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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 22.09.2005
Aktenzeichen: 1 U 3013/05
Rechtsgebiete: WHG, VwGO, ZPO, BauGB, BayWG, BGB
Vorschriften:
WHG § 19 | |
WHG § 19 Abs. 2 Nr. 1 | |
WHG § 19 Abs. 3 | |
VwGO § 47 | |
ZPO § 256 Abs. 1 | |
BauGB § 34 | |
BayWG Art. 35 | |
BayWG Art. 77 ff. | |
BayWG Art. 87 | |
BGB § 209 a. F. | |
BGB § 839 |
Dass der zuständige Verwaltungsgerichtshof im selben Zeitraum in ständiger Rechtsprechung landesrechtlich die Ausweisung eines Hochwasserschutzgebietes in Form eines Verwaltungsakts für möglich gehalten hat, stellt ein starkes Indiz gegen die Offenkundigkeit des Fehlers dar, der darin liegt, dass statt einer Verordnung ein Verwaltungsakt ergangen ist.
Aktenzeichen: 1 U 3013/05
Verkündet am 22.09.2005
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
In dem Rechtsstreit
wegen Forderung
erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Mü. durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K. und die Richter am Oberlandesgericht N. und R. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2005 folgendes
Endurteil:
Tenor:
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Mü. I vom 06.04.2005, Az.: 9 O 3146/04, wird zurückgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist für die Beklagten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls die Beklagten nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren mit ihrer am 19.02.2004 beim Landgericht Mü. I eingegangenen Klage die Feststellung, dass ihnen gegen die Beklagten ein Entschädigungsanspruch nach § 19 Abs. 3 WHG aufgrund von in der Wasserschutzgebietsverordnung des Landratsamts M. vom 29.09.2000 enthaltenen Verboten zusteht.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Flur Nr. 1820/1 Gemarkung V.. Das Grundstück ist mit einem Haus bebaut, das die Kläger mit ihrer Familie bewohnen. Die Baugenehmigung des Landratsamts M. stammt vom 31.08.1998.
Das klägerische Grundstück liegt am östlichen Rand des zur Gemeinde V. zählenden Ortsteils Mi. und wird von der Bahnhofstraße über einen Privatweg erschlossen.
Dieses Gebiet liegt im Einzugsbereich der seit 1883 bestehenden Trinkwassergewinnungsanlage "M.-quellen". Das hier gewonnene Trinkwasser deckt rund 30 % des Trinkwasserbedarfs der Stadt Mü. ab. Zusammen mit den beiden anderen nahe gelegenen Quellfassungen (Gotzinger Hangquellfassung und Reisacher Fassung) wird aus diesem Gebiet ca. 80 % des täglichen Mü. Wasserbedarfs gedeckt.
Um die Wasserversorgung sicherzustellen, beantragte die Landeshauptstadt Mü. in den sechziger Jahren die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets und den Erlass von Schutzanordnungen. Am 17.03.1964 erließ das Landratsamt M. einen unter anderem das klägerische Grundstück betreffenden Bescheid, wonach im Gemeindegebiet von V. zum Schutze der M.-quellenfassung ein Wasserschutzgebiet festgesetzt wurde. Wegen der im Bescheid enthaltenen Regelungen wird auf Anlage B 2 verwiesen.
Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Verwaltungsakt vom 17.03.1964 allgemeine Verbote und Beschränkungen im Sinne von Art. 35 Abs. 2 BayWG in der damaligen Fassung enthält. Art 35 BayWG lautete im Jahr 1964:
(1) Mit der Festsetzung des Wasserschutzgebietes sind die Schutzanordnungen zu erlassen. Es können Zonen mit unterschiedlichen Schutzanordnungen festgelegt werden.
(2) Werden allgemeine Verbote und Beschränkungen im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes erforderlich, so sind sie durch Verordnung der Kreisverwaltungsbehörde zu erlassen. Der Bereich, für den sie gelten, ist in der Verordnung anzugeben.
