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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 18.05.2004
Aktenzeichen: 1 U 4128/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB a.F. § 847 Abs. 1
Bei einer Bauchoperation zur Blutstillung verwandte Clips müssen nicht nach Zahl und Lage genau dokumentiert werden.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 4128/03

Verkündet am 18.05.2004

In dem Rechtsstreit

wegen ärztlicher Heilbehandlung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K. und die Richter am Oberlandesgericht S. und N. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01. April 2004 folgendes

ENDURTEIL:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25.06.2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist für die Beklagten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls die Beklagten nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadenersatzansprüche wegen neurologischer Komplikationen nach einer Nebennierenoperation geltend.

Die Klägerin wurde 1993 wegen schwerer traumatischer Bauchverletzungen operiert.

Im August 1997 begab sich die Klägerin zur Entfernung eines Tumors der linken Nebenniere in das Städtische Krankenhaus B. der Beklagten zu 1). Sie unterschrieb dort am 08.08.1997 eine "Einwilligung in ärztlichen Eingriff" (Anlage K 1). Die Besprechung der geplanten Operation erstreckte sich jedenfalls auf mögliche Komplikationen wie Blutungen, Infektionen, die Verletzung beteiligter oder umgebender Strukturen und Organe, eine eventuelle Entfernung der Milz, einen Bauchwanddurchbruch und die Möglichkeit einer medikamentösen Hormonsubstitution. Die Klägerin hätte in den Eingriff auch bei ausdrücklicher, ordnungsgemäßer Aufklärung über das Risiko von Nervenverletzungen eingewilligt.

Die Operation führte am 11.08.1997 der Beklagte zu 2), Chefarzt der urologischen Abteilung, durch, wobei er als Zugang die Operationsnarbe von 1993 wählte. Er entfernte den Tumor, der sich als gutartig erwies. Bei dem Eingriff setzte er ungefähr 17 Metallclips (kleine Klammern) aus Titan, die nach dem Eingriff im Körper der Klägerin verblieben.

Bei der Klägerin traten nach der Operation neurologische Ausfallerscheinungen auf.

Die Klägerin hat vorgebracht, die Verwendung der vielen Clips stelle einen groben Behandlungsfehler dar. Offenbar habe der Beklagte zu 2) versucht, mit den wirr durcheinander gesetzten Clips eine unstillbare Blutung in den Griff zu bekommen, ohne an díe Gefahr einer Nervenquetschung zu denken.

Auf eine Nervenverletzung durch die Clips seien ausgeprägte Sensibilitätsstörungen des linken Oberschenkels bis zum Knie reichend und der Hüfte sowie eine linksseitige motorische Lähmung der Bauchmuskulatur zurückzuführen.

Nach der Operation sei die Nervenläsion zu spät erkannt worden. Sie habe bereits am ersten postoperativen Tag über fürchterliche Schmerzen geklagt; dennoch sei erst am 18.08.1997 ein neurologisches Konsil erholt worden.

Bei der Risikoaufklärung sei die mögliche Schädigung von Nerven und deren Folgen nicht angesprochen worden.

Die Beklagte hat beantragt:

I) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld wegen der stationären Behandlung der Klägerin in der Urologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses München-B. der Beklagten zu 1 vom 31.07. bis 22.08.1997 zu bezahlen.

II) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, an die Klägerin ab 01.09.1997 eine monatliche Schmerzensgeldrente von 500,-- DM zu bezahlen, die rückständigen Beträge sofort, die künftigen jeweils zum Ersten eines Monats.

III) Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus der Behandlung vom 31.07. bis 22.08.1997 zu bezahlen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.

Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt.

Das Landgericht hat die Klage nach der Erholung urologischer und radiologischer Sachverständigengutachten mit Urteil vom 25.06.2003 abgewiesen. Auf die Begründung wird Bezug genommen.

Die Klägerin verfolgt ihr Begehren mit der Berufung weiter.

