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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 20.12.2001
Aktenzeichen: 29 U 4592/01
Rechtsgebiete: BRAO, UWG


Vorschriften:

BRAO § 43 b
UWG § 1
Eine Information auf einer Homepage einer Anwaltskanzlei (Interessentenschreiben), die sich an eine Vielzahl potentieller Mandanten (Aktionäre) wendet, stellt sich nicht als eine unzulässige Werbung um die Erteilung eines Mandats im Einzelfall im Sinne von § 43 b BRAGO dar, auch wenn der Gegenstand der beworbenen anwaltlichen Tätigkeit (Prüfung von Schadensersatzansprüchen gegen eine Aktiengesellschaft wegen angeblich falscher Unternehmensmeldungen) in Gestalt des in Anspruch zu nehmenden Gegners feststeht.
Aktenzeichen: 29 U 4592/01

Verkündet am 20.12.2001

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter Wörle und die Richter Haußmann und Retzer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2001

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 19.7.2001 - 4 HKO 8522/01 - aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 15.000,- abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

4. Der Wert der Beschwer der Kläger übersteigt DM 60.000,-.

Tatbestand:

Die Kläger, Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in München, beanstanden eine Internet-Darstellung der Beklagten, als berufswidrige Werbung.

Die Beklagten - die Beklagten zu 2 bis 4 als Angestellte des Beklagten zu 1 - betreiben unter der Bezeichnung "XXX Rechtsanwälte" in Grünwald eine Kanzlei, die vorwiegend im Bereich des Kapitalanlagerechts tätig ist und ausschließlich Anleger vertritt. Hierüber informieren die Beklagten auch unter der Domain "www.xxx-rechtsanwalte.de" (siehe die vorgelegten Ausdrucke gemäß den Anlagen A 1 - A 4). Über eine Menü-Führung auf der Startseite der Homepage gelangte man über die Schaltfläche "Ihr Fall" zu der Aufstelllung "Alle Fälle in alphabetischer Reihenfolge" und über eine weitere Schaltfläche bei "Deutsche Telekom Neu!!" zu dem nachfolgend wiedergegebenen "Interessentenschreiben" sowie zu dazugehörigen "Anlagen" (Vollmacht, Honorvereinbarung, Newsletter).

Deutsche Telekom - Interessentenschreiben

Schadensersatzansprüche gegen die Deutsche Telekom AG und deren Vorstände und Aufsichtsräte im Zusammenhang mit falschen Unternehmensmeldungen

Sehr geehrte Telekom Aktionärin, sehr geehrter Telekom Aktionär,

für Ihr Interesse an dem gemeinsamen Vorgehen geschädigter Telekom-Aktionäre gegen die Gesellschaft und deren Organe möchten wir uns bei Ihnen herzlich bedanken.

Sollten Sie bei uns noch nicht Mandant gewesen sein, so möchten wir die Gelegenheit ergreifen, unsere Kanzlei kurz vorzustellen. Unsere Kanzlei ist mit derzeit sechs Juristen (vier Rechtsanwälte und zwei Referendare) auf das Kapitalanlagerecht spezialisiert und setzt sich ausschließlich für die Rechte von Anlegern und Investoren ein. Bekannt wurde unsere Kanzlei vor allem durch den Fall Fokker, dem größten Ausfall einer Industrieanleihe nach dem zweiten Weltkrieg. Hier konnten wir für eine Vielzahl unserer Mandanten Entschädigungen durchsetzen.

Unsere Kanzlei prüft derzeit, ob Ihnen Schadenersatzansprüche gegen die Telekom AG einerseits und die Vorstände und Aufsichtsräte andererseits zustehen.

Kern dieser Prüfung ist die flächendeckende Falschbewertung des Grundbesitzes der Deutschen Telekom AG. Denn bereits seit dem 8. September 1998 war dem Vorstand und dem Aufsichtsrat bekannt, dass das Immobilienvermögen der Gesellschaft erheblich überbewertet worden war. Die Fehlberechnung beläuft sich auf mehrere Milliarden DM und fand Eingang in sämtliche Bilanzen der Gesellschaft. Erst am 21.2.01 wurde offiziell eine Neubewertung des Immobilienvermögens angekündigt.