In einem Urteil vom 15.03.1968 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass Wasserschutzgebiete nur durch Rechtsverordnung festgesetzt werden könnten.
Der Bescheid vom 17.03.1964 legte unter anderem Baubeschränkungen fest und ließ Ausnahmen davon zu, wenn der Schutz des Wassers gegen Verunreinigungen gewährleistet war.
Eine derartige Ausnahmeregelung enthielt die den Klägern am 31.08.1998 vom Landratsamt M. erteilte Baugenehmigung für die Erweiterung des Wohnhauses und die Garage (vgl. insbesondere Nr. 1. b. des Bescheides unter Hinweis auf den Festsetzungsbescheid des Landratsamtes M. vom 17.03.1964 für das Wasserschutzgebiet M.). Die Baugenehmigung enthielt darüber hinaus u. a. die Auflage, die in dem beigefügten Schreiben des Landesamts für Wasserwirtschaft vom 20.05.1998 enthaltenen Forderungen zu erfüllen.
Am 29.09.2000 erließ das Landratsamt M. die Verordnung für das Wasserschutzgebiet "M.er Hangquellen." (Anlage K 2). Die Wasserschutzgebietsverordnung wurde im Amtsblatt für den Landkreis M. Nr. 20 vom 11.10.2000 öffentlich bekannt gemacht und trat am 12.10.2000 in Kraft. Die Verordnung bezieht das klägerische Grundstück in ihren Geltungsbereich ein und belegt es mit den für die engere Schutzzone II geltenden Verboten gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung.
Die Kläger stellten gemeinsam mit zahlreichen weiteren Betroffenen am 10.10.2001 einen am 11.10.2001 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Antrag auf Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO gegen die Verordnung Der Normenkontrollantrag wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 26.06.2002 abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15.04.2003 zurück.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, eine Feststellungsklage sei zulässig. Die Frage der Entschädigungspflicht der Beklagten stelle ein klärungsbedürftiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO dar. Eine Bezifferung der zu leistenden Entschädigung wegen der Auflagen in der Schutzgebietsverordnung sei derzeit noch nicht möglich. Erst nach Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang die Kläger für einzelne Verbote Ausnahmen erhalten könnten, lasse sich die Höhe der Entschädigung ermitteln.
Ihnen stünde ein Entschädigungsanspruch nach § 19 Abs. 3 WHG zu. Die Verordnung treffe sie sowohl ungleich als auch unverhältnismäßig, so dass gemäß Art. 14 Abs. 1 GG ein Ausgleich zu gewähren sei. Bis zum Inkrafttreten der Verordnung sei ihr Grundstück ohne weiteres bebaubar gewesen, da es innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile im Sinne von § 34 BauGB liege. Vorhandene Gebäude hätten somit erweitert und auf bisher unbebauten Flächen hätten neue Gebäude errichtet werden können.
Die vom Landratsamt M. mit Verwaltungsakt vom 17.03.1964 festgesetzten Beschränkungen hätten dem nicht entgegengestanden, da dieser Verwaltungsakt nichtig sei. Ein Wasserschutzgebiet habe nach § 19 des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27.07.1957 nur in der Rechtsform einer Rechtsverordnung erlassen werden können. Die Wahl der falschen Erlassform führe gemäß Art. 44 BayVwVfG zur Nichtigkeit des Bescheides, da dieser Formenmissbrauch offenkundig sei.
Der Feststellungsklage stehe die Ausschlussfrist des Art. 87 Abs. 2 S. 2 BayWG nicht entgegen. Bei der Auslegung dieser Vorschrift sei gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.08.1999 die unterbrechende Wirkung des Normenkontrollantrages zu berücksichtigen.
Die Kläger haben beantragt:
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, an die Kläger eine Entschädigung zu leisten für die in der Verordnung des Landratsamts M. über das Wasserschutzgebiet "M. Hangquellen" in der Gemeinde V. (Landkreis M.) für die öffentliche Wasserversorgung der Landeshauptstadt Mü. vom 29.09.2000 getroffenen Handlungs- und Nutzungsverbote für das Grundstück Fl. Nr. 1820/1 der Gemarkung V..
