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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 15.01.2003
Aktenzeichen: Ausl 913/01
Rechtsgebiete: IRG, StGB


Vorschriften:

IRG § 29 Abs. 1
StGB § 259
Eine Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen, in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils ist unzulässig, wenn der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens in irgendeiner Weise unterrichtet war, noch ihm eine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffent ist, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen.

Die Auslieferung ist trotz des mangelnden rechtlichen Gehört und der fehlenden Wahrung angemessener Verteidigungsrechte dann zulässig, wenn der Verfolgte sich, nachdem er Kenntnis von dem gegen ihn ergangenen Abwesenheitsurteil erlangt hat, rechtliches Gehör verschaffen und wirksam verteidigen könnte.


Tenor:

1. Die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung der in dem Urteil des Bezirksamtsgerichts Rom (AZ: N 40604/90 RGNR - 12814/93 RG PRET) vom 17. Oktober 1996 verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten ist nicht zulässig.

2. Der Auslieferungshaftbefehl des Oberlandesgerichts Köln (Ausl 913/01 - 20 -) vom 7. August 2001 wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Der US-amerikanische Staatsangehörige T wurde am 1. August 2001 aufgrund einer Ausschreibung der italienischen Behörden im Schengener Informationssystem (SIS) auf dem Flughafen Köln-Bonn festgenommen. Gegen ihn soll eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten vollstreckt werden, zu der ihn das Bezirksamtsgericht in Rom am 17. Oktober 1996 (Az.: N 40604/90 RGNR - 12814/93 RG PRET) neben einer Geldstrafe von 12 Mio. italienischer Lira in seiner Abwesenheit verurteilt hat. Das Urteil ist seit dem 1. November 1997 rechtskräftig.

Der Senat hat auf der Grundlage der Ausschreibung am 7. August 2001 die vorläufige Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet.

Die italienische Regierung hat durch Schreiben des Justizministeriums - Generaldirektion für Strafsachen - vom 8. August 2001 unter Beifügung der nach Art 12 Abs. 2 EuAlÜbk aufgeführten Unterlagen um die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht.

Nach dem Inhalt des zu vollstreckenden Erkenntnisses soll der Verfolgte zum einen eine Straftat gemäß Artikel 81 Abs. 1, 648, 61 Nr. 7 codice penale (Tat Nr. 3 des Urteils) begangen haben, indem er im Zeitraum zwischen Mai 1990 und dem 14. Februar 1992 mehrfach von den Mitbeschuldigten M und U sowie weiteren nicht identifizierten Personen beträchtliche Mengen von aus verschiedenen Gegenden Italiens stammenden archäologischen Gegenständen (Amphoren, Teracottagefäße, Votivgaben, Spangen etc.) zwecks Wiederverkaufs angekauft bzw. sich beschafft haben soll. Die Gegenstände bzw. Fundstücke sollen sämtlich aus zuvor von anderen Personen verübten Straftaten nach Artikel 67 des Gesetzes vom 1. Juni 1939 N. 1089 (Gesetz zum Schutz vor unberechtigter Ausfuhr von archäologischen und anderen Gütern) herrühren. Des weiteren wird dem Verfolgten eine Straftat gemäß Artikel 81 Abs. 1 und 66 des Gesetzes Nr. 1089 vom 1. Juni 1939 (Tat Nr. 4 des Urteils) zur Last gelegt, indem er in dem angegebenen Zeitraum archäologische Fundstücke bzw. Gegenstände illegal, ohne sie beim Zoll anzumelden, aus Italien in die USA ausgeführt haben soll.

Bei einer im Februar 1992 durch die italienischen Behörden im Wege der Rechtshilfe in den USA durchgeführten Hausdurchsuchung sind gemäß den Urteilsfeststellungen in der Garage des Hauses des Verfolgten in B insgesamt 226 archäologische Gegenstände beschlagnahmt worden, um deren Rückführung sich die Republik Italien in den Folgejahren gerichtlich und außergerichtlich gegenüber dem Verfolgten bemüht hat. Im übrigen lässt sich dem Urteil entnehmen, dass das gerichtliche Strafverfahren gegen den Verfolgten ab dem Jahre 1995, und zwar vollständig ohne dessen Beteiligung, stattgefunden hat.