Jedes Bilanzergebnis seit dem 8. September 1998 basierte damit auf unzutreffenden Grundlagen. Und die Vorstände und Aufsichtsräte wussten, dass die jeweils veröffentlichte Zahlen nicht die tatsächlichen Vermögensverhältnisse der Gesellschaft widerspiegelten.

Als Haftungsnormen kommen daher insbesondere Prospekthaftung, vorsätzliche Kursmanipulation, Verstöße gegen das Aktiengesetz, Börsengesetz und das Wertpapierhandelsgesetz in Betracht.

Eine persönliche Haftung der Vorstände und Aufsichtsräte ist bei den genannten Tatbeständen zwar nur möglich, wenn nachgewiesen werden kann, dass diese Personen die Anleger vorsätzlich getäuscht haben. Insoweit sind wir derzeit jedoch zuversichtlich.

Denn vorliegend spricht einiges für eine vorsätzliche Täuschung der Anleger. Erst als eine Erholung des Kurses ohnehin nicht mehr erwartet wurde, wurde die Berichtigung angekündigt, damit die Auswirkungen möglichst gering blieben.

Allerdings haben wir eine abschließende Prüfung noch nicht vorgenommen. Durch unser weitverzweigtes Netzwerk an Kontakten sind wir aber zuversichtlich, dass wir gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Experten die zum Beweis erforderlichen Unterlagen beschaffen können.

Sofern Sie uns mit der Geltendmachung Ihrer Schadenersatzansprüche beauftragen, werden wir auch für Sie zunächst außergerichtlich die Dt. Telekom AG sowie die Vorstände und Aufsichtsräte zum Schadenersatz auffordern.

Sollten unsere außergerichtlichen Bemühungen keinen Erfolg bringen, werden wir im Anschluss daran das gerichtliche Verfahren anstrengen.

Aufgrund des hohen Prozesskostenrisikos werden wir nicht für alle unsere Mandanten Klage einreichen, sondern aus der Gruppe der Geschädigten einzelne Anleger herausgreifen und mittels dieser repräsentativen Anleger einen Musterprozess führen.

Da die Verjährung der Ansprüche nur für diejenigen Anleger unterbrochen wird, die selbst klagen, werden wir rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung für die anderen Mandanten Mahnbescheide einreichen und damit ebenfalls die Verjährung verhindern. Insoweit garantieren wir Ihnen, dass Ihre

...

außergerichtlich Schadensersatz fordern.

Unabhängig davon, ob Sie Ihre Verluste durch den Verkauf der Telekom-Wertpapiere (Aktie, Optionsscheine, Optionen, Wandelanleihe) realisiert haben oder ob Sie bisher nur "Buchverluste" erlitten haben, würden Sie so von einem positiven Ausgang des Musterprozesses profitieren.

Wie lange der Rechtsstreit dauert, kann heute noch nicht abgesehen werden. Eine Verfahrensdauer von 2 bis 4 Jahren ist somit durchaus möglich. Jedoch kommt es möglicherweise auch schon vorzeitig zu einem Vergleichsabschluss, was aufgrund der damit verbundenen Unsicherheit gerade für das Unternehmen Dt. Telekom im Hinblick auf seinen Börsenwert von Vorteil wäre.

Falls Sie uns mit der Geltendmachung Ihrer Ansprüche gegen die Dt. Telekom und deren Vorstände und Aufsichtsräte beauftragen möchten, bitten wir Sie, das beiliegende Vollmachtsformular unterzeichnet an uns zurückzusenden. Wir benötigen dieses für die weiteren Schritte im Rahmen einer Klage, z.B. der Einholung von Informationen bei der Staatsanwaltschaft, Anzeige der Mandatsübernahme an die gegnerische Partei etc..