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.
Die Beklagte zu 1) hat vorgebracht, sie sei nicht passiv legitimiert. Entschädigungspflichtig gemäß Art. 74 Abs. 5 BayWG sei nur derjenige, der durch den mutmaßlich entschädigungspflichtigen Vorgang unmittelbar begünstigt sei. Dies sei lediglich die Beklagte zu 2), die als juristische Person des Privatrechts ein Wirtschaftsunternehmen für Trinkwassergewinnung und Lieferung betreibe und damit unmittelbar durch die Ausweisung des Wasserschutzgebietes begünstigt werde.
Die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 19 Abs. 3 WHG lägen für das Grundstück der Kläger nicht vor, da die in der Wasserschutzgebietsverordnung enthaltenen, hier einschlägigen Verbote weder unverhältnismäßig noch unzumutbar in das Eigentum der Kläger eingreifen würden. Denn spätestens seit der Wasserschutzgebietsausweisung vom 17.03.1964 (Bescheid des Landratsamts M.) hätte das klägerische Grundstück vergleichbaren Eigentumsbeschränkungen unterlegen. Die fehlerhafte Wahl der Rechtsform dieses Bescheids (Verwaltungsakt statt Verordnung) ändere nichts daran, dass ein Wasserschutzgebiet "M.er Hangquellen" spätestens seit dem Jahre 1964 faktisch existiert habe und die ausdrücklichen Festsetzungen gegenüber den Eigentümern der betroffenen Grundstücke von den zuständigen Behörden in weiteren Einzelakten durchgesetzt worden seien. Insbesondere sei der Verwaltungsakt des Landratsamts M. nicht nichtig, da die Wahl der falschen Rechtsform nicht in der Art offensichtlich sei, dass die Voraussetzungen des Art. 44 BayVwVfg erfüllt seien.
Die Ausschlussfrist des Art. 87 Abs. 2 S. 2 BayVwVfG sei bei Klageerhebung bereits abgelaufen gewesen. Die Geltendmachung des Primärrechtsschutzes habe auch nach altem Verjährungsrecht nur zu einer Hemmung, nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung geführt.
Das Landgericht Mü. I hat die Klage mit Endurteil vom 06.04.2005 mit der Begründung abgewiesen, die Ausschlussfrist des Art. 87 Abs. 2 S. 2 BayWG sei zwar gewahrt, weil das Normenkontrollverfahren ihren Lauf unterbrochen habe, Der Verwaltungsakt des Landratsamts M. vom 17.03.1964 sei jedoch nicht nichtig, sondern nur rechtwidrig. Deshalb scheide ein Entschädigungsanspruch aus. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Die Kläger verfolgen ihr Begehren mit der Berufung weiter.
Die Kläger bringen vor, die vorhandene Bebauung auf der Südseite der Bahnhofstraße erwecke den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit. Das gesamte Grundstück Fl.Nr. 1820/1 habe an diesem Bebauungszusammenhang Teil. Ein weiteres Wohngebäude im Südwesten des Grundstücks würde sich nach § 34 BauGB einfügen.
Der Bescheid vom 17.03.1964 beruhe auf einem groben Formenmissbrauch.
Nach Art. 35 BayWG sei eine Festsetzung von Wasserschutzgebieten durch Verwaltungsakt nur in seltenen Ausnahmefällen, nämlich wenn keine allgemeinen Verbote und/oder Beschränkungen im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 WHG ausgesprochen waren, möglich gewesen. Der Bescheid vom 17.03.1964 enthalte jedoch eine Vielzahl von derartigen allgemeinen Verboten und/oder Beschränkungen.
Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits damals zu § 19 WHG darauf hingewiesen, dass eine Anordnung über Wasserschutzgebiete ihrem Wesen nach als Rechtsnorm zu ergehen habe.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der Fehler offensichtlich.