Die Klägerin bringt vor, das Landgericht hätte die Widersprüche zwischen den eingeholten Gerichtsgutachten und den Ausführungen ihres Privatgutachters Prof. Dr. Dr. B. durch eine Anhörung abklären müssen. Die Äußerungen von Prof. Dr. Dr. B. müssten wie die eines gerichtlichen Sachverständigen gewertet werden. Da der Gerichtssachverständige Prof. Dr. D. bei seiner Anhörung durch den Senat am 01.04.2004 nicht von seiner Auffassung abgerückt sei, müsse ein Obergutachten erholt werden.

Die Gerichtsgutachter Prof. Dr. D. und Dr. W. hätten die Klägerin nicht persönlich untersucht und könnten daher weder die Lage der Clips noch ihrer Nerven beurteilen.

Unterhalb des Nebennierenlagers sei eine Blutstillung mit Clips wegen der Gefahr für die Bauchwandnerven nicht zulässig. Aus bauchchirurgischer Sicht dürften Clips nur gezielt, in geringer Anzahl und unter Sicht auf Gefäße gesetzt werden. Ohne schwerwiegende intraoperative Komplikationen sei die große Anzahl der Clips nicht zu erklären.

Die Zahl der verwendeten Clips sei zu dokumentieren. Die unterlassene Dokumentation führe zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität des Schadens.

Jedenfalls bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass Nerven angeclipst worden seien.

Richtig wäre ein Zugang von der Seite und die Verwendung abbaubarer Clips gewesen.

Der Beklagte als Urologe habe die Operation nicht ohne Unterstützung eines Bauchchirurgen durchführen dürfen.

Die Behandlung der Nervenschäden sei zu spät erfolgt. Der Beklagte zu 2) habe die Nachbehandler über die Anzahl der gesetzten Clips im Unklaren gelassen.

Die Gerichtsgutachten seien unbrauchbar, weil sie nur Vermutungen über die Ursachen der Nervenschädigung enthielten.

Die Klägerin beantragt:

I) Das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 25.06.2003 (9 O 10304/00) wird abgeändert.

II) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld wegen der stationären Behandlung der Klägerin in der Urologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses München-B. der Beklagten zu 1 vom 31.07. bis 22.08.1997 zu bezahlen.

III) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, an die Klägerin ab 01.09.1997 eine monatliche Schmerzensgeldrente von 255,65 EUR zu bezahlen, die rückständigen Beträge sofort, die künftigen jeweils zum Ersten eines Monats.

IV) Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus der Behandlung vom 31.07. bis 22.08.1997 zu bezahlen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.

Sei berufen sich im wesentlichen auf die Urteilsbegründung des Landgerichts. Weiter bringen sie vor, die Ausführungen im "Entwurf" vom 13.08.2003 stellten keine ordnungsgemäße Berufungsbegründung dar.

Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird im übrigen verwiesen auf die Schriftsätze der Klägerin vom 13.08.2003 mit beigefügtem "Entwurf" (Bl. 200/201 d. A. mit Anlage), 17.10.2003 (Bl. 218/229 d. A.), 16.12.2003 (Bl. 239/243 d. A.) und 20.04.2004 (Bl. 271/276 d. A.) sowie der Beklagten vom 18.02.2004 (Bl. 250/253 d. A.) und 27.04.2004 (Bl. 278/279 d. A.).

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Erholung einer kurzen schriftlichen Stellungnahme des urologischen Sachverständigen Prof. Dr. D. vom 12.02.2004 (Bl. 248/249 d. A.) zum Berufungsvorbringen und dessen mündliche Anhörung im Termin vom 01.04.2004 (Bl. 259/268 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen weder wegen positiver Verletzung des Behandlungsvertrages noch nach den §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 a. F. BGB Schadenersatzansprüche gegen die Beklagten zu. Dem Beklagten zu 2) sind keine Fehler bei der Operation nachzuweisen. Irgendwelche Ansatzpunkte dafür, dass durch eine andere postoperative Behandlung die leider eingetretenen Nervenschäden wieder rückgängig gemacht hätten werden können, gibt es nicht.