Darüber hinaus benötigen wir in diesem Falle Ihre Kauf- und - soweit vorhanden - Ihre Verkaufsabrechnungen sowie möglichst alle weiteren Unterlagen, die Ihnen im Zusammenhang mit dem Erwerb und/oder Verkauf der Wertpapiere vorliegen.

Wichtig ist für uns außerdem, was für Sie den Ausschlag zum Kauf, Halten und, soweit Sie die Wertpapiere verkauft haben, Verkauf der Wertpapiere gab. Als Gründe für Kauf-, Halte- und Verkaufsentscheidungen werden beispielsweise häufig Empfehlungen von Banken, Presseveröffentlichungen (z.B. n-tv, Börse-Online, Focus-Money), Geschäftsberichte etc. angeführt.

Schließlich interessiert uns jeder Kontakt, den Sie mit der Dt. Telekom, den Vorständen und Aufsichtsräten haften. Sollten Sie auf einer Hauptversammlung anwesend gewesen sein, so würde uns auch hier interessieren, welche Zahlen und Versprechungen hier gemacht wurden.

Das Pauschalhonorar für ein Tätigwerden im Rahmen des Musterprozesses richtet sich nach der Höhe des Ihnen entstandenen Verlusts und beträgt:

12 % bei einem Verlust bis DM 5.000,00 11 % bei einem Verlust zwischen DM 5.001,00 und DM 8.000,00 10 % bei einem Verlust zwischen DM 8.001,00 und DM 15.000,00 9 % bei einem Verlust zwischen DM 15.001,00 und DM 25.000,00 8 % bei einem Verlust zwischen DM 25.001,00 und DM 35.000,00 7 % bei einem Verlust zwischen DM 35.001,00 und DM 80.000.00 6 % bei einem Verlust zwischen DM 80.000,00 und DM 150.000,00 5 % bei einem Verlust zwischen DM 150.001,00 und DM 750.000,00 4 % bei einem Verlust zwischen DM 750.001,00 und DM 1.500.000,00 3 % bei einem Verlust zwischen DM 1.500.000,00 und DM 3.000.000,00

jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer und Auslagen (z.B. Porto, Recherchekosten, Telefax- und Telefonkosten-). Die Auslagen betragen maximal 15% des errechneten Pauschalhonorars zzgl. MwSt.

Der Ihnen entstandene Verlust wird abhängig davon, ob Sie die Wertpapiere noch halten oder bereits verkauft haben, berechnet. Sollten Sie die Wertpapiere verkauft haben, ist als Schaden die Differenz zwischen Kaufaufwand und Verkaufserlös anzusetzen. Wenn Sie die Wertpapiere noch halten, so berechnet sich der für die Honorarberechnung angesetzte Verlust aus der Differenz zwischen Kaufkurs und dem Kurs an dem Tag, an dem Sie uns beauftragen.

Von dem Pauschalhonorar würde die Hälfte bei Auftragserteilung fällig werden. Die verbleibende Hälfte würden wir im Laufe des weiteren Verfahrens in Rechnung stellen. Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass das gesamte Honorar auch dann fällig ist, wenn es vorzeitig zu einem mit Ihnen abgestimmten Vergleichsabschluss in dieser Angelegenheit kommen sollte.

Das Pauschalhonorar umfasst unser gesamtes außergerichtliches Tätigwerden einerseits und das gesamte gerichtliche Tätigwerden im Rahmen des Musterprozesses, der gegebenenfalls bis zum Bundesgerichtshof geführt wird, andererseits.

Da nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Honorarvereinbarungen der Schriftform bedürfen, bitten wir Sie um die Freundlichkeit zum Zeichen Ihres Einverständnisses das beigefügte

...

