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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 14.03.2002
Aktenzeichen: 1 W 831/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406
Die Frage, wann die Ablehnung eines Sachverständigen nach einem von diesem erstatteten Gutachten noch unverzüglich geltend gemacht ist, beurteilt sich danach, welcher Aufwand erforderlich ist, um die Ablehnungsgründe vortragen zu können.

Erschließen sich diese auch ohne eine fachspezifische Analyse des Gutachtens, ist in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Überlegungsfrist von zwei Wochen ab Zustellung des Gutachtens angemessen und ausreichend.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN

Aktenzeichen 1 W 831/02

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes u.a. hier: Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. K

erlässt der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch die unterzeichnenden Richter ohne mündliche Verhandlung am 14. März 2002

folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts München II vom 28.12.2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 110.000,-- EUR festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten aus Arzthaftung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.

Er macht ihnen zum Vorwurf, im Mai 1996 bei einem Kuraufenthalt in der Klinik der Beklagten zu 1) aufgrund dortiger mangelnder Hygiene bzw. unsachgemäßer Durchführung medizinisch überflüssiger Behandlungen durch einen anzunehmenden Spritzenabszess ernsthaft mit Staphylokokkenerregern (MRSA) infiziert, anschließend falsch behandelt und auch nicht in der erforderlichen Weise über Behandlungsrisiken aufgeklärt worden zu sein. Dies habe zu einer schwerwiegenden gesundheitlichen Schädigung des Klägers geführt.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 11.1.2000 (Bl. 122/126 d. A.) und ergänzendem Beschluss vom 1.3.2000 (Bl. 128 d. A.) die Erholung eines schriftlichen Gutachtens des chirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. K angeordnet.

Dieser hat am 18.10.2000 ein Gutachten erstellt (Bl. 195/211 d. A.), zu dem sich die Beklagten mit Schriftsatz vom 6.12.2000 (Bl. 215/230 d. A.) u. a. dahingehend äußerten, dass der Gutachter von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausginge und das Gutachten in sich widersprüchlich sei. Unter anderem führten die Beklagten aus, dass der Sachverständige Behauptungen vorbehaltlos an- und übernommen habe, die im vorliegenden Rechtsstreit gerade erst bewiesen werden sollten.

Das Landgericht hat sodann mit Beschluss vom 19.1.2001 (Bl. 233 d. A.) ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen zu den im Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 6.12.2000 aufgeworfenen Fragen erholt, das der Sachverständige unter dem 9.3.2001, bei Gericht eingegangen am 22.3.2001, erstattete (Bl. 235/251 d.A.).

Das Ergänzungsgutachten wurde den Parteien am 26.3.2001 zur Ankündigung etwaiger Einwendungen bis 30.4.2001 zugeleitet und ging dem Beklagtenvertreter am 27.3.2001 zu.

Auf Antrag des Beklagtenvertreters vom 25.4.2001 wurde die Frist zur Stellungnahme bis 14.5.2001 verlängert.

Mit Schriftsatz vom 27.4.2001, bei Gericht eingegangen an diesem Tag, lehnten die Beklagten den Sachverständigen Prof. Dr. H wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Hinsichtlich der Gründe wird auf Bl. 255/264 d. A. Bezug genommen.

Das Landgericht wies den Ablehnungsantrag mit Beschluss vom 28.12.2001 (Bl. 326/330 d. A.) als unbegründet zurück und stellte den Beschluss gemäß Verfügung vom 4.1.2002 der Beklagtenseite am 14.1.2002 zu. Der hiergegen von den Beklagten am 24.1.2002, eingegangen bei Gericht an diesem Tag, eingelegten sofortigen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen und die Sache mit Beschluss vom 25.1.2002 (Bl. 347/348 d. A.) dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Der Kläger beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Zum Hinweis des Senats auf eine mögliche Verfristung des Befangenheitsantrags haben die Parteien mit Schriftsätzen vom 21.2.2002 (Bl. 351/354 d. A.) bzw. 5.3.2002 (Bl. 355/358 d. A.) Stellung genommen.

II.

1. Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 406 Abs. 1, Abs. 5, 569 ZPO n.F.).

Sie ist jedoch bereits deshalb als unbegründet zurückzuweisen, da der Befangenheitsantrag verspätet gestellt wurde.

