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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 31.07.2003
Aktenzeichen: 1 U 2464/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 301
ZPO § 538 Abs. 2 Ziff. 7

Entscheidung wurde am 18.09.2003 korrigiert: der Entscheidung wurde ein amtlicher Leitsatz hinzugefügt
Ein Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch, der seinem Grunde nach streitig ist, ist unzulässig, sofern nicht zugleich ein Grundurteil über den restlichen Anspruch ergeht.

Über einen Feststellungsantrag kann daher nicht isoliert von einem gleichzeitig geltend gemachten, auf dasselbe zahnärztliche Fehlverhalten gestützten bezifferten Schadensersatzanspruch entschieden werden.

Eine Interpretation des Urteils dahingehend, dass von der Tenorierung des Ausspruchs zur Feststellung auch der Grund des bezifferten Anspruchs umfasst sein soll, scheidet jedenfalls dann aus, wenn das Urteil in Tenor und Gründen eindeutig ist und über den bezifferten Anspruch danach bewusst nicht entschieden wurde.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen 1 U 2464/03

Verkündet am 31.7.2003

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und im schriftlichen Verfahren, bei dem Schriftsätze berücksichtigt wurden, die bis 29.7.2003 bei Gericht eingingen, folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Auf die Berufung "des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts" München I vom 24.1.2003 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückverwiesen.

III. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung auf Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz und Feststellung in Anspruch.

Sie hat vor dem Landgericht unter anderem behauptet, der Beklagte habe ein Implantat an Zahn 2.2. fehlerhaft und unter Schädigung des Zahnes 2.1 gesetzt, was dazu geführt habe, dass letzterer Zahn entfernt werden müsse.

Vor dem Landgericht hat die Klägerin im Termin vom 24.1.2003 zuletzt beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 6.000 EUR, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 21.7.2002 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.997,46 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 21.7.2002 zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden - letztere jedoch nur, soweit eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin nach der letzten mündlichen Verhandlung eintreten sollte - aus der fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung in der Zeit vom November 1999 bis Juni 2000 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Behandlungsfehler hat er bestritten.

Das Landgericht hat mit "Teilurteil" vom 24.1.2003 dem Feststellungsantrag der Klägerin entsprochen und weiter darauf erkannt, dass die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten bleibe.

In den Gründen hat das Landgericht ausgeführt, dass über die Höhe des Schadensersatzes noch nicht entschieden werden habe können, da seitens des Beklagten seine Einstandspflicht nicht nur dem Grunde sondern auch der Höhe nach bestritten worden sei, so dass über die Höhe der einzelnen Schäden zunächst weiterer Beweis zu erheben sei.

Insoweit hat das Landgericht mit ebenfalls am 24.1.2003 verkündeten Beweisbeschluss ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt, das mittlerweile vorliegt.

Der Beklagte beantragt in seiner Berufung, das erstgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Er bestreitet weiterhin, Behandlungsfehler begangen zu haben. Das Landgericht habe eine unrichtige Beweiswürdigung der Gutachten des Sachverständigen vorgenommen.

Im übrigen rügt der Beklagte, dass das Landgericht nicht durch Teilurteil hätte entscheiden dürfen.

Soweit dieses den Beklagten verpflichte, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, hänge es "völlig im luftleeren Raum"

Die Klägerin beantragt die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das landgerichtliche Urteil auch als Teilurteil für zulässig und richtig.

Entscheidungsgründe:

Auf die Berufung des Beklagten war das Ersturteil aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückzuverweisen.

Eine Zurückverweisung konnte, ohne dass es hierzu des Antrags einer Partei bedurft hätte, gemäß § 538 Abs. 2 Ziff. 7 ZPO bereits deshalb erfolgen, da das landgerichtliche Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 ZPO erlassenes unzulässiges Teilurteil darstellt.

Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Teilurteil gem. § 301 ZPO nicht ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht (BGH, Urteil vom 26.4.1989, IV b ZR 48/88 - BGHZ 107, 236 [242]; BGH, Urteil vom 8.12.1992, VI ZR 349/91 = BGHZ 120, 376 [380] - VersR 1993, 357/358). § 301 ZPO soll die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Entscheidungen in ein- und demselben Rechtsstreit bis zu dessen rechtlicher, nicht nur faktischer Trennung gewährleisten. Ein Teilurteil ist danach schon dann unzulässig, wenn sich durch die bloße Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung im Instanzenzug die Gefahr widersprechender Entscheidungen ergeben kann (BGH, Urteil vom 12.1.1999, VI ZR 77/98, = NJW 1999, 1035 - VersR 1999, 734, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn im Fall der objektiven Klagehäufung von Leistungs- und Feststellungsansprüchen, die aus demselben tatsächlichen Geschehen hergeleitet werden, durch Teilurteil gesondert über einen oder nur einen Teil der Ansprüche entschieden wird (BGH Urteil vom 4. 2. 1997, VI ZR 69/96, = VersR 1997, 601 [602]; BGH Urteil vom 13. 5. 1997, VI ZR 181/96, = NJW 1997, 3447 [3448]). Ein Teilurteil über einen einheitlichen Anspruch, der seinem Grunde nach streitig ist, darf nicht erlassen werden, solange nicht zugleich ein Grundurteil über den restlichen Anspruch ergeht. (BGH, Urteil vom 5.12.2000 VI ZR 275/99 = VersR 2001, 610).