Im Interesse unserer Mandanten an einer zügigen außergerichtlichen Geltendmachung der Schadenersatzansprüche wären wir für eine Entscheidung Ihrerseits innerhalb von 14 Tagen dankbar. Eine Deckungszusage gegenüber Ihrer Rechtsschutzversicherung holen wir selbstverständlich ein, wenn Sie uns eine Kopie der Versicherungspolice überlassen. Sollte Ihr Verlust einen Betrag von DM 20.000,00 übersteigen, sind wir gerne bereit, Kontakt mit einem Prozessfinanzierer aufzunehmen. Im Falle der Übernahme der Finanzierung würde dieser gegen Vereinbarung einer Erfolgsbeteiligung unser Honorar übernehmen.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Anlagen Vollmacht (ohne Vorbehalt) Vollmacht (Vorbehalt Prozeßfinanzierer) Vollmacht (Vorbehalt Rechtschutzversicherung) Honorarvereinbarung Newsletter

letzte Änderung am 19. März 2001

Nach einem vorausgegangenem einstweiligen Verfügungsverfahren nehmen die Kläger die Beklagten mit der vorliegenden Klage auf Unterlassung in Anspruch mit der Begründung, mit dem Interessentenschreiben werde unter Verstoß gegen § 43 b BRAO für die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall geworben. Das Interessentenschreiben richte sich eindeutig nur an Personen, die bisher die Beklagten nicht mandatiert hätten. Insbesondere die Möglichkeit, eine Vollmacht nebst Honorarvereinbarung auszudrucken, sei nur dann sinnvoll, wenn die Werbung auf das konkrete Mandat gerichtet sei. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass die Werbung im Internet deren Aufruf durch den Rechtssuchenden voraussetze. Bei anderem Verständnis der Regelung in § 43 b BRAO sei diese Bestimmung obsolet, denn das persönliche Ansprechen eines potentiellen Mandanten oder das Verschicken von konkreter Mandatswerbung sei bereits nach allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen unzulässig. Da das Bereithalten von Vollmachten und Honorarvereinbarungen nicht standesüblich sei, werde der Ratsuchende hiervon unerwartet betroffen. Vor der Mandatierung finde auch keine Befassung mit den jeweiligen Gegebenheiten des Einzelfalls statt. Dies könne bei der vorliegenden plakativen und stereotypen Art des Werbens um ein Massenmandat auch nicht geleistet werden. Auf die von den Beklagten behauptete interne Kanzleiorganisation, die mit Nichtwissen bestritten werde, komme es nicht an. Da alle Anwälte nach aussen hin in Erscheinung träten, seien die Beklagten zu 2 bis 4 jedenfalls als Störer mitverantwortlich.

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs unter den Internet-Seiten "www.xxx-Rechtsanwälte.de" Vollmachten und Honorarvereinbarungen für konkrete Mandate zum Abruf bereit zu halten und/oder Interessentenschreiben auf den Internet-Seiten "www.xxx-Rechtsanwaelte.de" für konkrete Mandate, wie insbesondere für die Verfolgung von angeblich bestehenden Schadensersatzansprüchen gegen die Deutsche Telekom AG, vorzuhalten und/oder derartige Handlungen vornehmen zu lassen und/oder an der Vornahme derartiger Handlungen mitzuwirken.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie machen geltend, die Homepage werde allein vom Beklagten zu 1 unterhalten, sodass eine Inanspruchnahme der Beklagten zu 2 bis 4 ausscheide. Es liege auch keine die Grenzen der unzulässigen Informationswerbung überschreitende Werbung um ein Mandat im Einzelfall vor. Denn davon könne nur ausgegangen werden, wenn ein ein unaufgefordertes direktes Herantreten an potentielle Mandanten vorliege. Es sei nicht verständlich, wieso es nicht von Bedeutung sein solle, dass die Werbung auf den Webseiten den Aufruf durch den Rechtssuchenden voraussetze. Bei einer Werbung auf einer Homepage bestehe von vorneherein keine Möglichkeit der Werbung um ein Einzelmandat. Weiter sei zu berücksichtigen, dass nach § 6 Abs. 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) selbst Rundschreiben an Nichtmandanten und Mailings zulässig seien. Die von den Klägern beanstandeten Informationsschreiben und Vollmachtsformulare seien auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt wettbewerbswidrig. Es bestehe keine Pflicht, sich vor Mandatierung eingehend mit der Spezifikation des Falles zu befassen. Die von den Klägern unterstellte "Massenabfertigung" liege nicht vor. Es sei auch in keiner Weise zu beanstanden. gleichartige Verfahren zusammenzufassen, vielmehr sei dies in derartigen Anlage-Verfahren sachgerecht.

Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die streitgegenständliche Gestaltung der Homepage sei als Werbung um einzelne Mandate im Sinne einer unmittelbar auf die Erteilung eines Auftrags in einem konkreten Einzelfall gerichtete Maßnahme gemäß § 43 b BRAO zu qualifizieren. Es sei zwar anerkannt, dass eine Anwaltswerbung nicht schon deshalb unzulässig sei, weil sie sich an Personen richte, zu denen kein mandatschaftliches Verhältnis bestehe. Eine für sich genommen an sich zulässige Werbung um mögliche Auftraggeber könne sich jedoch als unzulässige Werbung um einzelne Aufträge darstellen, wenn der Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Beratung oder der Vertretung bedarf und der Werbende dies in Kenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbung nehme. Eine solche Werbung versuche, wie die offene Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall in einer oft als aufdringlich empfundenen Weise den Umstand auszunutzen, dass sich der Umworbene beispielsweise in einer Lage befinde, in der er auf Hilfe angewiesen sei und sich möglicherweise nicht frei für einen Anwalt entscheiden könne. Diese Voraussetzungen seien vorliegend ohne weiteres gegeben, da sich die Beklagten in einem konkreten Einzelfall an das Publikum wendeten. Durch das Bereitstellen von Prozessvollmacht und Honorarvereinbarung werde deutlich, dass auch eine Mandatierung im Einzelfall erzielt werden solle. Ob der Beklagte zu 1 alleiniger Inhaber der Domain sei, könne dahinstehen, da die Beklagten zu 2 bis 4 jedenfalls als Störer auf Unterlassung hafteten.

Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Wenn das Landgericht in der Bereithaltung der Informationsschreiben im Internet, die früher an anrufende Interessenten per Post verschickt worden seien, einen Verstoß gegen § 43 b BRAO sehe, werde die damit erfolgte Neuregelung verkannt; ebenso, dass jede wie auch immer geartete Werbemaßnahme in letzter Konsequenz mit dem Ziel der Mandatierung in einem konkreten Einzelfall erfolge. Schon nach alter Rechtslage sei für eine "Werbung im Einzelfall" ein unaufgefordertes direktes Herantreten an den potentiellen Mandanten erforderlich gewesen. Nach der Gesetzesänderung bedürfe es des Vorliegens eines konkreten Sachverhalts und einer konkreten Person, an die sich die Werbung richte. Vorliegend fehle es an einer Werbung für ein konkretes Mandat, da das Informationsschreiben nicht unaufgefordert an potentielle Mandanten verschickt werde.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts München I vom 19.7.2001 - 4 HKO 85221/01 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung. Dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch stehe auch die Entscheidung des BGH vom 15.3.2001 (NJW 2001, 2886 - Anwaltsrundschreiben) nicht entgegen. Denn bei der dort zugrundeliegenden Fallgestaltung sei ein Mandantenschreiben "ins Blaue hinein" versandt worden, bei dem sich ein konkreter Bedarf und eine entsprechende Mandatierung als "Zufallstreffer" dargestellt habe. Vorliegend richteten sich die Beklagten jedoch an eine Zielgruppe, die bereits einen ganz konkreten Bedarf an einer ganz bestimmten Prozessvertretung habe.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 20.12.200 1 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage, da die beanstandete Verhaltensweise weder auf eine gemäß § 43 b BRAO verbotene Mandatswerbung im Einzelfall gerichtet ist noch unter einem sonstigen Gesichtspunkt als wettbewerbswidrig angesehen werden kann.

