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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 30.05.2006
Aktenzeichen: 25 U 1806/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB
Vorschriften:
ZPO § 29 c Abs. 1 S. 1 | |
BGB § 312 | |
BGB § 312 Abs. 1 S. 1 |
OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am 30.05.2006
Aktenzeichen: 25 U 1806/06
In dem Rechtsstreit
wegen Duldung
erlässt der 25. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Billner und die Richter am Oberlandesgericht Bollmann und Dr. Brokamp aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.05.2006 folgendes
ENDURTEIL
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 15.12.2005 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 15.538,76 festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Unfallversicherung geltend.
Der Kläger und die Beklagte schlossen mit Beginn 1.9.2000, 12.00 Uhr einen Vertrag über eine Unfallversicherung. Der Abschluss des Versicherungsvertrags erfolgte über A.B., der seinen Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Deggendorf hat. Der Versicherungsvertrag ist dabei dergestalt zustande gekommen, dass dieser in den Wohnräumen des Klägers ausgefüllt und unterschrieben wurde und sodann der Beklagten zugesandt wurde. Der Versicherungsschein vom 12.9.2000 enthält in der linken oberen Ecke den Vermerk "Ausstellende Agentur: CDE, ... Hamburg ..." und daneben den Vermerk
"Es betreut Sie: ... A.B. ...".
Der Kläger hat mit Klageschrift vom 18.8.2005 beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 15.338,76 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz daraus seit dem 10.6.2005 zu bezahlen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Das Landgericht sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt örtlich zur Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Eine solche Zuständigkeit folge insbesondere weder aus § 48 Abs. 1 VVG noch aus § 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter und beantragt:
Das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 15.12.2005 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zwecks Verurteilung der Beklagten entsprechend den Anträgen aus der Klageschrift vom 18.8.2005 zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Deggendorf zurückverwiesen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klagepartei zurückzuweisen.
Der Kläger ist im Wesentlichen der Auffassung, die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Deggendorf ergebe sich bereits aus § 48 Abs. 1 VVG. Die Beklagte habe auf dem Versicherungsschein ausdrücklich A.B. als Betreuer des Versicherungsvertrags aufgeführt und ihn daher für diesen einen Fall als Versicherungsagenten eingesetzt.
Jedenfalls ergebe sich die örtliche Zuständigkeit aber aus § 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO, der auf Versicherungsverträge uneingeschränkt anwendbar sei. Der Ausschluss des materiell-rechtlichen Widerrufsrechts nach § 312 Abs. 3 BGB ändere am Vorliegen eines Haustürgeschäfts und damit an der Anwendbarkeit des § 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO nichts.
Die Beklagte tritt dem entgegen. Der Hinweis auf der Police, dass der Kläger von A.B. betreut werde, führe nicht zur Anwendbarkeit des § 48 VVG.
§ 29 c ZPO verweise nicht nur auf die materielle Definition des Haustürgeschäfts in § 312 Abs. 1 BGB, sondern auch auf den Ausschluss von Versicherungsverträgen nach § 312 Abs. 3 BGB.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Senat hält die Auffassung des Landgerichts für zutreffend und nimmt Bezug auf die Gründe des Ersturteils.
1. Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass sich seine Zuständigkeit nicht aus § 48 Abs. 1 VVG ergibt.
Der darlegungspflichtige Kläger hat nicht substantiiert dargetan, dass es sich bei A.B. um einen Agenten oder Gelegenheitsagenten der Beklagten gehandelt hat.
Vor allem lässt der Vermerk auf dem Versicherungsschein "Es betreut Sie: A.B." nicht den Schluss zu, die Beklagte habe A.B. mit der Entgegennahme von Antragserklärungen betraut (BGH VersR 1999, 1481). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die CDE in Hamburg als ausstellende Agentur benannt ist.
2. Der Senat folgt dem Landgericht weiterhin in seiner Auffassung, dass sich die örtliche Zuständigkeit auch nicht aus § 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO ergibt.
Zweifellos handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Unfallversicherungsvertrag um ein Haustürgeschäft nach § 312 Abs. 1 S. 1 BGB.
Ebenso unzweifelhaft steht dem Kläger jedoch kein Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 3 BGB zu, da es sich um einen Versicherungsvertrag handelt.
