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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 25.04.2002
Aktenzeichen: 1 U 5866/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 128 Abs. 2
BGB § 823
BGB § 831
BGB § 847

Entscheidung wurde am 18.09.2003 korrigiert: der Entscheidung wurde ein amtlicher Leitsatz hinzugefügt
1. Das Übersehen einer auf einer Röntgenaufnahme erkennbaren Fraktur eines Lendenwirbelkörpers stellt nicht ohne weiteres einen groben ärztlichen Fehler dar, zumindest dann nicht, wenn die Aufnahme gemacht wurde, um die Nierensituation des Patienten abzuklären und die Wirbelsäule nicht im Zentrum der diagnostischen Maßnahmen stand.

2. Enthält der im Anschluss an eine unvollständige Röntgendiagnostik erstellte Brief an den Nachbehandler des Patienten den Hinweis, dass eine Fraktur im Bereich der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen sei, führt dies jedoch in der Regel zur Annahme eines groben Fehlers.

2. Beruft sich der dergestalt fehlerhaft handelnde Arzt darauf, dass der nach späterem Erkennen der Fehlstellung operierte Patient auch bei einem ordnungsgemäßen Vorgehen seinerseits nicht mehr konservativ zu behandeln gewesen wäre sondern in gleicher Weise und mit den gleichen nachteiligen Folgen bereits damals operiert werden hätte müssen, gehen Zweifel hinsichtlich des vormals bestehenden Ausmaßes der Fraktur (hier: Grad der Keilwirbelbildung) zu Lasten des Arztes.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN URTEIL

Aktenzeichen 1 U 5866/99

Verkündet am 25.4.2002

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung und Feststellung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und im schriftlichen Verfahren, bei dem Schriftsätze berücksichtigt wurden, die bis 11.4.2002 bei Gericht eingingen, folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts vom 26.10.1999 in Ziffer I 1 dahingehend abgeändert, dass der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin 51.129,19 EUR (=100.000 DM) nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 19.4.1996 zu bezahlen, in Ziffer I 2 dahingehend, dass festgestellt wird, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen aus der im Kreiskrankenhaus vom 24.726.4.1993 erfolgten fehlerhaften Behandlung entstandenen materiellen sowie jeglichen künftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.

Im übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

II. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Beklagte 57 % und die Klägerin 43 %.

Die Kosten der Berufung tragen der Beklagte zu 81 % und die Klägerin zu 19%.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1. Die Klägerin macht Ansprüche aus fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.

a) Am Samstag, den 244.1993, gegen 11.00 Uhr/1, 1.30 Uhr begab sich die am 11.2.1976 geborene Klägerin in das Krankenhaus der Beklagten. Dort teilte sie mit, am Vortag einen Unfall erlitten zu haben, bei dem sie im Bereich einer Treppe vor einem Einkaufsmarkt gestürzt sei. Am Vormittag des 24.4.1993 hätten sich heftige Schmerzen eingestellt. Im Krankenhaus des Beklagten wurde eine Fraktur am linken Unterarm festgestellt und mit einem Unterarmgips versorgt. Darüber hinaus wurden die Nieren der Klägerin wegen Verdachts der Nierenkontusion geröntgt; dabei wurde auch eine Röntgen-Beckenübersichtsaufnahme erstellt. Die Wirbelsäule bzw. die Lendenwirbelsäule wurden nicht gezielt geröntgt. Diese wurden von Seiten der behandelnden Ärztin auch als nicht klopfdolent betrachtet. Anschließend entließ man die Klägerin mit der Diagnose "Beckenprellung; distale Radiusfraktur links" nach Hause. Am Folgetag, den 25.4.1993, kam die Klägerin zur Unterarm-Gipskontrolle und wegen andauernder erheblicher Schmerzen im Bereich des linken Nierenlagers erneut in das Krankenhaus des Beklagten, wo sie erneut klinisch untersucht und sodann bei deutlicher Klopf- und Druckdolenz -links mehr als rechts- stationär aufgenommen wurde. Am 26.4.1993 wurde eine Abdomenleeraufnahme angefertigt, auf der der untere knöcherne Thorax und die gesamte Lendenwirbelsäule und das Becken a. p. zur Darstellung kommen. Nach Untersuchung des Urins teilte man der Klägerin mit, dass in der Folge eine Darmspiegelung beabsichtigt sei. Da eine solche bei der Klägerin bereits am 10.2.1993 durchgeführt worden war, verließ diese am darauffolgenden 26.4.1993, einem Montag, gegen den Rat der sie behandelnden Ärzte das Krankenhaus. Sie unterzeichnete eine Erklärung (Anlage zu Bl. 251/253 d.A.), wonach ihre Entlassung aus dem Krankenhaus auf eigenen Wunsch erfolge. Als "Risiko" ist auf der Erklärung ärztlicherseits handschriftlich vermerkt: "Nierenblutung, Nierenentzündung, Harnleiterentzündung etc. li. UA: -Gelenkfehlstellung ..."

Am gleichen Tag verfasste die bei der Beklagten beschäftigte Assistenzärztin; ein Schreiben an die Gemeinschaftspraxis die Hausärzte der Klägerin (Anlage K 2, Bl. 17 d. A.) worin unter anderem festgestellt wird: "Rö.-Beckenübersicht: kein Hinweis für frische knöcherne Verletzung." In einem weiteren Arztbrief des Krankenhauses an die Gemeinschaftspraxis [vom 3,5.1993, unterzeichnet von Chefarzt, Oberarzt und Arzt im Praktikum (Anlage zu Bl. 251/253 d. A.) heißt es, entsprechend den im Krankenhaus gefertigten Eintragungen zur Krankengeschichte der Klägerin, zur Anamnese der Klägerin: "Radiologisch war im Bereich der LWS eine Fraktur ausgeschlossen worden."

In der Folgezeit begab sich die Klägerin zum Zwecke der Kontrolle des Unterarmgipses noch am 11.5.1993 und am 24.5.1993 in das Krankenhaus des Beklagten. Ihre Rückenbeschwerden wurden von Seiten des Hausarztes weiterbehandelt. Dieser überwies die Klägerin am 7.6.1993 an den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie der der Klägerin sodann das Medikament Imap verordnete. Innerhalb von sechs Wochen nahm die Klägerin daraufhin 16 kg zu. In der Zeit vom 14.6.1993 bis 27.6.1993 befand sie sich in der Nervenklinik.

b) Am 3.6.1994 verspürte die Klägerin anlässlich einer Karussellfahrt auf einem Volksfest starke Schmerzen im Rückenbereich, woraufhin sie vom ärztlichen Notdienst in das Krankenhaus und von dort weiter in das Krankenhaus des Beklagten eingeliefert wurde. Bei einer gefertigten Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule der Klägerin in zwei Ebenen wurde eine "eher ältere, erhebliche Keilfraktur LWK 1" festgestellt (vgl. Anlage K 7). Im Rahmen der Untersuchung wurde am 16.6.1994 ein sogenannter Knochenbloodpool der Wirbelsäule und am 27.9.1994 ein CT gefertigt.

Im Januar 1995 wurde die Klägerin schließlich zur Behebung ihres Wirbelschadens in der Orthopädischen Klinik in an der Wirbelsäule operiert. Dabei wurden ihr bei einer ventralen Spondylodese durch eine Knochentransplantation Knochenteile aus dem Hüftkamm und der 7. Rippe entnommen und zur teilweisen Aufrichtung der Fehlstellung in die Wirbelsäule eingesetzt. Der Aufenthalt der Klägerin in der Orthopädischen Klinik in dauerte vier Wochen.

Infolge der Operation blieben bei der Klägerin eine ca. 40 cm lange Narbe am Rücken sowie eine ca. 20 cm lange Narbe an der Hüfte zurück. Außerdem wurden bei der Operation in Nerven am Oberschenkel verletzt, so dass die Klägerin dort kein Empfinden mehr verspürt.