Dies hat das Landgericht bei seiner Entscheidung nicht bedacht. Sowohl den vom Landgericht isoliert vorweg entschiedenen Feststellungsantrag als auch den bezifferten Ansprüchen liegt dasselbe behauptete zahnärztliche Fehlverhalten des Beklagten zugrunde. Die Beantwortung der Frage, ob der Beklagte die Klägerin lege artis behandelt hat, ist doppelrelevant und entscheidet den Rechtsstreit damit sowohl hinsichtlich des Feststellungsanspruchs als auch hinsichtlich der bezifferten Ansprüche.

Eine unterschiedliche, sich unter Umständen sogar ausschließende Beurteilung ein- und desselben Verhaltens der Beklagten in ein- und demselben Prozess ist jedoch nicht zulässig.

Gerade diese Gefahr beschwört das landgerichtliche Urteil jedoch herauf. Würde der Senat vorliegend über die Begründetheit des Feststellungsantrags befinden, hätte er hierzu das zahnärztliche Verhalten des Beklagten nach Durchführung der erforderlichen Beweisaufnahme zu bewerten, um im Fall eines dann erwiesenen Behandlungsfehlers zur Begründetheit des Antrags, andernfalls zur Berufungszurückweisung zu gelangen.

Auch für den Fall der Rechtskraft eines entsprechenden Erkenntnisses wäre das Landgericht jedoch dann nicht daran gehindert, bei der Entscheidung über die bislang noch allein bei ihm anhängigen materiellen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche hinsichtlich der Frage eines Behandlungsfehlers des Beklagten zu einer anderen, gegebenenfalls konträren Beurteilung zu gelangen. Eine Bindungswirkung besteht insoweit nicht.

Dass bei getrennter Entscheidung über den Feststellungsantrag und die bezifferten Schadensersatzansprüche der Klägerin die Gefahr einer sich widersprechenden Beurteilung des Verhaltens der Beklagten inmitten stünde, ergibt sich auch daraus, dass das Landgericht bei seiner späteren Entscheidung über die bezifferten Ansprüche auch neue, später bekannt gewordene und in den Prozess eingeführte, möglicherweise zu einem abweichenden Ergebnis führende Tatsachen zu berücksichtigen haben könnte.

Über den Feststellungsantrag der Klägerin kann daher nicht isoliert vom bezifferten Antrag auf materiellen und immateriellen Schadensersatz entschieden werden. Zumindest hätte das Landgericht, als es dem Feststellungsantrag stattgab, zugleich hinsichtlich der bezifferten Anträge ein diese Ansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärendes Grundurteil erlassen müssen.

Dies ist nicht geschehen.

Eine - grundsätzlich mögliche, aber nur ausnahmsweise denkbare - Interpretation des landgerichtlichen Urteils dahingehend, dass sich die Tenorierung sinngemäß auch auf die noch nicht endgültig entschiedenen Ansprüche, hier auf den Grund der bezifferten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche beziehe, ist vorliegend nicht möglich, da das landgerichtliche Urteil insoweit in Tenor und Gründen eindeutig ist. Über letztere Ansprüche ist ersichtlich und bewusst nicht entschieden worden (vgl. auch BGH, Urteil vom 13,5.1997, VI ZR 181/96 = NJW 1997, 3447).

Die Sache war deshalb unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.

Eine weitere Verhandlung mit möglicherweise umfangreicher Beweiserhebung ist erforderlich.

Für das weitere Verfahren ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass die Frage des Behandlungsfehlers bislang noch nicht ausreichend geklärt erscheint. Insoweit drängt sich eine schriftliche Gutachtensergänzung oder gleich die Anhörung des Sachverständigen auf, wobei auch zur Frage, ob gegebenenfalls ein grober Fehler vorliegen kann, Stellung zu nehmen wäre. Letzteres ist insbesondere auch für die Frage der Kausalität etwaiger Fehler des Beklagten für Schäden der Klägerin und die Frage der entsprechenden Beweislast relevant, mit der sich das Landgericht bisher ebenfalls nur unzureichend auseinandergesetzt hat.

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens waren niederzuschlagen (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., Rdnr. 58 zu § 538 ZPO).

Im übrigen ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst.

Sie wird das Landgericht zu treffen haben.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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