§ 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO bestimmt, dass für Klagen aus Haustürgeschäften (§ 312 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) das Gericht zuständig ist, in dessen Bezirk der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die Verweisung des § 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO den gesamten § 312 BGB umfasst und nicht nur die Legaldefinition des Haustürgeschäfts in § 312 Abs. 1 S. 1 BGB (so auch LG Berlin VersR 2005, 1259; a.A. OLG Frankfurt OLGR 2005, 568, LG Landshut NJW 2003, 1997, LG Traunstein RuS 2005, 135, Zöller-Vollkommer, 25. Aufl., § 29 c Rn 4, Thomas/Putzo-Hüßtege, 27. Aufl., § 29 c Rn 1).
Entscheidend ist, wie § 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO auszulegen ist. Dabei kommt es nach gefestigter Auffassung nicht auf den Willen des historischen Gesetzgebers an. Maßgebend ist vielmehr der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. hierzu und zum Folgenden Palandt-Heinrichs, 65. Aufl., Einl v § 1 Rn 40 ff).
a. Ausgangspunkt ist die Wortbedeutung. § 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO benennt aber gerade nicht nur § 312 Abs. 1 S. 1 BGB, was dem Gesetzgeber ohne weiteres möglich gewesen wäre, sondern die gesamte Vorschrift des § 312 BGB. Es entspricht auch nicht der üblichen Gesetzgebungstechnik, immer nur ganze Paragraphen in Bezug zu nehmen.
Die Bezugnahmen, die in § 357 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 1 BGB und in § 558 a Abs. 3 BGB - um nur einige wenige Beispiele zu nennen - enthalten sind, belegen, dass der Gesetzgeber bei derartigen Benennungen, Bezugnahmen und Verweisungen außerordentlich genau vorgeht.
b. Dieses Ergebnis wird auch durch die systematische Auslegung untermauert.
Der Gesetzgeber verwendet im Verhältnis von § 29 c ZPO und § 312 BGB dieselbe Regelungstechnik, die bereits zwischen § 7 HWiG und § 1 HWiG Anwendung gefunden hat. Wie § 7 HWiG von "Klagen aus Geschäften im Sinne des § 1" gesprochen hatte, trifft § 29 c ZPO nunmehr eine Regelung für "Klagen aus Haustürgeschäften (§ 312 des Bürgerlichen Gesetzbuchs)"; § 1 Abs. 1 HWiG bestimmte, unter welchen Voraussetzungen ein Widerrufsrecht oder Rückgaberecht besteht, § 1 Abs. 2 HWiG regelte, in welchen Fällen das Widerrufsrecht oder Rückgaberecht nicht besteht; dem entsprechen nunmehr einerseits § 312 Abs. 1 BGB und andererseits § 312 Abs. 3 BGB. Für § 1 HWiG war es aber höchstrichterliche Rechtsprechung, dass die Fälle des § 1 Abs. 2 HWiG die Anwendbarkeit des Gesetzes mit der Folge ausschließen, dass auch die Zuständigkeitsregelung des § 7 HWiG bzw. des § 29 c ZPO nicht zur Anwendung kommt. So führt der Bundesgerichtshof beispielsweise in BGH NJW 2003, 1190 (1191) im Rahmen der Prüfung des § 29 c ZPO wörtlich aus: "Der Annahme eines Haustürgeschäfts steht nicht entgegen, dass zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner zu 2 vor dessen Besuch beim Antragsteller ein Telefongespräch stattgefunden und sich der Antragsteller mit dem Besuch des Antragsgegners zu 2 einverstanden erklärt hat. Denn eine die Anwendbarkeit des Gesetzes ausschließende "vorhergehende Bestellung des Kunden" im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 HWiG liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann nicht vor, wenn sich der Kunde im Verlauf eines nicht von ihm veranlassten Telefonanrufs des Anbieters mit einem Hausbesuch einverstanden erklärt." Es ist nicht ersichtlich, warum für die identische Systematik des § 312 BGB etwas anderes gelten sollte.
c. Die Entstehungsgeschichte lässt keinen vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung.