Die Klägerin, deren Wirbelsäule nunmehr teilweise versteift ist, trägt heute ein Stützkorsett und benützt Krücken.

Aufgrund ihrer Leiden war die Klägerin für die Zeit bis 31.12 1996 als erwerbsunfähig anerkannt und bezog Erwerbsunfähigenrente. Für die Folgezeit läuft ein Widerspruchsverfahren wegen Versagung weiterer Erwerbsunfähigkeitsrente.

Vorschussleistungen der Beklagten sind in der Größenordnung von einigen tausend DM erst im Laufe der zweiten Instanz bezahlt worden.

2. Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen:

a) Der bei ihr letztlich diagnostizierte Wirbelsäulenschaden sei die Folge ihres Sturzes vom 23.4.1993.

b) Bei der streitgegenständlichen Untersuchung am 24.725.4.1993 habe die behandelnde Ärztin pflichtwidrig die LWK-1-Fraktur übersehen. Insbesondere habe diese Ärztin gröblichst gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen, als sie im Rahmen ihres Arztberichtes vom 26.4. festgestellt habe, dass radiologisch im Bereich der LWS eine Fraktur ausgeschlossen werden konnte.

c) Bei einem sofortigen Erkennen der Fraktur hätte die Klägerin keinerlei Folgeschäden erlitten, wenn gleichzeitig die richtigen Behandlungsschritte eingeleitet worden wären. Die Klägerin hätte in diesem Fall sechs bis acht Wochen in einer Gipsschale liegen müssen, ohne zwischendurch aufzustehen. Auf diese Art und Weise wäre sichergestellt gewesen, dass der Bruch folgenlos abheilt.

Diese konservative Behandlung mit Aufrichtung des Wirbels im Gipsmieder wäre jedenfalls möglich gewesen bei einer Achsenfehlstellung mit keilförmiger Deformierung des Wirbelkörpers in der seitlichen Richtung von unter 25 Grad. Davon, daß die Deformierung nicht stärker gewesen sei, müsse ausgegangen werden. Da es der Beklagte nach dem Unfall versäumt habe, die Wirbelsäule der Klägerin von der Seite zu röntgen, sei bereits nicht nachgewiesen, dass damals überhaupt eine Keilwirbelbildung vorlag. Falls dies der Fall gewesen sein sollte, sei diese jedenfalls nur geringfügig ausgeprägt gewesen. Soweit durch Röntgenbilder, Funktionsaufnahmen und Computertomographie die Diagnose einer Flexions-Kompressionsfraktur mit einer Keilwirbelbildung von 30 Grad des LWK 1 gestellt wurde, sei dies erst ca. 1 Jahr nach dem Unfall erfolgt. Der geschädigte Wirbel sei erst zu einem späteren Zeitpunkt zusammengesunken. Die Beweislast für eine eventuelle Keilwirbelbildung trage aufgrund des Behandlungsfehlers der Beklagte.

Die Falschdiagnose im Krankenhaus des Beklagten und die fehlerhafte Mitteilung an ihren Hausarzt habe für die Klägerin weitreichende Folgen gehabt, die bei sachgerechter Diagnose und Behandlung vermeidbar gewesen wären.

aa) So habe die Klägerin in der Folgezeit ab April 1993 erhebliche Schmerzen und Beeinträchtigungen erleiden müssen. Mangels nachvollziehbarer Schmerzursache sei sie sogar zu dem Nervenarzt überwiesen worden. Aufgrund dessen Medikamentenverordnung (Imap) habe sie innerhalb von sechs Wochen 16 kg zugenommen, was sich nach Absetzen des Medikaments alsbald wieder normalisiert habe. Der Aufenthalt der Klägerin in der Nervenklinik vom 14.6. bis 28.7.1993 sei wegen der Schmerzproblematik veranlasst gewesen.

bb) Die Knochentransplantation in wäre im Fall einer unverzüglichen Diagnose nicht erforderlich gewesen. Daher seien auch die Narben, Lähmungserscheinungen und Empfindungsbeeinträchtigungen eine Folge der verfahrensgegenständlichen Pflichtverletzung.

cc) Auch die heute bestehende teilweise Versteifung der Wirbelsäule der Klägerin vom 1. bis zum 3. Lendenwirbel beruhe auf der fehlerhaften Behandlung im Krankenhaus des Beklagten.

dd) Zudem sei das linke Bein der Klägerin aufgrund der Operation um drei Zentimeter kürzer. Ferner sei die Klägerin heute erheblich geh- und stehbehindert und müsse nunmehr ein Stützkorsett sowie Krücken benutzen. Das Stützkorsett führe zu Hautrötungen und Allergien. Darüber hinaus leide die Klägerin unter Lähmungserscheinungen im Fuß, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und oft tagelangen Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Auch psychische Folgen und psychosomatische Beschwerden seien auf die operativ bedingte Zustandsverschlechterung der Klägerin zurückzuführen.

ee) Darüber hinaus sei die Klägerin aufgrund des Fehlverhaltens des Beklagten erwerbsunfähig geworden, was derzeit noch andauere.

d) Ihre Schmerzensgeldforderung bezifferte die Klägerin vor dem Landgericht zunächst mit 80.000,-- DM. Im landgerichtlichen Termin vom 14.9.1999 teilte sie sodann mit, dass sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,-- DM als angemessen erachte. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte trotz eindeutig zugunsten der Klägerin sprechender Beweislage bis zum Ende der ersten Instanz jegliche Regulierung abgelehnt habe.

e) Die Klägerin hat weiter vorgetragen, dass ihr aufgrund der Behandlungsfehler des Beklagten ein qualvolles, deutlich verkürztes Leben im Rollstuhl drohe, wobei möglicherweise das gesamte linke Bein abgenommen werden müsse.

Darüber hinaus müsse sie unter anderem mit heute noch nicht im einzelnen absehbaren Einkommensausfällen, Pflegeaufwendungen und Haushaltshilfekosten rechnen. Ein Fortkommensschaden sei in jedem Fall gegeben, da die Klägerin praktisch drei Jahre vollständig aus ihrem Berufsleben streichen könne.

Näheres zu den behaupteten Schädigungen der Klägerin findet sich insbesondere in den Schriftsätzen der Klageseite vom 10.4.1996 (Bl. 1/14 d. A.), 1.4.1997 (Bl. 85/92 d. A.), 8.10.1998 (Bl. 129/132 d. A.).

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:

I) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Zeitraum vom 23.4.1993 bis zur Rechtshängigkeit ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

II) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden - letztere soweit sie nach Rechtshängigkeit entstehen - aus der fehlerhaften Behandlung vom 24726.4.1993 im Kreiskrankenhaus zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

3. Der Beklagte hat beantragt

die Klage abzuweisen.

a) Er hat hierzu in erster Instanz vorgetragen, dass die verfahrensgegenständliche Wirbelverletzung nicht durch den vermeintlichen Sturz am 23.4.1993 verursacht worden sei. Genauso gut könne sich die Klägerin die Fraktur durch einen Verkehrsunfall im September 1993 oder die Karussellfahrt im Jahr 1994 zugezogen haben.

b) Außerdem habe die Klägerin die Nichtdiagnose der LWK-I-Fraktur aufgrund ihres eigenverantwortlichen Verlassens des Krankenhauses am 26.4.1993 selbst zu verantworten.

c) Die von der Klägerin behaupteten Schäden lägen zudem nicht vor oder seien zumindest nicht auf ein Fehlverhalten von Mitarbeitern des Beklagten zurückzuführen sondern allein auf die Grunderkrankungen der Klägerin.

aa) Eine Operation mit Knochentransplantation, wie durchgeführt, sei in jedem Fall notwendig gewesen.

bb) Die Behandlungen der ohnehin psychisch auffälligen Klägerin bei dem Nervenarzt und in der Nervenklinik seien nicht durch etwaige Behandlungs- oder Diagnosemängel bedingt gewesen.

cc) Außerdem sei die Klägerin heute weder erheblich geh- noch stehbehindert; auch leide sie nicht unter Lähmungserscheinungen im Fuß.

