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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 06.07.2001
Aktenzeichen: Ss 168/01 (B)
Rechtsgebiete: StVG, OWiG, BKatV, StPO


Vorschriften:

StVG § 74
StVG § 25
StVG § 25 Abs. 2a
StVG § 25 Abs. 1 S. 1
OWiG § 46
OWiG § 79 Abs. 1 Nr. 2
BKatV § 2 Abs. 2 S. 2
BKatV § 2 Abs. 1 S. 1
StPO § 473 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Ss 168/01 (B)

In der Bußgeldsache

pp.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Köln nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

am 6. Juli 2001

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts L. vom 18. September 2000 wird verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts L. vom 27. September 1999 wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung (§§ 3 Abs. 3 Nr. 1, 41 Abs. 2 [Zeichen 274], 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG) zu einer Geldbuße von 300 DM verurteilt worden; außerdem ist ihm gemäß § 25 StVG für die Dauer von einem Monat untersagt worden, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Auf seine Rechtsbeschwerde hat der Senat dieses Urteil durch Beschluss vom 21. März 2000 (Ss 50/00 B - 19 B -) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen, weil nach den Urteilsgründen nicht auszuschließen war, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h lediglich auf einfacher Fahrlässigkeit beruhte und daher nicht - wie vom Amtsgericht angenommen - als grobe Pflichtwidrigkeit i.S.v. § 25 StVG angesehen werden konnte.

Durch Urteil vom 18. September 2000 hat das Amtsgericht den Betroffenen erneut wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung (§§ 3 Abs. 3 Nr. 1, 41 Abs. 2 [Zeichen 274], 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG) zu einer Geldbuße von 300 DM verurteilt und ihm - verbunden mit der Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG - für die Dauer von einem Monat untersagt, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu fuhren. Mit der dagegen gerichteten neuerlichen Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde begegnet hinsichtlich ihrer Zulässigkeit keinen Bedenken. In der Sache erweist sie sich indessen als unbegründet. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Begründung des Rechtsmittels deckt durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht auf.

1.

Das gilt zunächst im Hinblick auf den Schuldspruch, der in den rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts eine tragfähige Grundlage findet. Danach befuhr der Betroffene am 29. September 1998 gegen 10.36 Uhr mit seinem Pkw in L. die D.straße, die sich innerhalb einer durch Verkehrszeichen Nr. 274.1 (zu § 41 StVO) ordnungsgemäß ausgeschilderten Tempo-30-Zone befindet, mit einer Geschwindigkeit von 66 km/h. Um zur Messstelle zu gelangen, müsste der Betroffene in jedem Fall an einem Verkehrszeichen Nr. 274.1 (zu § 41 StVO) vorbeifahren; ein solches, den Beginn der Tempo-30-Zone markierendes Verkehrszeichen stand zur Tatzeit jeweils gut sichtbar am rechten Fahrbahnrand aller Zufahrtsstraßen zum Tatort. An diese - mit der Rechtsbeschwerde teilweise bestrittenen - Feststellungen ist das Rechtsbeschwerdegericht gebunden, weil die ihr zugrunde liegende Beweiswürdigung revisible Rechtsfehler nicht erkennen lässt. Grundlage der rechtlichen Überprüfung sind allein die Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Urteils; dem Beschwerdegericht ist es versagt, tatsächliche Feststellungen nachzuprüfen (Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 79 Rdnr. 27 b m. w. Nachw.; Steindorf, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 2. Aufl., § 79 Rdnr. 119; Kuckein, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 337 Rdnr. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 337 Rdnr. 1; st. Senatsrechtsprechung, zuletzt SenE v. 08.10.1999 - Ss 468/99 Z -; SenE v. 28.02.2001 - Ss 81/01 Z -; SenE v. 02.03.2001 - Ss 30/01 B -).

2.

Auch im Rechtsfolgenausspruch ist das angefochtene Urteil aus Rechtsgründen letztlich nicht zu beanstanden. Das gilt namentlich für die Anordnung des Fahrverbots, die gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StVG voraussetzt, dass der Betroffene wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 74 StVG verurteilt wird, die er unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, und die das Amtsgericht (nunmehr) im Ergebnis rechtsfehlerfrei auf die Annahme einer beharrlichen Pflichtverletzung des Betroffenen gestützt hat.

a)

Es hat festgestellt, dass gegen den Betroffenen vor der abgeurteilten Ordnungswidrigkeit vom 29.09.1998 bereits zweimal wegen (außerörtlicher) Geschwindigkeitsüberschreitungen Geldbußen festgesetzt worden waren, und zwar

- in einem seit dem 15.05.1997 rechtskräftigen Bußgeldbescheid wegen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 37 km/h sowie

- in einer seit dem 19.06.1998 rechtskräftigen Entscheidung wegen einer solchen um 30 km/h.