Die Ablehnung eines Sachverständigen für den in § 406 Abs. 2 ZPO nicht unmittelbar geregelten Fall, dass der Ablehnungsgrund erst nach der Ernennung des Sachverständigen entsteht ist unverzüglich, d. h. innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist geltend zu machen (Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., RdNr. 11 zu § 406 ZPO).

Bei Entscheidung der Frage, welche Überlegungsfrist in diesem Sinn angemessen erscheint, ist in erster Linie auf die genannten Ablehnungsgründe bzw. darauf abzustellen, welcher Aufwand erforderlich ist, sie geltend machen zu können. Vorliegend ist entscheidend, dass sich die von den Beklagten aufgeführten Ablehnungsgründe unmittelbar aus der gutachtlichen Stellungnahme vom 9.3.2001 ergeben und sich nicht erst auf der Basis einer fachspezifischen Analyse des Gutachtens erschließen. Alle Punkte des Ablehnungsgesuchs betreffen Fragen des Sachverhalts, der Beweiswürdigung, einzelner Formulierungen sowie der allgemeinen Arbeitsweise des Gutachters, für deren Beurteilung es der Beratung durch einen medizinischen Sachverständigen nicht bedarf.

Weiter war auch zu sehen; dass ein Teil der gegen das Gutachten bzw. den Sachverständigen erhobenen Beanstandungen von der Beklagtenseite bereits auf das erste Gutachten des Sachverständigen hin vorgebracht wurde.

Als deutlichen Anhaltspunkt dafür, welche Überlegungsfrist unter diesen Umständen als angemessen anzusehen ist, zieht der Senat in ständiger Rechtsprechung die Fristbestimmung des § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO heran. Als angemessene Überlegungsfrist erachtet er auch vorliegend einen Zeitraum von zwei Wochen ab Zustellung des Gutachtens für ausreichend. Diese Frist war bei Antragstellung der Beklagten am 27.4.2001 bereits um ca. zwei Wochen überschritten.

Die Beklagtenseite war auch nicht ohne ihr Verschulden gehindert, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Aus einer vom Landgericht gewährten Fristverlängerung für die Stellungnahme zum Sachverständigengutachten kann nicht geschlossen werden, dass das Gericht vom Vorliegen eines komplexen Sachverhaltes ausginge, der auch die Frist für die Anbringung eines Ablehnungsgesuchs verlängern würde. Es handelt sich um ein Entgegenkommen gegenüber den Beklagten, das für die Frage der Rechtzeitigkeit des Ablehnungsgesuchs nicht das geringste besagt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats darf im übrigen eine Partei, die einen Sachverständigen wegen seiner Äußerungen in dem Gutachten ablehnen will, die vom Gericht zur inhaltlichen Stellungnahme auf das Gutachten gesetzte Frist regelmäßig auch nicht ausschöpfen, bevor sie den Ablehnungsantrag stellt (so auch Zöller/Greger, a.a.O.).

Die Ablehnung ist damit bereits unzulässig.

2. Darüber hinaus erscheint die Ablehnung des Sachverständigen auch als überaus konstruiert und in der Sache keinesfalls gerechtfertigt.

Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Gründe des landgerichtlichen Beschlusses vom 28.12.2001 Bezug genommen.

Ergänzend ist auszuführen:

Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 Satz 1, § 42 ZPO). Es muss mithin ein Grund gegeben sein, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken könnte, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.

Ein solcher Grund ist hier jedoch nicht erkennbar.

Soweit der Sachverständige, wie die Beklagten meinen, sein Gutachten auf streitige Behauptungen stützt, belegt dies in keiner Weise eine Voreingenommenheit.

Zur Frage der Aufklärung wie auch der Desinfektion hat der Sachverständige aus dem ihm vorliegenden Akteninhalt in zulässiger Weise Schlussfolgerungen gezogen und diese auch als solche kenntlich gemacht.

Dass ihrem Ablehnungsvorbringen insoweit durch die ergänzende und nachvollziehbar konkretisierende Stellungnahme des Sachverständigen vom 29.8.01 großteils der Boden entzogen wird, ignorieren die Beklagten in ihrer Beschwerdebegründung vom 24.1.02 im übrigen.

Soweit der Sachverständige einseitig substantiierten Vortrag der Beklagten - beispielsweise bei der Frage des Abszesses - unberücksichtigt gelassen haben soll, vermag der Senat diese Einschätzung bei objektiver Sicht nicht zu teilen. Der Sachverständige begründet vielmehr im einzelnen, warum er von einem bestimmten Sachverhalt ausgeht.