Die behaupteten Schmerzen seien weit übertrieben dargestellt.

dd) Nicht zuletzt sei die Klägerin auch nicht arbeitsunfähig.

d) Die Schmerzensgeldvorstellungen der Klägerin seien weit überzogen.

Angesichts von Anfang an - nicht zuletzt aufgrund mangelnder Wahrheitsliebe der Klägerin - bestehender berechtigter und klärungsbedürftiger Zweifel hinsichtlich des Grundes und der Höhe der Forderung könne dem Beklagten kein Missbrauch wirtschaftlicher Macht bei der bislang unterbliebenen Schadensregulierung vorgeworfen werden.

4. Das Landgericht gab, gestützt auf die gemäß Beweisbeschlüssen vom 23.7.1996 (Bl. 58 d. A.), 8.4.1997 (Bl. 93 d. A.) sowie Verfügung vom 7.5.1998 (Bl. 112 d. A.) erholten schriftlichen Gutachten der Sachverständigen für Orthopädie und Sportmedizin vom 20.11.1996 (BL 61/71 d. A.), 29.1.1998 (Bl. 98/107 d. A.) und 3.8.1998 (Bl. 114/120 d. A.), die der Sachverständige im Termin vor dem Landgericht vom 13.10.1998 erläuterte (Bl. 134/137 d. A.), sowie des Gutachtens des Sachverständigen für allgemeine Psychopathologie vom 23.4.1999 (Bl. 154/175 d. A.) der Klage mit Urteil vom 26.10.1999 überwiegend statt.

Es erkannte darauf, dass die Assistenzärztin grob fehlerhaft und pflichtwidrig gehandelt habe, als sie am 26.4.1993 trotz fehlender gezielter Untersuchung der Lendenwirbelsäule der Klägerin und unter nicht hinreichender Betrachtung der von der Wirbelsäule der Klägerin angefertigten Röntgenbilder im Schreiben an die Gemeinschaftspraxis feststellte: "Radioiogisch war im Bereich der LWS eine Fraktur ausgeschlossen worden".

Der Beklagte als Geschäftsherr der Assistenzärztin habe der Klägerin den Schaden zu 2/3 zu ersetzen, der der Klägerin dadurch entstand, dass aufgrund der Untersuchungen am 24./26.4.1993, dem Nichterkennen der damals bereits vorhandenen LWS-1-Fraktur und dem Schreiben von vom 26.4.1993 nicht die gebotenen ärztlichen Heilmaßnahmen ergriffen wurden.

Der Beklagte habe den nach Beweislastgrundsätzen bei groben Arztfehlern von ihm zu fordernden Beweis für die Nichtursächlichkeit der Pflichtverletzung der Assistenzärztin für die von der Klägerin behaupteten Schmerzen und Leiden nicht erbracht. Nicht nachgewiesen sei, dass die Klägerin die vorgetragenen Leiden auch bei unverzüglicher Diagnose der LWK-1-Fraktur hätte ertragen müssen. Die Operation bzw. deren Folgen hätten, so der Sachverständige möglicherweise vermieden werden können, wenn diese Fraktur rechtzeitig behandelt worden wäre.

Ein Mitverschulden der Klägerin hat das Landgericht darin gesehen, dass diese am 26.4,1993 das Krankenhaus des Beklagten auf eigene Verantwortung verließ. Es sei durchaus möglich, so das Landgericht, dass die fragliche Fraktur noch im Rahmen etwaiger weiterer Diagnosemaßnahmen entdeckt worden wäre.

Unter Zugrundelegung einer Mitverschuldensquote von einem Drittel hielt das Landgericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,- DM für angemessen, wobei es von den klageseits vorgetragenen Folgen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung lediglich die Behandlung der Klägerin bei dem Nervenarzt bzw. ihren Aufenthalt in der Nervenklinik sowie ihre erhebliche Gewichtszunahme infolge der Verordnung des Medikaments Imap nicht als Folgen der Falschbehandlung im Krankenhaus des Beklagten sondern einer bei der Klägerin bereits damals vorhandenen Bulimie ansah.

Den Feststellungsausspruch hat das Landgericht ebenfalls zu 2/3 für begründet angesehen.

5. Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte das Ziel einer vollumfänglichen Klageabweisung.

a) Ein vorwerfbarer ärztlicher Fehler, geschweige denn ein grober Fehler, liege nicht vor.

aa) Das Übersehen des im Ausscheidungsurogramm erkennbaren Bruches des 1. Lendenwirbelkörpers möge zwar zunächst fehlerhaft gewesen sein, sei jedoch keinesfalls leichtfertig erfolgt. Jedem Arzt müsse eine Arbeits- und Erstdiagnose zugebilligt werden, die dann im Verlaufe der Behandlung korrigiert werden könne bzw. müsse. Diese Möglichkeit habe die Klägerin, indem sie das Krankenhaus verließ, den behandelnden Ärzten jedoch genommen.

Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin, als sie sich erstmals am 24.4.1993 in Behandlung beim Beklagten begab, nicht über Wirbelsäulenbeschwerden geklagt habe. Da darüber hinaus auch beim Abklopfen der Wirbelsäule kein Schmerz verifizierbar war, habe keinerlei Anlass bestanden, die Wirbelsäule zu röntgen. Wäre die Klägerin im Krankenhaus geblieben, wäre den Beschwerden der Klägerin nachgegangen, worden und hätte man letztlich sicherlich die Fraktur erkannt.

bb) Fälschlicherweise führe das Erstgericht auch aus, habe am 26.4.1993 in dem Schreiben an den Hausarzt der Beklagten festgestellt: "Radiologisch war im Bereich der LWS eine Fraktur ausgeschlossen worden". Diese Behauptung sei unrichtig. Die Feststellung befinde sich nämlich ausschließlich in der Krankengeschichte des Krankenhauses, also im internen Bereich. Eine Auswirkung auf die Weiterbehandlung der Klägerin habe der Arztbrief damit nicht gehabt.

b) Das Übersehen des Bruches sei, wenn überhaupt ein Behandlungsfehler vorliege, jedenfalls kein grober Behandlungsfehler. Eine Umkehr der Beweislast komme deshalb nicht in Betracht. Dass ihr durch das Verhalten der Assistenzärztin ein Schaden entstanden sei bzw. dass bei sofortigem Erkennen des Bruchs eine konservative Behandlung unter Vermeidung der Operationsfolgen möglich gewesen wäre, habe die Klägerin nicht bewiesen. Auch primär wäre eine Operation mit Knochentransplantation angezeigt gewesen. Es wäre zu einer Versteifung in den gleichen Segmenten gekommen, wie dies sekundär erfolgt sei.

Das Erstgericht unterscheide auch nicht, welche Folgen die Grunderkrankung - also der Unfall und die Fraktur- an sich hatte und welche Folgen durch das Übersehen der Fraktur eingetreten seien.

c) Schließlich sei auch das Mitverschulden der Klägerin, die eine Überprüfung der Erst- und Arbeitsdiagnose verhindert habe, in der Quote falsch berücksichtigt.

Das zuerkannte Schmerzensgeld sei utopisch. Bei der Höhe des Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin sowohl das Erstgericht wie auch den Sachverständigen mit der Unwahrheit bedient habe.

d) Dass der Klägerin noch zukünftiger, jetzt nicht vorhersehbarer immaterieller Schaden nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstehen sollte, sei nicht nachvollziehbar.

6. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihren ursprünglichen, auf ein Schmerzensgeld von mindestens 150.000,-- DM sowie eine volle Haftung des Beklagten für die materiellen und immateriellen Schäden gerichteten Klageantrag weiter.

a) Es bleibe bei der Bewertung des ärztlichen Fehlverhaltens als grob fehlerhaft mit den sich daraus ergebenden Beweislastfolgen.