1. Die Aktivlegitimation der Kläger ergibt sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden konkreten Wettbewerbsverhältnis (vgl. BGH GRUR 2001, 258 = WRP 2001, 146 = NJW 2001, 522 - Immobilienpreisangaben, mwN), was auch von den Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird, sodass hierzu keine weiteren Ausführungen veranlasst sind.

2. Die von den Klägern beanstandeten Verhaltensweisen - (1) Bereithalten von Vollmachten und Honorarvereinbarungen für konkrete Mandate, (2) das Bereithalten von Interessentenschreiben für konkrete Mandate im Interet bzw. (3) derartige Handlungen vornehmen zu lassen bzw. (4) an der Vornahme derartiger Handlungen mitzuwirken - sind nicht als unzulässige Werbung im Sinne von § 43 b BRAO zu qualifizieren, sodass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 1 UWG nicht besteht.

a. Nach § 43 b BRAO ist den Rechtsanwälten Werbung erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist zu berücksichtigen, dass Rechtsanwälten die Werbung für ihre berufliche Tätigkeit im Grundsatz nicht verboten, sondern erlaubt ist. Die Werbefreiheit als Teil der Berufsausübungsfreiheit ist durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet. Zu der Freiheit der Berufsausübung gehört nicht nur die berufliche Praxis selbst, sondern auch jede Tätigkeit, die mit der Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient. Sie umfasst daher auch die Aussendarstellung von selbständig Berufstätigen einschließlich der Werbung für die Inananspruchnahme ihrer Dienste (BVerfG WRP 2001, 1284, 1285 - Umfassende Rechtsberatung; WRP 2000, 700, 721 = NJW 2000, 3195; BGHZ 147, 71, 74 = WRP 2001, 923 = NJW 2001, 2087 - Anwaltswerbung II; NJW 2001, 2886 f - Anwaltsrundschreiben; jeweils mwN). In diesen beiden letztgenannten Entscheidungen hat der BGH im Hinblick auf die Regelung in § 43 b BRAO als gesetzliche Konkretisierung der verfassungsrechtlich garantierten Werbefreiheit in Verbindung mit den §§ 6 - 10 BORA, die in Bezug auf die Werbung mittels Rundschreiben nicht zwischen Mandanten und Nichtmandanten unterscheiden, zur Frage der Werbung für die Erteilung eines Mandats im Einzelfall Stellung genommen. Danach kann das Verbot einer auf Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichteten Werbung nicht mit dem früher aus § 43 BRAO hergeleiteten Verbot der gezielten Werbung um Praxis durch unaufgefordertes Herantreten an potentielle Mandanten (so noch BGHZ 115, 105, 110 ff = NJW 1991, 2641 - Anwaltswerbung I) gleichgesetzt werden. Verboten ist grundsätzlich nur die Werbung um einzelne Mandate, d.h. unmittelbar auf die Erteilung eines Auftrags in einem konkreten Einzelfall gerichtete Maßnahmen. Demgegenüber ist die Werbung um einzelne Mandanten, die darauf gerichtet ist, die Umworbenen dafür zu gewinnen, die Leistungen des Werbenden in Anspruch zu nehmen, nach dieser Vorschrift grundsätzlich erlaubt (aaO S. 79 mwN - Anwaltswerbung II; aaO S. 2887 - Anwaltsrundschreiben). Dementsprechend wurde weder eine an Einzelhändler gerichtete Einladung einer Anwaltskanzlei zu einem Seminar mit Imbiss (aaO - Anwaltswerbung II) noch die Versendung von Rundschreiben an Nichtmandanten, in denen über steuerrechtliche Neuregelungen informiert wurde (aaO - Anwaltsrundschreiben), da nicht auf die Erlangung konkreter Aufträge im Einzelfall gerichtet, als gemäß § 43 b BRAO unzulässig angesehen.

