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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 25.06.2008
Aktenzeichen: 20 U 2205/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB
Vorschriften:
BGB § 2325 Abs. 3 |
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Aktenzeichen: 20 U 2205/08
In dem Rechtsstreit
wegen Auskunft u.a.
erlässt der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch Richterin am Oberlandesgericht ... und Richter am Oberlandesgericht ... und ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2008 folgendes
Endurteil:
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 11. Januar 2008, AZ. 27 O 9941/07, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Darstellung bedarf es nicht, denn der Wert der Beschwerde der Beklagten übersteigt 20.000 EUR nicht (s. § 26 Nr. 8 EGZPO). Nach herrschender Meinung ist § 313 a ZPO, auf den § 540 Abs. 2 ZPO ausdrücklich verweist, auch auf Berufungsurteile anwendbar, s. a. Thomas/Putzo, ZPO, 28. Auflage, Rnr. 2 zu §313 a und Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Auflage, Rnr. 2 zu § 313a.
II.
1. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Landgericht erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte wegen des mit notarieller Urkunde vom 06.11.1995 übergebenen Grundbesitzes einen Anspruch auf Ergänzung des der Klägerin zustehenden Pflichtteils hat. Gemäß § 2314 BGB ist die Beklagte auskunftspflichtig über den Wert der Nachlassgegenstände, der ggf. durch einen Sachverständigen zu ermitteln ist.
Die Schenkung des Grundbesitzes bleibt nicht wegen § 2325 Abs. 3 BGB unberücksichtigt, denn seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes sind nicht mehr als 10 Jahre verstrichen:
a) Ausgangspunkt der Anwendung des § 2325 Abs. 3 BGB und insbesondere zu der Frage, wann die Schenkung vollzogen ist, ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.04.1994, Az. IV ZR 132/93, NJW 1994, 1791, die, soweit ersichtlich, Grundlage der inzwischen herrschenden Meinung geworden ist. In dieser Entscheidung führt der BGH u.a. aus: "... Deshalb gilt eine Schenkung nicht als i. S. von § 2325 Abs. 3 Halbs. 1 BGB geleistet, wenn der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstands nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss.
Der "Genuss" eines Hausgrundstücks besteht zwar auch in seinem wirtschaftlichen Wert, wie er für die Zwecke des § 2325 II 2 BGB errechnet und aufgeteilt werden kann. Es wäre aber nicht nur vom Tatsächlichen her verfehlt, ein Hausgrundstück allein unter dem Gesichtspunkt seines in Geld bemessenen Tauschwertes zu sehen. Auch rechtlich gehört zum Eigentum neben der Möglichkeit, es zu veräußern (oder seine Veräußerung zu verbieten), die Befugnis, es zu nutzen, (anderen die Nutzung einzuräumen oder zu verwehren)."
Um das Ziel des Gesetzgebers zu erreichen, mit § 2325 Abs. 3, 1. Hs. nur solche Vermögensstücke aus der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs herauszunehmen, ist demnach also im jeweils konkreten Fall darauf abzustellen, ob der Erblasser den "Genuss" dieser Vermögensstücke schon zehn Jahre vor dem Erbfall entbehrt hat.
Nach der Meinung des BGH im Urteil vom 27.04.1994 ist der "Genuss" des verschenkten Gegenstands dann nicht aufgegeben worden, wenn bei der Schenkung der Nießbrauch uneingeschränkt vorbehalten wurde. Diese grundsätzlichen Auswirkungen des BGH zum Nießbrauchsrecht gelten auch für andere Nutzungsrechte, beispielsweise auch dann, wenn sich der Erblasser - wie hier - ein Wohnrecht einräumen lässt oder Schenker und Beschenkter eine schuldrechtliche Nutzungsvereinbarungen getroffen haben. In all diesen Fällen ist für die Frage, wann die Schenkung vollzogen ist, darauf abzustellen, ob der Genuss des verschenkten Gegenstandes aufgegeben worden ist oder nicht (so auch die herrschende Kommentarliteratur, vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 67. Aufl., § 2325, Rnr. 22, und Lange in MüKo, 4. Aufl., § 2325 Rnr. 38 jeweils m.w.N.).
b) Anerkannt ist, dass eine Leistung in diesem Sinne bei einer Grundstücksschenkung frühestens mit der Umschreibung im Grundbuch in Betracht kommt (s. BGH, Urteil vom 02.12.1987, Az. IVa ZR 149/86, NJW 1988, 821). Auf diesen Zeitpunkt kann jedoch im vorliegenden Fall nicht abgestellt werden, denn die Erblasserin hat den Gegenstand am 18.12.1995 nicht wirklich an den Beschenkten verloren. Vielmehr kann hier unter Würdigung des Inhalts der Vertragsurkunde und der tatsächlichen Umstände vom "Vollzug" der Schenkung erst mit dem Tod der Erblasserin am 18.10.2006 ausgegangen werden:
Ausweislich § 3 des Übergabevertrages vom 06.11.1995 wurde dem Veräußerer (der Erblasserin) auf Lebensdauer ein Wohnungsrecht am gesamten Haus eingeräumt, mit Ausnahme der Souterrainwohnung, die von dem Erwerber (der Beklagten) bewohnt wurde. Außerdem war sie ohne Einschränkungen berechtigt, alle zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmten Anlagen und Einrichtungen mitzubenutzen. Sie war berechtigt, ihre Familie und die zur Pflege und Bedienung erforderlichen Personen aufzunehmen; die Beklagte war verpflichtet, die Räume im vertragsgemäßen Zustand zu überlassen und zu erhalten. Ein Wohnungsrecht mit demselben Inhalt wurde, wenn auch bedingt, zugunsten des Ehemannes der Erblasserin vereinbart. In II. § 4 der notariellen Urkunde vereinbarten die Vertragsparteien umfassende Rückerwerbsrechte, die in III. 3. b) durch eine Vormerkung gesichert wurden.
