Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 21.09.2006
Aktenzeichen: 1 U 2161/06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Der Belegarzt entscheidet auf Grund seiner spezifischen fachärztlichen Kompetenz innerhalb des von ihm betreuten Fachgebietes über die Erforderlichkeit medizinischer Geräte und Apparaturen. Er muss durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass erforderliche Geräte und Apparaturen vom Klinikträger beschafft und bereitgehalten werden. Dem Belegarzt unterläuft ein Behandlungsfehler, wenn diese nicht vorgehalten werden.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 2161/06

Verkündet am 21.09.2006

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Vavra, die Richterin am Oberlandesgericht Willner und den Richter am Oberlandesgericht Ramm aufgrund mündlicher Verhandlung vom 06.07.2006 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 18.01.2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern der Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadenersatz aus Arzthaftung.

Die Mutter der Klägerin wurde nach unauffälliger Schwangerschaft am 02.07.1996 gegen 01.45 Uhr mit einem Blasensprung und leichter Wehentätigkeit in die geburtshilfliche Abteilung des Kreiskrankenhauses V. aufgenommen. Der Beklagte, der Geburtshelfer und Belegarzt im Kreiskrankenhaus V. ist, betreute dort die Mutter der Klägerin.

Gegen 19.40 Uhr desselben Tages wurde die Klägerin geboren. Die Geburt erfolgt mittels Vakuumextraktion. Der Zustand der Klägerin war kritisch. Der APGAR-Wert betrug unmittelbar nach der Geburt nur 3, zehn Minuten später 5. Reanimationsmaßnahmen wurden erforderlich. Zu diesem Zweck wurden zwischen 19.50 Uhr und 20.00 Uhr der Anästhesist Dr. B. und die Kinderärztin Dr. S. hinzugezogen. Um 20.36 Uhr wurde die Behandlung durch den aus Deggendorf herbeigerufenen Babynotarzt Dr. W. übernommen.

Die Klägerin ist körperlich und geistig schwer behindert.

Am 04.12.1996 erlitt die Klägerin einen Verkehrsunfall mit Schädelhirntrauma, Schädelfraktur und Hirnblutung.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug vorgebracht, dass am 02.07.1996 bereits ab 11.00 Uhr im CTG pathologische Veränderungen erkennbar gewesen seien. Eine frühzeitige Beendigung der Geburt mittels sectio sei erforderlich gewesen. Jedenfalls sei der Beklagte verpflichtet gewesen, die Mutter der Klägerin über die Alternative Entbindung per sectio aufzuklären.

Der Beklagte habe die Indikation zur Vakuumextraktion fehlerhaft gestellt. Er habe im Anschluss an die Vakuumextraktion die Schulterdystokie nicht kunstgerecht gelöst.

Die Zuziehung des Babynotarztes sei verspätet erfolgt.

Ferner sei kein Nabelvenenkatheter bereitgehalten worden. Dies habe zur Folge gehabt, dass die erforderliche Volumengabe unterblieben sei.

Die Behandlungsfehler des Beklagten seien ursächlich für die schwere sauerstoffmangelbedingte Hirnschädigung der Klägerin.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aufgrund der fehlerhaften ärztlichen Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 02.07.1996 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 26.05.1999.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aufgrund der fehlerhaften ärztlichen Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 02.07.1996 für den bis zum 28.02.1999 behinderungsbedingt entstandenen materiellen Schaden einen Betrag von 44.659,01 € (= 87.345,44 DM) zu zahlen, zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 26.05.1999.

3. Der Beklagte wird dazu verurteilt, an die Klägerin aufgrund der fehlerhaften ärztlichen Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 02.07.1996 auf den ihr behinderungsbedingt entstehenden laufenden materiellen Schaden rückwirkend zum 01.03.1999 einen monatlichen Betrag von 1.383,15 € (= 2.705,20 DM) zu zahlen, jeweils für 3 Monate im Voraus, zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 26.05.1999.

4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 02.07.1996 entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird, soweit dieser nicht durch die Klageanträge zu 2. und 3. erfasst ist, abzüglich sachlich und zeitlich kongruenter Leistungen Dritter.

Der Beklagte hat im ersten Rechtszug

Klageabweisung

beantragt.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass ihm kein Behandlungsfehler unterlaufen sei. Nach dem Eintreffen des Anästhesisten Dr. B. und der Kinderärztin Dr. S. habe er sich auf deren fachärztliche Einschätzung verlassen dürfen.

Im Übrigen sei, mit Ausnahme der Plexusparese, die Behinderung der Klägerin nicht auf die Geburt sondern auf den Verkehrsunfall vom 04.12.1996 zurückzuführen.