Wegen der Klarstellung des früheren Klägervertreters im Schriftsatz vom 04.09.2003, dass die Berufung der Klägerin unbedingt eingelegt worden sei und nicht von der Gewährung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht werde, hat der Senat den als "Entwurf" bezeichneten, aber unterschriebenen Schriftsatz vom 13.08.2003 berücksichtigt.

1) Aufgrund der Beweisaufnahme steht nicht fest, dass die neurologischen Komplikationen des Eingriffs auf ein unsachgemäßes Vorgehen des Beklagten zu 2) zurückzuführen sind.

Eine Schadenersatzforderung wegen der Verwendung der Clips hätte nur dann Erfolg, wenn das Setzen der zahlreichen undokumentierten Clips entweder einen groben Fehler darstellte, oder die Klägerin nachweisen könnte, dass ganz bestimmte, unnötigerweise gesetzte Clips mit Sicherheit die Nervenschädigung ausgelöst haben.

Es fehlt aber sowohl der Nachweis dafür, dass das Setzen der Clips durch den Beklagten zu 2) fehlerhaft war, als auch dafür, dass die Clips den postoperativen Nervenschaden ausgelöst haben.

a) Ein Behandlungsfehler des Beklagten zu 2) ist nicht nachweisbar.

Falls es zu einer Nervenschädigung bei dem Versuch, einen Clip auf ein Blutgefäß zu setzen, gekommen sein sollte, stellt dies eine Operationskomplikation dar, die noch keinen Behandlungsfehlervorwurf begründet, wie sich aus dem Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. D. und Oberarzt Dr. W. ergibt. Dem wird vom Privatgutachter der Klägerin, Prof. Dr. Dr. B., nicht widersprochen.

Die Argumente, aus denen die Klägerin einen Fehler des Beklagten zu 2) ableitet, sind, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, nicht tragfähig.

(aa) Aus der Anzahl der verwendeten Metallclips lässt sich ein Schluss auf eine unsachgemäße Vorgehensweise des Beklagten zu 2) nicht ziehen.

Die gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. D. und Oberarzt Dr. W. haben auf S. 17 ihres Gutachtens vom 09.07.2002 ausgeführt, in der Fachliteratur werde ein scharfes Freipräparieren der Nebenniere aus dem umgebenden Fettgewebe unter Absetzen der zahlreichen kleinen Gefäße nach Clipversorgung zum Teil ausdrücklich beschrieben. Die Clipversorgung der ausgesprochen feinen arteriellen Strukturen im Retroperitoneum biete eine rasche, suffiziente Blutstillung, ohne dass durch größere Manipulationen, wie z. B. das Setzen von Ligaturen, das Risiko eines Ausreissens dieser zarten Gefäße und damit einer vermeidbaren Blutung in Kauf genommen werden müsse. Die Anordnung intraoperativ gesetzter Gefäßclips erscheine auf Röntgenbildern in der Regel völlig unsystematisch, da sich die Clips der Schwerkraft entsprechend sowie der Elastizität des Gewebes und den lokalen Zugkräften gehorchend anordneten.

Bei seiner Anhörung durch den Senat im Termin vom 01.04.2004 demonstrierte der Sachverständige Prof. Dr. D. das Aussehen der Clips, deren Verwendung und ihr Erscheinungsbild auf Röntgenaufnahmen. Er zeigte anhand der Röntgenbilder anderer Operationen, dass die Zahl der vom Beklagten zu 2) verwendeten Clips gemessen an der Zahl der zu versorgenden kleinen Blutgefäße nicht auffällig hoch war.

Dass keine Anhaltspunkte für eine starke intraoperative Blutung vorliegen, haben die gerichtlichen Sachverständigen auf S. 15/16 ihres Gutachtens vom 09.07.2002 überzeugend erläutert.

(bb) Die Lage der Clips lässt ebenfalls keinen Schluss auf einen Kunstfehler zu.

