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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 19.07.2006
Aktenzeichen: 10 U 2476/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, RVG


Vorschriften:

ZPO § 139 I 2
ZPO § 264 Nr. 3
ZPO § 522 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 522 II 3
BGB § 249 I
BGB § 249 II 1
RVG § 8 I 1
RVG § 10 I
RVG § 10 III
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 U 2476/06

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz

erläßt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... ohne mündliche Verhandlung am 19.07.2006 folgenden

Beschluß:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten vom 17.03.2006 gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 25.01.2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten tragen samtverbindlich die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 2.312,60 EUR.

Gründe:

I.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat nach einhelliger Überzeugung des Senats in der Sache keine Aussicht auf Erfolg und ist deshalb, da die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung erfordert, gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zurückzuweisen.

1. Zur Begründung wird zunächst gemäß § 522 II 3 ZPO auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 22.05.2006 Bezug genommen.

Im Hinblick auf die sorgfältige und umfangreiche Stellungnahme des Berufungsführers vom 06.07.2006 ist ergänzend folgendes zu bemerken:

a) Soweit die Berufung eine fehlende Festlegung des Unfallortes im Ersturteil in dem Kreuzungsbereich Ludwigstraße/Stettnerstraße moniert, ist dies nicht zielführend, weil es eine derartige Kreuzung nicht gibt, vielmehr im Unfallbereich die beiden untergeordneten Straßen, aus denen die Unfallparteien gekommen sind, V-förmig von rechts in die bevorrechtigte Ludwigstraße einmünden.

Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (BGH NJW 96, 1828; VersR 1959, 518 [519]; VersR 86, 343 [344]; VersR 91, 195). An der Grundlage des Anscheinsbeweises, der Typizität des Geschehensablaufes fehlt es jedoch im vorliegenden Fall, da auch die Beklagte zu 1) im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen aus einer untergeordneten Straße in die bevorrechtigte Straße eingefahren ist und sie deshalb möglicherweise nach den zutreffenden Feststellungen des Sachverständigen K... für die Zeugin H... bei deren Einfahrt in die Ludwigstraße nicht zu sehen war.

Die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden, da dort ohne erneute Vernehmung von Zeugen durch das Berufungsgericht von der Beweiswürdigung des Erstgerichts abgewichen worden war. Hier folgt der Senat der Beweiswürdigung des Landgerichts wie bereits unter 2. a) der Verfügung des Vorsitzenden vom 22.05.2006 ausgeführt wurde.

b) Gleiches gilt für die Dauer der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs und die Höhe der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die im angefochtenen Urteil zutreffend berechnet wurden.

aa) Die Rechtsanwaltskosten können natürlich wie bereits angefallene Sachverständigenkosten oder geschätzte Reparaturkosten in diesem Schadensersatzprozess geltend gemacht werden.

aaa) Nach § 249 I, II 1 BGB sind diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten in Form vorprozessualer, nicht anrechenbaren Anwaltskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGHZ 30, 154 [157 f.]; 39, 73 [74]; 127, 348; BGH NJW 1970, 1122; 1986, 2243 [2245]; 2004, 444 [446]; 2006, 1065; KG VRS 106 [2004] 356 [357 f.]; LG Bonn AGS 2006, 19 = NJW 2005, 1873 [1874] = NZV 2005, 583 [585]; Nixdorf VersR 1995, 257 ff.; Sanden/ Völtz, Sachschadensrecht des Kraftverkehrs, 7. Aufl. 2000, Rz. 289-292; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, 2003, § 249 Rz. 75; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 12 StVG Rz. 50 m.w.N.; Palandt/ Heinrichs, BGB, 65. Aufl. 2006, § 249 Rz. 38 und insbes. 39 m.w.N.); gleiches gilt im übrigen etwa auch für außergerichttiche Rechtsanwaltskosten in Unterhaltssachen (OLG München NJW-RR 2006, 650 für den Unterhaltsprozeß).

Als erforderlich sind die nach dem Urteil begründeten Forderungen anzusehen (BGHZ 39, 73 [74]; BGH NJW 1970, 1122 [1123 m.w.N.]; LG Bonn AGS 2006, 19 = NJW 2005, 1873 [1874] = NZV 2005, 583 [585]; Bamberger/Roth/Grüneberg a.a.O.; a.A. wohl BGHZ 30, 154 [157 f.] und ausdrücklich Chemnitz NJW 1963, 1303 [1305]).

bbb) Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß in dem Fall, daß das Gericht nur einen Teil der Ansprüche für gerechtfertigt hält und sich die geltend gemachten vorprozessualen, nicht anrechenbaren Anwaltskosten sonach als übersetzt erweisen, der Schadensersatzgläubiger mangels entsprechender Rechnungsstellung die Anwaltsgebühren nicht zu entrichten habe und es deshalb an einem ersatzfähigen Schaden fehle:

- Die Rechnungsstellung nach § 10 I RVG (= § 18 BRAGO) betrifft (nur) die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zum Mandanten des Anwalts (Schneider, RVG, 3. Aufl. 2006, § 10 Rz. 1). Sie bedeutet, wie sich aus § 10 III RVG zwingend ergibt, nicht etwa, daß der Anwalt überhaupt keinen materiellrechtlichen Anspruch hat - dieser entsteht mit dem ersten Tätigwerden des Anwalts und wird gem. § 8 I 1 RVG mit Erledigung des Auftrags bzw. Beendigung der Angelegenheit fällig (vgl. auch Schneider a.a.O.; Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl. 2006, § 10 RVG Rz. 23). § 10 I RVG gilt nicht im Bereich des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs (Schneider, RVG, 3. Aufl. 2006, § 10 Rz. 11; a.A. LG Bonn AGS 2006, 19 [insoweit in NJW 2005, 1873 = NZV 2005, 583 nicht abgedruckt]; offengelassen von AG Düsseldorf AGS 2004, 191).