Das Landgericht hat durch Erholung geburtshilflicher und neonatologischer Sachverständigengutachten und Einvernahme der Zeugen R., Dr. W., Dr. B., Dr. S. und D. Beweis erhoben.

Mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 23.01.2006 zugestelltem Urteil vom 18.01.2006, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht Deggendorf die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 23.02.2006 eingegangene und nach Fristverlängerung am 24.04.2006 begründete Berufung der Klägerin.

Die Klägerin macht geltend, dass auf Grund eines groben Organisationsmangels, den der Beklagte zu vertreten habe, kein Nabelvenenkatheter bereitgehalten worden sei. Deshalb habe die dringend erforderliche Volumengabe nicht erfolgen können. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Klägerin einen sauerstoffmangelbedingten Hirnschaden erlitten habe. Der Verkehrsunfall vom 04.12.1996 habe keinen abgrenzbaren zusätzlichen Gesundheitsschaden verursacht.

Die Klägerin beantragt unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Deggendorf vom 18.01.2006 wie folgt zu erkennen:

1. Der Beklagte wird dazu verurteilt, an die Klägerin aufgrund der fehlerhaften ärztlichen Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 02.07.1996 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 26.05.1999.

2. Der Beklagte wird dazu verurteilt, an die Klägerin aufgrund der fehlerhaften ärztlichen Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 02.07.1996 für den bis zum 28.02.1999 behinderungsbedingt entstandenen materiellen Schaden einen Betrag von 44.659,01 € zu zahlen, zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 26.05.1999.

3. Der Beklagte wird dazu verurteilt, an die Klägerin aufgrund der fehlerhaften ärztlichen Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 02.07.1996 auf den ihr behinderungsbedingt entstehenden laufenden materiellen Schaden rückwirkend zum 01.03.1999 einen monatlichen Betrag von 1.383,15 € zu zahlen, jeweils für 3 Monate im Voraus, zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 26.05.1999.

4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 02.07.1996 entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird, soweit dieser nicht durch die Klageanträge zu 2. und 3. erfasst ist, abzüglich sachlich und zeitlich kongruenter Leistungen Dritter.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte behauptet, dass zwei Nabelvenenkatheter, die vom Anästhesisten Dr. B. und der Kinderärztin Dr. S. nicht benötigt wurden, vorhanden gewesen seien. Der Beklagte kontrolliere vor jeder Geburt die Vollständigkeit der Reanimationseinheit. Dies sei auch am 02.07.1996 geschehen. Nach einer Geburt stelle die Hebamme fest, welche Artikel verbraucht worden seien und sorge für Ersatz.

Im Übrigen sei für die Ausstattung der geburtshilflichen Abteilung der Krankenhausträger verantwortlich.

Der Beklagte habe sich darauf verlassen dürfen, dass die Kinderärztin Dr. S. und der Anästhesist Dr. B. die Klägerin kunstgerecht behandeln.

Die Gehirnschädigung der Klägerin gehe auf den Verkehrsunfall vom 04.12.1996 zurück. Vor diesem hätten keinerlei Hinweise auf eine Schädigung des Gehirns der Klägerin bestanden.

Der Senat hat im Termin vom 06.07.2006 den Beklagten und die Sachverständige Dr. Z. angehört und die Zeugen Dr. S. und Dr. B. vernommen.

Im Übrigen wird bezüglich des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz auf den Schriftsatz der Klägerin vom 24.04.2006 und die Schriftsätze des Beklagten vom 20.06. und 25.07.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

A.

Dem Beklagten fällt kein Behandlungsfehler zur Last.

1. Die Klägerin vermochte nicht zu beweisen, dass kein Nabelvenenkatheter vorgehalten wurde.

a) Zwar gehört es beim gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag zum originären Leistungsbereich des Klinikträgers, die erforderlichen apparativen Einrichtungen bereitzustellen. Allerdings verantwortet der Belegarzt gegenüber dem Patienten die fachgerechte Behandlung. Deshalb muss der Belegarzt innerhalb des von ihm betreuten Fachgebietes, weil dies eine Frage ist, die unter dem Blickwinkel seiner spezifisch fachärztlichen Kompetenz zu beurteilen ist, entscheiden, welche medizinischen Geräte und Apparaturen erforderlich sind und durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass diese beschafft werden und bereitstehen.

b) Dem Belegarzt unterläuft deshalb ein Behandlungsfehler, wenn vorhersehbar erforderliche medizinische Geräte oder Apparaturen nicht vorgehalten werden. Da die Klägerin für Behandlungsfehler des Beklagten beweispflichtig ist, muss sie auch beweisen, dass der Beklagte keinen Nabelvenenkatheter bereitgehalten hat.

