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Gericht: Oberlandesgericht München
Urteil verkündet am 21.12.1999
Aktenzeichen: 29 W 2861/99
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 890 | |
ZPO § 775 | |
ZPO § 92 Abs. 1 |
OLG München Beschluß 21.12.1999 - 29 W 2861/99 - 9 HKO 19174/98 LG München I
hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München ohne mündliche Verhandlung am 21. Dezember 1999 beschlossen:
Tenor:
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landgerichts München I vom 28. 9. 1999 abgeändert. Gegen die Antragsgegnerin wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 50.000,-- DM, ersatzweise 50 Tage Ordnungshaft, zu vollziehen an dem Präsidenten ihres Verwaltungsrats, festgesetzt.
II. Die sofortige Beschwerde im übrigen und der weitergehende Ordnungsmittelantrag werden zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Ordnungsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 100.000,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Das Landgericht München I hat der Antragsgegnerin durch einstweilige Verfügung vom 28. 10. 1998 verboten, im geschäftlichen Verkehr Fußbodenbeläge, insbesondere sogenannte Laminat-Böden, unter der Kennzeichnung "LAMILUX" anzubieten, feilzuhalten oder zu vertreiben oder sonstwie in den Verkehr zu bringen. Die einstweilige Verfügung wurde der Antragsgegnerin am 2. 11. 1998 durch den Gerichtsvollzieher zugestellt.
Am 10. 12. 1998 beantragte die Antragstellerin, ein empfindliches Ordnungsgeld nicht unter 100.000,-- DM gegen die Unterlassungsschuldnerin zu verhängen, weil sie in der Zeit vom 21. 11. 1998 bis 1. 12. 1998 keine Anstalten getroffen habe, die verbotene Kennzeichnung "LAMILUX" in den verwendeten Katalogen unkenntlich zu machen.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag im wesentlichen mit der Begründung entgegengetreten, die Zuwiderhandlungen könnten ihr nicht angelastet werden, weil sie auf die Geschäftsführung der von ihr rechtlich unabhängigen Handelsgesellschaften, bei denen die angegriffenen Kataloge vorgefunden worden sind, keinen maßgeblichen Einfluss ausüben könne.
Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hob das Landgericht mit Urteil vom 16. 3. 1999 die einstweilige Verfügung auf und wies den Antrag auf ihren Erlass zurück.
Auf die Berufung der Antragstellerin hob der Senat mit Urteil vom 10. 6. 1999 das abweisende Urteil des Landgerichts auf und verurteilte die Antragsgegnerin nach Maßgabe des im ersten Rechtszug gestellten Verfügungsantrags zur Unterlassung.
Die Antragsgegnerin vertrat die Ansicht, das Berufungsurteil ändere nichts daran, daß der ursprüngliche Vollstreckungstitel weggefallen sei und sonach eine auf diesen Titel gestützte Bestrafung nicht mehr in Frage komme. Demgegenüber verfocht die Antragstellerin die Auffassung, der begehrten Verhängung von Ordnungsmitteln stehe die zeitweilige Aufhebung der einstweiligen Verfügung nach den Zuwiderhandlungen nicht entgegen.
Das Landgericht wies den Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgeldes durch Beschluß vom 28. 9. 1999 mit der Begründung zurück, die Vollstreckungsvoraussetzungen für Zuwiderhandlungen im Zeitraum 21. 11. 1998 bis 1. 12. 1998 lägen nicht vor, weil der ursprüngliche Vollstreckungstitel, nämlich die einstweilige Verfügung vom 28. 10. 1998, ex tunc weggefallen sei. Auf die nähere Begründung im Beschluß vom 28. 9. 1999 wird Bezug genommen.
Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin den Antrag auf Verhängung von Ordnungsgeld nicht unter 100.000,-- DM weiter. Sie führt aus, Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 890 ZPO sei lediglich, daß der Vollstreckungstitel sowohl im Zeitpunkt der Zuwiderhandlungen als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Bestrafungsantrag bestehe. Werde der Titel in der Zwischenzeit aufgehoben, anschließend aber im Rechtsmittelverfahren erneut erlassen, dann bedeute dies nur, daß für Handlungen in der Zeit, in der der Titel nicht bestand, eine Bestrafung nicht in Betracht komme. Da hier die Verstöße in den Zeitraum fielen, in dem die vom Landgericht erlassene einstweilige Verfügung Bestand gehabt habe und deshalb zu respektieren gewesen sei, und sich ferner durch die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils im Berufungsverfahren gezeigt habe, daß die einstweilige Verfügung vom 28. 10. 1998 zu Recht ergangen war, bestünden die Bedenken wegen einer Bestrafung nach Titelfortfall unter dem Aspekt des § 775 ZPO bei der vorliegenden Fallkonstellation nicht. Die behauptete ex-tunc-Wirkung des aufhebenden Urteils erster Instanz sei dadurch beseitigt worden, daß das Berufungsgericht genau dieses Urteil wiederum aufgehoben hat.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluß des Landgerichts vom 28. 9. 1999 aufzuheben und gegen die Antragsgegnerin ein empfindliches Ordnungsgeld von nicht unter 100.000,-- DM zu verhängen.
Die Antragsgegnerin beantragt.
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Landgerichts und macht geltend, auf ihren Rechtsbehelf hin sei der ursprüngliche Titel mit Wirkung ex tunc vollständig und endgültig weggefallen. Im Berufungsverfahren sei eine neue, von der ursprünglichen streng zu unterscheidende einstweilige Verfügung erlassen worden, aus welcher allein mit Wirkung ex nunc vollstreckt werden könne und die keinesfalls den ursprünglichen Titel rückwirkend wieder herstelle. Eine Ahndung früherer Zuwiderhandlungen finde nicht mehr statt, wenn das in einer einstweiligen Verfügung enthaltene Verbot im Widerspruchsverfahren aufgehoben werde. Das aufhebende Urteil nehme dabei der Beschlußverfügung mit seiner Verkündung - und nicht erst bei Eintritt der Rechtskraft - unumkehrbar die Wirksamkeit. Der Neuerlass der einstweiligen Verfügung vermöge nicht die Wirksamkeit der ursprünglichen Beschlußverfügung rückwirkend wieder herzustellen. Der Grund hierfür liege insbesondere darin, daß eine einstweilige Verfügung, die ohne Anhörung des Antragsgegners aufgrund einseitigen Vorbringens erlassen werde, sich nur dann mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbaren lasse, wenn ihr für den Fall des Widerspruchs eine lediglich vorläufige Wirkung beigemessen werde. Ein wirksamer Vollstreckungstitel habe sonach zum Zeitpunkt der mit dem Ordnungsmittelantrag angegriffenen Verletzungshandlung nicht vorgelegen.
Zur Ergänzung des Vorbringens der Parteien wird auf die im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte, somit zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Der Ordnungsmittelantrag ist in der Sache begründet, weil die Antragsgegnerin gegen das in der einstweiligen Verfügung des Landgerichts ausgesprochene Verbot schuldhaft verstoßen hat und der Titel nach der Aufhebung durch das landgerichtliche Urteil vom 16. 3. 1999 im Rechtsmittelweg mit demselben Streitgegenstand erneuert worden ist.
