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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 13.05.2004
Aktenzeichen: 1 U 1778/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 313 a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 540 Abs. 2
Aus einem überobligatorischen Räumen und Streuen der Gemeinde kann weder eine ansonsten nicht gegebene Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde noch ein haftungspflichtiger Vertrauenstatbestand hergeleitet werden.
Aktenzeichen: 1 U 1778/04

Verkündet am 13.05.2004

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In dem Rechtsstreit

wegen Schadenersatzes

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K. und die Richter am Oberlandesgericht S. und R. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2004

folgendes Endurteil:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 08.01.2004 in Ziffern 1 und 2 aufgehoben und die Klage auch insoweit abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge.Ž III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

A.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadenersatzanspruch zu. Die Beklagte ist angesichts der Gegebenheiten an der Unfallstelle nicht räum- und streupflichtig.

1. Das Maß der an den Streupflichtigen zu stellenden Anforderungen richtet sich insbesondere nach Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges und nach der Stärke des Verkehrs (BGH NJW 60, 41). Die ländlichen Verhältnisse einer kleinen Dorfgemeinde sind angemessen zu berücksichtigen, da die Verkehrssicherungspflicht durch den Gedanken der Zumutbarkeit begrenzt wird (BGH a.a.O.). In kleinen, dörflich geprägten Gemeinden ist eine Räum- und Streupflicht der Gemeinde insbesondere dann zu bejahen, wenn ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet, der von den typisch dörflichen Verkehrsverhältnissen abweicht (BGH a.a.O). Eine Streupflicht wird nicht schon dadurch begründet, dass ein Weg überhaupt besteht und deshalb vereinzelt begangen wird (BayObLGZ 1966, 8). Es ist nicht Aufgabe der Streupflicht, den Fußgänger vor jeder Möglichkeit des Ausgleitens zu schützen. Vielmehr muss der Verkehr einen Rest an Gefahren, die auf den Gegebenheiten der Natur beruhen, hinnehmen. Bei der Bemessung des Umfangs der Streupflicht ist zu bedenken, dass auch die Fußgänger die erforderliche Vorsicht anwenden müssen, um Unfälle durch Ausgleiten zu vermeiden. Würde die Verkehrssicherungspflicht der Gemeinden die Pflicht umfassen, auch alle unwichtigen, nur von wenigen begangenen Fußwege zu bestreuen, so stünde der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zu der abzuwendenden Gefahr (BayObLG a.a.O).

Die Straße, auf der sich der streitgegenständliche Unfall ereignet hat, befindet sich, was insbesondere aus dem im Termin vom 22.04.2004 übergebenen Ortsplan ersichtlich ist, am Ortsrand einer kleinen, ländlich geprägten Gemeinde. Die Straße, die keinen Straßennamen führt, ist nur teilweise geteert und nicht mit einem Gehweg versehen. Sie erschließt lediglich den Zugang zu den anliegenden Anwesen. Dem Umstand, dass die Straße, worauf das Landgericht abgehoben hat, zur Gemeindeverbindungsstraße E./R. führt, kommt keine wesentliche Bedeutung zu, da in Anbetracht der kleinteiligen Siedlungsstrukturen in Z. einige unbedeutende Straßen unmittelbar in die Gemeindeverbindungsstraße münden. Die streitgegenständliche Straße eröffnet lediglich 23 Anliegern den Zugang zur Gemeindeverbindungsstraße.

Angesichts der vorgenannten Umstände verneint der Senat eine Räum- und Streupflicht der Beklagten. Es findet auf der streitgegenständlichen Straße kein hinreichend bedeutender Verkehr statt. Es wäre für die Beklagte, eine kleine Gemeinde, die im Bauhof lediglich einen Mitarbeiter beschäftigt und nur ein Räum- und Streufahrzeug hält, nicht zumutbar, derartige Verkehrswege zu räumen und zu streuen.

2. Dass die Beklagte die streitgegenständliche Straße (überobligatorisch) in gewissem Umfang geräumt und gestreut hat, begründet keine Verkehrssicherungspflicht, da es insoweit auf die objektiven, unter Ziffer 1 erörterten, Umstände ankommt. Die Bürgermeisterin der Beklagten hat dem Senat im Termin vom 22.04.2004 erläutert, dass sich die Beklagte im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten nach Kräften darum bemüht, im Gemeindegebiet zu räumen und zu streuen. Aus diesem überobligatorischen Bemühen der Beklagten kann weder eine Erweiterung der Verkehrssicherungspflicht noch ein Vertrauenstatbestand hergeleitet werden.

3. Soweit der Kläger die Ansicht vertritt, dass die Verneinung einer Räum- und Streupflicht an der Unfallstelle Artikel 83 Abs. 1 BV widerspricht, vermag der Senat diese Auffassung, die der Kläger in der Berufungserwiderung auch nicht näher erläutert hat, nicht nachzuvollziehen. Artikel 83 Abs. 1 BV erläutert lediglich den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden, der den Gemeinden gemäß Artikel 11 Abs. 2 Satz 2 BV verfassungsrechtlich verbürgt ist. Die Bestimmung von Art und Umfang der Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde am gemeindlichen Straßen- und Wegenetz beeinträchtigt das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde nicht.

B.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n. F. sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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