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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 10.11.2006
Aktenzeichen: 31 AR 114/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 32b Abs. 1 | |
ZPO § 36 Abs. 2 | |
ZPO § 36 Abs. 3 | |
ZPO § 281 |
2. § 281 ZPO ist im Bestimmungsverfahren entsprechend anwendbar.
3. Der ausschließliche Gerichtsstand nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO gilt nicht für Klagen wegen fehlgeschlagener Vermögensanlagen des ungeregelten so genannten grauen Kapitalmarkts (Vorlage an den Bundesgerichtshof).
Gründe:
I.
Die Klägerin trägt vor, sie habe sich in den Jahren 2003 und 2004 jeweils auf Anraten der Beklagten zu 2 an zwei Medienfonds (im Folgenden: VIP 3 und VIP 4) beteiligt. Aus diesen Kapitalanlagen sei ihr ein Schaden entstanden, für den die Beklagte zu 2 als Anlageberaterin/Vermittlerin der Kapitalanlagen wegen Verletzung von Informations- und Aufklärungspflichten und die Beklagten zu 1, 3 und 4 nach den Grundsätzen der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung sowie aus unerlaubter Handlung einzustehen hätten. Den Beklagten zu 1 nimmt die Klägerin als Initiator beider Fonds und Prospektverantwortlichen in Anspruch, die Beklagten zu 3 und 4 als - nach ihrer Auffassung - mitverantwortliche Banken für die Verkaufsprospekte VIP 3 (Beklagte zu 3) und VIP 4 (Beklagte zu 4), die Beklagte zu 4, die einen Teil der Beteiligung der Klägerin an VIP 4 finanziert hat, zusätzlich wegen Überschreitung ihrer Kreditgeberrolle.
Die Klägerin hat Klage zum Landgericht Wuppertal erhoben, in dessen Bezirk sie wohnhaft ist und sich die Niederlassung der Beklagten zu 2 befindet, die ihr die Beteiligungen angeraten und vermittelt hat. Der Beklagte zu 1 ist in M. in Untersuchungshaft. Die Beklagten zu 2 und 3 haben ihren Sitz in F. am M. , die Beklagte zu 4 in M. . Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Landgericht Wuppertal für die Beklagte zu 2 nach § 21 ZPO und für die übrigen Beklagten nach § 32 ZPO zuständig ist, hat aber, da die örtliche Zuständigkeit gerügt wurde, mit Schriftsatz vom 28.6.2006 beim Oberlandesgericht Düsseldorf die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts beantragt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat sich mit Beschluss vom 14.8.2006 für unzuständig erklärt und das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 281 ZPO an das Oberlandesgericht München verwiesen.
II.
Der Senat, der kraft der bindenden Verweisung durch das Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung über den Bestimmungsantrag berufen ist, hält die Voraussetzungen der Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für gegeben. An der Vornahme der Bestimmung sieht er sich jedoch durch die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Nürnberg (vom 7.8.2006, 3 AR 1681/06 = BB 2006, 2212) und Koblenz (vom 12.10.2006, 4 SmA 21/06) gehindert, die in vergleichbaren Fällen die Bestimmung mit der Begründung abgelehnt haben, für alle Klagen gegen die als Streitgenossen in Anspruch genommenen Beklagten sei der ausschließliche Gerichtsstand nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründet. Der Bestimmungsantrag wird daher gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Diese hängt von der Beantwortung der Rechtsfrage ab, ob der ausschließliche Gerichtsstand für Schadensersatzklagen auf Grund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen auch bei Vermögensanlagen des ungeregelten sogenannten grauen Kapitalmarkts gilt. Im Gegensatz zu den Oberlandesgerichten Nürnberg und Koblenz möchte der Senat an seiner Rechtsprechung festhalten, wonach diese Frage zu verneinen ist (Senatsbeschluss vom 27.7.2006, 31 AR 70/06 = ZIP 2006, 1699 = AG 2006, 722 = OLGR München 2006, 800).