Eine einseitige Wertung oder Unterstellung zu Lasten der Beklagten ist den Äußerungen des Sachverständigen nicht zu entnehmen.

Soweit die Beklagten wiederholt Äußerungen des Sachverständigen als der gerichtlichen Entscheidung unzulässigerweise vorgreifende Beweiswürdigung beanstanden, kann dies vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus nicht den Vorwurf der Befangenheit begründen. Der Sachverständige ist nicht gänzlich gehindert, sich beweiswürdigend zu äußern, insbesondere, wenn sich eine von ihm angenommene größere Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der einen oder anderen Behauptung gerade auch aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen ergibt und er dies mit gebotener Zurückhaltung zum Ausdruck bringt, wie hier geschehen.

Im übrigen hat die Kammer bereits darauf hingewiesen, dass, sofern sie zu einem anderen Beweisergebnis kommen sollte als demjenigen, das der Sachverständige aus seiner Sicht als das wahrscheinlichste betrachtet und deshalb seinen weiteren Ausführungen zugrundegelegt hat. sie in der mündlichen Anhörung des Sachverständigen weitere Tatsachenalternativen bilden und dem Sachverständigen hierzu konkrete Fragen stellen wird.

Letztlich geht es auch um Fragen des - jedenfalls nicht durch ein Ablehnungsgesuch angreifbaren - gutachterlichen Beurteilungsspielraums, wenn beispielsweise der Sachverständige ausführt, was er bei seinem fachlichen Verständnis unter einer ordnungsgemäßen Untersuchung und Diagnosestellung versteht.

Sollte sich der Sachverständige vereinzelt nicht exakt an den Wortlaut des Beweisbeschlusses gehalten haben, belegt dies keine Befangenheit, sofern weitergehende Äußerungen des Sachverständigen, wie hier, dem besseren Verständnis dienen und dem in medizinischen Sachfragen aus eigner Erkenntnis weitgehend unkundigen Gericht sinnvolle Hinweise geben.

Soweit bei einzelnen Fragen die Darstellung beispielsweise von Alternativen im Gutachten zu kurz gekommen sein sollte, mag gegebenenfalls noch Erörterungsbedarf bestehen. Eine Befangenheit des Sachverständigen lässt sich jedoch auch aus diesem Umstand nicht herleiten. Soweit die Beklagten mangelnde Vollständigkeit des Gutachtens rügen, ist es Sache des Gerichts und gegebenenfalls der Beklagten, im Wege der Gutachtensergänzung oder Anhörung des Sachverständigen auf eine Vollständigkeit hinzuwirken. In diesem Sinn haben die Beklagten bereits mit Schriftsatz vom 10.5.2001 vorsorglich Antrag auf Anhörung des Sachverständigen unter Übermittlung eines Fragenkatalogs gestellt. Insoweit liegt im übrigen bereits ein ergänzenden Gutachten des Sachverständigen vom 29.8.2001 vor (Bl. 291/319 d. A.), das teilweise unter Richtigstellung vormals gewählter Formulierungen die Fragen und Bedenken der Beklagten im weiten Umfang klären und entkräften dürfte.

Vom Standpunkt einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei, auf den es ankommt, ist somit kein Grund erkennbar, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln.

Erst recht gilt dies für die auch ansonsten behauptete nachlässige Arbeitsweise des Gutachters. Dass dies gerade und bewusst in Bereichen geschehen wäre, die zu Gunsten der Beklagten sprechen würden, ist nicht ersichtlich.

Insbesondere lassen auch kleinere Unachtsamkeiten, wie z. B. bei der Auslassung von Fragen oder der versehentlichen Nichtübersendung von Anlagen, nicht den Schluss auf eine Befangenheit des Sachverständigen zu.

3. Der Hilfsantrag der Beklagten, den Beschluss des Landgerichts vom 28.12.2001 aufzuheben und das Verfahren über die Ablehnung des Gutachters an das Landgericht zurückzuverweisen, ist im Hinblick auf die Unbegründetheit des Hauptantrags und das Fehlen von Verfahrensverstößen durch das Landgericht ebenfalls unbegründet (vgl. § 572 Abs. 3 ZPO n.F. und Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 24. Aufl., Anm. 19 und 20 zu § 572 ZPO).

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 574 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO n.F.; vgl. Thomas/Putzo/Reichold, a.a.O., RdNr. 11 zu § 406 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wurde mit ca. 1/3 des Werts der Hauptsache bemessen.

Ende der Entscheidung

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