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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 23.12.2004
Aktenzeichen: 1 U 2491/03
Rechtsgebiete: GG, BayWG, WHG, BayEG


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 3
BayWG Art. 72
BayWG Art. 74
WHG § 20 WHG
BayEG Art. 8 ff.
Wird in Folge einer geänderten Planung ein zunächst im Bebauungsplan der Gemeinde als öffentliche Grünfläche ausgewiesenes Grundstück in der Folgezeit für die Errichtung eines Regenrückhaltebeckens herangezogen, richtet sich der Qualitätsstichtag für die Bemessung der Enteignungsentschädigung nicht nach dem wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss sondern nach dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme durch den Bebauungsplan.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 1 U 2491/03

23 O 1263/00 LG L.

Verkündet am 23. Dezember 2004

In dem Rechtsstreit

wegen Enteignungsentschädigung

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K. und die Richter am Oberlandesgericht N. und R. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2004 folgendes

ENDURTEIL

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Landgerichts L. vom 26.2.2003 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verpflichtet wird, an den Kläger 240.057,67 € (469.512,-- DM) nebst 2 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.9.1999 zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erhöhung einer administrativ festgelegten Enteignungsentschädigung.

Der Kläger war ursprünglich Eigentümer des Grundstückes Fl.Nr. 1692 der Gemarkung L. mit einer Gesamtfläche von 6.699 m2. Mit Bebauungsplan Nr. 77 der Beklagten vom 9.6.1981 wurde das Grundstück des Klägers als öffentliche Grünfläche ausgewiesen.

Auf ihren Antrag vom 22.4.1999 hin wurde die Beklagte von der Stadt L. als zuständiger Enteignungsbehörde mit Beschluss vom 6.8.1999 mit Wirkung vom 1.9.1999 in den Besitz einer ca. 6.250 m2 großen Teilfläche des vorgenannten Grundstückes eingewiesen. Mit Beschluss vom 28.3.2000 wurde die Enteignung des zwischenzeitlich auf 5.991 m2 neu vermessenen Grundstückes Fl.Nr. 1692/16 der Gemarkung L. zu Gunsten der Beklagten ausgesprochen. Die Enteignung erfolgte gemäß Art. 72 des Bayerischen Wassergesetzes in Verbindung mit dem Bayerischen Enteignungsgesetz. Ihr lagen der Planfeststellungsbeschluss des Landratsamtes L. vom 7.4.1993 nebst Ergänzungsbeschluss vom 30.1.1998 zur Errichtung eines Regenrückhaltebeckens auf dem Grundstück, nicht die Ausweisung als öffentliche Grünfläche im Bebauungsplan Nr. 77 der Beklagten zugrunde.

Als Bewertungsstichtag wurde von der Enteignungsbehörde der 15.4.1991 - Zeitpunkt der erstmaligen Auslegung der Pläne im wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren - als Grundstücksqualität öffentliche Grünfläche festgelegt. Auf dem Grundstück befinden sich Versorgungsleitungen für Strom und Erdgas. Es war mit Mastenerrichtungs-, Starkstromleitungs- und Begehungsrechten für das Bundeseisenbahnvermögen, einem Erdgasleitungsrecht für den Bezirk Niederbayern, einem Gasleitungsrecht für die B. Ferngas GmbH sowie einem Kanalrecht der Beklagten belastet. Die Enteignungsentschädigung wurde unter Berücksichtigung der vorgenannten Belastungen auf 583.539,--DM festgesetzt.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug die Auffassung vertreten, dass die Beklagte bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung von einem zu niedrigen Grundstückswert ausgegangen sei. Als Bewertungsstichtag habe bei Anwendung der Grundsätze zur sogenannten Vorwirkung der Enteignung der 9.6.1981 festgelegt werden müssen. Die Grundstücksqualität wäre auf einer Zwischenstufe zwischen Bauerwartungs- und Rohbauland einzustufen gewesen. Der Wert sei daher mit mindestens 150,-- DM pro m2 anzusetzen. Hilfsweise sei darauf hinzuweisen, dass dies auch für den Stichtag 15.4.1991 gelte. Es habe zu diesem Zeitpunkt für die streitgegenständliche Grünfläche einen Teilmarkt mit diesem Preisniveau gegeben. Die von der Enteignungsbehörde vorgenommene Differenzierung zwischen belasteten und unbelasteten Teilen des Grundstücks sei ungerechtfertigt. Auch sei der Umfang der belasteten Fläche im Verhältnis zum Gesamtgrundstück geringer als von der Enteignungsbehörde angenommen.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger über die im Enteignungsbeschluss der Stadt L. vom 28.3.2001 in D.1.A. festgesetzte Entschädigung in Höhe von 583.539,-- DM hinaus eine weitere angemessene Entschädigung, mindestens jedoch einen Zusatzbetrag in Höhe von 315.111,-- DM zuzüglich Zinsen in Höhe von jährlich 2 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 1 DÜG seit 1.9.1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung

beantragt.

