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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 22.08.2008
Aktenzeichen: AuslA 004/07
Rechtsgebiete: AufenthaltsG, IRG


Vorschriften:

AufenthaltsG § 60
IRG § 73
Ist einem Verfolgten durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wegen ihm in seinem Heimatstaat (hier : Türkei) drohender Repressalien Abschiebeschutz gemäß § 60 AufenthaltsG gewährt worden und bleibt eine hierzu an den ersuchenden Staat gerichtete Anfrage unbeantwortet, ist die Auslieferung gemäß § 73 IRG unzulässig.

Der allgemeine Hinweis des Bundesamtes für Justiz, in den letzten Jahren seien Fälle von Folterungen an die Türkei ausgelieferter Personen nicht bekannt geworden, ersetzt die nach der Rechtsprechung des BVerfG gebotene Einzelfallprüfung, ob dem Verfolgten im ersuchenden Staat die Gefahr politischer Verfolgung drohe, nicht.


Tenor:

Die Auslieferung des u. Staatsangehörigen T. B. an die U. zur Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des 2. Staatssicherheitsgerichts in N. vom 05.11.1999 (G.XXX/s.XX) wird für unzulässig erklärt.

Gründe:

I.

Mit Auslieferungsersuchen vom 30.11.2006 ersuchen die u. Behörden um Auslieferung des u. Staatsangehörigen T. B. zum Zwecke der Strafvollstreckung. Gegen ihn besteht ein Haftbefehl vom 01.11.2006. Mit dem im Tenor näher bezeichneten Urteil ist der Verfolgte unter Anwendung des Reuegesetzes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden, nachdem er zuvor durch Urteil der 2. Strafkammer des Staatssicherheitsgerichts in N. vom 27.05.1997 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden war.

Nach den Urteilsfeststellungen soll der Verfolgte im Jahre 1994 als Angehöriger der illegalen bewaffneten Vereinigung DHKP-C in Kämpfe mit u. Streitkräften in C. und L. verwickelt worden sein, in deren Verlauf er "einige Menschen entführt" und ihnen Geld und Fotoapparate entwendet hat.

Der Verfolgte befand sich vom 20.09.1995 bis 17.10.1995 in der U. in Polizeigewahrsam, im Anschluss hieran bis zu seiner Freilassung am 05.11.1999 in Untersuchungs- und Strafhaft. In Deutschland genießt er aufgrund eines Bescheids des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 07.05.2001 Abschiebeschutz gem. § 51 AuslG (nunmehr: § 60 AufenthaltsG).

Mit Beschluss vom 17.12.2007 hat der Senat die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zurückgestellt und weiter wie folgt tenoriert: "Den u. Behörden ist Gelegenheit zu geben, zur Frage der Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung des Verfolgten nach Rückkehr in die U. Stellung zu nehmen und hierzu die Bedenken auszuräumen, die im Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 07.05.2001 wie folgt formuliert sind: ,Der Antragsteller (i.e. der Verfolgte) hat glaubhaft gemacht, politisch aktiv für die Organisation DHKP-C gewesen zu sein und aufgrund seiner Aktivitäten verurteilt worden zu sein. Im Falle einer Wiedereinreise in die U. muss er im Rahmen der Rückkehrkontrollen seine Verhaftung und erhebliche asylbeachtliche Repressalien (intensives Polizeiverhör mit Folter) befürchten. Ein Verfolgungsinteresse besteht, da der Betreffende den Behörden als ernst zu nehmender Regimegegner erscheint.'"

Mit Schreiben vom 07.02.2008 hat das Bundesamt für Justiz im Hinblick auf den Senatsbeschluss vom 17.12.2007 auf den Asyllagebericht vom 25.10.2007 mitgeteilt und ergänzend darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein an die U. Ausgelieferter dort gefoltert worden sei.

Eine Stellungnahme der u. Behörden liegt dem Senat bislang nicht vor.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat die Akten unter dem 13.08.2008 vorgelegt; sie beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist zu entsprechen; die Auslieferung des Verfolgten an die U. zur Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des 2. Staatssicherheitsgerichts in N. vom 05.11.1999 (G.XXX/s.XX) ist unzulässig.