Für die Bewertung eines Verwaltungsakts als nicht nichtig oder rechtswidrig sei auf den Zeitpunkt seines Erlasses abzustellen. Die spätere Haltung der Behörden, insbesondere die Beachtung des Verwaltungsakts durch sie, stelle kein geeignetes Abgrenzungskriterium zwischen Nichtigkeit und Rechtswidrigkeit dar.
Der maßgebliche verständige Beobachter beziehungsweise aufgeschlossene Durchschnittsbetrachter werde nicht durch die Mitarbeiter der den fraglichen Bescheid erlassenden Behörde oder die Richter des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs definiert. Die Auffassung des objektiven Durchschnittsbetrachters könne von der unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines Gerichts abweichen. Zudem richte sich der maßgebliche Durchschnittsbetrachter nicht nach bayerischen Besonderheiten, sondern müsse selbstverständlich einen bundeseinheitlichen Betrachtungswinkel anlegen.
Vorzunehmen sei eine abstrahierende Betrachtung. Sonst hätte es die erlassende Behörde selbst in der Hand, die Frage Nichtigkeit oder bloße Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts zu entscheiden.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.1968 sei im Ergebnis durch seine Entscheidung vom 01.10.1963 bereits vorweggenommen worden.
Art. 35 BayWG in der damaligen Fassung sei wegen Verstoßes gegen Bundesrecht nichtig. Es liege ein klarer Formenmissbrauch vor. Nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG sei ein Verwaltungsakt nichtig, der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden könne, aber dieser Form nicht genüge.
Die Kläger beantragen:
I. Das Urteil des LG Mü. I vom 06.04.2005, 9 O 3146/04, wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, an die Kläger eine Entschädigung zu leisten für die in der Verordnung des Landratsamts M. über das Wasserschutzgebiet "M- Hangquellen" in der Gemeinde V. (Landkreis M.) für die öffentliche Wasserversorgung der Landeshauptstadt Mü. vom 29.09.2000 getroffenen Handlungs- und Nutzungsverbote für das Grundstück Flur-Nr.: 1820/1 der Gemarkung V..
Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.
Sie bringen vor, die vorhandene Bebauung auf der Südseite der Bahnhofstraße vermittele nicht den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit. Für das Grundstück FlNr. 1820/1, Gemarkung V., bestehe nicht insgesamt Baurecht nach § 34 BauGB .Ein weiteres Wohnhaus dürfe auf dem Grundstück nicht errichtet werden.
Der Verwaltungsakt vom 17.03.2004 sei nicht nichtig.
Nach dem vormaligen Art. 35 Abs. 2 BayWG habe die Möglichkeit bestanden, Regelungen zum Trinkwasserschutz durch Verwaltungsakt zu treffen, solange es sich nicht um "allgemeine Verbote und Beschränkungen" gehandelt habe, die nicht nur den individuellen Grundstückseigentümer und bestimmbaren Adressaten angingen. Dass der Verwaltungsakt derartige allgemeine Regelungen enthalte, sage für die Frage, ob er rechtswidrig oder nichtig sei, nichts aus.
Da es 1964 das BayVwVfG noch nicht gegeben habe, komme es auf die damalige Rechtsprechung und Literatur zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts an. Art. 44 BayVwVfG stelle die Umsetzung der vormals von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Lehre dar.
Da keiner der jetzt in Art. 44 Abs. 3 BayVwVfG formulierten besonderen Nichtigkeitstatbestände einschlägig sei, komme es darauf an, ob ein besonders schwerwiegender Fehler und Offenkundigkeit bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände gegeben sei.
Gegen die Offenkundigkeit des Fehlers spreche, dass nicht nur das Landratsamt M., sondern auch die mit Gestattungsvorgängen befassten Grundstückseigentümer und Kommunen die Regelung im Bescheid vom 17.03.1964 beachtet hätten.