Derartige für sich genommen zulässige Maßnahmen, die Umworbenen als Mandanten zu gewinnen, können sich unter bestimmten Gegebenheiten dennoch als unzulässige Werbung um einzelne Mandate darstellen. So wenn der Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Beratung oder der Vertretung bedarf und der Werbende dies in Kenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbung nimmt. Eine solche Werbung ist als unzulässig anzusehen, weil sie in gleicher Weise wie die offene Werbung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall in einer oft als aufdringlich empfundenen Weise auszunutzen versucht, dass sich der Umworbene beispielsweise in einer Lage befindet, in der er auf Hilfe angewiesen ist und sich möglicherweise nicht frei für einen Anwalt entscheiden kann (aaO S. 80 mwN - Anwaltswerbung II; aaO S. 2887 - Anwaltsrundschreiben).

b. Von diesen Grundsätzen ausgehend ist die Internet-Darstellung des Leistungsangebots der Beklagten, bei der es sich zweifelsfrei um Werbung im Sinne von § 43 b BRAO handelt, nicht zu beanstanden.

Auf ihrer Homepage informieren die Beklagten, wie zwischenzeitlich weit verbreitet, über das Leistungsangebot der Kanzlei (Kanzleiangehörige, Tätigkeitsbereich etc.). Dass diese jedermann zugängliche Information im Internet auf die Gewinnung neuer Mandate abzielt, ist nach den obigen Ausführungen ohne Bedeutung. Aber auch die Information mittels des im Tatbestand wiedergegebenen Interessentenschreibens, auf das die Kläger maßgeblich abstellen, beinhaltet keine unzulässige Werbung um ein Mandat im Einzelfall im Sinne von § 43 b BRAO. Denn auch die Information in diesem Schreiben wendet sich an die Allgemeinheit und nicht an bestimmte Personen, die aufgrund des in dem Schreiben dargestellten Sachverhalts gegen die Deutsche Telekom vorgehen wollen. Soweit die Kläger, anders als in den den Entscheidungen "Anwaltswerbung II" und "Anwaltsrundschreiben" zugrundeliegenden Sachverhalten, deshalb eine Werbung um ein Mandat im Einzelfall sehen wollen, weil sich der Anspruchsgegner (Deutsche Telekom) bereits konkretisiert habe, kann dieser Sichtweise nicht beigetreten werden. Bei dem "Interessentenschreiben" handelt es sich um eine Information, die sich zwar an einen bestimmbaren Personenkreis - Aktionäre der Deutschen Telekom - wendet, aber ansonsten in keiner Weise auf einen konkreten einzelnen "Schadensfall" zugeschnitten ist und auch nicht sein kann, da auf Seiten der Beklagten keinerlei Informationen darüber vorhanden sind, bei welchen einzelnen Aktionären ein konkreter Beratungsbedarf vorhanden ist. Folglich zielt die Werbung der Beklagten auf eine unbestimmte Vielzahl potentieller, noch nicht konkretisierter Mandate, ab. Es fehlt an einem gezielten Herantreten an einen bestimmten potentiellen Mandanten in Kenntnis dessen bereits zu Tage getretenen Beratungs- oder Vertretungsbedarfs (vgl. die Beispiele bei Feuerich-Braun, BRAO, 5. Aufl., § 43 b Rdn. 29). Die Information bezüglich eines möglichen Vorgehens gegen die Deutsche Telekom im Wege einer Sammelklage kann auch nicht mit den Fällen gleichgesetzt werden, bei denen sich der Anwalt per Rundschreiben an eine Vielzahl von Personen wendet, von denen anzunehmen ist, dass sie in gleicher Weise geschädigt worden sind (vgl. Hennsler/Prütting/Eylmann, BRAO, § 43 b Rdn. 47). Denn unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 43 b BRAO - der Rechtssuchende soll davor bewahrt werden, dass sich Rechtsberater ihm aufdrängen, zumal sich Rechtssuchende beim Auftreten von Rechtsproblemen oftmals auch in Schwierigkeiten (Haft, Scheidung, Schulden etc.) befinden und die Lage des ohnehin Verunsicherten nicht durch Werbung um Einzelaufträge erschwert werden soll (vgl. Kleine-Cosack, Das Werberecht der Rechts- und steuerberatenden Berufe, Rdn. 212; Hartung/Holl/Römermann, Anwaltliche Berufsordnung, § 6 BÖ Rdn. 86 ff) - macht es sehr wohl einen Unterschied, ob Aktionären der Deutschen Telekom das Interessentenschreiben per Brief, Telefax oder e-mail zugesandt wird oder ob sie dieses, weil sie von sich aus die Homepage der Beklagten aufgerufen haben, eher zufällig zur Kenntnis nehmen, da der an Beratung oder Vertretung Interessierte bei der Information mittels Homepage selbst aktiv wird, um sich über das Leistungsangebot der Beklagten zu informieren. Aufgrund dieser Gegebenheiten wird in der Regel eine auf einer Homepage enthaltene Werbung schon deshalb nicht die Voraussetzungen einer Werbung um die Erteilung eines Mandats im Einzelfall erfüllen können (Härting, AnwBl. 2000, 343, 346; so auch Schneider, MDR 2000, 133, 136), da sie sich - wie auch in vorliegendem Fall - an eine Vielzahl von potentiellen Mandanten richtet.