Durch Letztere waren die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 S. 2 BKatV erfüllt, unter denen ein Fahrverbot wegen beharrlicher Pflichtverletzung in der Regel in Betracht kommt: Nachdem gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig verhängt worden war, hat er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft dieser Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begangen.

Allerdings kann, wie auch das Amtsgericht nicht verkannt hat, die davon ausgehende Indizwirkung (vgl. BGHSt 38, 231 = NJW 1992, 1397 [1398]; SenE v. 12.10.1995 - Ss 535/95 B - = NStZ-RR 1996, 52; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 19 m. w. Nachw.) hier nicht zur Geltung kommen. Denn die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zum Augenblicksversagen bei den in § 2 Abs. 1 S. 1 BKatV erfassten "groben" Pflichtwidrigkeiten entwickelt hat (BGHSt 43, 241 = NJW 1997, 3252 = DAR 1997, 450 = VRS 94, 221), gelten entsprechend auch für Fälle "beharrlicher" Pflichtwidrigkeiten, da die Grundkonstellationen in beiden Fallgruppen einander entsprechen (OLG Braunschweig DAR 1999, 273 = NZV 1999, 303 = VRS 97, 59 [60 f.]; OLG Hamm NStZ-RR 1999, 374 = VRS 97, 449 [451] = MDR 1999, 1322 = NZV 2000, 92 [93]; OLG Hamm VRS 98, 392 [394] = NZV 200], 221 [222]; BayObLG DAR 2000, 577 = VRS 99, 373 [374] = NZV 2001, 46; SenE v. 23.07.1999 - Ss 310/99 B - = VRS 97, 375 [377]; SenE v. 03.12.99 - Ss 547/99 B - ; SenE v. 03.03.2000 - Ss 27/00 B -; vgl . a. Deutscher NZV 2000, 105 [106]; Hentschel NJW 2000, 706; BayOblG NZV 1998, 255) . Der subjektive Tatbestand der "beharrlichen" Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, § 2 Abs. 2 S. 2 BKatV erfordert ein Handeln des Täters, das auf einem Mangel an rechtstreuer Gesinnung beruht. Davon kann nicht ohne weiteres und daher nicht regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Verkehrsverstoß auf ein Augenblicksversagen zurückgeht, das auch ein sorgfältiger und pflichtbewußter Kraftfahrer nicht immer vermeiden kann. Daher entfällt bei wiederholten Pflichtverstößen die Indizwirkung hinsichtlich des Kriteriums der Beharrlichkeit, sofern die abzuurteilende Verkehrsordnungswidrigkeit nicht ausschließbar auf ein Augenblicksversagen zurückzuführen ist (OLG Braunschweig a.a.O.).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der ortsunkundige Betroffene sich im Stadtgebiet von L. auf der Suche nach einem Zuweg zur Autobahn verfahren hatte. Dabei hatte er "erkannt, dass er in die Tempo-30-Zone eingefahren war. Er glaubte aber, mit Abbiegen aus dem Einbahnstraßengewirr auf die D.straße die Tempo-30-Zone verlassen zu haben und gab Gas, da er es eilig hatte. Er nahm irrigerweise an, es gelte nunmehr die übliche Geschwindigkeitsbeschränkung innerorts von 50 km/h." Die festgestellte Geschwindigkeit von 66 km/h stimmte mit seinem eigenen Eindruck von der gefahrenen Geschwindigkeit überein. Davon ausgehend hat das Amtsgericht die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 36 km/h nicht als grobe Pflichtwidrigkeit (i.S.d. §§ 25 Abs. 1 S. 1 StVG, 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV) gewertet, weil aufgrund der festgestellten Tatörtlichkeiten - im Gegensatz zu den schmalen Nebenstraßen ist die D.straße breit ausgebaut und vermittelt den Eindruck einer Durchgangsstraße - nur leichte Fahrlässigkeit anzunehmen sei.

b)

Dies schließt indessen unter den festgestellten Umständen des vorliegenden Falles die Annahme einer beharrlichen Pflichtverletzung nicht aus.