Wenn eine Verwaltungsbehörde 35 Jahre einen fehlerhaften Verwaltungsakt praktiziere und niemand, weder die Aufsichtsbehörde noch ein Bürger oder eine belegene Kommune die Nichtigkeit reklamiere oder ein Verfahren nach Art. 44 Abs. 5 BayVwVfG anstrenge und Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts stelle, genüge das nicht dem Merkmal der Offenkundigkeit.
Ein besonders schwerwiegender Fehler liege nicht vor. Inhaltlich sei im Bescheid vom 17.03.1964 das geregelt worden, was nach der Verfassung zulässig und geboten gewesen sei.
Bei der Bewertung des Formfehlers sei zu berücksichtigen, dass im Jahr 1964 die Lehre vom Verwaltungsakt als Allgemeinverfügung bereits weit fortentwickelt gewesen sei.
Ein Formfehler stelle noch keinen Formenmissbrauch dar.
Eine Vermögenseinbusse hätten die Kläger nicht erlitten.
Die Klagefrist sei verstrichen. Das Betreiben des Normenkontrollverfahrens habe schon nach dem bis zum 31.12.2001 geltenden Recht nur zu einer Hemmung der Ausschlussfrist geführt. Die Auslegung des Landgerichts verschaffe dem potenziellen Kläger eine unangemessene Fristverlängerung. Wer sich zum Zwischenrechtsstreit am letzten Tag des erstmaligen Fristablaufs entscheide, verdiene es im Hinblick auf die andere Partei nicht, noch einmal die volle Frist nach Durchführung des Zwischenrechtsstreits zugestanden zu bekommen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze der Kläger vom 13.06.2005 (Bl. 96/106 d. A.) und 22.08.2005 (Bl. 122/127 d. A.) sowie der Beklagten vom 14.07.2005 (Bl. 108/118 d. A.).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Landgericht hat einen Entschädigungsanspruch nach § 19 Abs. 3 WHG, Art. 87 BayWG zu Recht verneint.
1) Ob die Kläger die Frist des Art. 87 Abs. 2 S. 2 BayWG gewahrt haben, lässt der Senat offen. Das Landgericht hat die Frage unter Verwendung von nachvollziehbaren Argumenten bejaht, eine höchstrichterliche Entscheidung zur Anwendung der Vorschriften über die Hemmung oder die Unterbrechung liegt jedoch nicht vor.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts handelt es sich bei der Einhaltung der in Art. 87 Abs. 2 S. 2 BayWG bestimmten Frist um eine besondere Prozessvoraussetzung. Die Versäumung der Frist führt mangels Klagbarkeit zur Abweisung der Klage als unzulässig (BayObLGZ 1989, 430).
Weder das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfG BayVBl. 2000, 17 (= NVwZ 1999, 1329) noch das Bayerische Oberste Landesgericht in der Entscheidung BayObLGZ 2000, 568 haben sich festgelegt, ob der wasserrechtliche Primärrechtsschutz zu einer Unterbrechung oder Hemmung der Frist des Art. 87 Abs. 2 S.2 BayWG (nach altem Verjährungsrecht) führt.
Der Bundesgerichtshof hat für den Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG entschieden, dass Widerspruch und Klage gegen den amtspflichtwidrig erlassenen Verwaltungsakt die Verjährung entsprechend § 209 BGB a. F. unterbrechen (BGHZ 95, 283; 97, 97; 122, 317, 323). Dies spricht dafür, dass er im vorliegenden Fall ebenso entscheiden würde.
2) Die Klage ist unbegründet, weil die Verordnung vom 29.09.2000 nicht weiter in das Eigentumsrecht der Kläger eingreift, als der Bescheid des Landratsamts M. vom 17.03.1964.
Der Verwaltungsakt vom 17.03.1964 ist nicht nichtig. Der Senat nimmt auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug.