Der klägerische Privatgutachter, Prof. Dr. Dr. B., bringt vor, dass der Beklagte zu 2) "dutzendweise" grundlos Clips auf den Plexus-lumbosacralis und seine Äste gesetzt habe. Nach seiner Behauptung, die er im Termin vom 01.04.2004 wiederholte, soll sich dies unmittelbar aus den anatomischen Verhältnissen im Retroperitonealraum ergeben.

Aus den während der Anhörung diskutierten zeichnerischen Darstellungen in den vom Beklagten zu 2) und Prof. Dr. Dr. B. zur Beweisaufnahme mitgebrachten Lehrbüchern und den angefertigten Röntgenbildern ergibt sich dies jedoch keineswegs, wie der Sachverständige Prof. Dr. D. erläuterte. Dass an der Bauchhinterwand unweit der Nebennieren Nerven verlaufen, bedeutet angesichts der geringen Größe der Clips nicht, dass im Bereich der Nebennieren gesetzte Clips eine der Nerven in der Bauchwand getroffen haben müssen oder auch nur berühren.

Die Lage der Clips haben die Sachverständigen anhand der bildgebenden Befunde (Nierenbeckenübersichtsaufnahme und Computertomographie vom 17.09.2001) beurteilt. Bei der klinischen Untersuchung können die Clips naturgemäß nicht gesehen werden. Dass Dr. R., und nicht die von der Zivilkammer beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. D. und Oberarzt Dr. W. die Klägerin körperlich untersucht haben, spielt daher entgegen der in der Berufungsbegründung vertretenen Auffassung keine Rolle.

Die Nervi iliohypogastricus, ilioinguinalis und cutaneus femoris lateralis sind in der Computertomographie nicht abgrenzbar, wie sich aus dem radiologischen Zusatzgutachten von Oberarzt Dr. Wiens vom 20.09.2001 ergibt. Damit können in Hinsicht auf die Frage, ob durch das Setzen von Clips eine Verletzung dieser Nerven erfolgt sein kann, nur Überlegungen bezogen auf den normalen anatomischen Verlauf dieser Nerven angestellt werden. Nach Dr. Wiens liegen die Clips nicht in ihrer unmittelbaren Nähe.

Bei einer klinischen Untersuchung der Klägerin kann der Verlauf der Nerven im Bauchraum nicht beurteilt werden.

Eine ärztliche Regel, dass unterhalb des Poles der Niere keine Clips gesetzt werden dürften, verneinte Prof. Dr. D.. Irgendwelche Fundstellen in der medizinischen Literatur zur Stützung dieser These nannten weder die Klägerin noch Prof. Dr. Dr. B..

Überzeugend legte Prof. Dr. D. dar, dass auch die alternativen Möglichkeiten der Blutstillung, die Elektrokoagulation und die Ligatur der Blutgefäße zu Nervenschäden führen könnten. Auf irgendeine Weise müssen bei einer Operation unterhalb des Poles der Niere aber in jedem Fall blutende Gefäße versorgt werden.

Die Erholung eines Obergutachtens hinsichtlich der sachgemäßen Positionierung der Metallclips ist nicht erforderlich. Die gerichtlichen Sachverständigen, zuletzt am 01.04.2004 Prof. Dr. D., haben sich mit den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. B. eingehend auseinandergesetzt. Ihre Darlegungen sind nachvollziehbar und sachlich. Das Vorbringen des Privatgutachters hat dagegen keineswegs die Überzeugungskraft, die die Klägerin ihm beimisst. Wenn es auf Seite 7 seiner Stellungnahme vom 10.04.1999 heißt, der Beklagte zu 2) habe über zwei Dutzend Clips im Ausbreitungsgebiet des Plexus-lumbosacralis direkt auf die Nerven gesetzt, so handelt es sich um einen erkennbar maßlosen Vorwurf. Welches Motiv der Beklagte zu 2) haben sollte, die Klägerin bewusst im Sinne einer schweren Körperverletzung - und noch dazu in Anwesenheit zweier assistierender Ärzte - zu schädigen, ist nicht ersichtlich. Genauso abwegig wäre es aber, wenn Prof. Dr. Dr. B. mit seiner Aussage gemeint haben sollte, der Beklagte zu 2) habe bei allen seinen Versuchen, Blutgefäße abzuklemmen, Nerven getroffen. Wenn er aber - entgegen dem eindeutigen Wortlaut seiner Stellungnahme - nur gemeint haben sollte, einer der Clips müsse einen Nerv getroffen haben, so belegt dies keinen Behandlungsfehler.