Bereits daraus folgt für den Senat, dass es die in der notariellen Urkunde ausgedrückte Intention der Erblasserin war, "ihr" Grundstück, auch wenn es nicht mehr in ihrem Eigentum stand, mit ihrem Ehemann im bisherigen Umfang bis an ihr Lebensende zu nutzen und sich dort erforderlichenfalls auch durch Hilfspersonen unterstützen oder pflegen zu lassen. Die Möglichkeit eines Auszugs aus dem Anwesen, z.B. bei Erforderlichwerden einer Heimunterbringung o.a. ist in der Urkunde nicht einmal angedacht. Vielmehr sollte der Status quo ohne wesentliche tatsächliche Veränderungen aufrechterhalten bleiben.
Die einzige nennenswerte Einschränkung liegt darin, dass die Erblasserin das Wohnungsrecht nicht Dritten zur Ausübung überlassen durfte. Dies war aber nach dem vorstehend Ausgeführten weder gewünscht noch erforderlich, sodass dieses Argument nicht erheblich ins Gewicht fällt. Abgesehen davon wurde dieses "Manko" dadurch kompensiert, dass die Erblasserin berechtigt war, Familienangehörige oder Personal in das Anwesen, soweit es vom Wohnungsrecht umfasst war, aufzunehmen. Auf die Frage, ob dies tatsachlich geschehen ist, kommt es nicht an.
Die Meinung der Beklagten, dass sich bereits durch den Überlassungsvertrag die Lage für die Erblasserin und ihren Ehemann wirtschaftlich deshalb stark verschlechtert habe, weil sie das Haus nicht mehr vermieten oder veräußern konnten, mag zutreffen. Darauf kommt es jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entscheidend an. In erster Linie maßgeblich ist, dass sogar nach dem Vortrag der Beklagten das von den Vertragsschließenden angestrebte Ziel tatsächlich erreicht werden konnte und erreicht wurde: Die Erblasserin und ihr Ehemann haben im vorliegenden Fall nichts entbehrt, denn sie haben ihrem Wunsch entsprechend bis an ihr Lebensende die sog. Hauptwohnung bewohnt, wohingegen die Beklagte, die mit ihrer Familie die Souterrainwohnung vereinbarungsgemäß nutzte, die Eltern versorgte und betreute und das Haus in Stand hielt. Es war also wie vorgesehen gewährleistet, dass die Eltern im bisherigen Umfang in ihrem gewohnten Umfeld verbleiben konnten und verblieben. Dass die Intensität der Nutzung möglicherweise im Laufe der Zeit eingeschränkt wurde und die Eltern alters- und gesundheitsbedingt davon abgesehen haben, die von dem Wohnungsrecht betroffenen Räume im gleichen Umfang wie im Jahr 1995 zu nutzen, ändert daran nichts. Im Übrigen ist völlig offen, ob nicht die Erblasserin und ihr Ehemann nicht über sonstige Vermögenswerte verfügten, die ihnen in jedem Fall bis zu ihrem Lebensende ein von finanziellen Sorgen freies Leben ermöglichten.
Schließlich steht auch der in II. § 8 vereinbarte Rangvorbehalt nicht entgegen, denn auch dieser rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Beklagte den verschenkten Gegenstand bereits im Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch ihrem Vermögen einverleibt hat. Die eigentumstypische Verwertung des Grundstücks blieb ihr infolge der zugunsten der Erblasserin vereinbarten und von dieser auch wahrgenommenen Nutzungsmöglichkeit weitestgehend verwehrt.
Auf die im Termin vom 25.06.2008 erteilten Hinweise wird ergänzend Bezug genommen.
Die Tatsache, dass die in II. 5. der Urkunde vereinbarte Zahlungspflicht durch notarielle Urkunde vom 04.12.2003 aufgehoben wurde, ist für die Entscheidung nicht von Bedeutung.
Mithin erweist sich das angefochtene Urteil als richtig: eine Änderung des Status quo ist durch die Überlassung allenfalls im unwesentlichen Umfang eingetreten. Die Erblasserin hat zwar 1995 das Eigentum an dem Grundstück verloren, ein "spürbares" Vermögensopfer war damit aber nicht verbunden. Insbesondere hat sich die Erblasserin nicht nur den uneingeschränkten Genuss des verschenkten Gegenstandes, sondern auch ein umfassendes Rückforderungsrecht vorbehalten.
c) Das von der Beklagten zitierte Urteil des OLG Karlsruhe vom 15.01.2008, NJW-RR 2008, 601, steht nicht entgegen: Wie sich aus dessen Lektüre ergibt, folgt auch das OLG Karlsruhe der herrschenden Meinung. Der Begründung lässt sich nicht entnehmen, dass dem sehr weit gefassten Leitsatz grundsätzliche Bedeutung zukommt. Allerdings hat die dortige Subsumtion ergeben, dass bereits mit Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch ein Vollzug der Schenkung anzunehmen ist, wohingegen aus Sicht des Senats hier dieses Ergebnis nicht gerechtfertigt ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung Ober die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10 i.V.m. 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 543 Abs. 2 ZPO vorliegt. Der Senat wendet die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze auf den hier vorliegenden Einzelfall an and weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
Ende der Entscheidung
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