Hinsichtlich der Kriterien, die der Unterscheidung zwischen einem rechtswidrigen, aber wirksamen einerseits und einem nichtigen Verwaltungsakt andererseits dienen, greifen die Parteien das Urteil des Landgerichts nicht an. Die Kläger meinen aber, dass das Landgericht bei der Anwendung der Kriterien zu einem falschen Ergebnis gekommen ist. Ihre Kritik trifft jedoch nicht zu.
In Hinsicht auf die Ausführungen der Kläger im Berufungsverfahren wird zusätzlich auf folgende Gesichtspunkte hingewiesen:
Die Frage, ob der Bescheid vom 17.03.1964 offenkundig fehlerhaft war, richtet sich unstreitig nach einer Bewertung aus damaliger Sicht.
Das von den Klägern im Schriftsatz vom 22.08.2005 entworfene Bild einer Person, die aus Bundesperspektive im März 1964 kühl die bayerische Gesetzes-, Verwaltungs- und Gerichtspraxis anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rechtslage in anderen Bundesländern (nur das Urteil vom 01.10.1963 war damals bekannt) analysiert und so zu ihrer Rechtsauffassung kommt, entspricht einer Kunstfigur, quasi einer Art überlegenem, die Essenz der höchstrichterlichen Rechtsprechung destillierenden Subsumtionsautomat. Um einen objektiven, "nicht unbedingt sachkundigen, aber aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter" handelt es sich gerade nicht. Bei der Frage, ob ein Bescheid offenkundig fehlerhaft ist, wird letzterer weder den Wortlaut der damals geltenden Gesetze (Art. 35 BayWG), noch die Rechtsprechung des für ihre Auslegung maßgeblichen bayerischen Gerichts (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof) oder die jahrzehntelange unbeanstandete Verwaltungspraxis außer Acht lassen. Sie stellen objektive Kriterien dar, die von der subjektiven Auffassung des den Bescheid erlassenden Beamten unabhängig sind. Nach ihnen wird nicht nur der "Durchschnittsbetrachter", sondern auch der Jurist beurteilen, ob einer behördlichen Entscheidung die Fehlerhaftigkeit "auf die Stirn geschrieben" ist.
Im Übrigen ist zu bedenken: Dass der objektive Betrachter, wie er von den Klägern definiert wird, die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 17.03.1964 festgestellt hätte, mag sein. Dass er die offenkundige Fehlerhaftigkeit bejaht hätte, stellt aber eine bloße Behauptung dar. Aus der Begründung des Urteils des Bundesveraltungsgerichts vom 01.10.1963 ergibt sich dies nicht. Selbst im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.1968 ist von einer Nichtigkeit des aufgehobenen Bescheids keine Rede.
Im Termin vom 28.07.2005 hat der Senat bereits auf die im Zeitraum des Erlasses des Bescheids des Landratsamts Weilheim veröffentlichte Literatur und Rechtsprechung hingewiesen, die gegen einen offenkundigen Fehler der Behörde spricht.
Im Kommentar von Zimniok, Bayerisches Wasserrecht, 1964, § 35 BayWG Anm. 2 heißt es: "Da sich sowohl die Festsetzung des Schutzgebietes wie der Erlass der Schutzanordnung als Verwaltungsakt (vgl.. Anm. 8 zu § 19 WHG) darstellen, bereitet es keine Schwierigkeiten, sie als einheitliche Entscheidung im Sinne des Art. 80 BayWG zu behandeln." In der Anmerkung 4a ist davon die Rede, dass Absatz 2 es ermögliche, die Verbote und Beschränkungen der Schutzanordnungen nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 ..., die sich wegen ihrer Rechtsnatur als Verwaltungsakt ... vornehmlich an die Grundeigentümer und Nutzungsberechtigten richten, in Verordnungsform zu kleiden und als Rechtsnorm gegen jedermann verbindlich zu machen". Laut Anmerkung.4d sind Anwendungsfälle für den Erlass einer Verordnung "etwa generelle Verbote zu zelten, Wohnwagen aufzustellen, zu parken, verunreinigende Stoffe abzulagern und dergleichen."