- Weiter ist zu bedenken, daß bei Zugrundelegung der gegenteiligen Ansicht der Schadensersatzgläubiger einen Befreiungsanspruch gegen den Schädiger hätte (vgl. BGH NJW 1970, 1122 [1123]; AG Düsseldorf AGS 2004, 191), worauf ihn das Gericht nach § 139 I 2 ZPO hinweisen müßte, um ihm die Möglichkeit der Klageumstellung nach § 264 Nr. 3 ZPO (vgl. RGZ 139, 315 [322]; BGH NJW 1959, 886 [887]) zu eröffnen.

ccc) Kein diskussionsfähiger Gesichtspunkt ist natürlich das Argument, es sei dem Gericht nicht zumutbar, die nach seiner Ansicht zutreffenden Gebühren selbst auszurechnen:

Abgesehen davon, daß der von einem Gericht zu leistende Arbeitsaufwand als solcher nie ein Sachentscheidungskriterium ist, läßt sich eine solche Berechnung mit den von der Justizverwaltung zur Verfügung gestellten Tabellen oder mittels kostenlos im Internet zur Verfügung stehender Berechnungsprogramme, deren Verwendung jedem Gericht heutzutage selbstverständlich zuzumuten ist, problemlos in wenigen Minuten erledigen.

ddd) Nach alledem ist kein gesetzlicher oder auch nur sonst vernünftiger Grund ersichtlich, den Kläger hinsichtlich seiner vorprozessualen Anwaltskosten auf einen neuen Prozeß zu verweisen. Die Entscheidung des AG Hamburg ZMR 2005, 79 und die angeblich "gefestigte Rechtsprechung des AG München" vermögen an dieser ebenso einfachen wie unzweideutigen Sachlage nichts zu ändern.

bb) Was die Höhe der anzusetzenden Gebühr angeht, steht das Erstgericht mit der Systematik des RVG und der ganz herrschenden Rechtsprechung, auch des Senats, und Literatur im Einklang.

Nr. 2400 VV schreibt vor: "Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war." Bei diesem Wert von 1,3 handelt es sich um die sogenannte Schwellengebühr. Selbst wenn die höhere Mittelgebühr von 1,5 (vgl. dazu grdl. Madert zfs 2004, 391) angefallen ist, darf ein die Schwellengebühr überschreitender Geschäftswert nur angesetzt werden, wenn alternativ die zusätzlichen Merkmale des Umfangs oder der Schwierigkeit der Tätigkeit vorliegen. Umgekehrt bedeutet dies, daß wenn die Rechnung auf diese zusätzlichen Merkmale nicht Bezug nimmt, jedenfalls die Gebühr mit 1,3 anzusetzen ist.

Die ganz herrschende Rechtsprechung geht davon aus, daß es sich bei der Abwicklung eines üblichen Verkehrsunfalls auch nach Inkrafttreten des RVG grundsätzlich, auch in sogenannten einfachen Regulierungssachen, um eine durchschnittliche Angelegenheit handelt, bei der die Berechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 W RVG angemessen ist (so Senat, Hinweis vom 19.04.2006 im Verfahren 10 U 1613/06; vgl. ferner die Rechtsprechungsübersichten in DAR 2006, 58 f., NJW2006, 1477 ff. und in MittBl. der Arge VerkR 2006, 53 ff.). Der Senat sieht auch in Anbetracht der Ausführungen in der Hinweisreplik keine Veranlassung, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern.

Wenn somit die Gebühr von 1,3 als "Regelgebühr" anzusehen ist, genügt der Geschädigte seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er einen solchen Regelfall als konkret gegeben behauptet. Will der Schädiger dies nicht gelten lassen, obliegt es ihm, im einzelnen darzulegen, welche Gesichtspunkte für einen unterdurchschnittlichen Fall sprechen. Die von den Beklagten zitierte Entscheidung OLG Hamm NJW-RR 1999, 510 zwingt den Senat nicht, die Sache mündlich zu verhandeln und die Revision zuzulassen, weil zum einen der dort entschiedene Sachverhalt - eine Gebührenklage eines Steuerberaters gegen seinen Mandanten - mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar ist, zum anderen das OLG Hamm selbst darlegt, daß es von der damals bereits herrschenden gegenteiligen Meinung (vgl. OLG Düsseldorf Gl 1990, 115; 1994, 133) abweicht.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO.

Ende der Entscheidung

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