Nach Vorlage der Auslieferungsunterlagen durch die Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat durch Beschluss vom 7. September 2001 die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet und dem Verfolgten Gelegenheit zur Stellungnahme - insbesondere zu Fragen des Verfahrensganges in Italien - gegeben.

Der Verfolgte hat über seinen Pflichtbeistand mit Schriftsatz vom 4. November 2001 Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Auslieferung erhoben. Er hat unter anderem vortragen lassen, das italienische Strafverfahren sei ihm vollständig verschwiegen worden, obwohl der Republik Italien sein Aufenthalt in den USA ständig bekannt gewesen sei. Er habe zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Ladungen oder sonstige Nachrichten über das gegen ihn geführte Strafverfahren erhalten. Das Urteil sei ihm weder zugestellt noch sonst bekannt gemacht worden.

Der Senat hat durch Beschluss vom 6. November 2001 die italienischen Behörden um Erklärung zu dem Vorbringen des Verfolgten ersucht. Für den Fall, dass dieser keine Kenntnis von dem gegen ihn geführten Strafverfahren, vom Hauptverhandlungstermin und vom Urteil hatte, ist der ersuchende Staat gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des 2. Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsabkommen vom 17. März 1978 vorsorglich um Erklärung gebeten worden, ob eine Zusicherung dahingehend erteilt werde, dass dem Verfolgten das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren gewährleistet werde, in dem die Rechte auf Verteidigung gewahrt werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft der Republik beim Appellationsgericht von Rom hat Anfang Dezember 2001 mitgeteilt, der Verfolgte sei, wie von Art. 169 der italienischen StPO (CCP) vorgeschrieben, per Einschreiben mit Rückschein aufgefordert worden, in Italien eine Zustellungsadresse zu wählen oder anzugeben, wobei man ihm die Straftat mitgeteilt habe, deretwegen gegen ihn verfahren wurde ("per il quale si procedeva nei suoi confronti") sowie die zuständige Justizbehörde. Diesen Einschreibebrief habe der Verfolgte erhalten und den Rückschein unterzeichnet. Da er keine Zustellungsadresse in Italien angegeben habe, sei ihm ein Pflichtverteidiger bestellt worden, welcher alle Zustellungen erhalten habe. Ob dieser den Verfolgten über das Datum der Hauptverhandlungen und sonstige für die Ausübung seiner Rechte bedeutsamen Umstände informiert habe, sei nicht bekannt. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Verfolgte eine Zustellungsadresse in Italien nicht benannt habe, könne es sein, dass sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den früheren Zustand gemäß Art. 175 CCP abgelehnt werde. Die Entscheidung hierüber habe das Appellationsgericht zu treffen, welches autonom und unabhängig sei. Angesichts dessen könne dem Verfolgten nicht zugesichert werden, dass ein neues Verfahren garantiert werde.

Der Senat hat am 12. Dezember 2001 gegen den Verfolgten, der in Abrede gestellt hat, ein solches Schreiben erhalten und einen Rückschein unterzeichnet zu haben, ein weiteres Mal die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet und im übrigen wie folgt entschieden:

"Unter Bezugnahme auf die vom italienischen Justizministerium - Abteilung Justizangelegenheiten der Generaldirektion der Strafjustiz - Büro II - mit Schreiben vom 5. Dezember 2001 übermittelte Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft der Republik beim Appellationsgericht in Rom und mit Rücksicht auf die dagegen mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2001 erhobenen Einwendungen des Verfolgten sollen die italienischen Behörden um Übermittlung von beglaubigten Ablichtungen folgender Schriftstücke ersucht werden:

a)

Einschreibebrief, mit dem der Verfolgte in dem gegen ihn geführten Strafverfahren aufgefordert worden ist, in Italien eine Zustellungsadresse zu wählen oder anzugeben,

b)

vom Verfolgten bezüglich dieses Schreibens unterzeichneter Rückschein.

