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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 23.01.2001
Aktenzeichen: Ss 494/00
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 335 Abs. 1
StPO § 312
StPO § 353
StPO § 354 Abs. 2
StGB § 21
StGB § 323 a
StGB § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Ss 494/00 - 1/01 -

In der Strafsache

pp.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 5. September 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO

am 23. Januar 2001

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Köln zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässigen Vollrausches (§ 323 a StGB) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt, ihr die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und angeordnet, dass ihr vor Ablauf von 7 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe. Nach seinen Feststellungen führte die Angeklagte am 29.01.2000 in K. einen Pkw im öffentlichen Straßenverkehr, obwohl sie infolge erheblichen Alkoholgenusses absolut fahrunsicher war; es sei nicht auszuschließen, dass sie sich im Zeitpunkt des Tatentschlusses infolge der alkoholischen Belastung in einem Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) befand.

Die (Sprung-)Revision der Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das gemäß §§ 335 Abs. 1, 312 StPO statthafte Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt - dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend - gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts.

Der Schuldspruch wegen fahrlässigen Vollrausches findet in den Gründen des angefochtenen Urteils keine tragfähige Grundlage, weil danach nicht sicher festgestellt werden kann, dass die Angeklagte sich bei Begehung der Anlasstat (Rauschtat) zumindest in einem Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) befunden hat.

Nach weiterhin herrschender, vom Senat in ständiger Rechtsprechung geteilter Auffassung (SenR v. 21.05.1980 - 1 Ss 53/80 - = VPS 60, 41; vgl. a. OLG Köln VRS 68, 39 m. w. Nachw.; vgl. weitere Nachw. auch zur Gegenmeinung bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 323 a Rdnr. 5 a; Spendel, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 323 a Rdnr. 151 ff.; Hentschel, Trunkenheit - Fahrerlaubnisentziehung - Fahrverbot, 8. Aufl., Rdnr. 293 f.) setzt die Verurteilung wegen eines Vollrausches voraus, dass der Täter sich schuldhaft bis zu einem Grade in einen Rausch versetzt hat, der den Bereich der erheblich verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB sicher erreicht. Dagegen ist der Tatbestand des § 323 a StGB nicht erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Täter zur Tatzeit voll schuldfähig war (Senf v. 06.09.1994 - Ss 396/94; offen gelassen in BGHSt 32, 48 [54] = NJW 1983, 2889). Diese Möglichkeit ist im vorliegenden Fall auf der Grundlage der Urteilsgründe nicht auszuschließen.

Das Amtsgericht hat zum Umfang der Alkoholisierung der Angeklagten im Zeitpunkt der Trunkenheitsfahrt ausgeführt, dass die bei ihr festgestellte Blutalkoholkonzentration im (nicht mitgeteilten) Zeitpunkt der Blutentnahme 3,03 O/oo betrug. Es ist weiter davon ausgegangen, dass lediglich in einem Umfang von maximal 0,6 O/oo Alkohol durch Nachtrunk - also nach Beendigung der Fahrt - dem Körper zugeführt worden ist. Für den Zeitpunkt der Fahrt verbliebe demnach eine Alkoholisierung mit mindestens 2,43 O/oo. Das würde im Zusammenhang mit den aufgetretenen psychodiagnostischen Symptomen (Unfähigkeit, ohne Hilfe die Fahrzeugtür zu öffnen und aus dem Fahrzeug auszusteigen) die Feststellung erheblich verminderter Schuldfähigkeit rechtfertigen (vgl. etwa BGHSt 32, 48 [50] = NJW 1983, 2889 für eine BAK von 2,3 O/oo). Die Urteilsgründe weisen indessen nicht aus, dass sich das Amtsgericht in jeder Hinsicht rechtsfehlerfrei von einer Begrenzung des Nachtrunks auf 0,6 O/oo überzeugt hat, und lassen in dieser Hinsicht eine abschließende revisionsrechtliche Überprüfung nicht zu.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist es allerdings - als zulässige tatrichterliche Beweiswürdigung - nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht sich davon überzeugt hat, dass die Angeklagte nach Fahrtende auf dem Parkplatz nicht mehr als 0,2 l Wein getrunken hat. Dabei handelt es sich um eine denkgesetzlich mögliche und durchaus naheliegende Schlussfolgerung, die in den Bekundungen der Zeugin L. eine hinreichende tatsächliche Grundlage findet. Die Zeugin hat ausgesagt, dass die Angeklagte wiederholt und unmissverständlich erklärte, sie habe auf dem Parkplatz im Fahrzeug "noch etwas Wein getrunken" oder "nur noch einen Schluck Wein zu sich genommen"; weiter hat die Zeugin berichtet, dass sich im Fahrzeug eine Weinflasche befand, aus der nur wenig fehlte, und dass sie bei der Suche nach leeren Flaschen im Fahrzeug und in dessen Umgebung nicht fündig wurde.

Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass ausgehend von der Trinkmenge rechtsfehlerfrei die Zunahme der Alkoholisierung durch den Nachtrunk ermittelt worden ist. Dem Ergebnis, zu dem das Amtsgericht nach Anhörung eines Sachverständigen in der Hauptverhandlung gelangt ist, lässt sich auch rückschließend nicht entnehmen, dass entweder sichere Feststellungen zu den maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen getroffen worden sind oder aber die aus dem Zweifelssatz (in dubio pro reo) abzuleitenden Grundsätze Beachtung gefunden haben.

Die Blutalkoholkonzentration, die sich aus dem Nachtrunk ergibt, kann in der Weise berechnet werden, dass die Alkoholmenge (in g) durch das mit dem sog. Reduktionsfaktor multiplizierte Körpergewicht (in kg) geteilt wird (sog. WidmarkFormel; vgl. OLG Köln VRS 66, 352 [353] m. w. Nachw.; Hentschel a.a.O. Rdnr. 116 f.). Es bedarf daher der Feststellung der Alkoholmenge und des Körpergewichts im Tatzeitpunkt sowie der Bestimmung des Reduktionsfaktors. Dabei ist zugunsten des Angeklagten von den ihm günstigsten Werten auszugehen, soweit sichere Feststellungen nicht möglich sind. Hinsichtlich des Körpergewichts ist daher bei der hier zu erörternden Fragestellung vom Mindestgewicht auszugehen, da die durch den Nachtrunk verursachte Blutalkoholkonzentration um so höher ist, je geringer das Körpergewicht ist (vgl. OLG Köln a.a.O.; OLG Köln VRS 67, 459 [460]). Wenn der individuelle Reduktionsfaktor nicht festzustellen ist, muss dargelegt werden, welcher Reduktionsfaktor bei dem Angeklagten als niedrigster Wert in Betracht kommt, und zugunsten des Angeklagten davon, nicht aber von Durchschnittswerten ausgegangen werden (OLG Köln VRS 67, 459 [460]). Das tatrichterliche Urteil muss also nachprüfbar erkennen lassen, ob bei der Berechnung der durch den Nachtrunk verursachten maximalen Blutalkoholkonzentration die günstigsten möglichen Werte zugrunde gelegt worden sind (OLG Köln VRS 66, 352 [353] m. w. Nachw.; OLG Köln VRS 67, 459 [460]). Daran fehlt es hier.

Schon zur Art des im Nachtrunk konsumierten Weins bleibt offen, ob die Annahme eines "dreizehnprozentigen Weines" - mit einer Alkoholmenge von 20 g - auf einer gesicherten Beweisgrundlage beruht ("... wenn man einmal davon ausgeht, daß es sich... um 0,2 l eines dreizehnprozentigen Weines handeln würde, ..."). Sollten dazu sichere Feststellungen nicht möglich gewesen sein, wäre zu berücksichtigen gewesen, dass sich bei einem Nachtrunk von 0,2 l eines Dessertweins eine Alkoholmenge von maximal 32 g ergeben hätte (vgl. Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 16. Aufl., § 316 StGB Rdnr. 29 Tabelle B Ziff. 2.). Ob und ggfs. aus welchen Gründen der Konsum eines entsprechenden Weines zum Nachteil der Angeklagten ausgeschlossen werden konnte, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

Es gibt darüber hinaus keinen Aufschluss darüber, dass bei der Berechnung der Blutalkoholkonzentration die vorstehend dargestellten Grundsätze berücksichtigt worden sind. Ein Rechtsfehler lässt sich insoweit auch nicht rückschließend mit Gewissheit ausschließen (vgl. dazu OLG Köln VRS 67, 459 [460]), da zu Statur, Körpergröße und Gewicht der Angeklagten keine Angaben gemacht werden.

Allein aufgrund des gesicherten Wertes der Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme vermag der Senat aber nicht ohne weiteres festzustellen, dass selbst bei Annahme des als höchstmöglich in Betracht zu ziehenden Nachtrunks der Bereich der erheblich verminderten Schuldfähigkeit zur Tatzeit gewiss erreicht war. Denn bei Konsum von 32 g Alkohol (= 0,2 l Dessertwein) und einem Körpergewicht der Angeklagten von 50 kg ergäbe sich unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Reduktionsfaktors bei Frauen von 0,6 (vgl. Hentschel a.a.O. Rdnr. 117 m. w. Nachw.) ein Nachtrunk von 1,06 O/oo und eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von nur ca. 1,9 O/oo, unter Zugrundelegung des höchstmöglichen Reduktionsfaktors von 0,5 (vgl. Janiszewski/Jagow/Burmann a.a.O. Rdnr. 8) sogar ein Nachtrunk von 1,28 O/oo und eine Tatzeit-BAK von nur noch ca. 1,75 O/oo (3,03 O/oo ./. 1,28 O/oo). Bei einer Alkoholisierung dieses Grades kann eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit aber nicht ohne weiteres angenommen werden, auch wenn andererseits ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass bei einer Blutalkoholkonzentration unter 2 O/oo die Voraussetzungen des § 21 StGB stets zu verneinen seien, nicht besteht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 20 Rdnr. 9 b a.E.).

Ende der Entscheidung

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