Der Senat kann offen lassen, ob der Zulässigkeit der Auslieferung der - auch im Auslieferungsverfahren zu beachtende - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, B. v. 24.06.2003 - 2 BvR 685/03, Rz. 29 mwN; B. v. 09.11.2000 - 2 BvR 1560/00 Rz. 22) entgegensteht. Bedenken können sich insoweit daraus ergeben, dass der Verfolgte nur noch vier Monate und 13 Tage Restfreiheitsstrafe zu verbüßen hat. Nach türkischem Strafrecht ist er nämlich nach Verbüßung von 3/4 der erkannten Haftstrafe - mithin nach vier Jahren und 6 Monaten - bedingt zu entlassen. Der Verfolgte war aber in der U. - unter Berücksichtigung von Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft - bereits vier Jahre, 1 Monat und 17 Tage in Unfreiheit. Die danach noch zu verbüßende Reststrafe liegt nur 13 Tage über der Mindestgrenze, jenseits derer überhaupt eine auslieferungsfähige strafbare Handlung vorliegt (Art. 2 Abs. 1 S. 2 EuAlÜbk).

Offen bleiben kann auch, ob die Bestandskraft des Bescheids vom 07.05.2001 einer Auslieferung des Verfolgten in die U. entgegen steht.

Die Auslieferung widerspricht nämlich jedenfalls - nicht ausschließbar - wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung, § 73 IRG.

Ein Auslieferungshindernis kann bestehen, wenn damit gerechnet werden muss, dass die Verfolgte nach einer Auslieferung einem Strafverfahren unterzogen werden wird, das rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht genügt, bzw. einer unmenschlichen Behandlung im Rahmen des Vollzugs der Untersuchungshaft wie auch (bei etwaiger Verurteilung) späterer Strafvollstreckung ausgesetzt sein wird (vgl. OLG Frankfurt, B. v. 24.02.1999 - 2 Ausl I 17/95, StV 1999, 264; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Auflage 2006, § 73 IRG Rz. 67 ff.).

Anhaltspunkte für eine solche Annahme bietet der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 07.05.2001, mit dem dem Verfolgten Abschiebeschutz gem. § 51 AuslG (jetzt: § 60 AufenthaltsG) gewährt worden ist, weil ihm im Falle seiner Wiedereinreise in die U. Verhaftung und erhebliche asylbeachtliche Repressalien (intensives Polizeiverhör mit Folter) drohen. Dies hat den Senat zu der zitierten Anfrage an die u. Behörden gemäß Beschluss vom 17.12.2007 veranlasst, für deren Beantwortung bislang nicht Sorge getragen worden ist.

Der Hinweis des Bundesamts für Justiz in seiner Zuschrift vom 07.02.2008, wonach in den letzten Jahren kein einziger Fall bekannt geworden sei, in dem ein an die U. ausgelieferter dort gefoltert worden sei, vermag die konkret auf den Einzelfall zugeschnittene Information nicht zu ersetzen. In BVerfGE 52, 391 ff. führt das Bundesverfassungsgericht aus, das entscheidende Oberlandesgericht müsse bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Auslieferung insbesondere dort alle ihm möglichen Ermittlungen zur Aufklärung einer behaupteten Gefahr politischer Verfolgung des Betroffenen veranlassen, wo ohnehin bereits (hier im Bescheid vom 07.05.2001 zu erblickende) beachtliche Indizien gegeben seien, die für die Anerkennung einer Verfolgteneigenschaft sprechen (vgl. SenE v. 15.08.2008 - 6 AuslA. 78/08 - 62). Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließt es aus, dass der Senat sich bei seiner Entscheidung auf allgemeine Informationen stützt; erforderlich ist vielmehr die Ermittlung der Verhältnisse im konkreten Einzelfall.

Die Anfrage des Senats vom 17.12.2007 ist bislang unbeantwortet geblieben; Garantien der u. Behörden hinsichtlich der Behandlung des Verfolgten liegen bislang nicht vor. Der Senat versteht die Zuschrift des Bundesamts für Justiz vom 07.02.288 darüber hinaus so, dass dieses die im Asyllagebericht vom 25.10.2007 enthaltenen und die hierzu gegebenen ergänzenden Informationen für ausreichend erachtet und die Anfrage des Senats nicht an die u. Behörden weitergeleitet hat. Abgesehen davon, dass die gegebenen allgemeinen Informationen - wie gezeigt - nicht zureichend sind, ist vor diesem Hintergrund auch nicht mehr mit einer Beantwortung der Anfrage des Senats vom 17.12.2007 zu rechnen.

Der Senat vermag daher nicht auszuschließen, dass dem Verfolgten im Falle seiner Auslieferung in die U. die im Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge beschriebene menschenrechtswidrige Behandlung droht. Der Zulässigkeit der Auslieferung steht daher das Auslieferungshindernis des § 73 IRG entgegen.

Aus den vorstehend dargelegten Gründen war auch nicht etwa die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung weiter zurückzustellen; vielmehr konnte - in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung für unzulässig erklärt werden.

Ende der Entscheidung

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