. . . "

Innerhalb der vom Senat hierfür gesetzten Frist haben die italienischen Behörden die Ablichtung eines Schriftstückes übersandt und sich im übrigen die Übermittlung weiterer Unterlagen vorbehalten. Bei dem - nicht lesbaren - Schriftstück soll es sich nach der Erläuterung der Generalstaatsanwaltschaft der Republik beim Appellationsgericht Rom um den Rückschein handeln, welchen der Verfolgte am 14. Juli 1992 bei Erhalt der ihm zugeschickten Mitteilung (gemäß Art 169 CCP) unterzeichnet habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 14. Januar 2002 beantragt, gemäß § 29 Abs. 1 IRG die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären.

II.

Dem Antrag der Republik Italien auf Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung der gegen ihn durch Urteil des Bezirksamtsgerichts von Rom vom 17. Oktober 1996 verhängten Freiheitsstrafe kann nicht entsprochen werden. Die Auslieferung ist unzulässig. Denn der Verfahrensgang, den der Senat seiner Entscheidung aufgrund der ihm durch die italienischen Behörden erteilten Informationen zugrundelegen muss, genügt nicht dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard.

1.

Zwar liegen die förmlichen Voraussetzungen für die begehrte Auslieferung insofern vor, als die italienische Regierung förmlich um die Auslieferung des Verfolgten nachgesucht und eine beglaubigte Abschrift des gegen ihn ergangenen Urteils sowie eine Abschrift der nach italienischem Recht anwendbaren Strafvorschriften beigefügt hat. Soweit der Verfolgte wegen des Ankaufs bzw. des sich Verschaffens von illegal aus Italien ausgeführten archäologischen Fundstücken (Tat Nr. 3 des Urteils) verurteilt worden ist, kann ein solches Verhalten nach deutschem Recht als Hehlerei gemäß § 259 StGB geahndet werden. Soweit der Verfolgte nach dem Gesetz Nr. 1089 vom 1. Juni 1939 besonders geschützte Gegenstände in eigener Person unerlaubt aus Italien hinausgeschafft haben soll, stellt dieses Verhalten bei sinngemäßer Umstellung nach deutschem Recht einen strafbaren Verstoß gegen die Vorschrift des § 16 des Gesetzes zum Schutze deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 8. Juli 1999 dar.

Die Auslieferungsfähigkeit der Taten folgt aus Art. 2 EuAlÜbk. Gründe, die der Zulässigkeit einer Auslieferung nach den Art. 3 bis 10 EuAlÜbk entgegenstehen könnten, liegen nicht vor.

2.

Die Auslieferung ist jedoch unzulässig, weil das gegen den Verfolgten in Italien geführte Verfahren dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard nicht genügt, den die deutschen Gericht über Art. 25 GG im Auslieferungsverfahren zu beachten haben.

Die Verletzung dieses völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandards liegt darin, dass der Verfolgte weder über die Durchführung noch den Abschluss des ihn betreffenden Strafverfahrens in hinreichender Weise unterrichtet war und ihm keine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet ist, sich nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich effektiv zu verteidigen.

a)

Zwar begründet allein der Umstand, dass gegen den Verfolgten ein Abwesenheitsurteil ergangen ist, für sich noch kein Auslieferungshindernis.

Grundsätzlich haben die deutschen Gerichte im Verfahren über die Zulässigkeit der Auslieferung zur Strafvollstreckung davon auszugehen, dass das in dem ersuchenden Staat gegen die jeweiligen Verfolgten ergangene Strafurteil auf rechtmäßige Weise zustande gekommen ist. Denn die Bundesrepublik Deutschland ist mit zahlreichen Staaten durch bilaterale und multilaterale Auslieferungsverträge verbunden und deshalb grundsätzlich verpflichtet, einem Auslieferungsverlangen Folge zu leisten. Diese völkerrechtliche Pflicht würde verletzt, wenn eine Auslieferung stets dann verweigert würde, wenn das Verfahren im ersuchenden Staat nicht dem rechtstaatlichen oder auch verfassungsrechtlichen Standard der Bundesrepublik Deutschland genügen würde.