Der Beklagte sei für seinen Vortrag beweisfällig geblieben.

b) Ein Mitverschulden der Klägerin liege nicht vor.

Soweit die Klägerin, wie von ihr schriftlich bestätigt, auf eigene Verantwortung die Klinik verlassen habe, sei diese Bestätigung, da die Klägerin damals erst 17 Jahre alt, damit minderjährig und beschränkt geschäftsfähig gewesen sei, ohne rechtliche Wirkung.

Im übrigen sei die Klägerin auch zu keiner Zeit darauf hingewiesen worden, dass noch Untersuchungen bezüglich einer Wirbelsäulenverletzung anstünden, die durch ein vorzeitiges Entlassen nicht mehr durchgeführt werden könnten. Die Klägerin sei auch zu keiner Nachuntersuchung einbestellt worden.

c) Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld sei insbesondere im Hinblick auf die schweren Folgeschäden, das jugendliche Alter der Klägerin, ihre verminderten Heiratschancen und die vehemente Zahlungsverweigerung durch den Beklagten unter Ausnutzung von dessen wirtschaftlicher Machtposition um 70.000,-- DM zu niedrig bemessen.

7. Die Parteien beantragen, die Berufungen der Gegenseite jeweils zurückzuweisen.

Die Klägerin weist darauf hin, dass sie am 24.4.1993, als sie sich in die ambulante Behandlung ins Krankenhaus des Beklagten begeben habe, zwar nicht ausdrücklich von Schmerzen an der Wirbelsäule, aber von extremen Beschwerden im Rückenbereich (in der Gegend der Lendenwirbelsäule) geklagt habe. Das Ausmaß dieser Beschwerden wäre für die Beklagte Anlass genug gewesen, auch eine eventuelle Verletzung der Wirbelsäule in ihren Diagnoseverdacht einzubeziehen. Ohne geklagte Rückenschmerzen wäre ärztlicherseits auch keine Verletzung der Niere in Betracht gezogen worden.

Die Klägerin weist ferner darauf hin, dass die Feststellung "radiologisch war im Bereich der Lendenwirbelsäule eine Fraktur ausgeschlossen worden", zwar nicht im Schreiben der Beklagten vom 26.4.1993, wohl aber in dem ebenfalls an den Hausarzt der Klägerin gesandten Befundbericht vom 3.5.1993, enthalten sei. Sie mutmaßt darüber hinaus, dass möglicherweise doch die medizinisch angezeigten Röntgenaufnahmen der LWS in zwei Ebenen angefertigt worden und nachträglich verschwunden seien. Mangels ausreichender bzw. falscher Diagnostik würde jedenfalls nicht feststehen, ob damals nicht nur eine geringfügige oder überhaupt keine Keilwirbelbildung vorlag. Dies gehe zu Lasten des Beklagten.

8. Der Senat hat den Sachverständigen im Termin vom 13.4.2000 angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 259/266 d. A.) verwiesen.

Mit Beschluss vom 5.10.2000 (Bl. 278/283 d. A.) hat der Senat sodann ein ergänzendes schriftliches Gutachten des Sachverständigen zu Art, Ausmaß und Dauer der Schmerzen und Beschwerden der Klägerin erholt. Dieses von ihm am 7.11.2001 erstattete Gutachten (Bl. 313/327 d. A.) hat der Sachverständige im Termin vom 24.1.2002 mündlich erläutert. Insoweit wird auf Blatt 343/347 d. A. Bezug genommen.

Auf die vom Rücken der Klägerin gefertigten Lichtbilder (Anlage zum landgerichtlichen Protokoll vom 11.3.1997, zu Bl. 82/83 d. A.) wird zur Veranschaulichung hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

Beide Berufungen sind zulässig.

Während sich die Berufung des Beklagten in vollem Umfang als unbegründet erwies, war auf die großteils begründete Berufung der Klägerin das Ersturteil des Landgerichts insoweit abzuändern, als unter Wegfall des vom Landgericht angenommenen 1/3-Mitverschuldensantei!s der Klägerin sich das bis zum Zeitpunkt gemäß § 128 Abs. 2 ZPO betragsmäßig errechnete Schmerzensgeld erhöhte und darüber hinaus eine volle Ersatzpflicht des Beklagten für sämtliche materiellen und sämtliche künftigen immateriellen Schäden der Klägerin aus dem Behandlungsereignis festzustellen war.

Der Klägerin steht aufgrund fehlerhafter ärztlicher Behandlung im Krankenhaus des Beklagten gemäß §§ 823, 831, 847 BGB ein Schmerzensgeld sowie ein materieller Schadensersatzanspruch wie tenoriert zu. Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der materiellen Schäden stützt sich zudem auf Verletzung des mit dem Beklagten geschlossenen Behandlungsvertrags.

I.

Nicht mehr ausdrücklich zwischen den Parteien im Streit und nach Beweisaufnahme auch im Sinne der Klägerin geklärt ist der Zeitpunkt, zu dem sich die Klägerin den Bruch des Lendenwirbelkörpers zugezogen hat.

Dieser lag jedenfalls vor dem ersten Aufsuchen des Krankenhauses des Beklagten am 24.4.1993 und lässt sich ohne weiteres mit der Darstellung der Klägerin zu ihrem Unfallgeschehen vom 23.4.1993 in Einklang bringen. Bereits auf der Abdomenübersicht mit Darstellung der unteren zwei Rippen, der LWS und des Beckens der Klägerin, die am 26.4.1993 im Krankenhaus genommen wurde, ist, so der Sachverständige am oberen Rand ca. 5 bis 10 cm von der rechten Niere entfernt, deutlich zu erkennen, dass die linke Bogenwurzel des LWK I nicht abgrenzbar ist. Die Abdomenaufnahme zeigt zudem eine deutliche Verbreiterung des ersten Lendenwirbelkörpers mit Ausladen nach links. Im Vergleich dazu lässt sich, wie die Sachverständigen und im schriftlichen Gutachten vom 20.11.1996 ausgeführt haben, auf einer Röntgenaufnahme der Klägerin vom Januar 1993, ebenfalls aus dem Krankenhaus und mit fast exakt gleicher Projektion, ein völlig unauffälliger erster Lendenwirbelkörper exakt abgrenzen.

Die Frage im Beweisbeschluss des Landgerichts vom 23.7.1996, ob die Klägerin am 23.4.1993 bei einem Treppensturz eine LWK-I-Fraktur erlitten hat, haben die Sachverständigen deshalb, auch für den Senat überzeugend, mit "ja" beantwortet.

II.

Im Rahmen der ärztlichen Behandlung der Klägerin im Krankenhaus des Beklagten wurden zum Teil gravierende Fehler begangen.

1.

Die Fraktur des LWK I hätte bei Vorstellung der Klägerin in der Klinik am 24.3. bzw. 26.4.1993 erkannt werden können.

Wie bereits ausgeführt, haben die Sachverständigen und in ihrem Gutachten dargelegt, dass auf der am 26.4.1993 im Krankenhaus des Beklagten gefertigten Abdomenleeraufnahme in sogenannter a.p.-Strahlenprojektion die Fraktur eindeutig sichtbar ist. Die linke Bogenwurzel des LWK I ist darauf mit einer deutlichen Verbreiterung des Wirbelkörpers nach links ausladend und nicht abgrenzbar. Gleichwohl wurde der Bruch übersehen.

