsuchungen und Beschlagnahmen erfüllt werden müssen, sind hier gegeben.

Die britischen Ersuchen unterliegen insoweit den weiteren Voraussetzungen nach Art. 5 EuRhÜbk i.V.m. § 66 IRG, als in ihnen im einzelnen die "Untersuchung von Räumlichkeiten und Vermögensgegenständen", "Zugang" zu allen Kontoauszügen, Kontokarten u. a., Schriftstücken, Schriftverkehr o.ä., die "Sicherstellung" von Beweisstücken, erbeten werden. Art. 5 Abs. 1 EuRhÜbk sieht vor, dass die Vertragsstaaten einen Vorbehalt anbringen können, soweit im Rahmen der Rechtshilfe Durchsuchungen oder Beschlagnahmen erfolgen sollen. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland in der Weise Gebrauch gemacht, dass eine Durchsuchung oder Beschlagnahme nur zulässig ist, wenn die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und c EuRhÜbk vorliegen ( BGBl. 1976 II, S. 1799 ).

Diese Anforderungen sind hier erfüllt.

Die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a EuRhÜbk geforderte Strafbarkeit in beiden Staaten ist gegeben. Nach britischem Recht ergibt sich die Strafbarkeit der Delikte, die dem Rechtshilfeersuchen zugrunde liegen, aus den beigefügten Rechtsvorschriften, nämlich § 72 Abs. 1 Value Added Tax Act 1994 (Hinterziehung von Mehrwertsteuer) und dem nicht kodifiziertem Straftatbestand des Common Law in Form des "Beschwindelns der Staatskasse" i. V. m. § 1 des Criminal Law Act 1977 ( strafbare Verabredung zur Begehung einer Straftat). Diese Vorschriften sehen Geld- oder Freiheitsstrafen vor, und zwar bei § 72 Value Added Tax Act 1994 im summarischen Verfahren Freiheitsstrafen bis höchstens 6 Monate, sonst bis zu 7 oder 10 Jahren. Im deutschen Recht ergibt sich die Strafbarkeit jedenfalls aus § 370 AO.

Weitere Voraussetzung für die Durchsuchung und Beschlagnahme von Gegenständen nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EuRhÜbk ist die Vereinbarkeit mit dem deutschen Recht. Hierbei ist - allerdings im wesentlichen nur für das Vornahmeverfahren - § 67 IRG als Vorschrift des deutschen Rechts zu beachten, der die Beschlagnahme und Durchsuchung zur Erledigung ausländischer Rechtshilfeersuchen regelt. Diese Vorschrift sieht für die Zulässigkeit des Rechtshilfeersuchens selbst, falls dieses Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchung und Beschlagnahme zur Folge haben kann, keine weiteren Anforderungen vor. Mithin sind die vorliegenden Rechtshilfeersuchen, soweit sie auch Durchsuchungen und Beschlagnahmen umfassen, zulässig.

Für die verlangte Herausgabe von Unterlagen sind darüber hinaus die Anforderungen des § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG von Bedeutung, der ebenfalls über Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EuRhÜbk als subsidiäre Regelung des deutschen Rechts Anwendung findet (vgl. dazu OLG München v. 13.3.1984, Eser/Lagodny/Wilkitzki, Intern. Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung, U 82 ). Auch die Herausgabe von Fotokopien der sichergestellten Unterlagen unterfällt der Regelung des § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG ( BGHSt 33, 196, 208 ff ). Danach bedarf es für die Herausgabe dieser Unterlagen an die ersuchenden ausländischen Behörden einer Beschlagnahmeanordnung einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates oder eine entsprechende Ersatzerklärung.

Eine Beschlagnahmeanordnung eines britischen Gerichts ist nicht vorgelegt worden.

Im Übrigen ist die britische Zollbehörde, die schon keine eigene Beschlagnahmeanordnung vorgelegt hat, keine zuständige Stelle, die nach britischem Recht eine Beschlagnahmekompetenz für diesen Fall hätte (zur Möglichkeit, eine gerichtliche Beschlagnahmeanordnung durch die Anordnung einer anderen Stelle zu ersetzen: Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 66 Rdn. 33).