Nur wenn die der Auslieferung zugrunde liegenden Akte mit dem nach Art.25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung nicht vereinbar sind, dieser völkerrechtliche Mindeststandard im ersuchenden Staat also unterschritten worden ist, hindert das Völkerrecht eine Versagung der Auslieferung.

Anlass zu einer Prüfung des Verfahrensgangs besteht, wenn ein ausländisches Strafurteil, zu dessen Vollstreckung ausgeliefert werden soll, in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist (vgl. BVerfG NJW 1991,1411 = NStZ 1991, 294; BVerfGE 59, 280[282ff.] = NJW 1982,1214; BVerfGE 63, 332[337] m.w.N. = NJW 1983,1726; BGH NJW 2002, 228; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 62).

Nach deutschem Verfassungsrecht gehört es zu den elementaren Anforderungen des Rechtsstaates, die insbesondere im Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht (Art.103 Abs.1 GG) Ausprägung gefunden haben, dass niemand zum bloßen Gegenstand eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden darf und dadurch zugleich in seiner Menschenwürde (Art.1 Abs.1 GG) verletzt würde (vgl. BVerfG NJW 1991, 1411 m.w.N.). Daraus ergibt sich insbesondere für das Strafverfahren das zwingende Gebot, dass der Beschuldigte im Rahmen der von der Verfahrensordnung aufgestellten Regeln die Möglichkeit haben und auch tatsächlich ausüben können muss, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen, deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und gegebenenfalls auch Berücksichtigung zu erreichen (BVerfG a.a.O; vgl. ferner BVerfGE 41, 246 [249] = NJW 1976, 413; BVerfGE 46,202 [210] = NJW 1978, 151; BVerfGE 54, 100 [116] = NJW 1980, 1943, BVerfG NJW 1983, 1726 [1727]; OLG Hamm StV 1997, 364 [365] und 365 [366]; OLG Düsseldorf NJW 1987,2172; OLG Zweibrücken MDR 1986, 874; OLG Karlsruhe NStZ 1983, 225; zum Verhältnis zu Art.6 III c MRK vgl. OLG Köln, 1.Strafsenat, NStZ-RR 1999,112). Der wesentliche Kern dieser Rechtsgewährleistungen gehört von Verfassungs wegen zum unverzichtbaren Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung, wie auch zum völkerrechtlichen Mindeststandard, der über Art. 25 GG einen Bestandteil des in der Bundesrepublik Deutschland geltenden innerstaatlichen Rechts bildet (BVerfG NJW 1991, 1411 m.w.N.).

Eine Auslieferung zur Vollstreckung eines ausländischen, in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Strafurteils ist bei Anlegung dieser Maßstäbe danach unzulässig, wenn der Verfolgte weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des betreffenden Verfahrens in irgendeiner Weise unterrichtet war, noch ihm eine tatsächlich wirksame Möglichkeit eröffnet ist, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen (BVerfG - 2 BvR 369/88 v. 10.6.1988, abgedruckt in Eser/ Lagodny/ Wilkitzki, Die Rechtshilfe in Strafsachen, Nr.U 167; BVerfGE 63,332 [338] = NJW 1983,1726; BGH NJW 2002, 229).

b)

Durch den Gang des Verfahrens gegen den Verfolgten, wie er dem Senat unterbreitet worden ist, sind die sich aus diesen Grundsätzen ergebenden Mindestanforderungen nicht gewahrt.