Wegen der während des Bestands der Beschlußverfügung schuldhaft vorgenommenen Zuwiderhandlungen gegen das Unterlassungsgebot ist der Schuldner zu bestrafen, wenn das die Beschlußverfügung aufhebende landgerichtliche Urteil seinerseits aufgehoben und aufgrund des identischen Sachverhalts der Titel erneut erlassen wird. Zwar kann eine Ahndung von früheren Zuwiderhandlungen nicht mehr stattfinden, wenn eine Beschlußverfügung auf den Widerspruch des Schuldners hin oder in der Berufungsinstanz aufgehoben wird, weil dies den rückwirkenden Titelfortfall zur Folge hat. Ebenso besteht in Rechtsprechung und Literatur weitgehend Einigkeit, daß dann, wenn im Rechtsmittelverfahren die aufgehobene einstweilige Verfügung erneut erlassen wird, in die Zeit zwischen Aufhebungs- und Berufungsurteil fallende Handlungen nicht bestraft werden können, weil für diese Zwischenzeit kein Titel besteht und sonach auch keine Zuwiderhandlung möglich ist. Die Fallgestaltung ist hier jedoch grundlegend anders, weil die Zuwiderhandlungen während des Bestands der einstweiligen Verfügung begangen wurden und durch das Berufungsurteil bestätigt wurde, daß die einstweilige Verfügung vom 28. 10. 1998 zu Recht erlassen worden war.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist nicht darauf abzustellen, ob der vom Landgericht aufgehobene Titel im Berufungsverfahren ausdrücklich "bestätigt" oder "erneut erlassen" wurde. Die Antragsgegnerin weist zwar zu Recht darauf hin, daß eine Beschlußverfügung, wenn sie auf Widerspruch des Antragsgegners durch erstinstanzliches Urteil aufgehoben wird, sofort mit der Verkündung dieses Urteils endgültig ihre Wirksamkeit verliert und im Falle der erfolgreichen Berufung nicht rückwirkend wiederhergestellt werden kann. Das der Berufung des Antragstellers stattgebende Urteil stellt vielmehr einen Neuerlass der einstweiligen Verfügung dar, selbst wenn im Tenor des Berufungsurteils eine "Bestätigung" der Beschlußverfügung ausgesprochen wird (OLG Düsseldorf WRP 95 S. 732, 735). Die Ahndung während des Bestands der einstweiligen Verfügung begangener Verstöße gegen das Unterlassungsgebot setzt aber eine solche Rückwirkung der im Berufungsverfahren erneuerten einstweiligen Verfügung nicht voraus. Der Senat schließt sich der von Stein/Jonas/Brehm (§ 890 ZPO, Rdnr. 26) sowie Jestaedt (UWG, Großkommentar vor § 13, Abschnitt E, Rdnr. 12) vertretenen Ansicht an, daß die vor Aufhebung des ursprünglichen Titels begangene Zuwiderhandlung bestraft werden kann, wenn der Titel im Rechtsmittelweg mit demselben Streitgegenstand erneuert wird. Diese Auffassung scheint auch Teplitzky (Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl.) zu vertreten, wie den Ausführungen in Fußnote 78 a S. 697 entnommen werden kann. Entscheidend ist, daß der neue Erlass auf ein und demselben Streitgegenstand beruht wie die ursprünglich erlassene einstweilige Verfügung. Diese Voraussetzung liegt hier vor.
Die Wirkung des aufhebenden landgerichtlichen Urteils trat zwar sofort ein mit der Folge, daß die Antragsgegnerin die mit der aufgehobenen einstweiligen Verfügung verbotene Wettbewerbshandlung ab Verkündung wieder aufnehmen konnte; schon vor Aufhebung erfolgte Zuwiderhandlungen sind aber aufgrund der Erneuerung des Titels zu ahnden. Die Antragstellerin weist zu Recht darauf hin, daß allein dies dem Sanktions- und Beugecharakter des § 890 ZPO gerecht wird.
