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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 20.08.1999
Aktenzeichen: 21 U 2876/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253
BGB § 823
Geldentschädigung für Bericht in einer Zeitung, ein Anwalt habe "Verträge wie im Bordell" gemacht

§ 253 BGB § 823 BGB

1. Bei Beurteilung eines Anspruchs auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bemisst sich die Schwere des Eingriffs nach der Differenz zwischen der zulässigen zur tatsächlichen Äußerung (hier: Bericht über die Diskussion der Sittenwidrigkeit von Verträgen eines Rechtsanwalts mit freien Mitarbeitern vor Gericht und Meldung, es habe sich um "Verträge wie im Bordell" gehandelt)

2. Bei Entscheidung der Frage, ob ein befriedigender Ausgleich auf andere Weise möglich ist, entscheiden die Umstände des Einzelfalls. Steht fest, dass ein Widerrufsanspruch auch gegenüber der Schlagzeile eines Zeitungsberichts bestanden hat, dann wird ein Anspruch auf Geldentschädigung regelmäßig nicht gegeben sein, jedenfalls dann nicht, wenn durch den Widerruf derselbe Adressatenkreis erreicht worden wäre.

3. Macht der von einer solchen Presseäußerung Betroffene geltend, er habe nicht wieder (etwa durch Gegendarstellung oder Widerruf) an die Öffentlichkeit treten wollen, dann steht dies der Abweisung der Klage auf Geldentschädigung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn Grundlage dieses Motivs des Betroffenen auch sein kann, dass seinem Ruf auch bei zulässiger Berichterstattung geschadet wird.

OLG München Urteil 20.08.1999 - 21 U 2876/99 - 54 O 3460/98 LG Landshut


wegen Unterlassung

erläßt der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Seitz und die Richter am Oberlandesgericht Knapp und Dr. Klemm aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. August 1999 folgendes ENDURTEIL

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 2. 3. 1999 aufgehoben.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Die Kosten des ersten Rechtszuges werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Der Wert der Beschwer des Klägers im Berufungsverfahren übersteigt DM 60.000,-- nicht.

Gründe

Der Kläger ist Rechtsanwalt. Er wendet sich gegen Äußerungen in einem Artikel der von der Beklagten verlegten Boulevard-Zeitung vom 19. 10. 1998. In diesem Artikel wurde über einen Rechtsstreit berichtet, welchen der Kläger mit anderen Rechtsanwälten führte, mit welchen er Verträge über freie Mitarbeit abgeschlossen hatte. Unter der Überschrift "Verträge wie im Bordell. Vier Anwälte bekriegen sich vor Gericht/Prozeß-Serie ohne Ende" wird u.a. ausgeführt:

"Hier geht es um aktives Abwerben konterte X. und verklagte seine Kollegen. Diese wiederum konterten, der Vertrag mit ihm sei "sittenwidrig" gewesen. Es habe sich um ein arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis gehandelt. Wenn dies so wäre, käme es für X. teuer: Er müßte nämlich enorme Summen an Sozialversicherungsbeiträgen nachzahlen.

Vor dem Amtsgericht kam zur Sprache, daß Arbeitsverhältnisse dieser Art eigentlich nur in Bordellen zu finden sind. Richter Y. fühlte sich jedenfalls nicht dafür zuständig und verwies die Angelegenheit ans Arbeitsgericht. ..."

Der Kläger hatte zunächst Ansprüche auf Unterlassung und Geldersatz geltend gemacht. Diesem war die Beklagte in der Klageerwiderung in vollem Umfang entgegengetreten. In der mündlichen Verhandlung gab die Beklagte nach Antragstellung durch den Kläger wegen des Unterlassungsanspruchs eine Unterlassungserklärung ab, woraufhin die Parteien insoweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten. Der Klage auf Geldentschädigung gab das Landgericht in der geltend gemachten Höhe von 10.000,-- DM statt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Im übrigen wird von einer Darstellung des Tatbestandes gemäß § 543 ZPO abgesehen.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht zu. Ein solcher Anspruch besteht nur, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlaß und Beweggrund des Handelnden sowie dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ 128, 1/12 - Caroline von Monaco I; Soehring, Presserecht, 2. Aufl., Rn. 32.20 ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