Auf der Grundlage der von den italienischen Behörden übersandten Unterlagen ist davon auszugehen, dass der Verfolgte über das in den Jahren 1995/96 vor dem Bezirksamtsgericht in Rom gegen ihn geführte gerichtliche Verfahren in keiner Weise unterrichtet worden ist. Er hat weder eine Anklageschrift noch eine Ladung zur Hauptverhandlung erhalten. Das im Oktober 1996 gegen ihn ergangene Urteil ist ihm nicht bekannt gemacht worden. Dieses ist deshalb, ohne dass ihm die Einlegung eines Rechtsmittels möglich war, am 1. November 1997 rechtskräftig geworden. Damit ergibt sich bei Anlegung der oben genannten Maßstäbe, dass in dem gegen den Verfolgten geführten Abwesenheitsverfahren der Mindeststandard eines faires Verfahren nicht gewährleistet gewesen ist. Dieser Mangel wird nicht dadurch kompensiert, dass Zustellungen, die im einzelnen nicht bekannt sind, an den vom Gericht bestellten Pflichtverteidiger erfolgt sind, der den Verfolgten auch in der Hauptverhandlung vertreten hat. Der italienische Anwalt hatte nach dem Vortrag des Verfolgten, dem das ersuchende Land nichts entgegensetzt, während des gesamten Verfahrens keinen Kontakt zu seinem Mandanten. Der Verfolgte hatte somit keine tatsächliche Möglichkeit zur Einflussnahme auf das Verfahren. Die Beiordnung des Verteidigers kann unter diesen Umständen nicht als hinreichend zur Wahrung der Rechte des Betroffenen im Abwesenheitsverfahren angesehen werden (vgl. OLG Hamm, NStZ 97, 194; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 1999, 93).

Eine andere Beurteilung des Sachverhalts im Sinne des Auslieferungsbegehrens zum Nachteil des Verfolgten ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil dieser Jahre vor Beginn des gerichtlichen Verfahrens von den italienischen Strafverfolgungsbehörden unter Mitteilung "der Straftat, deretwegen gegen ihn verfahren wurde", zur Angabe einer Zustellungsadresse aufgefordert worden sein soll. Derartige Mitteilungen vor Beginn des gerichtlichen Verfahrens, durch die der Verfolgte von anstehenden und zu erwartenden Hauptverhandlungsterminen keine Kenntnis erhält, werden in der Rechtsprechung vielfach als Verteidigungsmöglichkeit schon nicht für ausreichend erachtet (vgl. etwa OLG Hamm, NStZ 1997, 194 m.w.N.; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1999, 92, 93). Ob dem zu folgen ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Zur Erfüllung der rechtstaatlichen Mindestanforderungen wäre jedenfalls zu fordern, dass der Verfolgte nicht nur über die Tatsache der Durchführung von Ermittlungen und über den konkreten Gegenstand der gegen ihn erhobenen Vorwürfe in geeigneter und umfassender Weise informiert wird. Er müsste darüber hinaus über die nach italienischem Verfahrensrecht zulässige Möglichkeit eines in Abwesenheit geführten Verfahrens sowie darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass ihm auch verfahrensabschließende Entscheidungen nicht persönlich zugestellt werden. Nur eine diesen Anforderungen genügende Information könnte dem Verfolgten die Notwendigkeit vor Augen führen und ihn in die Lage versetzen, sich dem Verfahren im Ausland zu stellen und seine Rechte dort in eigener Person wahrzunehmen, um die Konsequenz einer Verurteilung in Abwesenheit zu vermeiden. Sofern sich der Verfolgte in Kenntnis all dieser Umstände entschließt, auf seine Verteidigung zu verzichten, kann erwogen werden, die Ladung zur Hauptverhandlung für verzichtbar zu halten. Der Senat hat eine solche auslieferungsfreundliche Prüfung des Auslieferungsbegehrens jedenfalls in Betracht gezogen und die italienischen Behörden mehrfach um die Übermittlung ergänzender Stellungnahmen und Unterlagen zum Verfahrensgang gebeten. Allein diese Nachforschungen haben vorliegend die Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft bis an die Grenze der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt.

Den von den italienischen Behörden sukzessive zur Verfügung gestellten Unterlagen und Erklärungen lässt sich indes nicht entnehmen, dass der Verfolgte im Sinne der genannten Anforderungen über das zur Verurteilung führende Strafverfahren unterrichtet worden ist.