Dieser Beurteilung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass für § 43 b BRAO dann kein Anwendungsbereich mehr verbliebe, da das unaufgeforderte Herantreten an potentielle Mandanten schon von der Fallgruppe des "Anreissens" (§ 1 UWG) erfasst werde (Schriftsatz vom 16.12.2001, S. 2 f). Hierbei wird verkannt, dass es sich bei den von den Klägern herangezogenen Entscheidungen um Fallgestaltungen handelt, bei denen die Sittenwidrigkeit aus besonderen Umständen - wie etwa dem Ansprechen am Unfallort (vgl. BGH GRUR 2000, 235 = NJW 2000, 586 - Werbung am Unfallort IV) - hergeleitet wird und der Verbotstatbestand des § 43 b BRAO auch bei der vorstehend unter 2. a vorgenommenen Auslegung sehr wohl Sachverhalte erfasst, die nicht unter diese Fallgruppe des § 1 UWG subsumiert werden können (vgl. Kleine-Cosack aaO Rdn. 213; Römermann aaO § 6 BO Rdn. 92).

3. Sonstige Umstände, die unabhängig von dem zu verneinenden Verstoß gegen § 43 b BRAO ein sittenwidriges Verhalten begründen könnten, liegen nicht vor. Soweit von den Klägern eine unzureichende Beratung vor der Mandatierung geltend gemacht wird, kann hierauf der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht gestützt werden, wie auch die Kläger nicht verkennen (Schriftsatz vom 16.12.2001, S. 4 unten f). Die geltend gemachte Wettbewerbswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens - oben (1) - (4) - leiten die Kläger ausschließlich aus der Werbung für ein "konkretes Mandat" in Form des im Insbesondere-Teil des Antrags genannten "Interessentenschreibens" her. Eine unzulässige Drittwerbung - Ausdrucken von Vollmachen für die Verwendung für Dritte (vgl. Jessnitzer/Blumberg, BRAO, 9. Aufl., § 43 b Rdn. 12, S. 155 unten/156 oben) - steht nicht in Rede.

Ist danach ein wettbewerbswidriges Verhalten nicht gegeben, bedarf es auch keiner Ausführungen zu der umstrittenen Passivlegitimation der Beklagten zu 2 bis 4.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 ZPO. Die Festsetzung des Werts der Beschwer (entsprechend dem Streitwert in Höhe von DM 100.000,-) erfolgte gemäß § 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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