Die beiden Sachverständigen haben dieses Übersehen aus ärztlicher Sicht zwar als fehlerhaft bezeichnet; jedoch handele es sich, so die Sachverständigen, nicht um einen Fehler, wie er einem gewissenhaften Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Zu dieser Bewertung sind die Sachverständigen unter Zugrundelegung des bei der Klägerin erhobenen klinischen Befundes, wie er in der Krankengeschichte des Krankenhauses |und in dem Arztbrief an den Hausarzt der Klägerin enthalten ist, gelangt. Die Klägerin habe danach einen Klopf- und Druckschmerz im Bereich der Nierenlager empfunden und sei deshalb hier gründlich sonographisch untersucht und als unauffällig befundet worden. Ob die Lendenwirbelsäule radiologisch untersucht worden sei, sei, so die Sachverständigen, nicht exakt nachzuvollziehen, da diesbezüglich weder Röntgenbilder vorliegen noch die typische Klinik dazu vorhanden war (Befund: Wirbelsäule nicht klopfdolent). Da auch das Wasserlassen der Klägerin offensichtlich brennende Schmerzen verursacht habe, habe man sich in der Untersuchung wohl vor allem auf das Urogenitalsystem konzentriert und deshalb die Abdomenleeraufnahme gefertigt. Bei dieser Sachlage, so die Sachverständigen, könne die tatsächlich auf der Aufnahme sichtbare Fraktur schon übersehen werden.

Das Übersehen, das er als Diagnosefehler einschätze, sei, wie der Sachverständige im Termin vor dem Landgericht erläuterte, jedenfalls nicht leichtfertig. Bei seiner Erstanhörung vor dem Senat hat der Sachverständige diese Ausführungen nochmals präzisiert: Danach gehöre, wenn man den Unfall der Klägerin und deren Erklärung zugrundelegt, Schmerzen im Rückenbereich zu haben, der Frakturausschluss zwar zu den Dingen, die ärztlicherseits unbedingt gemacht werden müssen und entspreche es, auch bezogen auf April 1993, nicht dem ärztlichem Standard, einen solchen Frakturausschluss zu unterlassen. Da jedoch die fragliche Abdomenaufnahme gemacht wurde, um die Nierensituation abzuklären und die Wirbelsäule nicht im Zentrum der diagnostischen Maßnahmen lag, sei es, auch wenn auf der Aufnahme der Klägerin vom 26.4.1993 die Veränderung im ersten Lendenwirbel eindeutig zu sehen war, gleichwohl denkbar, dass man das einmal übersehen hat.

Der Senat folgt dieser Einschätzung mit der Maßgabe, dass er in dem Übersehen der Fraktur und dem Unterlassen einer unmittelbar nachfolgenden weiteren, gegebenenfalls noch aussagekräftigeren Röntgenaufnahme jedenfalls noch keinen groben ärztlichen Fehler erkennen kann. Ein solcher ist nicht bereits bei zweifelsfreier Feststellung einer Verletzung des maßgeblichen ärztlichen Standards gegeben. Er setzt vielmehr neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung voraus, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH vom 29.5.2001, NJW 2001, 2792, m.w.N.). Diese letztere Voraussetzung liegt unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens nicht vor.

Auf die Frage, ob insoweit ein grober ärztlicher Fehler vorliegt, kam es indessen nicht entscheidend an, da jedenfalls in anderer Hinsicht das Verhalten der Ärzte im Krankenhaus des Beklagten als grob fehlerhaft anzusehen ist.

2.

Als nicht nachvollziehbar hat es der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Landgericht bereits bezeichnet, dass in die Krankengeschichte und dementsprechend in den Arztbrief an den Hausarzt der Klägerin vom 3.5.1993 die Feststellung aufgenommen wurde, dass eine Fraktur im Bereich der LWS ausgeschlossen sei.

Eine solche Aussage, so der Sachverständige, hätte nur getroffen werden dürfen, wenn eine Röntgenaufnahme speziell der Lendenwirbelsäule aus zwei Ebenen gemacht worden wäre. Diese Aussage ohne eine entsprechende Röntgenaufnahme zu machen hält der Sachverständige für leichtfertig, gänzlich unverständlich; dies dürfe dem behandelnden Arzt schlechterdings nicht unterlaufen.

Im Falle der vorzeitigen Entlassung oder des Verlassens des Krankenhauses auf eigenen Wunsch der Patientin hätte, so der Sachverständige unbedingt aufgenommen werden müssen, dass die Beschwerden letztlich nicht abgeklärt wurden. Dies war ausweislich der Krankenunterlagen hier jedoch nicht der Fall.

Der Senat teilt die Einschätzung des Sachverständigen in vollem Umfang und erkennt darin, wie der Sachverständige in seiner Bewertung ebenfalls, einen groben Behandlungsfehler des Beklagten.

Durch die Ausschließlichkeit, mit der das Ergebnis der radiologischen Untersuchung der Klägerin im Krankenhaus immerhin einem akademischen Lehrkrankenhaus, festgehalten wurde, durch die apodiktische Feststellung, eine Fraktur sei im Bereich der LWS ausgeschlossen, war, auch für den Beklagten erkennbar, zugleich so gut wie ausgeschlossen, dass dahingehend noch gezielt weitere Untersuchungen bzw. eine dringend erforderliche weitere Röntgendiagnostik zur Abklärung einer Fraktur erfolgen würden. Die Nachbehandler wurden gleichsam auf eine falsche Fährte gesetzt und die notwendige und korrekte Behandlung der Klägerin immer weiter hinausgezögert.

Die Fehlerhaftigkeit des Nichterkennens der Fraktur und die grobe Fehlerhaftigkeit der Mitteilung eines Frakturausschlusses an die Nachbehandler ergibt sich insbesondere daraus, dass die Fraktur der Klägerin, wie nach den Ausführungen der Sachverständigen und zweifelsfrei feststeht, in jedem Fall bereits 1993 behandlungsbedürftig war, wobei grundsätzlich, je nach Gestaltung des Bruches, konservative und/oder operative Maßnahmen zu diskutieren sind.

III.

Die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Fehler des Beklagten zu kausal zurechenbaren Schäden bei der Klägerin geführt haben, wie dies die Klägerin unter Nennung einer Reihe im einzelnen bezeichneter Leiden, Beschwerden und materieller Einbußen behauptet und der Beklagte bestreitet, war zugunsten der Klägerin zu entscheiden.

1.

Hierzu ist zunächst festzustellen:

Die Klägerin wurde in der Folgezeit unter im wesentlichen erfolgter Beschränkung auf eine Schmerztherapie und eine - ergebnislose - anderweitige Ursachenforschung wegen ihres Lendenwirbelkörper-Bruches weder konservativ noch operativ behandelt, bis bei einer Röntgenaufnahme der Klägerin am 4.6.1994 eine ältere, Keilfraktur LWK I festgestellt wurde. Hierbei handelt es sich um die streitgegenständliche.

Nach den Gutachten der Sachverständigen und ist ausgeschlossen, dass die am 4.6.1994 vorgefundene keilförmige Deformierung des Wirbelkörpers durch das Zusammenwirken der nicht erkannten Wirbelverletzung vom 23.4.1993 und der späteren Karussellfahrt vom 4.6.1994 entstanden ist. Es sei, so die Sachverständigen überzeugend, davon auszugehen, dass nach diesem Zeitabstand die Knochenbruchheilung längst abgeschlossen war und der Keilwirbel bereits seine endgültige Deformierung angenommen hatte.

Die am 4.6.1994 festgestellte Fraktur war unstreitig operativ behandlungsbedürftig, wobei schließlich mit mäßigem Erfolg eine Versteifungsoperation durchgeführt wurde. Die Korrekturoperation war, wie der Sachverständige dem Senat erläuterte, insbesondere deshalb erforderlich, weil die Deformität erheblich war und in einem statisch sehr ungünstigen Bereich der Wirbelsäule lag.

2.

Soweit der Beklagte behauptet, die Klägerin hätte sich bei richtiger Behandlung auch im April 1993 bereits einer solchen Operation unterziehen müssen mit im wesentlichen denselben Folgen und Schäden, wie sie gegebenenfalls bei der Klägerin heute vorliegen, trägt er die Beweislast hierfür.

Grundsätzlich hat zwar der Patient nicht nur die behauptete Fehlerhaftigkeit von Heilbehandlungsmaßnahmen sondern auch deren Kausalität für konkrete Schäden darzulegen und zu beweisen. Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast können sich aber beim groben Behandlungsfehler ergeben. Ein solcher liegt hier in der durch den Beklagten erfolgten fehlerhaften Mitteilung eines Frakturausschlusses an den Nachbehandler.