(cc) Bei den verwendeten Titanclips handelt es sich um das übliche, auch in seiner Klinik verwendete Material, gegen das keine Bedenken bestehen, wie Prof. Dr. D. ausführte. Eine Verpflichtung zum Gebrauch der teureren, in Deutschland eher ungebräuchlichen auflösbaren Clips bestand nicht.

(dd) Der Beklagte zu 2) durfte als erfahrener Urologe die Operation trotz der Verwachsungen im Bauch ohne Unterstützung eines Viszeralchirurgen durchführen.

Wie Prof. Dr. D. bei seiner Anhörung erklärte, handelt es sich beim Vorgehen durch die Bauchdecke bei einer Nebennierenoperation um ein in der Urologie etabliertes, routinemäßig angewandtes Verfahren, das ebenso üblich ist wie der Zugang von der Flanke. Bei letzterem ist das Risiko von Nervenschädigungen höher. Verringert werde das Risiko, Nerven zu durchtrennen, im konkreten Fall laut Prof. Dr. D. auch durch die Öffnung der alten Wunde

Dass der Beklagte zu 2) die Operation angesichts der bei der Öffnung des Bauches vorgefundenen Verwachsungen, deren Ausmaß von außen nicht erkennbar sei, hätte abbrechen müssen, ergibt sich laut Prof. Dr. D. aus dem Operationsbericht nicht.

Darüber hinaus hat Prof. Dr. D. in seinem Gutachten vom 12.02.2004 ausgeführt, dass das Lösen der intraabdominellen Verwachsungen nichts mit einer etwaigen Verletzung von Nerven durch Clips im Bereich der Bauchhinterwand zu tun hat.

b) Es steht nicht fest, dass der Nervenschaden durch ein oder mehrere Clips verursacht wurde. Möglich sind auch andere Ursachen.

aa) Beweiserleichterungen wegen der unterlassenen Dokumentation der Mehrzahl der Clips kommen nicht in Betracht.

Der Senat hält die Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. D. und Oberarzt Dr. W., dass nicht jeder bei einer Operation verwendete Clip zu dokumentieren ist, für zutreffend. Dies entspricht seinem Erkenntnisstand aus anderen Arzthaftungsverfahren, gerade bezogen auf Bauchoperationen (ebenso LG Heidelberg MedR 1998, 175).

Die Erfahrungen, die ein Gericht durch die ständige Befassung mit Arzthaftungssachen (unter denen die intraoperativen Nervschädigungen eine erhebliche Rolle spielen) macht, sind entgegen der Meinung der Klägerin durchaus verwertbar, um ein Gutachten auf seine Plausibilität zu überprüfen.

Eine gegenteilige Rechtsauffassung hinsichtlich der Dokumentationspflicht würde zudem keine Haftung der Beklagten begründen. Wenn das Setzen jedes einzelnen Clips dokumentationspflichtig sein sollte, hätte die fehlende Dokumentation zur Folge, dass die Beklagten gegebenenfalls auf andere Weise nachweisen müssten, dass die nicht erwähnten Clips vorhanden sind. Hierum geht es aber nicht, sondern darum, ob die unstreitig vorhandenen Clips fehlerhaft gesetzt wurden.

bb) Aus der Art der aufgetretenen Nervenverletzung lässt sich nicht mit dem nach § 286 ZPO erforderlichen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit (Thomas/Reichold, 25. Aufl., § 286 ZPO Randnr. 2 m. w. N.) schließen, dass diese durch Metallclips ausgelöst wurde. Erst recht ist keine Zuordnung zu einzelnen Clips möglich.