Die Beklagte hat den Standpunkt vertreten, dass als Bewertungsstichtag zutreffend der 15.4.1991 festgesetzt worden sei. Die Grundsätze der Vorwirkung der Enteignung seien nicht anwendbar. Die Enteignung beruhe auf einem Planfeststellungsbeschluss des Landratsamtes L.. Es handle sich folglich nicht um eine Planungsmaßnahme der Beklagten, sondern vielmehr um eine überörtliche Fachplanung, die Vorrang vor dem Bebauungsplan der Beklagten habe. Die enteignungsfinale Planfeststellung sei nicht gemäß dem Baugesetzbuch sondern nach Art. 72 BayWG erfolgt. Zwischen dem Bebauungsplan Nr. 77 der Beklagten und dem wasserwirtschaftlichen Vorhaben nach dem Bayerischen Wassergesetz bestehe weder ein tatsächlicher noch ein normativer Zusammenhang. Ein auf der Bauleitplanung beruhender Entschädigungsanspruch habe vom Kläger innerhalb der 7-Jahresfrist geltend gemacht werden müssen.

Angesichts der zutreffenden Bewertung als Grünfläche sei die festgesetzte Enteignungsentschädigung von 97,-- DM pro m2 angemessen. Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass auch bei Annahme der Qualität Bauerwartungsland keine höhere Entschädigung zu leisten sei, da das enteignete klägerische Grundstück in erheblichem Umfang durch Versorgungsleitungen (Strom und Erdgas) sowie ein Kanalleitungsrecht zu Gunsten der Beklagten belastet sei. Das Verbot der Doppelentschädigung habe zur Folge, dass der Kläger für die mit den Leitungsüberspannungen und Erdgasleitungen verbundene Nutzungseinbuße keinen weiteren Ausgleich über die diesbezüglich bereits gewährte Entschädigung hinaus verlangen könne.

Das Landgericht hat zur Grundstücksbewertung drei schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. W. erholt. Am 12.8.2002 hat das Landgericht den Sachverständigen Dr. W. angehört.

Mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 28.2.2003 zugestelltem Urteil vom 26.2.2003, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht L. unter Abweisung der Klage im übrigen dem Kläger eine weitere Enteignungsentschädigung in Höhe von 14.146,42 € zugesprochen.

Hiergegen richtet sich die am 27.3.2003 eingegangene und nach Fristverlängerungen am 17.7.2003 begründete Berufung des Klägers.

Der Kläger macht geltend, dass als Qualitätsstichtag der 9.6.1981, der Tag des Inkrafttretens des Bebauungsplanes Nr. 77 der Beklagten, anzusetzen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei dem enteigneten Grundstück, wie vom Sachverständigen Dr. W. festgestellt, die Qualität hochrangiges Bauerwartungsland zugekommen. Auch zu dem vom Landgericht fälschlicherweise zu Grunde gelegten Stichtag 15.4.1991 wäre von hochrangigem Bauerwartungsland und nicht von einer öffentlichen Grünfläche auszugehen gewesen. Der Kläger verlange entsprechend der Bewertung durch den Sachverständigen Dr. W. eine Enteignungsentschädigung von insgesamt 1.053.051,-- DM.

Der Kläger beantragt:

Unter Änderung des Urteils des Landgerichts L. vom 26.2.2003 - Az.: 23 O 1263/00 - wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger über den im Enteignungsbeschluss zugesprochenen Betrag hinaus weitere 469.512,-- DM nebst Zinsen seit 1.9.1999 in Höhe von jährlich 2 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank bzw. dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass kein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Bebauungsplan Nr. 77 und dem wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren bestehe. Selbst wenn eine Vorwirkung in dem vom Kläger behaupteten Sinne zu bejahen wäre, sei in Anbetracht der Versorgungsleitungen allenfalls von Bauerwartungsland niedriger Qualitätsstufe auszugehen. Soweit der Sachverständige Dr. W. davon ausgehe, dass die streitgegenständlichen Versorgungsleitungen in ein Baugebiet integriert werden könnten, seien die von ihm angeführten Beispiele verfehlt, weil diese entweder nicht das Gebiet der Beklagten oder lediglich eine gewerbliche Nutzung beträfen. Im Stadtgebiet der Beklagten würden Grundstücke mit Überspannungen bzw. belastenden Leitungsrechten nicht für Zwecke der Wohnbebauung bereitgestellt. Der Sachverständige habe generell den Verkehrswert zum 9.6.1981 aufgrund eines methodisch verfehlten Ansatzes festgestellt. Die Grundstücksqualität dürfe nicht durch Verhältnisbildung aus Vergleichsfällen eines bestimmten Marksegments abgeleitet werden.