Das von den ersuchenden Behörden mit Schreiben vom 19.04.2004 vorgelegte Gutachten des Standing Counsel bei der britischen Zollbehörde, D. B., legt im einzelnen dar, dass bei den vorliegenden Delikten für die bei verschiedenen Banken befindlichen Konto- und anderen Bankunterlagen eine Beschlagnahme nur durch einen Circuit Judge beim Crown Court angeordnet werden kann ( Gutachten S. 4 ff ). Die englischen Behörden haben in ihrem Rechtshilfeersuchen u. a. um Herausgabe sämtlicher sichergestellter Bankbelege und sonstiger bei den Banken auffindbarer Unterlagen gebeten. Diese sind nach englischem Recht sog. "Sonderverfahren-Material". Das sind u. a. Unterlagen, die im Rahmen eines Vertraulichkeitsverhältnisses übergeben wurden. Hierzu trifft Art. 9 des Police and Criminal Evidence Act 1984 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und 2 desselben Gesetzes eine Regelung in der Weise, dass der ermittelnde Polizeibeamte nicht aus eigener Befugnis Zugriff auf "Sonderverfahren-Material" nehmen kann, sondern verpflichtet ist, hierzu einen Antrag auf Herausgabe gemäß dem Gesetzesanhang 1 zu Art. 9 Abs. 1 Police and Criminal Evidence Act 1984 zu stellen, und zwar gegenüber dem Circuit Judge beim Crown Court (Art. 9 Ziff. 1 - 6 Gesetzesanhang 1). Die Eigenschaft als "Sonderverfahren-Material" folgt für Bankunterlagen aus Art. 14 Abs. 2 des Police and Criminal Evidence Act 1984, da die Banken im Rahmen ihres Auftragverhältnisses zur Vertraulichkeit verpflichtet sind.

Soweit daneben auch Unterlagen herausgegeben werden sollen, die sich als Geschäftsunterlagen bei sonstigen Unternehmen und bei der Fa. EMC befunden haben und dort sichergestellt worden sind, bezüglich derer jedoch keine besondere Vertraulichkeitsverpflichtung besteht, ist für deren Sicherstellung und Beschlagnahme nach englischem Recht ebenfalls ein Gericht zuständig, nämlich das auf der untersten Gerichtsebene angesiedelte Magistratsgericht (Gutachten S. 5).

Das Gutachten von David Barnard vom 25.01.2004 betont ausdrücklich, dass - entgegen einer ursprünglichen Auskunft der ersuchenden Behörde - Art. 19 des Police and Criminal Evidence Act 1984 nicht als Ermächtigungsnorm für eine Anordnung eines Beamten der Zollbehörde in Betracht kommt; dies gilt auch, soweit es sich um Unterlagen handelt, die sich bereits im Besitz einer Beamtin der (deutschen) Steuerfahndung befunden haben ( Gutachten S. 7 ).

Mithin ist nach englischer Rechtslage für die Beschlagnahme sämtlicher hier interessierender Unterlagen eine Beschlagnahmeanordnung eines Richters erforderlich. Der Senat hat keine Bedenken, die Ergebnisse des Rechtsgutachtens David Barnard seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst, noch ergänzend Rechtsauskünfte zum englischen/britischen Recht einzuholen.