1. Es handelte sich schon nicht um einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dabei ist zu bedenken, daß sich die Schwere des Eingriffs nur bemißt nach der Differenz zwischen der zulässigen und der gegebenen Äußerung. Nach dem unstreitigen Sachvortrag der Beklagten und den Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil war in der Berichtssache in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht davon die Rede, daß die Verträge des Klägers mit seinen angestellten Anwälten sittenwidrig sein könnten; diese Frage wurde ernsthaft diskutiert. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierzu erstmals zu einem Bestreiten dieser Behauptung angesetzt. Er hat dies aber nicht näher verfolgt, als der Senat ihn darauf hinwies, daß dieses Bestreiten als verspätet zurückgewiesen werden müßte.

Der Unterschied zwischen Diskussion der Sittenwidrigkeit von Verträgen eines Anwalts als Organ der Rechtspflege zur Diskussion, ob es sich um Verträge wie im Bordell handelt, ist nicht so erheblich, daß die Übersteigerung der Äußerung eine Geldentschädigung erfordern würde (vgl. Soehring Rn. 32.24). Schon die Diskussion zur Sittenwidrigkeit von Verträgen des Anwalts vor dem Landgericht schadet seinem Ruf ernsthaft. Die sprachliche Übersteigerung durch Vergleich mit Verträgen "wie im Bordell" verschärft den Vorwurf nicht entscheidend. Zwar sieht auch der Senat die Ausdrucksweise der Beklagten in der "..." nicht mehr als zulässig an. Der Eingriff ist aber nicht schwerwiegend im Sinn der Rechtsprechung des BGH. Es handelt sich ersichtlich um die Ausdrucksweise einer Boulevardzeitung, welche der Leser nicht ganz wörtlich nimmt. Zu bedenken ist auch, daß der Kläger offenbar unmittelbar nach der Veröffentlichung nicht auf den Artikel angesprochen worden war. Er hat nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten erst Wochen später hiervon erfahren.

2. Der Anspruch besteht auch deshalb nicht, weil ein befriedigender Ausgleich in anderer Weise möglich gewesen wäre. Nach Auffassung des BGH, welcher sich der Senat anschließt, kommt es bei der Entscheidung dieser Frage auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. auch Steffen in Löffler, Presserecht, 4. Aufl., § 6 LPG Rn. 336). Entscheidend ist, ob der Widerruf einen hinreichenden Ausgleich für die Rechtsbeeinträchtigung erreicht (vgl. Soehring Rn. 32.28 ff.); dies kann etwa dann zu verneinen sein, wenn sich der Angriff gegen die Grundlagen der Persönlichkeit richtet oder wenn der Verletzer den begehrten Widerruf verweigert, so daß ihn der Verletzte erst später aufgrund gerichtlicher Entscheidung erlangt.