Der Senat hat zwei ergänzende Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 11.5.2004 und 5.10.2004 erholt. Ein Anhörungsantrag wurde von den Parteien nicht gestellt.

Im übrigen wird bezüglich des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz auf die Schriftsätze des Klägers vom 17.3., 1.10., 6.11. und 17.11.2003 sowie vom 30.1. und 12.11.2004 und auf die Schriftsätze der Beklagten vom 9.9., 29.9. und 5.11.2003 sowie vom 11.2., 2.3., 15.6., 9.11., 30.11. und 9.12.2004 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang aus Art. 14 Abs. 3 GG, Art. 72, 74 BayWG, § 20 WHG i. V. m. Art. 8 ff. BayEG begründet.

A.

1. Für die Bemessung der Entschädigung ist der Zustand des Grundstücks in dem Zeitpunkt maßgebend, in dem die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag entscheidet. In den Fällen der vorzeitigen Besitzanweisung ist der Zustand in dem Zeitpunkt maßgebend, in dem diese wirksam wird (Art. 8 Abs. 4 BayEG). Eine Ausnahme hiervon ergibt sich aus dem von der Rechtsprechung entwickelten und auch in Art. 10 Abs. 3 Nr. 1 BayEG berücksichtigten Grundsatz der Vorwirkung der Enteignung, der auch dann anzuwenden ist, wenn dies der Gesetzgeber nicht ausdrücklich vorsieht. Dieser Grundsatz verlegt den für die Qualitätsbestimmung maßgebenden Zeitpunkt auf den Zeitpunkt vor, in dem das Enteignungsobjekt aufgrund eines sich länger hinziehenden Enteignungsprozesses schon vor der formellen Enteignung durch die vorhergehende Planung endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wurde (Molodovsky/Bernstorff, Enteignungsrecht in Bayern, RdNr. 5.4.1 zu Art. 8 BayEG m. w. N.). Dem Grundsatz der Vorwirkung liegt die Überlegung zugrunde, dass bereits Maßnahmen, die vor dem eigentlichen Eingriff liegen, aber mit der Enteignung zusammenhängen, Einfluss auf die Qualität eines Grundstücks nehmen können. Diese Festschreibung ergibt sich aus Sinn und Zweck der Enteignungsentschädigung. Der Enteignungsbetroffene soll für das entschädigt werden, was ihm tatsächlich genommen wird. Die Berücksichtigung der Vorwirkung dient dazu, das dem Betroffenen Genommene qualitätsmäßig richtig zu bestimmen (Molodovsky/Bernstorff a. a. O.).

