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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 16.01.2004
Aktenzeichen: HEs 87/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

HEs 87/03

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Gummersbach vom 15.01.2003 - 10 a Gs 8/03 - durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, die Richterin am Oberlandesgericht Dr.Ahn-Roth und den Richter am Oberlandesgericht Scheiter

am 16. Januar 2004

beschlossen:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

II. Die Fortdauer der Untersuchungshaft über 9 Monate hinaus wird angeordnet und die weitere Haftprüfung für die Dauer von drei Monaten dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte befindet sich wegen des Vorwurfs des Totschlags an seinem Kind O. aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Gummersbach vom 15.01.2003 - 10 a Gs 8/03 - seit dem 29.01.2003 in Untersuchungshaft, die in der Zeit vom 30.10.2003 bis zum 02.01.2004 durch Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe unterbrochen wurde. Die 12. gr. Strafkammer des Landgerichts Köln hat die am 30.04.2003 erhobene Anklage am 28.05.2003 zugelassen und Termin zur Hauptverhandlung ursprünglich für die Zeit ab dem 07.01.2004 anberaumt.

Der Senat hat mit Beschluß vom 22.07.2003 - HEs 87/03-110- im Haftprüfungsverfahren gem. §§ 121,122 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und zur Begründung u.a. ausgeführt, dass die Terminierung das in Haftsachen geltende Beschleunigungsverbot nicht verletze, weil die Strafkammer als Hauptbelastungszeugin die in der Türkei lebende Ehefrau des Angeklagten zu vernehmen beabsichtige, deren Ladung - wie die Kammer in ihrer Haftfortdauerentscheidung vom 01.07.2003 ausgeführt hatte - im Wege der Rechtshilfe einen Zeitraum von 6 bis 8 Monaten in Anspruch nehme.

Die Ehefrau des Angeklagten - die Zeugin C. Y. - teilte nach Erhalt der Ladung am 29.07.2003 mit der Strafkammer am 18.09.2003 in deutscher Übersetzung vorliegendem Brief mit, sie könne der Ladung nicht Folge leisten, weil sie nicht im Besitz ihres Reisepasses sei, den ihr ihr Schwiegervater weggenommen habe. Darüber hinaus wolle sie ihre Aussage nicht in Deutschland, sondern vor den türkischen Gerichten machen.

Die Strafkammer bat daraufhin mit Schreiben vom 01.10.2003 die Zeugin unter Hinweis auf die Bedeutung ihrer Aussage für den Ausgang des Verfahrens, unter Zusicherung der Übernahme der Reisekosten, einer reibungslosen Einreise sowie von freiem Geleit um abschließende Mitteilung, ob sie zu den genannten Bedingungen nach Deutschland kommen oder sich nur in der Türkei vernehmen lassen wolle. Gleichzeitig richtete die Strafkammer eine Anfrage an die deutsche Botschaft in Ankara des Inhalts, ob im Wege der Rechtshilfe eine Vernehmung der Zeugin durch Videoübertragung nach § 247 a StPO erfolgen könne. Diese Anfrage beantwortete die Botschaft unter Bezugnahme auf eine entsprechende Unterrichtung durch die türkischen Justizbehörden mit Fax-Schreiben vom 05.11.2003 negativ.

Mit in deutscher Übersetzung am 24.11.2003 vorliegendem Schreiben vom 06.11.2003 teilte die Zeugin Y. der Strafkammer mit, "aufgrund des Verfahrens" möchte sie nicht nach Deutschland einreisen und ihre Aussage nur in der Türkei machen.

Am 08.12.2003 beriet die Strafkammer mit dem Ergebnis, dass die nochmalige Vernehmung der Zeugin Y. im Wege der Rechtshilfe unumgänglich sei, was die Durchführung der Hauptverhandlung ab dem 07.01.2004 unmöglich erscheinen lasse. Nach Rücksprache mit den Verfahrensbeteiligten wurde daraufhin am 17.12.2003 die Hauptverhandlung auf die Zeit ab dem 16.04.2004 verlegt und ein Ersuchen um richterliche Vernehmung der Zeugin Y. an die türkischen Behörden gerichtet.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 16.12.2003 legte der Angeklagte gegen den Haftbefehl Beschwerde ein, zu deren Begründung im wesentlichen ausgeführt wird, dass die Verlegung des Hauptverhandlungstermins das Beschleunigungsverbot verletze; die Möglichkeit, dass die Zeugin nicht nach Deutschland kommen wolle, hätte von vorneherein in die Überlegungen einbezogen werden müssen.

Die Strafkammer wies durch Beschluß vom 22.12.2003 die Beschwerde zurück. Auf die hiergegen seitens der Staatsanwaltschaft erhobene sofortige Beschwerde hob die Strafkammer ihre Entscheidung vom 22.12.2003 durch weiteren Beschluß vom 02.01.2004 auf, traf zu der Haftbeschwerde des Angeklagten nunmehr eine Nichtabhilfe-Entscheidung und legte die Akten dem Senat zur Entscheidung vor.

II.

Das Rechtsmittel des Angeklagten, bei dem es sich um eine nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte einfache Beschwerde handelt, ist nicht begründet.