Abgesehen davon, dass es sich bei dem Verfasser des Gutachtens um einen ausgewiesenen und erfahrenen englischen Juristen handelt - wie die Angaben zu seiner beruflichen Laufbahn zeigen -, ist das Gutachten inhaltlich überzeugend. Die nachvollziehbar dargestellten Ergebnisse lassen sich anhand der beigefügten Gesetzestexte überprüfen. Im Übrigen stehen die wesentlichen Aussagen in Einklang mit den Überlegungen in dem von dem Beistand des Betroffenen vorgelegten Rechtsgutachten von Claire Montgomery (QC). Die ersuchenden britischen Behörden haben keine Ersatzerklärung im Sinne des § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG vorgelegt, wenn die enge Auslegung dieser Vorschrift, wie sie derzeit im deutschen Recht vorherrscht, zugrunde gelegt wird. Danach ist eine Ersatzerklärung grundsätzlich von dem Gericht abzugeben, das in dem ersuchenden Staat für eine Beschlagnahmeanordnung zuständig wäre; alternativ kommt auch - bei anders geregelter Zuständigkeit - eine Erklärung derjenigen Behörde in Betracht, die in dem Ausgangsstaat grundsätzliche Beschlagnahmekompetenz hat (vgl. Grützner/Pötz/Wilkitzki, a.a.O., § 66 Anm. 18; Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 66 Rdnr. 33). Dieser Meinung hat sich das Oberlandesgericht München in einer Entscheidung vom 08.06.1984 angeschlossen ( Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtsprechungssammlung, U 89 ).

Die ersuchende Zollbehörde ist nach dem Gutachten des Standing Counsel D. B. keine Behörde mit Beschlagnahmekompetenz in den zugrunde liegenden Verfahren ( Gutachten S. 10), so dass deren Erklärungen nicht an die Stelle einer fehlenden gerichtlichen Ersatzerklärung treten können.

Die dargestellte herrschende Meinung führt demnach zu dem Ergebnis - dem der Senat sich im Übrigen in seiner Entscheidung vom 30.03.2004 noch angeschlossen hat -, dass eine Herausgabe der in Deutschland sichergestellten Unterlagen nicht zulässig ist, weil eine richterliche Beschlagnahmeanordnung oder eine entsprechende Ersatzerklärung nicht vorgelegt worden sind.

Angesichts der weiteren Ausführungen im Gutachten B. zur britischen Rechtslage gelangt der Senat nunmehr zu dem Ergebnis, dass § 66 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. IRG im Einzelfall unter Berücksichtigung der Rechtsordnung des ersuchenden Staates weiter auszulegen ist. Eine solche Auslegung verlangt, dass auch Erklärungen der Ermittlungsbehörden als ausreichend angesehen werden, wenn sich daraus ergibt, dass das zuständige Gericht im ersuchenden Staat die Voraussetzungen einer Beschlagnahme der fraglichen Gegenstände bejahen würde, falls sich die Unterlagen dort befänden, das Gericht jedoch eine solche Erklärung wegen der Exterritorialität des Sachverhalts nicht abgeben kann. D. B. hat in seinem Gutachten vom 25.01.2004 ausgeführt, dass ein englisches Gericht bei Beweiserhebungen im Ausland keine Beschlagnahmeanordnung erlassen wird, weil keine Zuständigkeit für eine solche Entscheidung besteht (Gutachten S. 8 ). Im weiteren hat er betont, dass ein englisches Gericht auch keine Ersatzerklärung zur Beschlagnahme abgeben wird, weil "ein Strafgericht in England keine Zuständigkeit für die Abgabe von Erklärungen über die Rechtslage besitzt" (Gutachten S. 9). Rechtshilfeersuchen - so das Rechtsgutachten - werden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens, an dem englische Gerichte nicht beteiligt sind, von den Anklagebehörden gestellt. Nur in seltenen Ausnahmefällen, die andere Sachverhalte als den vorliegenden betreffen, ersucht ein englisches Gericht unmittelbar um Rechtshilfe (Gutachten S. 8 ).

Diese Darstellung zur englischen Rechtslage macht deutlich, dass nach englischem Recht im Ermittlungsverfahren ausschließlich die Ermittlungsbehörden das Rechtshilfeverfahren betreiben. Zwar wäre bei dieser Verfahrensweise denkbar, dass die Ermittlungsbehörden, um das Rechtshilfeersuchen erfolgreich durchzuführen, in Einzelfällen - wie hier - bei dem zuständigen Gericht die entsprechende erforderliche Erklärung beantragen. Der Senat versteht indes die Rechtsauskunft von D. B. in dem Sinne, dass das - nach deutschem Rechtsverständnis möglicherweise zuständige - englische Gericht, selbst wenn ein entsprechender Antrag der Ermittlungsbehörden gestellt worden wäre, im Ermittlungsverfahren keine Ersatzerklärung zur Beschlagnahme abgeben wird, da es sich hierzu unter keinem Gesichtspunkt als zuständig ansieht. Folge ist somit, dass während der andauernden Ermittlungen in keinem Fall eine gerichtliche Ersatzerklärung von einem englischen Gericht erlangt werden kann.