2. a) Entgegen dem Urteil des Landgerichts L. ist als Qualitätsstichtag das Inkrafttreten des Bebauungsplanes Nr. 77 der Beklagten am 9.6.1981 zu Grunde zu legen. Es schließen zwei Maßnahmen aneinander an. Zunächst die Ausweisung als öffentliche Grünfläche durch den Bebauungsplan Nr. 77, ohne dass es zu einem freihändigen Erwerb oder einer Enteignung des Grundstücks, die in der Logik der Ausweisung als öffentliche Grünfläche lägen, oder auch zu einer Übernahme nach § 40 Abs. 2 BauGB gekommen ist. An die Ausweisung als öffentliche Grünfläche hat sich nahtlos das wasserrechtliche Planfeststellungsverfahren angeschlossen, das zu einer Ausweisung des Grundstücks als Regenrückhaltebecken und in deren Folge zu dessen Enteignung geführt hat. Jede der vorgenannten Maßnahmen - Ausweisung als Grünfläche, Ausweisung als Regenrückhaltebecken - hätte für sich genommen im Enteignungsfall zu einer Entschädigung für die Grundstücksqualität ex ante geführt. Es wäre unbillig, dem Kläger nur deshalb, weil beide Maßnahmen - es ist augenscheinlich eine (teilweise) Umplanung erfolgt, bevor die Enteignung zum Zwecke der Nutzung als öffentliche Grünfläche durchgeführt wurde - aneinander gereiht wurden, nur eine Entschädigung für Grünland zuzusprechen. Dem Kläger wurde durch die vorgenannten Maßnahmen die Grundstücksqualität zum 9.6.1981 genommen. Es war für die betroffenen Verkehrskreise zu keinem Zeitpunkt zu erwarten, dass die öffentliche Zweckbindung des Grundstücks aufgehoben wird. Folglich wurde das Grundstück des Klägers bereits mit der Ausweisung als öffentliche Grünfläche durch den Bebauungsplan Nr. 77 von der weiteren konjunkturellen Entwicklung ausgeschlossen. Es spielt keine Rolle, dass das Grundstück letztlich für ein Regenrückhaltebecken in Anspruch genommen wurde. Beide Maßnahmen müssen, um zu einem sachgerechten Ergebnis zu gelangen, als Kontinuum aufgefasst werden. Die dem Kläger zuzusprechende Enteignungsentschädigung kann nicht davon abhängen, dass das planungsrechtliche Instrumentarium von der Bauleitplanung zum wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren variiert und die Widmung als öffentliche Grünfläche in ein Regenrückhaltebecken spezifiziert wurde. Der Beklagten kann bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung nicht zu Gute kommen, dass sie zunächst mittels des Bebauungsplanes Nr. 77 eine öffentliche Grünfläche auf dem Grundstück ausgewiesen hatte. Der Bebauungsplan Nr. 77 und das wasserrechtliche Planfeststellungsverfahren waren im Hinblick auf das streitgegenständliche Grundstück ein verbundener, einheitlich zu bewertender Enteignungsvorgang. Es ist folglich nach den Grundsätzen der Vorwirkung vom Qualitätsstichtag 9.6.1981 - Inkrafttreten des Bebauungsplanes Nr. 77 - auszugehen.

b) Darauf, ob die Inanspruchnahme als Regenrückhaltebecken bereits im Bebauungsplan Nr. 77 angelegt war und folglich von einer ungebrochenen Kontinuität der Planung auszugehen ist, kommt es aus den vorgenannten Gründen nicht entscheidend an. Allerdings sprechen die Feststellungen, die der Senat im Termin vom 9.10.2003 getroffen hat (Seiten 3/4 des Protokolls) dafür, dass dies der Fall ist. Auch im Bebauungsplan Nr.77 war in der Nähe des streitgegenständlichen Grundstückes bereits ein Regenrückhaltebecken vorgesehen. Das später auf dem enteigneten vormaligen Grundstück des Klägers errichtete Regenrückhaltebecken ist, da nur mäßig vertieft und nicht betoniert, äußerlich entsprechend einer Grünfläche gestaltet.

c) Der Umstand, dass der Kläger nicht innerhalb der 3-Jahresfrist gemäß § 44 BauGB einen Entschädigungsanspruch nach §§ 40 ff. BauGB geltend gemacht hat, ist ohne Belang. Die vorgenannten Vorschriften ermöglichen es dem Betroffenen lediglich, ohne die Enteignung durch die öffentliche Hand abwarten zu müssen, von sich aus die Zahlung einer Entschädigung herbeizuführen. Unterlässt dies der Betroffene, erlischt lediglich, ohne jede Folge auf die Höhe der Enteignungsentschädigung, der Übernahmeanspruch (Schrödter, Baugesetzbuch, 5. Aufl., RdNr. 19 zu § 44 BauGB m. w. N.). Die Möglichkeit, die Übernahme zu verlangen, räumt dem Betroffenen lediglich eine Option ein.

B.

1. Der Senat legt im Anschluss an den Sachverständigen Dr. W. zum Stichtag 9.6.1981 für 1.417 m2 durch Versorgungsleitungen unbelastete Fläche einen Wert pro m2 von 217,-- DM und für 4.574 m2 belastete Fläche einen Wert pro m2 von 163,-- DM zugrunde. Insgesamt ergibt sich für das Grundstück ein Wert von 1.053.051,-- DM. Abzüglich der bereits gezahlten Enteignungsentschädigung von 583.539,-- DM verbleibt ein Restbetrag von 469.512,-- DM oder 240.057,67 €.

2. Der Senat geht im Anschluss an den Sachverständigen Dr. W. für den Stichtag 9.6.1981 von hochrangigem Bauerwartungsland aus.