Aus dem Ergänzungsgutachten vom 08.01.2003 und der Anhörung von Prof. Dr. D. am 01.04.2004 ergibt sich - und dies entspricht dem Erkenntnisstand des Senats aus zahlreichen anderen Arzthaftungsprozessen - dass eine intraoperative Nervenschädigung die verschiedensten Ursachen haben kann. Der Schluss aus den radiologischen Zusatzgutachten und der Auskunft der Firma Ethicon Norderstedt, dass eine Nervenschädigung durch die Clips nicht wahrscheinlich ist, läßt sich demnach sehr wohl mit der Feststellung verbinden, dass es sich bei ihr wahrscheinlich um eine Komplikation der Operation handelt.

Mit den weiteren Möglichkeiten einer Nervenschädigung, die die gerichtlichen Sachverständigen dargestellt haben, hat sich der Privatgutachter Prof. Dr. Dr. B. überhaupt nicht auseinandergesetzt, geschweige denn erklärt, warum eine intraoperative Durchtrennung, eine Hitzeeinwirkung bei Koagulation und eine Quetschung durch Ligaturen, oder eine indirekte Läsion der Nerven durch Druck oder (Haken-)zug ausgeschlossen sein soll. Alle diese von Prof. Dr. D. und Oberarzt Dr. W. genannten Möglichkeiten sind, wie dem Senat aus zahlreichen Prozessen bekannt ist, immer wieder die Ursache von Nervschädigungen, ohne dass dem Operateur deshalb ein Vorwurf gemacht werden kann.

Dass medizinische Sachverständige über die Ursachen von Schmerzen und neurologischen Komplikationen oft nur Vermutungen anstellen und allenfalls Angaben zu Wahrscheinlichkeiten machen können, ist häufig. Die Auffassung der Klägerin in der Berufungsbegründung, dass ein Gutachten nicht verwertbar sein soll, wenn es zu keinem eindeutigen Ergebnis kommt, wird, soweit dem Senat bekannt ist, bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur vertreten. Nach ständiger Erfahrung des Senats stellt es sogar eher die Ausnahme dar, dass sich absolut sichere Feststellungen über die Ursache postoperativer Nervenschädigungen machen lassen.

2) Auch bei der postoperativen Behandlung der Klägerin haben die urologischen Sachverständigen einen Behandlungsfehler nicht feststellen können. Der neurologische Sachverständige Dr. Feldmann bemängelt in seinem Zusatzgutachten vom 10.01.2002 zwar das Unterlassen einer frühzeitigen röntgenologischen Abklärung der postoperativen Beschwerden der Klägerin und die fehlende Information des Konsiliararztes über das Setzen der zahlreichen Clips, sieht aber keine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass dadurch die Ursache der Nervenschädigung erkannt und diese behoben hätte werden können. Einen groben Fehler verneint er insoweit ausdrücklich. Die urologischen Sachverständigen haben die Handlungsweise der Klinikärzte als verständlich bezeichnet, da sich Beschwerden dieser Art erfahrungsgemäß von selbst zurückbildeten.

Die Berufungsbegründung vom 17.10.2003 enthält wie der mit dem Prozesskostenhilfeantrag vorgelegte Klageentwurf vom 13.08.2003 keine Aussage dazu, wie die Nachbehandler bei sofortiger Kenntnis der Clips, die eingetretenen Beschwerden hätten verhindern können. Die Clips konnten unstreitig - dies entspricht auch der Meinung des Privatgutachters Prof. Dr. Dr. B. - unter zumutbarem Risiko nicht entfernt werden.

Dass die Klägerin heute noch Schmerzen hat, widerlegt nicht die Aussage der Sachverständigen, dass die behandelnden Ärzte auf eine Spontanremission der neurologischen Beschwerden gehofft haben könnten. Unerfindlich ist, warum diese Überlegung gegen die Objektivität des Sachverständigen sprechen soll.

Hinsichtlich der Aufklärungsrüge, die die Klägerin in der Berufung nicht weiterverfolgt hat, wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

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