Hierzu hat das Landgericht ausgeführt: "Sowohl § 312 BGB als auch § 29 c ZPO entstammen dem mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz als eigenständiges Gesetz aufgegebenen HausTWG. Dort aber bestimmte § 6 HausTWG als Vorläufer von § 312 Abs. 3 BGB ausdrücklich, dass die Vorschriften des HausTWG keine Anwendung finden beim Abschluss von Versicherungsverträgen. Damit fand auch der Gerichtsstand des § 7 HausTWG als Vorläufer von § 29 c ZPO auf Versicherungsverträge von vorneherein keine Anwendung. Durch § 312 Abs. 3 BGB sollte keine Änderung der unter § 6 HausTWG geltenden Rechtslage erfolgen. Die Begründung des Gesetzesentwurfs der Regierungsfraktionen vom 14.5.2001 (BT-Drucks. 14/6040) spricht insoweit ausdrücklich allein davon, dass in Abs. 2 S. 1 des neuen § 312 BGB (nunmehr Abs. 3) die bisher in § 6 HausTWG geregelte Ausnahme für Versicherungsverträge eingefügt werde (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 167). Von einer sachlichen Änderung der Tragweite dieser Ausnahmeregelung ist dort nicht die Rede. Dem entspricht die Begründung zu § 29 c ZPO n.F.. Dessen Verschiebung in die ZPO wird allein damit begründet, dass § 7 HausTWG als ausschließlich verfahrensrechtliche Norm anders als der restliche Inhalt des alten HausTWG nicht in das BGB integriert werden könne. Die Neufassung der Norm schützt daher den Verbraucher nach der Entwurfs-Begründung grundsätzlich nur wie bisher; eine Erweiterung des Schutzes erfolgt nur insoweit, als der Verbraucher einen weiteren Gerichtsstand für seine Klagen gegen den Unternehmer erhält. Im Übrigen ist ausdrücklich eine Erweiterung der Vorschrift auf andere Verträge als die von § 7 HausTWG erfassten nicht beabsichtigt (vgl. zum Ganzen: BT-Drucks. 14/6040, S. 278). An dieser Fassung der genannten Vorschriften und der insoweitigen Begründung ist im hier relevanten Umfang auch durch die letztendliche Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (vgl. BT-Drucks. 14/7052, S. 191) nichts mehr verändert worden. Die Tragweite der ursprünglichen Ausnahme für Versicherungsverträge in §§ 6, 7 HausTWG ist daher durch die Neufassung in Form der §§ 312 BGB, 29 c ZPO nicht verändert worden.
Auch § 29 c Abs. 1 ZPO ist daher auf Versicherungsverträge nicht anwendbar."
Der Senat schließt sich diesen Ausführungen des Landgerichts in vollem Umfang an. Soweit der Kläger dagegen in der Berufungsbegründung vorbringt, der Gesetzgeber habe § 29 c Abs. 1 S. 1 ZPO bewusst weiter gefasst als § 7 HausTWG, weil § 29 c Abs. 1 S 1 ZPO dem Verbraucher nunmehr für Aktivklagen die weiteren allgemeinen und besonderen Gerichtsstände der ZPO zur Verfügung stelle, stützt dieses Argument gerade die hier vertretene Position. Denn diese Erweiterung wird in der Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 14/6040 S. 278) ausdrücklich erwähnt, so dass zu erwarten gewesen wäre, dass die viel weiter reichende Änderung, dass in den Fällen des § 312 Abs. 3 BGB nunmehr erstmals auch ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers gegeben sein soll, in der Gesetzesbegründung zumindest irgendeine Erwähnung hätte finden müssen. Dem Gesetzgeber zu unterstellen, dass er eine Änderung dieser Tragweite nicht gesehen hätte oder stillschweigend hätte vornehmen wollen, geht nach Auffassung des Senats nicht an.
d. Eine Überprüfung am Sinn und Zweck des Gesetzes bestätigt das gefundene Ergebnis.
Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wollte das HausTWG in das BGB und in die ZPO integrieren. Hinsichtlich der Ausnahme für Versicherungsverträge war keine Änderung beabsichtigt.
Auch eine teleologische Auslegung aus dem Blickwinkel einer Gesamtbetrachtung des Schutzes bei Haustürgeschäften führt zu keinem anderen Ergebnis. § 312 Abs. 1 BGB gewährt bei Haustürgeschäften als Rechtsfolge ein Widerrufs- bzw. Rückgaberecht. Diese einzige Rechtsfolge ist im Anwendungsbereich von § 312 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber in diesen Fällen das Schutzbedürfnis verneint (Palandt-Grüneberg, 65. Aufl., § 312 Rn 25). Den Verbraucher in diesen Fällen trotzdem in den Gerichtsstand des § 29 c ZPO einbeziehen zu wollen, würde damit nicht übereinstimmen, zumindest aber eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers mit Begründung erwarten lassen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 2 ZPO und die Streitwertfestsetzung auf §§ 3, 6 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen vor. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fragen noch nicht höchstrichterlich geklärt sind. Die Zulassung der Revision ist auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, da das OLG Frankfurt eine andere Auffassung vertritt
Ende der Entscheidung
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