Dieses Ergebnis führt, soweit die Herausgabe von Unterlagen im Raum steht, zu einer erheblichen Erschwernis der Rechtshilfe im Verhältnis zu englischen Ermittlungsbehörden, bzw. kann u. U. deren Durchführung gänzlich verhindern. Nach Ansicht des Senats lässt sich dieses Ergebnis nicht mit den Zielen des Europäischen Übereinkommens vom 20.04.1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen in Einklang bringen. Dieses Übereinkommen soll die Rechtshilfe zwischen den beteiligten Staaten erleichtern und verpflichtet in Art. 1 Abs. 1 EuRhÜbk die Staaten, "einander soweit wie möglich Rechtshilfe zu leisten ...".

Angesichts dieser Zielrichtung des EuRhÜbk hält der Senat eine weite Auslegung des § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG jedenfalls für die Fälle erforderlich, in denen die Rechtsordnung des ersuchenden Staats keine den Anforderungen des § 66 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. IRG entsprechende Erklärung vorsieht, so dass bei einem engen Verständnis dieser Vorschrift ein Rechtshilfeersuchen mit dem Ziel der Herausgabe von Unterlagen von vornherein aussichtslos wäre.

Als weitere Voraussetzung der Zulässigkeit der Herausgabe ist in diesen Fällen statt der gerichtlichen Ersatzerklärung eine entsprechende Erklärung der Ermittlungsbehörden zu fordern, aus der sich unter Angabe der gesetzlichen Vorschriften ergibt, dass bei einem vergleichbaren innerstaatlichen Sachverhalt eine Beschlagnahmeanordnung zulässig wäre. An diesen Maßstäben gemessen ist im vorliegenden Fall eine ausreichende Erklärung zur Beschlagnahmeanordnung vorgelegt worden. Die gutachtliche Stellungnahme des Standing C. B. vom 25. 01.2004 bejaht ausdrücklich, dass hinsichtlich der begehrten Unterlagen sowohl das Magistratsgericht wie der Crown Court eine Beschlagnahmeanordnung (bezeichnet mit "Herausgabeanordnung") treffen würden, je nachdem, in wessen Besitz sich die Unterlagen befinden. Diese Erklärung ist unter Hinweis auf die in Rede stehenden Straftatbestände, zu denen die Rechtsvorschriften beigefügt sind, sowie die Verfahrensregeln näher erläutert und aufgrund der vorgelegten Gesetzesvorschriften überprüfbar.

Der Senat ist deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Erklärung des Rechtsbeistandes der britischen Zollbehörde eine ausreichende Ersatzerklärung im Sinne des § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG darstellt.

Damit ist nach Auffassung des Senats der 1. Teil der Vorlegungsfrage zu verneinen, der 2. Teil zu bejahen.

4.

Die somit entscheidungserhebliche Vorlegungsfrage hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 42 Abs. 1 1. Alt. IRG. Überdies möchte der Senat bei seiner Entscheidung zu den Anforderungen an eine Ersatzerklärung von dem Beschluss des Oberlandesgerichts München 08.06.1984 (a.a.O.) abweichen.

Die Vorlegungsfrage kann sich im deutsch-englischen Rechtshilfeverkehr, aber auch im Rechtshilfeverkehr mit anderen Staaten jederzeit wieder stellen.

Mit der beabsichtigten weiten Auslegung des § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG würde sich der Senat in Widerspruch zu der Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 08.06.1984 setzen, die nach Inkrafttreten des IRG ( 01.07.1983 ) ergangen ist. In jener Entscheidung hat das Oberlandesgericht München ausdrücklich für den deutsch-amerikanischen Rechtshilfeverkehr eine gerichtliche Ersatzerklärung gefordert.

Ende der Entscheidung

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