Für die Begründung einer Haftung aus schweren Behandlungsfehlern reicht es grundsätzlich aus, dass der grobe Verstoß des Arztes geeignet ist, den konkreten Gesundheitsschaden hervorzurufen (BGH vom 28.6.1988, VersR 1989, 80 ff, m.w.N.). Dies ist hier der Fall.

Darüber hinaus darf - was gegebenenfalls zur Beweislast des Arztes steht - ein Kausalitätszusammenhang auch nicht gänzlich unwahrscheinlich sein (BGH, a.a.O.). Auch diese Voraussetzung ist erfüllt.

Zwar kann wegen der unzureichenden Diagnostik vom 24. bzw. 26.4.1993 im Krankenhaus des Beklagten nicht sicher gesagt werden, wie die Fraktur im einzelnen beschaffen war, welches Ausmaß sie hatte und wie der Bruch demgemäß 1993 richtig behandelt werden hätte müssen. Den Ausführungen des Sachverständigen lässt sich jedoch entnehmen, dass es möglich und keineswegs gänzlich unwahrscheinlich ist, dass eine Operation überhaupt nicht erforderlich geworden sondern der Bruch konservativ behandelt werden hätte können.

Mit Bestimmtheit hat der Sachverständige darüber hinaus angegeben, dass die von ihm beschriebenen nachteiligen Folgen für die Klägerin möglicherweise vermieden werden hätten können, wenn die Fraktur rechtzeitig behandelt worden wäre. Es sei, so die Sachverständigen und zumindest positiv davon auszugehen, dass nach unverzüglicher Diagnose der Wirbelverletzung noch im frisch verletzten Zustand eine gegebenenfalls dringend erforderliche Operation bezüglich des Korrekturergebnisses günstiger verlaufen wäre. Das verzögerte Vorgehen hat, so die Sachverständigen, die Behandlung bzw. den Heilungsverlauf wahrscheinlich erschwert, da die Korrektur einer frischen Verletzung oft leichter möglich ist als dies bei einer sekundären Korrektur der Fall ist. Selbstverständlich, so die Sachverständigen, hätten bei unverzüglicher Diagnose auch die Schmerzen und Leiden der Klägerin verringert werden können.

3.

Den unter diesen Voraussetzungen von ihm zu fordernden Nachweis, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Behandlung im April 1993 entweder heute in demselben Zustand befinden würde oder aber dass der Klägerin zumindest ein bestimmter, abgrenzbarer Teil der heute im Zusammenhang mit dem Behandlungsgeschehen geklagten Leiden und Schäden in jedem Fall verblieben wäre, hat der Beklagte - von geringen Teilpunkten abgesehen - nicht erbracht.

a) Zunächst war festzustellen, welche heutigen und u.U. künftigen Schäden der Klägerin grundsätzlich auf das fehlgeschlagene Behandlungsgeschehen zurückgeführt werden können.

Im Hinblick auf die im Lauf des Prozesses bekannt gewordene Persönlichkeitsstruktur der Klägerin, der fachärztlicherseits bescheinigt wurde, zuweilen als pathologische Lügnerin gelten zu müssen, d. h. als Person, die gelegentlich die Unwahrheit spricht, gleichwohl aber von der Richtigkeit des Gesagten subjektiv überzeugt ist, war dem Senat besonders an einer objektiven Verifizierung bzw. gutachterlich bestätigten Glaubhaftigkeit der geklagten Beschwerden und Leiden der Klägerin gelegen.

Als Ergebnis ist nach drei zwischen dem 15.11.1996 und 13.12.2000 erfolgten eingehenden klinischen (und radiologischen) Untersuchungen der Klägerin durch den Gutachter festzuhalten:

aa) Durch die Operation der Klägerin wurde eine Knochentransplantation erforderlich. Es bildeten sich zwei ausgeprägte Narben im Bereich der linken Flanke und im Bereich des linken Beckenkamms. Sensibilitätsstörungen der Klägerin bzw. ein gefühlloses Hautareal am oberen vorderen seitlichen Oberschenkel sind nach Angaben des Sachverständigen auf die Knochenentnahme aus dem Becken zurückzuführen. Die Sensibilitätsstörung im Oberschenkelbereich ist auch als glaubwürdig einzustufen, da, wie der Sachverständige ausgeführt hat, dies eine bekannte Komplikation der Spongiosaentnahme darstellt. Objektivierbar ist insoweit auch ein Befund über 10 cm Länge im Bereich des linken vorderen Beckenkammes.

Der Zustand der Klägerin nach der Korrekturoperation ist nach dem Gutachten der Sachverständigen und des weiteren folgender:

Als Dauerfolgen verbleiben bei der Klägerin eine Wirbelsäulendeformität im Sinne einer verstärkten Brustkyphose und einer kompensatorisch vermehrten Belastung der kleinen Wirbelgelenke im Bereich der Lendenwirbelsäule. Durch die operative Therapie ist eine ausreichende Aufrichtung nicht erreicht worden, so dass nach wie vor eine vermehrte Knickbildung im thoracolumbalen Übergang besteht. Aus der kyphotischen Fehlstellung entsteht ferner eine statisch ungünstige Situation für die Wirbelsäule, wobei die deutlich verspannte Muskulatur in Höhe der ehemaligen Fraktur erheblich mehr Haltearbeit leisten muss und somit chronisch rezidivierende Kreuzschmerzen resultieren können. Nicht objektivierbar, jedoch glaubhaft nach Angaben des Sachverständigen sind deutliche Klopfschmerzen im ehemaligen Frakturbereich und auch Druckschmerzen der Muskulatur tieflumbal.

bb) Grundsätzlich sei nach Angabe des Sachverständigen als möglicher späterer Sekundärschaden der Versteifungsoperation auch die Ausbildung einer Instabilität in den angrenzenden Wirbelsegmenten möglich bzw. wahrscheinlich. Dies führe dazu, dass die Klägerin wahrscheinlich mit einer Zunahme der Rückenbeschwerden über die Jahre hinwegrechnen müsse. Da nunmehr die Segmente zwischen LWK I und Th XII versteift sind, werde es in den benachbarten Segmenten zu vermehrter Beweglichkeit bzw. Belastung kommen. Es werde hier ebenso wie im tief lumbalen Bereich, wo die vermehrte Kyphose im dorsolumbalen Übergang durch ein vermehrtes Hohlkreuz ausgeglichen werden muss, zur zunehmenden Ausbildung einer Arthrose der Wirbelgelenke mit konsekutiver Beschwerdesymptomatik kommen.

cc) Hinsichtlich der Fähigkeit der Klägerin, wieder am Erwerbsleben teilnehmen zu können, hat der Sachverständige ausgeführt, bei der Klägerin sei jedenfalls von einem Dauerschaden auszugehen, den er mit einer MDE von 30 % beziffere. Diese 30 % habe die Klägerin, so der Sachverständige, auch schon seit einiger Zeit. Auch die intermittierenden Krankheitszeiten seien durch die Pathologie im Bereich der Wirbelsäule ausreichend erklärt.

Von einer zeitlebens bestehenden Erwerbsunfähigkeit der Klägerin sei jedoch nicht auszugehen. Es könnte sein, so der Sachverständige, dass die Klägerin durch Gewöhnung an ihre Situation wieder in einen Zustand komme, in dem sie arbeiten kann. Man könne auch versuchen, einen solchen Zustand durch technische Hilfsmittel, z. B. Miederanpassung, und durch begleitende Maßnahmen, z. B. Physiotherapie und Krankengymnastik herbeizuführen. Erläuternd hat der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung auch ausgeführt, - und dem pflichtet der Senat ausdrücklich bei - es gebe Menschen, die eine Wirbelsäule wie die Klägerin haben und auch Kreuzschmerzen, die jedoch gleichwohl arbeiten! Ob die Klägerin stärkere Schmerzen habe als ein vergleichbarer Patient, sei, so der Sachverständige, objektiv nicht messbar.

b) Ein Nachweis dafür, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Behandlung im April 1993 heute dieselben Schäden hätte oder zu erwarten hätte, ist dem Beklagten nur zu einem ganz geringen Teil gelungen.

aa) Hinsichtlich der konkret operationsbedingten Beschwerden der Klägerin gilt:

Zwar wäre es, wie ausgeführt, grundsätzlich denkbar, dass sich die Klägerin der Operation, die sie im Januar 1995 an der Wirbelsäule durchführen ließ, auch bereits bei sofortiger richtiger Diagnose und Behandlung im April 1993 hätte unterziehen müssen.

In Betracht kam jedoch auch, dass bei kunstgerechtem Vorgehen 1993 der Bruch mittels sogenannter konservativer Behandlung, d. h, durch Ruhen in einer Gipsschale, zur Ausheilung gelangt wäre. Eine konservative Behandlung, durch die der Klägerin, so die Sachverständigen und wahrscheinlich geringere Beschwerden und Belastungen erwachsen wären und auch konkret operationsbedingte Beeinträchtigungen zu vermeiden gewesen wären, hätte, so die Sachverständigen, durchgeführt werden können, wenn aufgrund des Unfalls vom 23.4.1993 lediglich eine keilförmige Deformierung von unter 25 Grad stattgefunden hat. Dass die Deformierung unter 25 Grad betragen habe, sei, so die Sachverständigen, durchaus möglich. Ob dies tatsächlich der Fall war, könne jedoch mangels hinreichender Diagnostik des Beklagten zur Wirbelfraktur zum Unfallzeitpunkt nicht beurteilt werden. Die erst später angefertigten Röntgenbilder und CT-Aufnahmen, die eine Keilwirbelbildung von 30 Grad ausweisen, würden eine solche Möglichkeit, wie die Sachverständigen ausgeführt haben, offen lassen. Vor allem in dem bei der Klägerin betroffenen Wirbelsäulenabschnitt sei, so der Sachverständige eine Tendenz zur keilförmigen Deformierung in dieser Situation vorhanden. Wenn der Bruch nicht behandelt werde, nehme die Deformierung häufig zu. Eine Änderung der keilförmigen Kompressionsfraktur könne während eines Jahres um bis zu 10 Grad oder auch noch mehr stattfinden. Die Annahme einer nach dem Sturz bestehenden Fehlstellung von unter 25 Grad ist damit keineswegs unwahrscheinlich.

Der vom Beklagten zu fordernde Nachweis, dass die Klägerin schon im April 1993 hätte operiert werden müssen, bei ihr bereits damals eine keilförmige Deformierung von mehr als 25 Grad vorgelegen habe, was in jedem Fall zumindest zu den operationsbedingten Beeinträchtigungen und Leiden der Klägerin geführt hätte, ist damit nicht erbracht. Zu Gunsten der Klägerin ist davon auszugehen, dass bei korrektem Vorgehen im April 1993 der Bruch der Klägerin konservativ hätte behandelt werden können.

bb) Der Beklagte ist auch weitestgehend einen Nachweis dafür schuldig geblieben, dass bei möglicher konservativer Behandlung des Bruchs im April 1993 der Klägerin gleichwohl unfallbedingt zumindest ein Teil der heute geklagten Schäden verblieben wäre.

aaa) Zwar könne grundsätzlich auch im Falle sofortiger kunstgerechter Versorgung, so der Sachverständige eine völlig beschwerdefreie Wiederherstellung zu 100 % nicht vorausgesetzt werden. Wenn bereits im April 1993 eine konservative Behandlung (Gipsschale) durchgeführt worden wäre, wäre die Fehlstellung, so der Sachverständige, sicherlich auch nicht komplett ausgleichbar gewesen. Dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Fehlstellung erheblich war. Für den Unfallzeitpunkt ließe sich mangels eines zeitlichen Röntgenbildes dazu jedoch keine Aussage machen.

Wenn der Sachverständige weiter ausgeführt hat, auch wenn die Keilwirbelbildung nicht mehr als 25 Grad gewesen sei - was aufgrund des Verschuldens des Beklagten nicht mehr feststellbar ist - wäre es unwahrscheinlich, dass die Fehlstellung durch eine Gipsschale komplett auszugleichen gewesen und der Wirbel wieder so hergestellt worden wäre, wie er vorher gewesen ist, entlastet auch dies den Beklagten nicht. Auch wenn die Fehlstellung nach dem Bruch nicht wieder komplett ausgeglichen worden wäre, muss dies zumindest keine messbare Beeinträchtigung der Klägerin bedeuten.

Was geblieben wäre, so der Sachverständige letztlich, könne er nicht sagen, weil er kein Röntgenbild von damals habe. Er wisse nicht, wie es ausgegangen wäre. Der verbleibende Restkeil wäre jedenfalls umso kleiner, je kleiner die Keilwirbelbildung zum Unfallzeitpunkt gewesen wäre. Bei einem ursprünglichen 10 - Grad - Keilwirbel wäre z.B. unter Umständen mit einem Restkeil von 5 bis 10 Grad zu rechnen, wobei ein Restkeil von 5 Grad eventuell zu gar keiner MDE führen würde.

bbb) Zu Angaben dahingehend, ob und welche Schädigungen bzw. welchen Schädigungsgrad die Klägerin heute bei ordnungsgemäßer Behandlung 1993 in jedem Fall haben würde, sah sich der Sachverständige im wesentlichen außerstande und konnte der Beklagte damit nicht nachweisen.

Nachdem die Klägerin ihren Anspruch auf Schmerzensgeld oder Schadenersatz für die bereits vom Landgericht ausgeschiedenen Beschwerden nicht mehr weiterverfolgt, führten die gutachterlichen Äußerungen lediglich in folgender Hinsicht noch zu einer gewissen Einschränkung des klägerischen Vertrags:

Die von der Klägerin behaupteten Nebendiagnosen mit Schwächung des Immunsystems mit allen Folgen sind von der Ersatzpflicht des Beklagten auszunehmen. Diese ließen sich, so der Sachverständige orthopädischerseits, von einem üblichen Verlauf bei Wirbelkörperfrakturen ausgehend, nicht nachvollziehen. Dies sei, wenn überhaupt, mit der psychosomatischen Problematik der Klägerin in Verbindung zu bringen.

Auch das von der Klägerin geschilderte Martyrium über die gesamte Zeit vom Unfalltag bis zur Operation im Januar 1995 hat der Sachverständige nicht bestätigt.

Von dem Schadensszenario nach dem Sturz der Klägerin ebenfalls nicht dem Beklagten zuzurechnen ist der Umstand, dass sowohl nach operativer als auch konservativer Therapie bei der Klägerin, so der Sachverständige für lange Zeit immer wieder Krankengymnastik in der Nachbehandlung notwendig geworden wäre, ferner der Umstand, dass die Klägerin bei konservativer Behandlung zumindest auch ungefähr drei Monate in einer Gipsschale verbringen hätte müssen, bis eine knöcherne Heilung eingetreten wäre.

IV.

Ein Mitverschulden der Klägerin liegt nicht vor.

Insbesondere ist ein solches nicht darin zu sehen, dass die Klägerin entgegen ärztlichem Rat das Krankenhaus des Beklagten vorzeitig verließ.

Zwar hätte, wie auch der Sachverständige im Termin vor dem Landgericht zutreffend ausführte, bei einem weiteren Verbleib im Krankenhaus die Möglichkeit bestanden, dass die Fraktur diagnostiziert worden wäre.

Diese rein theoretische Möglichkeit führt jedoch nicht zu einem Mitverschulden der Klägerin und entlastet den Beklagten nicht.