Die Durchführung des Abwesenheitsverfahrens und die Verurteilung des Verfolgten beruhen auf der Zustellungsvorschrift des Art. 169 Abs. 1 CCP (Zustellungen an einen Angeklagten im Ausland). Diese lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:

"Wenn sich aus den Akten der genaue Hinweis auf den im Ausland gelegenen Wohnsitz oder Aufenthaltsort der Person, gegen die vorzugehen ist, ergibt, so übersendet ihr das Gericht oder die Staatsanwaltschaft ein Einschreiben mit Empfangsbestätigung, das die Angaben der mit dem Verfahren befassten Behörde, die Bezeichnung der strafbaren Handlung, das Datum und den Ort ihrer Begehung sowie die Aufforderung zu enthalten hat, ein Domizil im italienischen Staatsgebiet zu erklären oder zu wählen. Erfolgt innerhalb der Frist von 30 Tagen ab Empfang des Einschreibens keine Erklärung oder Wahl des Domizils oder ist diese unzureichend oder erweist sie sich als ungeeignet, so werden die Zustellungen durch Aushändigung an den Verteidiger durchgeführt (§ 485 Abs. 1)."

Ein auf der Grundlage dieser Vorschrift durchgeführtes Abwesenheitsverfahren kann nach dem Gesagten unter dem Aspekt der Wahrung des rechtlichen Gehörs und der Sicherstellung effektiver Verteidigungsrechte bedenklich sein, denn es wird jedenfalls dem Wortlaut nach den Strafverfolgungsbehörden unabhängig vom Stand des jeweiligen Verfahrens - unter Umständen bereits in einem sehr frühen Stadium der Ermittlungen und durch einen auch nur vorsorglich und auf Vorrat gegebenen Hinweis auf stattfindende Ermittlungen - die Durchführung des gesamten Verfahrens einschließlich Anklageerhebung, Hauptverhandlung und Urteil in Abwesenheit des Angeklagten ermöglicht, auch wenn dessen Anschrift durchgängig bekannt und seine Erreichbarkeit im Ausland sichergestellt ist. Nach dem Inhalt der Vorschrift ist zudem eine nähere Unterrichtung des Angeklagten über das Verfahren in seiner Abwesenheit und die damit verbundenen erheblichen Konsequenzen nicht vorgeschrieben. Dem juristischen Laien muss sich jedenfalls bei der Lektüre einer solchen Mitteilung nicht der Gedanke aufdrängen, dass auch das Abwesenheitsurteil (nur) dem Pflichtverteidiger zugestellt wird. Durch die Übersendung eines Schriftstücks allein mit den in Art. 169 CCP vorgesehenen Angaben können also die Weichen für das gesamte weitere Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gestellt werden, ohne dass dem Verfolgten die vielen Konsequenzen seiner Unterlassung, eine Zustellungsadresse im ersuchenden Land zu benennen, bewußt sind.

Der Senat muss davon ausgehen, dass das Abwesenheitsverfahren gegen den Verfolgten T unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen nicht genügt.

Eine Überprüfung des Abwesenheitsverfahrens auf seine Vereinbarkeit mit den Mindestanforderungen ist hier zunächst schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Die italienischen Behörden haben auf Anfrage des Senats erstmals mit Schreiben vom 5. Dezember 2001 den angeblichen - nicht datierten - Einschreibebrief erwähnt. Sie haben dieses Schreiben innerhalb der dafür gesetzten weiteren Frist nicht vorgelegt. Dem Senat ist lediglich eine unleserliche Ablichtung eines Rückscheins übersandt worden, auf dem der Verfolgte den Erhalt dieses Schreibens mit seiner Unterschrift quittiert haben soll. Es kann damit nicht festgestellt werden, ob der - dies bestreitende - Verfolgte ein solches Schreiben überhaupt erhalten hat, und welchen Inhalt dieses Schreiben hatte, ob insbesondere die strafbaren Handlungen dort benannt wurden, die Gegenstand der Verurteilung in absentia geworden sind. Letzteres muss auch bezweifelt werden, weil das Abwesenheitsurteil die Existenz eines solchen Strafverfahrens gegen den Verfolgten bereits im Jahre 1992 nicht erkennen lässt. In den Feststellungen des Bezirksamtsgerichts Rom ist von einem "zweiten", nunmehr auch gegen T geführten Verfahren mit dem Aktenzeichen 22970/93 N - d.h. aus dem Jahre 1993 - die Rede (UA Seite 6). Es kann daher nicht ohne weiteres angenommen werden, dass sich die Verurteilung auf die Straftaten bezogen hat, die Gegenstand der angeblichen Mitteilung vom Juli 1992 gewesen sind.

Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, die von den italienischen Behörden angekündigte Übersendung des Schriftstückes abzuwarten, was zur Folge gehabt hätte, dass die Auslieferungshaft ein weiteres Mal hätte verlängert werden müssen. Letzteres würde bereits im Hinblick darauf, dass die Einhaltung der rechtsstaatlichen Mindestanforderungen bei der Verurteilung in absentia an sich schon im Auslieferungsersuchen darzutun ist, den durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogenen zeitlichen Rahmen für die Dauer der Auslieferungshaft überschreiten.

Die Übermittlung eines Schreibens an den Verfolgten, das den inhaltlichen Anforderungen genügen würde, ist auch nicht zu erwarten. Die angebliche Übersendung des Schriftstücks gemäß Art. 169 CCP im Juli 1992 stand in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der im Februar 1992 im Hause des Verfolgten durchgeführten Hausdurchsuchung und den anschließend im Rahmen der Rechtshilfe im Zusammenwirken mit den US-Behörden (Custom Office) durchgeführten Maßnahmen. Nach dem Inhalt des Urteils (UA Seite 7) - wie auch nach dem Vortrag des Verfolgten - diente das von der Republik Italien angestrengte Rechtshilfeersuchen allein der Wiederbeschaffung der angeblich von T unterschlagenen Gegenstände aus dem Kunst- und Kulturbesitz Italiens. Bei der Hausdurchsuchung sind 226 archäologische Fundstücke in der Garage des Verfolgten beschlagnahmt worden. Allein über die Rückführung dieser Gegenstände ist in der Folgezeit unter Vermittlung des U.S.-Attorney N von den Anwälten des Verfolgten mit Vertretern der Republik Italien in B verhandelt worden. Diese Unterredungen haben bis in das Jahr 1994 hinein angedauert und sind sodann ergebnislos abgebrochen worden. Angesichts der genannten Zweckrichtung des Rechtshilfeersuchens, das auch den Urteilsgründen zufolge nicht etwa Teil des Ermittlungsverfahrens war, wäre die Unterrichtung über angebliche Straftaten, welche entgegen der obigen Annahme Gegenstand der Verurteilung geworden sein sollten, im Jahre 1992 nicht als hinreichende Information im Sinne der oben dargestellten Mindestanforderungen zu werten. Abgesehen vom Fehlen eines Hinweises darauf, dass ein verurteilendes Erkenntnis allein dem Pflichtverteidiger, nicht aber dem Verfolgten zugestellt werden würde, fehlt dabei ein hinreichender zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang, der die Verteidigungsmöglichkeit gewährleistet hätte. Der Verfolgte musste nicht damit rechnen, auf der rechtlichen Grundlage eines offenbar nur beiläufig (möglicherweise nur zum Zwecke der besseren Durchsetzung des Rückgabeverlangens) gegebenen Hinweises auf ein Ermittlungsverfahren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Das gilt umso mehr, weil der Verfolgte für die italienischen Behörden offenbar über das von den italienischen Behörden eingeschaltete US Custom Office immer erreichbar gewesen ist. Die Republik Italien hat nämlich Ende 1998 einen zivilrechtliche Klage gegen den Verfolgten in den USA anhängig gemacht, mit der sie die Feststellung des Eigentums an den im Jahre 1992 beschlagnahmten Gegenständen begehrt hat. In diesem Verfahren konnten Schriftstücke offenbar problemlos unter der - zwischenzeitlich neuen - Anschrift des Verfolgten zugestellt werden. Es wäre daher für die italienischen Behörden durchaus möglich und zumutbar gewesen, den Verfolgten über den Fortgang des Strafverfahrens auf dem Laufenden zu halten, ihm aber jedenfalls eine Ausfertigung des gegen ihn ergangenen Urteils zukommen zu lassen, gegen das er rechtzeitig ein Rechtmittel hätte einlegen können.