Der Beklagte hat dem Senat bei der Anhörung vom 06.07.2006 detailliert und glaubwürdig geschildert, dass seit 1984, dem Zeitpunkt der Eröffnung der geburtshilflichen Abteilung, bei jeder Geburt eine Reanimationseinheit vorgehalten wird. Zu dieser gehören auch zwei Nabelvenenkatheter. Der Beklagte kontrolliert vor jeder Geburt die Reanimationseinheit auf Vollständigkeit. Auch vor der Geburt der Klägerin ist dies geschehen. Nachgeburtlich wird durch die Hebamme eine Bestandskontrolle durchgeführt und verbrauchtes Material ersetzt.

Diesem Vorbringen des Beklagten aus dem Termin vom 06.07.2006 hat sich die Klägerin nicht mehr widersetzt. Sie hat insbesondere auch nicht die vom Beklagten mit Schriftsatz vom 20.06.2006 genannten Zeugen ihrerseits zum Beweis dafür angeboten, dass kein Nabelvenenkatheter bereitgehalten wurde. Die vom Senat vernommenen Zeugen Dr. S. und Dr. B. hatten diesbezüglich keine Erinnerung an das Geschehen.

Soweit das Vorhalten eines Nabelvenenkatheters zwischen den Parteien nach dem Termin vom 06.07.2006 nicht ohnehin unstreitig geworden sein sollte, hat die Klägerin jedenfalls nicht bewiesen, dass kein Nabelvenenkatheter im Kreißsaal bereit lag.

Für Beweiserleicherungen zu Gunsten der Klägerin besteht kein Anlass. Der Senat verkennt dabei nicht, dass es sich bei der Frage, ob ein Nabelvenenkatheter vorgehalten wurde, um einen der Klägerin nur bedingt zugänglichen Gesichtspunkt aus der Sphäre des Beklagten handelt. Der Klägerin hätte es jedoch offen gestanden, wenn sie noch ernsthafte Zweifel daran gehabt hätte, dass ein Nabelvenenkatheter vorgehalten wurde, zum Beweis ihrer Behauptung die Vernehmung des Klinikpersonals anzubieten. Der Beklagte hat seinerseits die diesbezügliche Sachlage aus seiner Sicht ausführlich dargelegt.

2. Soweit die Sachverständige Dr. Z. festgestellt hat, dass der Klägerin fehlerhaft kein Volumen verabreicht wurde, ist der Beklagte, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, dafür nicht verantwortlich. Der Beklagte durfte sich, wovon auch die Sachverständige Dr. Z. ausgeht, bei der Behandlung der neugeborenen Klägerin auf die ihm überlegene Fachkompetenz der Kinderärztin Dr. S. und des Anästhesisten Dr. B. verlassen. Die Sachverständige hat dem Senat auch erläutert, dass der Kinderarzt das Neugeborene behandelt, während sich der Geburtshelfer um die Mutter kümmert. Die Sachverständige hat dem Senat auch überzeugend erklärt, dass, da primär die Atmung der Klägerin sichergestellt werden musste, bis zum Eintreffen von Dr. B. und Dr. S. eine Volumengabe noch nicht veranlasst war. Vielmehr musste diese nach Einschätzung der Sachverständigen spätestens ab dem Zeitpunkt erfolgen, in welchem die Atmung sichergestellt war und sich für die hinzugezogenen Ärzte ersichtlich der Zustand der Klägerin dennoch nicht entsprechend gebessert hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte für die Behandlung der Klägerin jedoch nicht mehr verantwortlich.

3. Dokumentationsmängel sind schon deshalb nicht von Relevanz, da sich diese, wie die Sachverständige dem Senat am 06.07.2006 erläutert hat, auf die Behandlung durch die Kinderärztin Dr. S. beziehen.

4. Soweit die Klägerin erstinstanzlich weitere Behandlungsfehler des Beklagten geltend gemacht hatte, hat sie dies in der Berufung nicht mehr weiterverfolgt. Ergänzend wird auf die diesbezüglichen Ausführungen im Urteil des Landgerichts verwiesen.

5. Die Sachverständige Dr. Z. hat ihre Ausführungen nach sorgfältiger Auswertung aller Befunde und unter Zugrundelegung zutreffender Anknüpfungstatsachen nachvollziehbar, widerspruchsfrei, alle vorgetragenen Argumente gewissenhaft abwägend und in jeder Hinsicht überzeugend begründet. Der Senat macht sich deshalb die Ausführungen der Sachverständigen zu Eigen.

B.

1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.

2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück