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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 25.01.2001
Aktenzeichen: 1 U 2200/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
Sofern es Gegenstand des Behandlungsvertrages ist, durch genetische Untersuchung und Beratung die Geburt eines erbgeschädigten Kindes kraft Entschlusses der Eltern zu verhindern, darf der diesen übermittelte Befund, falls seine Aussagekraft begrenzt ist, nicht den Eindruck erwecken, dass die Untersuchung zweifelsfrei ergeben hat, dass die Eltern einen normalen Chromosomensatz aufweisen. Dies gilt auch dann, wenn Durchführung und Auswertung der Untersuchung dem fachärztlichen Standard entspricht.
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 2200/00

Verkündet am 25.01.2001

In dem Rechtsstreit

wegen Feststellung

erläßt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2000 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts vom 06.12.1999 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Der Wert der Beschwer des Beklagten übersteigt 60.000,-- DM.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Feststellung, dass der Beklagte den Klägern wegen der materiellen Schäden einer behaupteten fehlerhaften genetischen Beratung haftet. Die Klägerin zu 2) verlangt auch den Ersatz ihres immateriellen Schadens.

Nachdem die Klägerin zu 2), die mit dem Kläger zu 1) verheiratet ist, zwei Kinder zur Welt gebracht hatte und die Kläger den Wunsch nach einem weiteren Kind hatten, kam es in der Folgezeit bei zwei weiteren Schwangerschaften der Klägerin zu 2) jeweils zu einer Fehlgeburt unbekannter Genese. Daraufhin überwies deren Hausärztin die Kläger zur Abklärung eines etwaigen Chromosomenschadens an die genetische Beratungsstelle der, die von Prof. geleitet wird. Die dortige Behandlung der Kläger wurde von der Oberärztin Dr. A die Angestellte im öffentlichen Dienst ist, durchgeführt. Der diesbezügliche Behandlungsvertrag wurde zwischen den Klägern und dem Beklagten abgeschlossen. Die genetische Beratungsstelle der Universität führte 1994 bei den Klägern eine Chromosomenanalyse durch, deren Ergebnis sie mit Schreiben vom 19.07.1994 (Anl. K 1), das von Prof. und Dr. A unterzeichnet war, den Klägern persönlich und der Hausärztin wie folgt mitteilte:

"Humangenetische Begutachtung mit Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese) und eingehender Erörterung des genetischen Risikos; Gutachten und schriftliche Zusammenfassung

Sehr geehrter Herr Kollege,

wir berichten Ihnen über die genetische Beratung und Untersuchung, die wir bei Ihrer Patientin, Frau geb. 1964, und ihrem Ehemann, Herr, geb. 1961, durchgeführt haben.

Das Ehepaar hat zwei gesunde Kinder; zwei weitere Schwangerschaften endeten mit einer "missed abortion"; es besteht weiterer Kinderwunsch. Herr/Frau gaben an, gesund zu sein; die Familienanamnese beider Partner ergab keinen Hinweis auf ein erhöhtes genetisches Risiko.

Zum Ausschluss einer evtl. bei einem Partner vorliegenden balancierten chromosomalen Translokation, die in unbalanciertem Zustand Ursache der gehäuften Fehlgeburten hätte sein können, haben wir eine Chromosomenanalyse beider Partner aus dem peripheren Blut veranlasst, deren Ergebnis uns jetzt vorliegt. Wie Sie aus den beigefügten Befundkopien ersehen können, weisen Herr/Frau einen normalen Chromosomensatz auf.

Somit haben wir von zytogenetischer Seite aus keine Erklärung für die wiederholten Fehlgeburten, und von unserer Sicht aus besteht auch kein Grund, der 30-jährigen Ratsuchenden zur Durchführung einer vorgeburtlichen Chromosomendiagnostik bei weiteren Schwangerschaften zu raten.

Sollten Sie oder das ratsuchende Paar Rückfragen an uns haben, stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen"

Wegen der Anlagen zum Schreiben vom 19.07.1994 wird auf die Anlage K 1 verwiesen.

Der genetischen Beratungsstelle war bekannt, dass die von ihr durchgeführte Untersuchung, die dem ärztlichen Standard zum damaligen Zeitpunkt entsprach, einen Chromosomenschaden der Kläger nicht zweifelsfrei sondern lediglich mit etwa 95%iger Sicherheit ausschließen konnte. Die Kläger wurden über dieses spezifische Restrisiko nicht aufgeklärt.

Auf das allgemeine Basisrisiko von 2-4 %, dass ein Kind mit körperlichen oder geistigen Anomalien geboren wird, wurden die Kläger anlässlich einer Untersuchung im Juni/Juli 1994 von Dr. A hingewiesen.

In der Folgezeit entschlossen sich die Kläger zu einer weiteren Schwangerschaft. Am 1995 wurde daraufhin das Kind A geboren, das mit erheblichen geistigen und körperlichen Behinderungen zur Welt kam. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Klageschrift vom 29.07.1998 verwiesen.

Eine 1983 oder 1984 verstorbene Cousine der Klägerin zu 2) war ebenfalls geistig behindert. Dies war den Klägern bekannt.

In dem von Dr. A anlässlich der Behandlung der Kläger angelegten Familienstammbaum ist die behinderte Cousine der Klägerin zu 2) ohne Hinweis auf Behinderung und Tod als eines von 3 Kindern des Onkels der Klägerin zu 2) erwähnt. Bei 2 weiteren verstorbenen Verwandten ist dieser Umstand nebst Todesursache - Unfall bzw. Herzinfarkt - ausdrücklich vermerkt.

Auf die Behinderung des Kindes A hin wurde in der genetischen Beratungsstelle der Universität erneut eine Untersuchung der Kläger durchgeführt, die ergab, dass die Klägerin zu 2) Trägerin einer kleinen balancierten reziproken Translokation zwischen den Chromosomen 11 und 22 ist. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Anlage K 2 verwiesen. Diese Translokation war ursächlich für die geistigen und körperlichen Behinderungen des Kindes A.

Die Kläger haben im ersten Rechtszug vorgetragen, sie hätten wegen der beiden Fehlgeburten klären lassen wollen, ob aus genetischer Sicht Bedenken gegen eine weitere Schwangerschaft bestünden. Wenn sie 1994 von der genetischen Beratungsstelle auf das Restrisiko hingewiesen worden wären, hätten sie Vorkehrungen gegen eine weitere Schwangerschaft getroffen. Wegen der falschen Auskunft vom 19.07.1994 und der darauf beruhenden Geburt des Kindes A müsse der Beklagte als Träger der Universitätsklinik den materiellen Schaden ersetzen, der den Klägern durch die Geburt des Kindes A entstehe, insbesondere für den gesamten Unterhaltsaufwand aufkommen. Da das Ausmaß der Behinderungen von A derzeit noch nicht feststellbar sei, werde der Schadensersatzanspruch im Wege der Feststellungsklage verfolgt. Der Beklagte schulde der Klägerin zu 2) darüberhinaus wegen der schwangerschaftsbedingten Beschwerden ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000,-- DM.

Die Kläger haben im ersten Rechtszug beantragt:

I. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägern sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihnen durch die Geburt des Kindes A, geb. am 1995, bereits entstanden ist und zukünftig entsteht, insbesondere den gesamten Unterhaltsaufwand, soweit nicht ein Forderungsübergang auf Sozialversicherungsträger oder Dritte stattfindet.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen hieraus seit Zustellung zu bezahlen.

Der Beklagte hat im ersten Rechtszug Klageabweisung beantragt. Er hat darauf hingewiesen, dass die im Juli 1994 durchgeführte Chromosomenanlayse dem damaligen Standard entsprochen hat. Ausserdem sei die Untersuchung in erster Linie zu dem Zweck erfolgt, die Ursache für die beiden Fehlgeburten festzustellen. Ein Beratungsfehler sei nicht gegeben.

Die Kläger hätten allenfalls Anspruch auf Schadenersatz für die Mehraufwendungen, die durch die Behinderungen des Kindes A verursacht würden. Da die Kläger sich noch weitere Kinder gewünscht hätten, könnten sie nicht den gesamten Unterhalt als Schaden beanspruchen, sondern müssten sich den Betrag abziehen lassen, den sie für ein gesundes Kind aufzubringen hätten. Der Klägerin zu 2) stehe kein Schmerzensgeld zu, weil eine Mutter, die anstelle eines gewollten gesunden Kindes ein behindertes Kind zur Welt bringe, nur Schmerzensgeld für hier nicht gegebene Beschwerden verlangen könne, die diejenigen einer komplikationslosen Schwangerschaft und Geburt übersteigen. Ausserdem könne sich der Beklagte für Dr. gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB entlasten.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Erholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Prof. vom 24.09.1999 (Bl. 77 ff.) verwiesen.

Mit dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 18.01.2000 zugestelltem Urteil vom 06.12.1999, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang mit der Begründung, die Auskunft vom 19.07.1994 sei unzureichend gewesen, stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die am 18.02.2000 eingegangene und nach Fristverlängerung am 19.04.2000 begründete Berufung des Beklagten.

Der Beklagte macht geltend, dass die verfahrensgegenständliche Untersuchung dem ärztlichen Standard von 1994 entsprochen hat. Die genetische Untersuchung der Kläger habe lediglich der Abklärung der Ursache der Fehlgeburten nicht aber der Familienprognose gedient. Das genetische Risiko, das aus der reduzierten Aussagekraft des Befundes bei einer Bandenzahl von 310 resultiert, sei statistisch so gering, dass die Kläger davon vernünftigerweise ihre Entscheidung zu einer weiteren Schwangerschaft nicht abhängig machen konnten. Darüber, dass die Klägerin zu 2) eine geistig behinderte Cousine hatte, sei die genetische Beratungsstelle von den Klägern nicht unterrichtet worden. Ersatzfähig seien ohnehin nur die durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen. Ein Schmerzensgeldanspruch stehe der Klägerin zu 2) nicht zu. Bezüglich Dr. könne sich der Beklagte entlasten.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts vom 06.12.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts vom 06.12.1999 zurückzuweisen.

Die Kläger behauten, sie hätten Dr. darüber unterrichtet, dass die Klägerin zu 2) eine 1983 oder 1984 verstorbene geistig behinderte Cousine hatte. Dr. habe jedoch entgegnet, das gehe zu weit zurück und sei zu weitläufig. Zweck der Untersuchung sei primär die Klärung der Frage gewesen, ob der Wunsch nach einem dritten Kind zu verantworten sei. Die Kläger hätten auf ein weiteres Kind verzichtet, wenn man sie darüber unterrichtet hätte, dass die Untersuchung keine 100%ige Sicherheit biete. Die genetische Beratungsstelle sei nicht nur verpflichtet gewesen, die Kläger darüber zu unterrichten, dass die von ihr durchgeführte Untersuchung nur eine begrenzte Sicherheit biete, sondern auch darüber, dass andernorts die Untersuchung mit einem höheren Sicherheitsfaktor durchgeführt werden könne. Desweiteren habe die genetische Beratungsstelle die Kläger pflichtwidrig von einer vorgeburtlichen Chromosomendiagnostik abgehalten.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Erholung eines Ergänzungsgutachtens der Sachverständigen Prof. Wegen der Einzelheiten wird auf das Ergänzungsgutachten vom 02.08.2000 (Bl. 152 ff.) verwiesen. In der Sitzung vom 23.11.2000 wurde die Sachverständige Prof. angehört und die Zeugin Dr. vernommen. Die Akten des Vorprozesses der Kläger gegen Prof. wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 23.11.2000 verwiesen.

Im übrigen wird bezüglich des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz auf die Schriftsätze der Kläger vom 23.02., 29.05., 21.06., 16.08., 13.11. und 17,11.2000 sowie auf die Schriftsätze des Beklagten vom 19.04., 13.11. und 19.12.2000 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere hat der Beklagte die Frist des § 516 ZPO eingehalten. Der Fristbeginn wird insoweit maßgeblich von dem auf dem anwaltlichen Empfangsbekenntnis genannten Datum bestimmt.

B.

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet, da der Feststellungsantrag aus positiver Vertragsverletzung und unerlaubter Handlung und der Schmerzensgeldanspruch aus § 847 BGB begründet ist.

1. Die Klage ist auch, soweit die Kläger auf Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz des bereits entstandenen materiellen Schadens klagen, zulässig. Insbesondere ist das Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO zu bejahen, da die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und es den Klägern vorrangig um die einheitliche Feststellung des Klagegrundes geht. Eine Aufspaltung in eine bezifferte Leistungsklage und einen unbezifferten Feststellungsantrag ist auch aus prozessökonomischen Gründen nicht angezeigt, zumal davon ausgegangen werden kann, dass der Beklagte als juristische Person des öffentlichen Rechts auch einem Feststellungsurteil Folge leisten wird.

2. Der Feststellungsantrag ist sowohl aus positiver Vertragsverletzung in Verbindung mit §§ 27S, 31, 89 BGB als auch aus unerlaubter Handlung (§§ 823, 839, 31, 89, 831 BGB) begründet, da der Beklagte sowohl für Behandlungsfehler von Prof. als auch der Oberärztin Dr. einstehen muss.

a) Der Behandlungsvertrag wurde zwischen den Klägern und dem Beklagten abgeschlossen. Dies ist zwischen den Parteien nicht mehr strittig. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 19.11.1998 im Rechtsstreit 1 U 3787/98 der Kläger gegen Prof. verwiesen.

b) Zweck des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages war vorrangig, durch genetische Beratung die Geburt eines erbgeschädigten Kindes kraft Entschlusses der Eltern zu verhindern. Der Einwand des Beklagten, dass der Vertrag ausschließlich oder in erster Linie den Zweck hatte, die Ursache der beiden Fehlgeburten die die Klägerin zu 2) erlitten hatte, festzustellen, greift nicht durch. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass die Kläger eine genetische Untersuchung nicht deshalb veranlasst hatten, um in der Vergangenheit liegende abgeschlossene Vorgänge, die zunächst nicht in die Zukunft weiter wirkten, abzuklären, sondern um festzustellen, da die Kläger ein weiteres Kind wünschten, ob die Schwangerschaft mit einem genetischen Risiko belastet wäre. Folglich ist im Schreiben der genetischen Beratungsstelle vom 19.07.1994 auch ausdrücklich erwähnt, dass seitens der Kläger "weiterer Kinderwunsch" besteht.

Im übrigen weisen auch der Umstand, dass im Schreiben vom 19.07.1997 eine vorgeburtliche Chromosomendiagnostik nicht für erforderlich gehalten wird und der im Betreff des Schreibens genannte Begriff des "genetischen Risikos" darauf hin, dass die Untersuchung der Kläger im Hinblick auf eine weitere Schwangerschaft der Klägerin zu 2) erfolgt ist.

Soweit der Beklagte dem gegenüber zum Beleg für seine Auffassung darauf abhebt, dass in den Anlagen zum Schreiben vom 19.07.1994 als Indikation für die humangenetische Begutachtung zwei Fehlgeburten genannt seien, ist darauf hinzuweisen, dass Indikation den Grund zur Anwendung eines therapeutischen oder diagnostischen Verfahrens meint. In diesem Sinne waren die beiden Fehlgeburten der Klägerin zu 2), da diese ihre Ursache in einem Chromosomenschaden haben konnten, Anlass für den Abschluss des verfahrensgegenständlichen Behandlungsvertrages. Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, dass Zweck des Vertrages in erster Linie die Abschätzung des genetischen Risikos einer zukünftigen Schwangerschaft war.

c) Die genetische Beratungsstelle hat mit Schreiben vom 19.07.1994, das an die Kläger und an deren Hausärztin ging, pflichtwidrig den Eindruck erweckt, dass die Untersuchung einschränkungslos und zweifelsfrei das Ergebnis erbracht habe, dass die Kläger einen normalen Chromosomensatz aufweisen. Anders konnte ein verständiger Leser das Schreiben vom 19.07.1994 nicht verstehen. Es wird ausdrücklich festgestellt, dass die Kläger "einen normalen Chromosomensatz" aufweisen. Desweiteren ist ausgeführt, dass die Untersuchung "zum Ausschluss" einer eventuell bei einem der Kläger vorliegenden balancierten chromosomalen Translokation erfolgt. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Feststellung, dass die genetische Beratungsstelle keinen Grund sieht, "zur Durchführung einer vorgeburtlichen Chromosomendiagnostik bei weiteren Schwangerschaften zu raten".

Dass die Aussagekraft des Befundes wegen des beschränkten Aufhellungsvermögens des angewandten Verfahrens beschränkt war, konnten die Kläger nicht wissen. Sie wurden darüber von der genetischen Beratungsstelle auch nicht aufgeklärt. Die Sachverständige hat im Termin vom 23.11.2000 ausgeführt, dass bei einer Bandenzahl in der Größenordnung von 300 das Restrisiko, dass trotz negativen Befundes dennoch eine Chromosomenaberration vorliegt, bei etwa 5 % liegt. Darauf hätte die genetische Beratungsstelle die Kläger hinweisen müssen. Die Unterrichtung der Kläger durch Dr. über das allgemeine statistische Mißbildungsrisiko von 2 - 4 % war insoweit nicht ausreichend, da die Kläger die genetische Beratungsstelle nicht wegen Befürchtungen vor generellen Mißbildungsrisiken, die ohnehin nur zu einem relativ geringen Prozentsatz von höchstens 10 von Hundert chromosomale Ursachen haben, sondern aus Angst vor einer individuellen genetischen Belastung aufgesucht hatten. Über diesen Gesichtspunkt wollten sich die Kläger vergewissern und hatte ihnen die genetische Beratungsstelle Sicherheit im Rahmen der ärztlichen Kunst zu verschaffen. Deshalb war ein Hinweis auf die begrenzte Aussagekraft des erhobenen genetischen Befundes erforderlich.

Darauf, dass die Untersuchung als solche dem damaligen Standard noch entsprochen hat, kommt es folglich nicht an.

Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch der Umstand, dass das Schreiben vom 19.07.1994 auch der Hausärztin der Kläger zugegangen ist. Die genetische Beratungsstelle war verpflichtet, die Kläger ausreichend zu unterrichten. Sie durfte sich nicht darauf verlassen, dass die Hausärztin Auslassungen richtigstellen würde. Zudem war es nach Einschätzung der Sachverständigen ohnehin mehr als fraglich, ob die Hausärztin die beschränkte Aussagekraft des genetischen Befundes erkennt.

d) Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die bei der Klägerin zu 2) festgestellte Chromosomentranslokation Ursache der Behinderungen des Kindes A ist.

e) Der Senat ist davon überzeugt, dass die Kläger, sofern sie von der genetischen Beratungsstelle der Universität pflichtgemäß über die beschränkte Aussagekraft des erhobenen Befundes unterrichtet worden wären, von der Zeugung eines weiteren Kindes Abstand genommen hätten.

In diesem Zusammenhang kommt es nicht wesentlich darauf an, in welchem Umfang sich das statistische Risiko einer Mißbildung durch das aus der begrenzten Aussagekraft der Untersuchung herrührende Dunkelfeld erhöht hat oder wie viele behinderte Kinder rechnerisch statistisch auf das Dunkelfeld zurückgehen, da die Entscheidung über die Frage, wie sich die Kläger bei pflichtgemäßer Aufklärung verhalten hätten, anhand der konkreten Lebenssituation der Kläger und nicht auf der Basis abstrakt generell verallgemeinender statistischer Werte, die überdies die individuellen genetischen Risikofaktoren der Kläger nicht ausreichend berücksichtigen, zu treffen ist.

Entscheidend ist vielmehr, dass die Kläger aus ihrer Sicht genetische Risikopatienten waren, da die Klägerin zu 2) bereits zwei Fehlgeburten erlitten hatte, die ihre Ursache in einem genetischen Defekt der Kläger haben konnten und die Klägerin zu 2), was jedenfalls den Klägern bekannt war, eine vorverstorbene geistig behinderte Cousine hatte. Es ist plausibel und naheliegend, dass die Kläger, die gegenüber einem statistischen Durchschnittselternpaar überdurchschnittlich genetisch risikobelastet waren, nur bei zweifelsfreiem Ausschluss eines Chromosomenschadens die Zeugung eines weiteren Kindes wollten, zumal die Kläger zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits zwei Kinder hatten und ihnen folglich der Verzicht auf weitere Kinder wesentlich leichter als einem kinderlosen Paar gefallen wäre.

f) Im Nachhinein können die Kläger, da die Situation nicht eingetreten ist, nur noch Mutmaßungen über den Weg der Empfängnisverhütung, der eingeschlagen worden wäre, anstellen. Der Kläger zu 1) hat in der Sitzung vom 23.11.2000 angegeben, dass vermutlich er oder seine Frau sich hätten sterilisieren lassen. Jedenfalls ist der Senat aufgrund des Eindrucks von den Klägern aus dem Termin vom 23.11.2000 davon überzeugt, dass die Kläger die Zeugung eines weiteren Kindes zuverlässig verhüten konnten.

g) Der Beklagte ist verpflichtet, den Klägern den gesamten Unterhaltsaufwand für das unerwünscht geborene Kind und nicht nur den durch die Behinderung verursachten Mehrbedarf zu ersetzen (BGH VersR 1994, 430). Zweck des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages war es, die Kläger durch pflichtgemäße genetische Beratung vor einer unerwünschten Risikoschwangerschaft zu schützen. Folglich muss der Beklagte den Klägern sämtliche Nachteile der Schwangerschaft ausgleichen, von der die Kläger bei richtiger Beratung abgesehen hätten.

3. Der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin zu 2) ist aus §§ 847, 823, 839, 831, 31, 89 BGB begründet.

Wenn die genetische Beratungsstelle die Kläger pflichtgemäß über die beschränkte Aussagekraft des von ihr erhobenen genetischen Befundes unterrichtet hätte, wäre, wie ausgeführt, die Klägerin zu 2) nicht mit dem Kind A schwanger geworden. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten sind folglich der Klägerin zu 2) sämtliche durch Schwangerschaft und Geburt erlittene immaterielle Beeinträchtigungen und nicht nur etwaige Mehrbeeinträchtigungen durch behinderungsbedingte Komplikationen auszugleichen (Geiß Arzthaftpflicht Teil B Rd-Nr. 179).

Der Senat hält den zugesprochenen Betrag von 10.000,-- DM für die immateriellen Beeinträchtigungen durch Schwangerschaft und Geburt für angemessen.

Den Entlastungsbeweis gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB kann der Beklagte nicht führen. Zum einen muss der Beklagte auch für Prof., der das Schreiben vom 19.07.1994 als Leiter der genetischen Beratungsstelle in erster Linie verantwortlich unterzeichnet hat, haften. In Richtung auf Prof. hat sich der Beklagte jedoch nicht entlastet. Außerdem dürfte Prof. als Chefarzt Organ des Beklagten sein, so daß eine Entlastung ohnehin nicht in Betracht kommt. Bezüglich Dr. A hat das Landgericht bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der Entlastung der Umstand entgegensteht, dass der Beklagte die ärztlichen Verrichtungen von Dr. A einschließlich des Schreibens vom 19.07.1994 nach wie vor als beanstandungsfrei ansieht.

4. Zwischen den Parteien ist strittig, ob die Kläger Dr. A darüber unterrichtet haben, dass die Klägerin zu 2) eine geistig behinderte Cousine hatte, die 1983 oder 1984 vorverstorben war. Die Kläger behaupten, sie hätten Dr. A unterrichtet, diese habe diesen Gesichtspunkt jedoch für nicht relevant angesehen. Der Beklagte behauptet, dass die Kläger die geistig behinderte Cousine der Klägerin zu 2) nicht erwähnt hätten.

Der vorgenannte Umstand muss offen bleiben, da sich der Senat weder vom Vorbringen der Kläger noch des Beklagten überzeugen kann. Zwar hat Dr. A anlässlich der Zeugeneinvernahme vom 23.11.2000 das Vorbringen des Beklagten bestätigt. Der Zeugenaussage Dr. A steht nur Parteivorbringen der Kläger entgegen. Eine lediglich formalistische Betrachtungsweise ist jedoch nicht angebracht. Die Zeugin Dr. A war selbst am Behandlungsgeschehen unmittelbar beteiligt. Dessen etwaige Mängel fallen folglich auf die Zeugin zurück. Sie ist generell dem Lager des Beklagten zuzurechnen. Zwar wäre es unverständlich, wenn Dr. A über den offenkundig wesentlich relevanten Umstand einer geistig behinderten nahen Verwandten der Klägerin zu 2) hinweggegangen wäre und zudem im Schreiben vom 19.07.1994 ausgeführt hätte, dass die Familienanamnese beider Partner kein Hinweis auf ein erhöhtes genetisches Risiko ergeben habe. Andererseits ist auch nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Kläger, die ihr genetisches Risiko möglichst zuverlässig abklären lassen wollten, Dr. A einen auch für die Kläger ersichtlich so wichtigen Umstand verschweigen sollten. Einerseits wurden von Dr. A zwei weitere verstorbene Familienmitglieder samt nicht einschlägiger Todesursachen in dem von ihr gefertigtem Familienstammbaum berücksichtigt. Es ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, dass Dr. A mit der verstorbenen Cousine der Klägerin zu 2), die zudem einschlägig erkrankt war, anders hätte verfahren sollen. Aus welchem Grund sollten andererseits die Kläger gerade Krankheit und Versterben derjenigen Verwandten verschweigen, die für das Behandlungsgeschehen besonders relevant war.

Fest steht lediglich, dass die Cousine im von Dr. A niedergelegten Familienstammbaum als eines von 3 Kindern des Onkels der Kläger zu 2) verzeichnet ist. Gleichermaßen unverständlich bleiben jedoch sowohl ein etwaiges Übergehen der Behinderung durch Dr. A wie deren etwaige Nichterwähnung durch die Kläger. Der Senat kann folglich jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, ob Tod und Behinderung der Cousine Dr. A mitgeteilt wurden.

Die Behinderung der Cousine ist eine doppelrelevante Tatsache, die sowohl bei der Beurteilung eines Behandlungsfehlers, wenn Dr. A diesen Gesichtspunkt pflichtwidrig außer Betracht gelassen hat, als auch im Rahmen eines Mitverschuldens gem. § 254 BGB, wenn die Kläger die Behinderung verschwiegen haben, eine Rolle spielt. Da die Kläger den Behandlungsfehler beweisen müssen, konnte an dieser Stelle nicht davon ausgegangen werden, dass Dr. A von den Klägern über die Behinderung der Cousine unterrichtet worden war. Die Beweislast für ein Mitverschulden der Kläger gem. § 254 BGB trägt dagegen der Beklagte mit der Folge, dass eine Kürzung der Schadensersatzansprüche wegen Verschweigens der Behinderung der Cousine der Klägerin zu 2) nicht in Betracht kommt.

5. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Schadenersatz wegen fehlerhafter genetischer Beratung, auf der das Urteil des Senats beruht, bestehen nicht. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht diese mit Entscheidung vom 12.11.1997 (VersR 98, 190 ff.) einschließlich der Schmerzensgeldrechtsprechung ausdrücklich gebilligt.

6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO. Gem. § 546 Abs. II ZPO war der Wert der Beschwer festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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