Zum einen steht in keiner Weise fest, ob entgegen dem bis dahin gezeigten fehlerhaften Herangehen an die Erkrankung der Klägerin die Ursache ihrer Leiden möglicherweise als Zufallsfund wirklich erkannt worden wäre. Zum anderen hat der Beklagte selbst - dokumentiert in der Krankengeschichte der Klägerin wie auch im Arztbrief vom 3.5.1993 - ja gerade zum Ausdruck gebracht dass er keineswegs die im Krankenhaus bisher gestellte Diagnose als Arbeitshypothese verstanden wissen wollte, die gegebenenfalls noch zu überprüfen sei.

Entsprechend wurden der Klägerin die Risiken, denen sie sich durch eine frühzeitige Entfernung aus dem Krankenhaus aussetzte, auch nicht als solche geschildert, dass möglicherweise die erfolgversprechende Suche nach der Ursache ihrer verbliebenen Schmerzen verschleppt oder unmöglich gemacht würde und es deshalb im wohlverstandenen Interesse der Klägerin sei, zur weiteren Abklärung in der Klinik zu bleiben. Als Risiken, auf die sich die Klägerin bei einem vorzeitigen Verlassen des Krankenhauses einlassen würde, wurden ihr vielmehr lediglich genannt: Nierenblutung, Nierenentzündung, Harnleiterentzündung etc. li. UA: Gelenkfehlstellung.

Auch in dem Brief an den Hausarzt der Klägerin vom 3.5.93 ist lediglich davon die Rede, dass die Klägerin eingehend über die Risiken einer nicht durchgeführten Diagnostik im Bereich der Nierenkontusion links aufgeklärt worden sei. Als weiteres Prozedere wird darin lediglich die sofortige Vorstellung der Klägerin zur Befundkontrolle beim Hausarzt empfohlen und eine Gipszirkulation vorgeschlagen.

Die Risiken, die der Beklagte der Klägerin als ausschließlich mögliche Folgen des frühzeitigen Verlassens des Krankenhauses geschildert hat, sind nicht eingetreten. Nur in diesem Fall hätte sich die Klägerin ein - erhebliches - Mitverschulden zurechnen lassen müssen; im vorliegenden Fall jedoch nicht.

V.

Zur Schadenshöhe und zum Umfang des Obsiegens der Klägerin ist im einzelnen auszuführen:

1.

Der Senat erachtet unter Berücksichtigung der unter Ziffer III genannten Umstände ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 100,000,-- DM für angemessen und ausreichend. Mangels genügenden Vertrags der Parteien geht der Senat hierbei davon aus, dass auf diese Schadensposition bislang noch nichts bezahlt wurde.(Sollte dies gleichwohl der Fall sein, müsste sich die Klägerin eine etwaige, im Raum stehende Zahlung von 20.000 DM auf den Betrag von 100.000 DM anrechnen lassen.)

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes würdigt der Senat insbesondere auch, dass aufgrund des grob fehlerhaften Behandlungsgeschehens die noch sehr junge, nunmehr weitgehend auf das Tragen eines Stützkorsetts angewiesene Klägerin ganz erhebliche Einschränkungen ihrer Lebensqualität erdulden muss, die auch ein partnerschaftliches Leben beeinträchtigen können. Nicht als schmerzensgelderhöhend hat der Senat es berücksichtigt, dass die Beklagte sich jahrelang weigerte, auch nur geringe Schmerzensgeldbeträge, gegebenenfalls als Vorschuss an die Klägerin zu bezahlen. Insbesondere ist es dem Beklagten nicht zu verdenken, sich bis zu einem gesicherten Nachweis seines Verschuldens mit Zahlungen zurückgehalten zu haben, da die Klägerin nachweislich durch unwahren Vortrag versucht hat, weitergehende Schäden und sogar eine nervenärztliche Behandlung den Beklagten anzulasten.

In Abgrenzung zu dem ebenfalls nicht durch einen Mitverschuldensanteil reduzierten Feststellungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der Ersatzpflicht des Beklagten für künftige immaterielle Schäden ist jedoch klarzustellen, dass mit dem Betrag von 100.000,-- DM nicht nur die Beschwerden, Leiden und Schmerzen der Klägerin abgegolten sind, die bis zur Rechtshängigkeit entstanden sind (so noch die Antragstellung der Klägerin und auch das landgerichtliche Urteil), sondern alle bis zum Zeitpunkt gemäß § 128 Abs. 2 ZPO bestehenden sowie auch die voraussehbaren Leiden.

Die gerichtliche Entscheidung über das beantragte und zu zahlende Schmerzensgeld umfasst nämlich grundsätzlich auch den vorhersehbaren künftigen immateriellen Schaden. Nur solche Entwicklungen, die wegen ihrer überraschenden und ungewöhnlichen Art heute nicht vorhersehbar sind, können später in Ausfüllung des Feststellungsanspruchs als immaterieller Schaden beziffert geltend gemacht werden (Senat vom 14.5.92, VersR 93, 894).

Dies bedeutet vorliegend, dass die vom Sachverständigen für denkbar gehaltene, chronisch rezidivierende und in ihrem Ausmaß sich möglicherweise steigernde Beschwerdesymptomatik (vor allem bei längerem Sitzen und Gehen der Klägerin) bzw. eine in Zukunft wahrscheinliche Zunahme der Rückenbeschwerden über die Jahre und die zunehmende Ausbildung einer Arthrose der Wirbelgelenke mit konsekutiver Beschwerdesymptomatik im bezifferten Schmerzensgeld bereits berücksichtigt und mit dem zugesprochenen Betrag abgegolten sind.

Soweit sich die Klägerin ein höheres Schmerzensgeld (insgesamt 150.000,--DM) vorgestellt hat, war ihre darüber hinausgehende Berufung zurückzuweisen.

2.

Der Feststellungsantrag der Klägerin ist zulässig.

Dies gilt insbesondere auch, soweit er auf die Feststellung der materiellen Schadensersatzpflicht des Beklagten gerichtet ist. Weder zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung war die Schadensentwicklung bereits abgeschlossen.

Der Feststellungsantrag ist gemäß §§ 823, 831, 847 BGB und, soweit materielle Ansprüche betroffen sind, darüber hinaus auch wegen Verletzung des mit der Klägerin geschlossenen Behandlungsvertrags auch in vollem Umfang begründet.

a) Neben den bestehenden und vorhersehbaren immateriellen Schäden ist bei der Klägerin auch der Eintritt nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden möglich.

Für die Feststellung der Ersatzpflicht für künftigen immateriellen Schaden genügt die nicht eben entfernt liegende Möglichkeit, dass künftig weitere, bisher noch nicht erkannte und voraussehbare Leiden auftreten (BGH NJW-RR 89, 1367).

Dies ist nach den Äußerungen des Sachverständigen denkbar.

Soweit die Klägerin in dramatisierender Darstellung ein Schadensszenario entwickelt hat, wonach drohe, dass sie beispielsweise später auf einen Rollstuhl angewiesen sein könnte, ist der Eintritt solcher Folgen nach Ausführung des Sachverständigen jedoch unwahrscheinlich.

Bei dem von der Klägerin in der Berufungsbegründung genannten Risiko, infolge durch den Beklagten verschuldeter wiederholter Röntgenaufnahmen "ins Unermessliche" gehender radioaktiver Belastung ausgesetzt zu sein mit der weiteren möglichen Folge einer Auslösung von Krebs, dürfte, soweit eine solche Erkrankung tatsächlich zu befürchten sein sollte, ein Kausalitätszusammenhang kaum nachweisbar sein.

b) Die Ersatzpflicht des Beklagten erstreckt sich auch auf die Erstattung sämtlicher auf das fehlerhafte Behandlungsgeschehen vom 24.726.4.1993 im Krankenhaus des Beklagten zurückzuführender materieller Schäden der Klägerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit regelt sich nach den §§ 708 Ziff. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 543 Abs. ZPO n.F.).

Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung zur Frage ärztlicher Fehlbehandlung ohne grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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