Da das Vollstreckungsverfahren nach § 890 ZPO sonach aufgrund des Berufungsurteils fortgeführt werden konnte und auch die weiteren Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen, war gegen die Antragsgegnerin ein Ordnungsmittel zu verhängen. Die Einwendung der Antragsgegnerin, sie habe die Zuwiderhandlungen nicht begangen, weil sie selbst keine Fußbodenbeläge unter der Bezeichnung "LAMILUX" vertreibe und weil die von der Antragstellerin angeführten "Bauhaus-Heimwerkermärkte" von verschiedenen rechtlich selbständigen Handelsgesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit betrieben würden, greift nicht durch. Die Antragsgegnerin hat im ersten Rechtszug geltend gemacht, für Zuwiderhandlungen, die nicht durch sie herbeigeführt oder aufrechterhalten worden sind, hafte sie nicht. Sie hat allerdings zutreffend ausgeführt, daß der Schuldner dann, wenn er Einfluss auf von ihm abhängige Dritte nehmen könne, sicherstellen müsse, daß Titelverstöße in seinem Einflussbereich unterbleiben. So liegt es hier. Der Katalog "Bauhaus Herbst/Winter 1998/99" wird von der Antragsgegnerin - wie die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen hat - für den gesamten bundesdeutschen Markt einheitlich konzipiert und den verschiedenen in der Rechtsform der GmbH & Co. KG betriebenen Heimwerkermärkten, die rechtlich, organisatorisch und wirtschaftlich von der Schuldnerin als der Zentrale abhängig sind, zur Verfügung gestellt. Die Antragsgegnerin hat selbst schuldhaft zuwidergehandelt, indem sie nach Erlass der einstweiligen Verfügung eingestandenermaßen nichts unternommen hat, um weitere Verletzungshandlungen zu unterbinden, obwohl sie hierzu ohne weiteres in der Lage gewesen wäre. Hierzu hätte es genügt, die einzelnen Märkte unter Hinweis auf die einstweilige Verfügung und die Folgen ihrer Nichtbeachtung aufzufordern und notfalls anzuweisen, die angegriffene Bezeichnung "LAMILUX" im Katalog unkenntlich zu machen. Mit Recht weist die Antragstellerin darauf hin, daß die Antragsgegnerin nichts dazu vorgetragen hat, daß und inwieweit eine etwaige organisatorische Anordnung durch sie als der deutschen Zentrale in den einzelnen Bauhausmärkten nicht befolgt worden wäre.
Da die Antragsgegnerin nach eigenem Sachvortrag überhaupt nichts unternommen hat, um zu verhindern, daß Fußbodenbeläge unter der Kennzeichnung "LAMILUX" nach Zustellung der einstweiligen Verfügung weiterhin angeboten wurden, hat sie grob fahrlässig, wenn nicht vorsätzlich, jedenfalls aber schuldhaft gehandelt. Sie hat den Verstoß gegen das Unterlassungsgebot durch die einzelnen Heimwerkermärkte in Kauf genommen, obwohl sie ihn hätte verhindern können.
Im geschäftlichen Wettbewerb sind grundsätzlich nur fühlbare Ordnungsgelder geeignet, mit dem nötigen Nachdruck die Befolgung gerichtlicher Unterlassungsgebote sicherzustellen. Das Maß des Verschuldens, das in erster Linie für die Bemessung von Ordnungsmitteln von Bedeutung ist, sowie der Umstand, daß aufgrund des Verhaltens der Antragsgegnerin weiterhin im gesamten Bundesgebiet Fußbodenbeläge unter der angegriffenen Kennzeichnung angeboten wurden, lassen ein Ordnungsgeld in Höhe von 50.000,-- DM als angemessen erscheinen. Das von der Antragstellerin geforderte Ordnungsgeld in Höhe von 100.000,-- DM ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere auch der sich nach Lage der Dinge in Grenzen haltenden negativen Auswirkungen der Zuwiderhandlungen für die Antragstellerin deutlich überzogen. Der Ordnungsmittelantrag ist daher teilweise unbegründet mit der Folge, daß die weitergehende sofortige Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 92 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen war. Da die Antragstellerin die Verhängung eines Ordnungsgeldes von mindestens 100.000,-- DM beantragt und damit ihr Interesse an der Vollstreckung in dieser Höhe angegeben hat, ist es gerechtfertigt, die durch das Verfahren in beiden Instanzen entstandenen Kosten gegeneinander aufzuheben und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens auf 100.000,-- DM festzusetzen.
Ende der Entscheidung
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