3.

Die Auslieferung wäre trotz des mangelnden rechtlichen Gehörs und der fehlenden Wahrung angemessener Verteidigungsrechte dann zulässig, wenn der Verfolgte sich, nachdem er Kenntnis von dem gegen ihn ergangenen Abwesenheitsurteil erlangt hat, rechtliches Gehör verschaffen und wirksam verteidigen könnte. Die von der italienischen StPO vom 22. September 1988 in Art. 175 Abs. 2 CPP vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand genügt nach der nunmehr vom Bundesgerichtshof vertretenen Auffassung (vgl. BGH NJW 2002, 229) aber nur dann den Anforderungen, wenn eine Art. 6 EMRK entsprechende "verfolgtenfreundliche" Auslegung der Vorschrift von den Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates vorgenommen wird. Das soll etwa dann der Fall sein, wenn die italienischen Behörden es dem in Auslieferungshaft einsitzenden Verfolgten ermöglichen, die 10-Tagesfrist (Art. 175 Abs. 3 CPP) einzuhalten, "und es als ausreichend angesehen wird, dass sich die Nichtkenntnis des Urteils aus den Akten ergibt, was in der Regel der Fall sein dürfte, wenn der Pflichtverteidiger, an den die Zustellungen erfolgt sind, keinen Kontakt zu dem (unauffindbaren) Verurteilten hatte" (BGH a.a.O., 229). Da eine solche "verfolgtenfreundliche" Auslegung der Verfahrensvorschrift durch die italienischen Gerichte und Behörden im allgemeinen nicht erwartet werden kann (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O. 94; OLG Hamm NStZ 1997, 194), ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs im Regelfall eine nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des 2. Zusatzprotokolls zum EuAlÜbk vorgesehene Zusicherung des ersuchenden Staates zu verlangen, dass dem Verfolgten das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren gewährleistet wird. Unter Beachtung dieser Rechtsprechung hat der Senat - wie oben dargelegt - die italienischen Behörden vorsorglich um die Abgabe einer entsprechenden Erklärung gebeten. Dieses Ersuchen ist (erwartungsgemäß) mit dem Hinweis auf die Unabhängigkeit der Entscheidung des damit befassten Gerichts abgelehnt worden. Damit ist nicht gewährleistet, dass der Verfolgte bei seiner Überstellung nach Italien eine erneute Verhandlung und Entscheidung in der Sache hinsichtlich der abgeurteilten Vorwürfe herbeiführen könnte.

4.

Der Verfolgte ist schließlich auch schutzwürdig. Es liegen keine Umstände vor, die den Verlust seiner Rechte selbst verschuldet erscheinen lassen. Der Verfolgte ist amerikanischer Staatsangehöriger. Er hat in seinem Heimatland gewohnt und sich dem Verfahren nicht - etwa durch Flucht - entzogen. Er gehört daher nicht zu denjenigen Verfolgten, die durch das Verlassen ihres Landes nach Tatbegehung bewusst das Risiko eingehen, vom weiteren Verfahrensverlauf keine Kenntnis zu erhalten, sich also ihrer Verteidigungsmöglichkeiten bewusst begeben und damit nicht schutzwürdig sind (vgl. BVerfG NJW 1987, 830; OLG Hamm, StV 1997, 365; OLG Frankfurt NJW 1983, 1726).

III.

Als Folge der Unzulässigkeit der Auslieferung ist der Auslieferungshaftbefehl aufzuheben und der Verfolgte auf freien Fuß zu setzen.

Ende der Entscheidung

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