Beharrlich begangen sind Verkehrsverstöße, die zwar nach ihrer Art oder den Umständen ihrer Begehung für sich allein betrachtet nicht bereits zu den objektiv oder subjektiv groben Zuwiderhandlungen zahlen, die aber erkennen lassen, dass es dem Täter an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und an der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt, so dass er Verkehrsvorschriften unter Missachtung einer Vorwarnung wiederholt verletzt (BGHSt 38, 231 [234] = NJW 1992, 1397 f.; Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 16. Aufl., § 25 StVG Rdnr. II m. w. Nachw.). Das erfordert nicht notwendig einen objektiv oder subjektiv groben Verstoß (SenE v. 02.06.1989 - Ss 241/89 - = NZV 1989, 362 [363]; OLG Koblenz NZV 1996, 373; OLG Karlsruhe DAR 1999, 417 [418]), insbesondere nicht vorsätzliches Handeln (BGHSt 38, 231 [235] = NJW 1992, 1397 [1398]; OLG Koblenz a.a.O.; Hentschel a.a.O. § 25 StVG Rdnr. 15). Auch eine Häufung nur leicht fahrlässiger Verstöße kann mangelnde Rechtstreue und eine gemeinschädliche Grundhaltung offenbaren (OLG Hamm VRS 98, 392 [394] = NZV 2001, 221 [222]). Namentlich wiederholte erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen innerhalb relativ kurzer Zeit sind "Ausdruck dafür, dass der Kraftfahrer ein erhöhtes Maß an Gleichgültigkeit an den Tag gelegt, die Chance zur Besinnung nicht ergriffen hat" (BGH a.a.O.).

Davon ausgehend ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die abgeurteilte Tat im angefochtenen Urteil als Ausdruck einer mangelnden Rechtstreue des Betroffenen in Bezug auf die Einhaltung der Verkehrsvorschriften und als Ausdruck fehlender Einsicht aus vorangegangenen Ahndungen gewertet worden ist, die auch durch die festgestellten späteren Geschwindigkeitsüberschreitungen (am 71.06.1999: um 37 km/h außerorts; am 15.08.1999: um 30 km/h außerorts) belegt werden. Zwar war der Betroffene nach den Urteilsfeststellungen beim Befahren der D.straße nur infolge leichter Fahrlässigkeit im Irrtum darüber, dass er sich nach wie vor im Bereich einer Tempo-30-Zone befand. Von daher kann allein aus der Überschreitung der durch Zeichen 274.1 (zu § 41 StVO) angeordneten Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h kein Rückschluss auf mangelndes Pflichtbewusstsein und eine gemeinschädliche Grundhaltung gezogen werden. Gleichwohl zeigt sein Verhalten ein erhöhtes und bedenkliches Maß an Gleichgültigkeit gegenüber geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen. Denn er ist nicht nur aufgrund einer augenblicklichen Unachtsamkeit schneller als zulässig gefahren, sondern hat zugleich bewusst und gewollt die - unabhängig von der Tempo-30-Zone - geltende innerortliche Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h missachtet und um immerhin 16 km/h überschritten, "da er es eilig hatte". Umstände, die zu einer Relativierung der Vorwerfbarkeit dieses Verstoßes führen konnten, liegen hier - im Unterscheid zu einem vom OLG Hamm (NStZ-RR 1999, 374 = VRS 97, 449 = MDR 1999, 1322 = NZV 2000, 92) entschiedenen Fall - ersichtlich nicht vor. Auch von daher war das Amtsgericht nicht gehindert, den Betroffenen auf der Grundlage der abgeurteilten Ordnungswidrigkeit und der festgestellten Vorbelastungen als uneinsichtigen Schnellfahrer einzuschätzen, der sich allein durch die Verhängung von Bußgeldern nicht davon abhalten lässt, die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit in nicht unerheblicher Weise zu überschreiten.

c)

Die Anordnung ist schließlich auch nicht im Hinblick auf den Zeitablauf seit der zu ahndenden Ordnungswidrigkeit in Frage zu stellen.

Das Fahrverbot hat freilich nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (BVerfGE 27, 36 [42] = NJW 1969, 1623 [1624]) und kann als solche seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden seiner Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist (BayObLG DAR 1997, 115 = NZV 1998, 82 m. w. Nachw.). Die Entscheidung darüber liegt im tatrichterlichen Ermessen, das auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles auszuüben ist (vgl. SenE v. 16.12.1999 - Ss 559/99 B - = NZV 2000, 217 [218]; SenE v. 16.06.2000 - Ss 241/00 B - = NZV 2000, 430 DAR 2000, 484 = VRS 99, 212 = NStZ-RR 2000, 342; SenE v. 05.04.2001 - Ss 95/01 B -; OLG Düsseldorf DAR 2001, 133; OLG Düsseldorf DAR 2000, 415 = VRS 99, 214 = MDR 2000, 829; OLG Hamm DAR 2000, 580 [581]; OLG Schleswig DAR 2000, 584 m. w. Nachw.; OLG Schleswig DAR 2001, 40; OLG Zweibrücken DAR 2000, 586; vgl. a. Hentschel NJW 2001, 721). Das Amtsgericht hat hier festgestellt, dass der Betroffene noch während des vorliegenden Verfahrens und zuletzt kurz vor der Hauptverhandlung vom 27.09.1999 mit einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung in Erscheinung getreten ist.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 StPO, 46 OWiG.

Ende der Entscheidung

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