Die auch die Allgemeinheit betreffenden Verbote des Zeltens, Lagerns, Badens und des Waschens von Kraftfahrzeugen haben gegenüber den im Bescheid sonst ausgesprochenen Einschränkungen der Grundstücksnutzung nur marginalen Eingriffscharakter, da die Allgemeinheit für diese Beschäftigungen nicht auf das relativ begrenzte Wasserschutzgebiet angewiesen ist. Die übrigen Verbote betreffen Verhaltensweisen, die der Allgemeinheit ohne Zustimmung des Eigentümers beziehungsweise Nutzungsberechtigten verboten sind (zum Beispiel Lagern von Abfall)
In der Zeit unmittelbar vor Inkrafttreten des Bayerischen Wassergesetzes wurde die Ausweisung von Wasserschutzgebieten durch Verwaltungsakt vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als selbstverständlich angesehen (BayVGH BayVBl 1964, 160).
Im Urteil vom 12.07.1967 (BayVBl 1968, 321) entschied der BayVGH, dass bei einer Gegenüberstellung von Art. 35 Abs. 1 und Abs. 2 "für den Normalfall" bei der Ausweisung eines Wasserschutzgebietes nicht an eine Verordnung gedacht sei. In einem Urteil des BayVGH vom 09.01.1967 (BayVBl. 1967, 241) heißt es unter anderem: "Das Verwaltungsgericht verkennt im Übrigen vor allem, dass Art. 35 Abs. 2 BayWG, der bei allgemeinen, im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 WHG erforderlichen Verboten und Beschränkungen den Erlass einer Kreisverordnung verlangt, es nicht verbietet, dass auch "allgemeine Verbote und Beschränkungen" mittels Verwaltungsakt angeordnet werden können, wenn sie sich gegen die von der Schutzgebietsfestsetzung betroffenen Eigentümer oder Nutzungsberechtigten richten sollen. ... Aus den Vorschriften des § 19 WHG, des Art. 35 und der Art. 77 ff. BayWG ergibt sich für die Festlegung eines Wasserschutzgebietes und die Festlegung der für dieses Gebiet geltenden Anordnungen nämlich unzweifelhaft eine Stufenfolge dahingehend, dass zunächst und zwar gleichzeitig durch Verwaltungsakt das Schutzgebiet festgesetzt wird und gegenüber den hiervon unmittelbar Betroffenen die Schutzanordnungen für dieses Gebiet erlassen werden und dass erst im Anschluss daran durch Verordnung die Verbote und Beschränkungen festgelegt werden, die nicht nur als Schutzanordnungen die Eigentümer und Nutzungsberechtigten, sondern jedermann angehen sollen."
Als Vorinstanz zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.1968 billigte der BayVGH die Ausweisung eines Wasserschutzgebiets und den Ausspruch von Ge- und Verboten gegenüber der Deutschen Bundesbahn durch Verwaltungsakt (BayVGH BayVBl 1967, 170).
In einer Anmerkung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.1968 führte Niedermayer aus, dass sich aus ihm nicht die Nichtigkeit der zahlreichen Verwaltungsakte ergebe, mit denen Wasserschutzgebiete ausgewiesen worden seien (BayVBl 1968, 320).
Für einen bewussten Formenmissbrauch des Landratsamts W. bestehen keine Anhaltspunkte. Die Auffassung der Kläger orientiert sich an der aktuellen geänderten Gesetzeslage und den heutigen Vorstellungen der Verwaltungsrechtslehre, wird aber der damaligen Situation nicht gerecht, wie die zitierte Rechtsprechung und Literatur zeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO. Bei der Prüfung der Wirksamkeit des Verwaltungsakts vom 17.03.1964 handelt es sich um einen Einzelfall, auch wenn von dieser Frage zusätzlich die Entscheidung in den Parallelverfahren 1 U 3014/05 und 1 U 3015/05 abhängt.
Ende der Entscheidung
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