Dem Kläger hätte ein Widerrufsanspruch wegen der angegriffenen Behauptung zugestanden. Es handelte sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Er konnte sogar Widerruf der Schlagzeile mit einer solchen durchsetzen (vgl. Senat, U.v. 30. 10. 1998, Az. 21 U 3604/98 - Bomben auf Castro). Dem Widerruf gegenüber ist der Anspruch auf Geldentschädigung in der Regel subsidiär (BGH NJW 1963, 904 - Drahtzieher; Senat, U.v. 26. 4. 1991, Az. 21 U 5858/90 - Prahlen, Pöbeln, Prügeln). Es ist nicht entscheidend, ob der Anspruch geltend gemacht wurde, wenn er nur hätte geltend gemacht werden können (Senat ArchPR 1974, 95 - Mittäterin; KG AfP 1974, 720 mit Anmerkung Gehrhardt; OLG Celle AfP 1997, 819; OLG Düsseldorf AfP 1981, 292; OLG Köln AfP 1971, 170; OLG Stuttgart NJW 1981, 2817 und NJW 1983, 1204). Ein Sachverhalt, welcher den Anspruch ausschlösse, liegt nicht vor. Dies wäre etwa der Fall, wenn der Widerruf nicht im wesentlichen denselben Adressatenkreis erreichen würde (vgl. BGH NJW 1965, 2395 - Mörder unter uns; NJW 1970, 1077/1078 - Nachtigall I; NJW 1980, 2810 = GRUR 1980, 1099/1104 - Medizinsyndikat II; BGHZ 132, 13/29 - Der Lohnkiller). Vortrag hierzu durch den Kläger ist nicht erfolgt. Auch ist höchst wahrscheinlich, daß derselbe Adressatenkreis erreicht worden wäre. Es liegen auch nicht genügend Anhaltspunkte dafür vor, daß der Anspruch nicht in angemessener Zeit erfüllt worden wäre, was ebenfalls den Anspruch häufig ausschließen würde (vgl. BGH NJW 1968, 760 - Der Kneifer; NJW 1979, 1041 - Exdirektor; AfP 1988, 34 = NJW-RR 1988, 733 - Intimbericht; Senat AfP 1990, 45 - Howard Carpendale). Allein aus der Reaktion der Beklagten auf das Schreiben des Klägers vom 9. 12. 1998 ergibt sich dies nicht mit hinreichender Sicherheit. Immerhin hat sich die Beklagte in der ersten mündlichen Verhandlung vom 2. 3. 1999 zur Unterlassung verpflichtet. Es mag sein, daß Motiv des Klägers dafür, den Widerrufsanspruch nicht geltend zu machen, war, die Sache nicht noch einmal in die Presse zu bringen. Dabei muß aber bei sachgerechter Prüfung mitbedacht werden, daß die Beklagte hätte berichten dürfen, daß über die Frage der Sittenwidrigkeit vor dem Landgericht ernsthaft diskutiert wurde (vgl. dazu oben unter 1.). Es ist verständlich, daß der Kläger eine solche Berichtigung nicht initiieren wollte. Dies liegt aber in seinem Verantwortungsbereich, weil es sich um eine wahre Tatsachenbehauptung gehandelt hätte. Ein anzuerkennendes Interesse des Klägers daran, zu verhindern, daß die Presse im Zusammenhang mit einem Widerruf die Wahrheit berichtet mit dem Ergebnis, daß der Träger des Presseorgans Geldentschädigung bezahlen muß, besteht nicht. Auch richtet sich bei dieser Sachlage der Angriff nicht auf die Grundlagen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, was, wie erwähnt, ebenfalls einen Anspruch auf Geldentschädigung rechtfertigen könnte (BGH in BGHZ 128, 1/13). Im übrigen hat der Kläger dadurch, daß er im Schreiben vom 9. 12. 1998 eine Geldentschädigung von 50.000,-- DM gefordert hat, gezeigt, daß es ihm weniger um Ausgleich der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern mehr um Geld ging. Auch dies steht dem Anspruch des Klägers auf Geldentschädigung entgegen (vgl. Senat, U.v. 26. 4. 1991; OLG Köln AfP 1991, 427/428).

3. Die Kosten der ersten Instanz trägt die Beklagte, soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist. Die Äußerung war unrichtig und rechtswidrig. Insoweit hat das Landgericht nach § 91 a ZPO zutreffend entschieden. Dies kam im Entscheidungssatz des Senats, wie er in der mündlichen Verhandlung vom 20. 8. 1999 verkündet wurde, unzureichend zum Ausdruck. Der Entscheidungssatz wird deshalb insoweit gemäß § 319 ZPO berichtigt. Die Parteien haben sich zu dieser Frage schon geäußert. Allerdings ist das Landgericht insoweit von einem unzutreffenden Streitwert ausgegangen. Der Streitwert für den Unterlassungsanspruch beträgt zutreffend ebenfalls 10.000,-- DM, so daß für die erste Instanz die Kosten gegeneinander aufzuheben sind. Daran ändert die Erledigungserklärung nichts. Der Kläger mußte zunächst den Antrag aus der Klage stellen. Erst danach hat die Beklagte die Unterlassungserklärung abgegeben. Die Feststellung der Erledigung durch das Landgericht war nicht erforderlich, weil die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden war.

Kosten des Berufungsverfahrens: § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Wert der Beschwer: § 546 ZPO.

Ende der Entscheidung

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