Der Sachverständige hat, insbesondere im Gutachten vom 18.1.2001 unter Ziffern 3.1 - 3.4, die von ihm getroffene Einstufung als Bauerwartungsland - bei dem allerdings noch nicht absehbar war, ob die Entwicklung mehr in Richtung Wohnbaunutzung oder mehr in Richtung Gewerbenutzung gehen wird - eingehend begründet. Der Sachverständige hat auf Seite 5 des Ergänzungsgutachtens vom 11.5.2004 zutreffend darauf hingewiesen, dass es schwierig ist, für einen ca. 20 Jahre zurückliegenden Zeitpunkt die Qualität eines Grundstücks zu bestimmen. Zwar können die Kriterien, die sich aus der Bauleitplanung ergeben, sicher erfasst werden. Die Erwartungen und Hoffnungen der Marktteilnehmer aufgrund sonstiger Einflüsse, die sich noch nicht in der Bauleitplanung niedergeschlagen haben, sind nach so langer Zeit jedoch nur sehr eingeschränkt feststellbar. Folglich hat der Sachverständige, was der Senat uneingeschränkt für vernünftig und zutreffend hält - die tatsächlich gezahlten Preise für vergleichbare Grundstücke stellen einen Parameter dar, der den Marktwert objektiv und unmittelbar abbildet - die von ihm gefundene Qualität anhand des tatsächlichen damaligen Marktgeschehens überprüft. Diese Überprüfung war möglich, da im Zeitraum um den Qualitätsstichtag mehrere Grundstücke gleicher Qualität veräußert wurden. Die Vergleichbarkeit der vom Sachverständigen herangezogenen Grundstücke wurde von der Beklagten nicht in Frage gestellt.

Die Belastung des streitgegenständlichen Grundstücks durch Leitungsrechte hat der Sachverständige gebührend berücksichtigt. Der Sachverständige hat, obwohl das von ihm ausgewertete Marktgeschehen eine Wertminderung nicht belegt, insoweit einen Sicherheitsabschlag auf den Grundstückswert vorgenommen.

Da zum Stichtag nach den Feststellungen des Sachverständigen für in jeder Hinsicht vergleichbare Flächen Bauerwartungslandpreise bezahlt wurden, kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte in ihrem Stadtgebiet eine Wohnbebauung unter Hochspannungsleitungen zulässt. Im Übrigen hat der Kläger im Schriftsatz vom 30.1.2004 Wohnbebauung unter Hochspannungsleitungen im Stadtgebiet der Beklagten belegt.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Sachverständige auf Seite 7 des Gutachtens vom 21.1.2002 den Wert pro m2 unbelasteter Fläche von 217,-- DM auf 251,-- DM erhöht hat. Diese Erhöhung von insgesamt 48.178 DM ist in der Klageforderung nicht berücksichtigt. Folglich könnte der Senat ohnehin aufgrund der vorgenannten Einwände der Beklagten Abstriche vom Grundstückswert in dieser Höhe vornehmen, ohne dass sich dies im Ergebnis des Rechtsstreits niederschlagen würde. 3. Der Sachverständige Dr. W. hat seine Ausführungen unter Zugrundelegung zutreffender Anknüpfungstatsachen nachvollziehbar, widerspruchsfrei, alle vorgetragenen Argumente gewissenhaft abwägend und in jeder Hinsicht überzeugend begründet. Er hat sich im Ergänzungsgutachten vom 5.10.2004 auch mit dem Gutachten des Gutachterausschusses der Beklagten vom 9.3.2004 auseinandergesetzt.

C.

Die Zinsentscheidung folgt aus Art. 13 Abs. 2 BayEG. Nach Art. 1 des Bayerischen Gesetzes zur Anpassung des Landesrechts für die Einführung des Euro ist ab 1.1.1999 auch bezüglich der Verzinsung nach § 13 Abs. 2 BayEG als Bezugsgröße anstelle des Diskontsatzes der Deutschen Bundesbank auf den jeweiligen Basiszinssatz abzustellen (Molodovsky/Bernstorff, a. a. O., RdNr. 3.4 zu Art. 13 BayEG).

D.

Der Senat lässt gemäß §§ 543 Abs. 2 ZPO, 7 EGZPO, 8 EGGVG in Anbetracht des Umstandes, dass das Bayerische Oberste Landesgericht ab dem 1.1.2005 keine Neueingänge mehr zugeteilt erhält, die Revision zum Bundesgerichtshof zu.

Das Urteil des Senats wirft die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellende Frage auf, ob die Vorwirkung der Enteignung nur aus der konkret zur Anwendung kommenden Enteignungsnorm und Enteignungsmaßnahme abzuleiten ist oder ob mehrere ineinander greifende Maßnahmen insoweit als Einheit zu bewerten sind.

E.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.



Ende der Entscheidung

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