Im Hinblick darauf, dass sich der Angeklagte demnächst neun Monate in Untersuchungshaft befinden wird, ist zugleich eine Haftentscheidung im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 f StPO zu treffen. Daran ist der Senat nicht deswegen gehindert, weil er nur durch die Haftbeschwerde des Angeklagten mit der Sache befaßt worden ist und die Akten nicht gem. § 122 Abs. 1 StPO von dem zuständigen Gericht durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt worden sind (was vom Zeitablauf her auch noch nicht geboten war). Die Vorlage ist keine Entscheidungsvoraussetzung (vgl. SenE vom 09.03.1990 - 2 Ws 87/90 - und vom 22.12.2003 - 2 Ws 684/03-)

Die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft steht mit § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO noch in Einklang und ist auch nach § 121 Abs. 1 Satz 3 StPO gerechtfertigt, weil ein wichtiger Grund dafür, dass noch kein Urteil ergangen ist, vorliegt, nämlich die ausstehende richterliche Zeugenvernehmung der Ehefrau des Angeklagten.

Der dringende Tatverdacht und der Haftgrund der besonderen Tatschwere (§ 112 Abs. 3 StPO) bestehen unverändert fort. Gegen beides wendet die Beschwerde nichts ein. Insoweit kann daher auf die Haftfortdauerentscheidung des Senats vom 29.07.2003 Bezug genommen werden.

Die Untersuchungshaft dauert unter Berücksichtigung der Unterbrechung wegen Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe bisher rd. 8 1/2 Monate an. Ihr weiterer Vollzug ist unter Berücksichtigung der Schwere des Tatvorwurfs und der daraus resultierenden hohen Straferwartung - Totschlag ist nach § 212 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren bedroht - bisher nicht unverhältnismäßig.

Auch ist der Beschleunigungsgrundsatz - im Ergebnis - nicht verletzt.

Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer zur Sachaufklärung die richterliche Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten für erforderlich hält. Das stellt auch die Verteidigung nicht in Abrede. Daraus, dass die Ladung der Zeugin im Wege der Rechtshilfe durch die türkischen Behörden wesentlich früher zugestellt worden ist, als das Landgericht angenommen hatte, kann ebenfalls nicht der Vorwurf verzögerter Sachbehandlung hergeleitet werden.

Auch dass die Strafkammer nicht bereits unmittelbar nach Eingang der Anklage die richterliche Vernehmung der Zeugin im Wege der Rechtshilfe veranlaßt hat, war sachgerecht. Zu diesem Zeitpunkt fehlte ein sicherer Anhalt für die mangelnde Bereitschaft der Zeugin, nach Deutschland zu kommen. In dem aus den beigezogen gewesenen Scheidungsakten des Amtsgerichts Wipperfürth enthaltenen Schreiben der Zeugin vom 18.12.2002 an den Familienrichter heißt es vielmehr, sie könne "leider nicht nach Deutschland kommen, weil der Antragsteller meinen Pass besitzt und mir nicht aushändigen will". Danach durfte die Strafkammer durchaus davon ausgehen, dass die Zeugin bei Regelung der Einreiseformalitäten einer Ladung Folge leisten würde.

Allerdings hat das Landgericht das Verfahren sodann nicht mehr durchgängig mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben. Nach Auffassung des Senats wäre es jedenfalls nach Eingang des ersten Schreibens der Zeugin Y. (spätestens) Ende September 2003 geboten gewesen, unabhängig von der endgültigen Entscheidung der Zeugin Y. über ihre Bereitschaft zu einer Aussage vor den deutschen Gerichten vorsorglich ein förmliches Rechtshilfeersuchen zur richterlichen Vernehmung der Zeugin Y. an die türkischen Justizbehörden zu richten.

Jedoch wirkt sich dieses Versäumnis der Kammer im Ergebnis auf die Dauer der Untersuchungshaft bis zum neuen Beginn der Hauptverhandlung ab dem 16.04.2004 noch nicht so aus, dass ihr weiterer Vollzug als nicht mehr verhältnismäßig anzusehen ist. Denn auch bei früherer Stellung des Rechtshilfeersuchens wäre eine zeitlich großräumige Verlegung der Hauptverhandlung nicht vermeidbar gewesen. Mit der Erledigung eines Vernehmungsersuchens bis zum ursprünglich vorgesehenen Beginn der Hauptverhandlung Anfang Januar 2004 war nämlich nach den Erfahrungen aus dem Ermittlungsverfahren nicht zu rechnen. Die vor Anklageerhebung im Wege der Rechtshilfe durchgeführte Vernehmung der Zeugin Y. durch die türkische Staatsanwaltschaft hat von Anfang Mai bis Ende November 2003 annähernd 7 Monate in Anspruch genommen. Danach wären der ursprünglich vorgesehenen Hauptverhandlungstermine ab dem 07.01.2004 ohnehin nicht zu halten gewesen.

Die Zeitspanne zwischen Ende September 2003 und dem jetzt für Mitte April 2004 vorgesehenen Beginn der Hauptverhandlung überschreitet die Erledigungsdauer des früheren Rechtshilfeersuchens betr. die staatsanwaltliche Vernehmung der Zeugin nicht, so dass die durch die Verlegung der Hauptverhandlung eintretende Verzögerung letztlich ihre Ursache in der nicht früher zu bewerkstelligenden Vernehmung der Zeugin Y. hat, wofür die Strafkammer nicht die Verantwortung trägt.

Eine vermeidbare Verfahrensverzögerung, die zur Unverhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft führte, läßt sich mithin zum derzeitigen Zeitpunkt nicht feststellen, so dass das Rechtsmittel mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen war.

Zugleich ist das noch unerledigte Rechtshilfeersuchen betr. die Vernehmung der Zeugin Y. ein wichtiger Grund iSd § 121 Abs. 1 StPO, der die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigt.

Ende der Entscheidung

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