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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 05.12.2005
Aktenzeichen: 29 W 2745/05
Rechtsgebiete: UWG, BRAO


Vorschriften:

UWG § 4 Nr. 11
BRAO § 43b
Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung einer Anwaltswerbung, die durch Verteilen von Werbeflyern an Teilnehmer einer Gesellschafterversammlung im Vorraum des Hotelkonferenzraums erfolgt.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

Aktenzeichen: 29 W 2745/05

In dem Rechtsstreit

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zwirlein, Richter am Oberlandesgericht Lehner und Richter am Oberlandesgericht Dr. Kartzke ohne mündliche Verhandlung am 05.12.2005

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegner gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 13.10.2005 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegner haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Auf Antrag des Antragstellers hat das Landgericht am 28.06.2005 folgende einstweilige Verfügung erlassen:

"Den Antragsgegnern wird bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs gegenüber einzelnen Gesellschaftern des F.-Fonds 59 "F. Q1 Büro- und Geschäftshaus Objekt B.-H.und Hotel Objekt W. KG F. Q1 Büro- und Geschäftshaus Objekt B.-H. und Hotel Objekt W. KG" oder anderer F.gesellschaften um ein Mandat im Zusammenhang mit der jeweiligen Beteiligungsgesellschaft zu werben, wenn dies anlässlich von Gesellschafterversammlungen des jeweiligen Fonds und unter Verwendung des nachfolgend eingeblendeten Flyers geschieht:

........"

Auf den Widerspruch der Antragsgegner gegen diese einstweilige Verfügung hin hat der Vorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Dienstag, 12.07.2005.

Am 29.06.2005 haben die Antragsgegner die vom Antragsteller begehrte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben (Anlage eV 5). Der Antragsteller hat daraufhin die Hauptsache für erledigt erklärt und Kostenantrag gestellt. Die Antragsgegner haben der Erledigungserklärung unter Verwahrung gegen die Kostentragungspflicht zugestimmt.

Mit Beschluss vom 13.10.2005, auf den Bezug genommen wird, hat das Landgericht den Antragsgegnern die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auferlegt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegner. Diese machen geltend, es sei nicht recht ersichtlich, inwieweit aus den im Informationsflyer gewählten Formulierungen der Schluss gezogen werden könne, der streitgegenständliche Informationsflyer würde auf die Erlangung konkreter Mandatsverhältnisse abzielen. Die von den Antragsgegnern zur Verfügung gestellten Informationsflyer stellten sich als insgesamt allgemein gehaltene Schreiben dar, die keinesfalls als gezielte persönliche und daher gegebenenfalls als aufdringlich zu empfindende Kontaktaufnahmeversuche zu verstehen seien. Die Informationsflyer seien darüber hinaus auch nicht an bestimmte Personen adressiert gewesen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der gewählten Formulierung.

Wie sich unschwer aus dem Wortlaut der streitgegenständlichen Informationsbroschüren ergebe, bestehe ein Beratungsbedarf auf Seiten der Empfänger erst dann, wenn

- es sich bei den Empfängern um Anleger des F.-Fonds 72 bzw. 68 handele und

- der Anteilserwerb aufgrund der Beratung durch einen Anlagevermittler erfolgt sei und

- die Empfänger in der dem Anteilserwerb vorausgehenden Beratung nicht ausreichend und vollständig über die mit dem Erwerb der Anteile zusammenhängenden Risiken und andere entscheidungserhebliche Umstände aufgeklärt worden seien.

Die Verteilung derartiger Informationsbroschüren verstoße nicht gegen § 43 b BRAO. Im streitgegenständlichen Sachverhalt sei die Entscheidungsfreiheit der Empfänger schon dadurch geleistet gewesen, dass der Informationsflyer unstreitig nicht durch die Antragsgegner selbst, sondern von einer hierzu beauftragten Dame verteilt worden sei. Eine irgendwie geartete Bedrängungssituation sei daher schon aus tatsächlichen Gründen völlig ausgeschlossen.

Die Antragsgegner beantragen,

den Beschluss des Landgerichts München I (Az.: 33 O 12271/05) vom 13.10.2005 aufzuheben und die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller aufzuerlegen.

Der Antragsteller beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 03.11.2005 nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vorgelegt.

Ergänzend wird auf die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegner ist zulässig (§ 91a Abs. 2 Satz 1, § 567 Abs. 1 Nr. 1, § 569 ZPO), aber nicht begründet.

1. Nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung war über die Kosten gemäß § 91a Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Bei der Ausübung des Ermessens gibt in aller Regel der ohne die Erledigungserklärungen zu erwartende Verfahrensausgang den Ausschlag. Danach entspricht es im Streitfall billigem Ermessen, den Antragsgegnern die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen. Die Voraussetzungen sowohl des Verfügungsanspruchs als auch des Verfügungsgrundes - der Verfügungsgrund ist außer Streit - wären voraussichtlich gegeben gewesen, weshalb die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 28.06.2005 voraussichtlich ggf. mit geringfügigen Modifikationen des Tenors zu bestätigen gewesen wäre. Auf die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Beschluss wird zunächst Bezug genommen. Ergänzend ist zum Beschwerdevorbringen auszuführen:

Dem Antragsteller hätte der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 i.V.m. § 3, § 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 43b BRAO zugestanden.

a) Bei § 43b BRAO handelt es sich um eine gesetzliche Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG (vgl. BGH GRUR 2005, 520, 521 - Optimale Interessenvertretung).

b) Nach § 43b BRAO ist den Rechtsanwälten Werbung erlaubt, soweit diese über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist zu berücksichtigen, dass die Werbefreiheit als Teil der Berufsausübungsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet ist; zu der Freiheit der Berufsausübung gehört nicht nur die berufliche Praxis selbst, sondern auch jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient; sie umfasst daher auch die Außendarstellung von selbständig Berufstätigen einschließlich der Werbung für die In-Anspruch-Nahme ihrer Dienste (vgl. BGH NJW 2001, 2087 - Anwaltswerbung II; BGH NJW 2001, 2886, 2887 - Anwaltsrundschreiben; vgl. ferner BVerfG NJW 2003, 344). Eine für sich genommen an sich zulässige Werbung um mögliche Mandanten kann sich allerdings als eine auf die Erteilung von Aufträgen im Einzelfall gerichtete, gegen § 43b BRAO verstoßende Werbung darstellen, wenn der Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Beratung oder Vertretung bedarf und der Werbende dies in Kenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbung nimmt; eine solche Werbung ist als unzulässig anzusehen, weil sie in gleicher Weise wie die offene Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall in einer oft als aufdringlich empfundenen Weise auszunützen versucht, dass sich der Umworbene beispielsweise in einer Lage befindet, in der er auf Hilfe angewiesen ist und sich möglicherweise nicht frei für einen Anwalt entscheiden kann (vgl. BGH NJW 2001, 2087, 2089 - Anwaltswerbung II; BGH NJW 2001, 2886, 2888 - Anwaltsrundschreiben). § 43b BRAO bezweckt u.a., den Rechtssuchenden davor zu bewahren, dass sich Rechtsberater ihm aufdrängen (vgl. Senat NJW 2002, 760, 761).

Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall ein - erheblicher (vgl. § 3 UWG) - Verstoß gegen § 43b BRAO vor, der nicht durch Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt ist.

Jedenfalls bei einer Mehrzahl der mit den Werbeflyern der Antragsgegner (vgl. Anlagen eV 1, eV 3) angesprochenen Teilnehmer der betreffenden Gesellschafterversammlungen bestand im Hinblick auf die Entwertung der Kapitalanlage infolge der Insolvenzantragstellung konkreter Beratungsbedarf; hiervon gehen auch die Antragsgegner, die mit ihren Werbeflyern auf die Gruppe der geschädigten Kapitalanleger, bei denen der Anteilserwerb über einen Anlagevermittler erfolgte, abzielen, aus. Hinzu kommt, dass, wie durch die eidesstattliche Versicherung von Y. St. vom 23.06.2005 (Anlage eV 4) glaubhaft gemacht ist, die Werbeflyer am Rande der Gesellschafterversammlung vom 21.06.2005 im Vorraum des Hotelkonferenzraums von einer von den Antragsgegnern beauftragten Dame an Vorbeigehende verteilt wurde; damit wurden die Teilnehmer der Gesellschafterversammlung, bei denen jedenfalls teilweise konkreter Beratungsbedarf bestand, in einer aufdringlichen Weise mit dem Werbeanliegen der Antragsgegner konfrontiert (vgl. auch BGH WRP 2004, 1160 - Ansprechen in der Öffentlichkeit, wonach das gezielte individuelle Ansprechen von Passanten im öffentlichen Verkehrsraum zu Werbezwecken auch unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich unlauter ist). Diese Art der Werbung geht von der Intensität der Einwirkung auf den Umworbenen über ein - in Einzelfällen möglicherweise zulässiges - unaufgefordertes Werberundschreiben an Nichtmandanten (vgl. dazu OLG Naumburg NJW 2003, 566) hinaus.

2. Die Kostenentscheidung bezüglich der Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren bemisst sich nach den in erster Instanz entstandenen Kosten, die, da berechenbar, keiner Festsetzung bedürfen.

4. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist im vorliegenden Verfahren, dem ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, kein Raum (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO; BGH GRUR 2003, 724 - Rechtsbeschwerde II).

Ende der Entscheidung

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