1. Die Zuständigkeit des Senats für die hier zu treffende Entscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO im Bestimmungsverfahren.
a) Zuständig zur Entscheidung über den Bestimmungsantrag wäre allerdings nach § 36 Abs. 2 ZPO das Oberlandesgericht Düsseldorf gewesen, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Landgericht Wuppertal gehört. Der Umstand, dass im Bezirk des Landgerichts Wuppertal keiner der Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, ändert daran nichts (vgl. OLG Karlsruhe - 19. Zivilsenat - vom 8.7.1999, 19 AR 10/99 = OLGR Karlsruhe 1999, 380; BayObLG vom 5.2.2002, 1Z AR 9/02 = BayObLGR 2002, 276). Der gegenteiligen Auffassung des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe (vom 11.10.2005, 15 AR 44/05 = OLGR 2006, 357) und vorliegend des Oberlandesgerichts Düsseldorf (vom 14.8.2006, I-5 Sa 80/06) vermag der Senat nicht zu folgen. Diese Gerichte stellen im Kern darauf ab, dass, wenn noch keine Klage erhoben ist und die allgemeinen Gerichtsstände der zu verklagenden Streitgenossen in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken liegen, nach gefestigter Rechtsprechung der Gesuchsteller den Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nach seiner Wahl (nur) bei einem der Oberlandesgerichte stellen kann, in deren Bezirk mindestens ein allgemeiner Gerichtsstand liegt. Hieraus wollen sie herleiten, dass ein mit der Sache befasstes Gericht, bei dem keiner der Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, nicht als "zuerst mit der Sache befasstes Gericht" im Sinne des § 36 Abs. 2 ZPO gelten könne.
Der Senat hält diesen Schluss nicht für zutreffend. Die genannte Regel, dass der Gesuchsteller die Wahl unter den Oberlandesgerichten der allgemeinen Gerichtsstände hat, wurde von der Rechtsprechung für den hier nicht einschlägigen Fall entwickelt, dass noch kein Gericht mit der Sache befasst ist; für diesen Fall bedurfte es, da der gesetzliche Anknüpfungspunkt des "zuerst mit der Sache befassten Gerichts" versagt, der richterlichen Rechtsfortbildung. Hier geht es indes um den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fall, dass bereits ein Gericht mit der Sache befasst ist. Dann ist nach dem insoweit eindeutigen gesetzlichen Wortlaut das diesem Gericht übergeordnete Oberlandesgericht zuständig. Eine Einschränkung dahin, dass das nur für Gerichte des allgemeinen Gerichtsstands gilt, enthält die gesetzliche Regelung nicht, und der Senat hält es nicht für richtig, eine solche Einschränkung aus einer Regel herzuleiten, die für den ganz anders gelagerten, gesetzlich gerade nicht geregelten Fall entwickelt wurde, dass es kein vorbefasstes Gericht gibt.
b) Der Senat ist jedoch zur Entscheidung über den Bestimmungsantrag berufen (was anstelle einer eigenen Entscheidung über den Antrag auch die Vorlage an den Bundesgerichtshof einschließt), da er an den Verweisungsbeschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO gebunden ist. Mit dem Oberlandesgericht Düsseldorf hält der Senat § 281 ZPO im Bestimmungsverfahren für entsprechend anwendbar. Die gegenteilige Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14.8.2003, 1Z AR 90/03 (= BayObLGZ 2003, 215) ist, soweit ersichtlich, vereinzelt geblieben; diese Rechtsprechung führt der Senat, der für die hier gegebene Fallkonstellation an die Stelle des aufgelösten Bayerischen Obersten Landesgerichts getreten ist, nicht fort.
2. Der Senat sieht die Voraussetzungen für die Bestimmung als erfüllt an. Die Beklagten werden als Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO) in Anspruch genommen. Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand, der die Bestimmung ausschlösse, liegt nach Auffassung des Senats nicht vor. Ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen.
Auch der ausschließliche Gerichtsstand für bestimmte Klagen auf Grund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO) greift nach der Rechtsprechung des Senats nicht ein. Die hier den Klageansprüchen zugrunde liegenden Beteiligungen der Klägerin im Jahr 2003 an VIP 3 und im Jahr 2004 an VIP 4 sind solche des damals noch nicht geregelten grauen Kapitalmarkts. Für die aus diesen Kapitalanlagen resultierenden Schadensersatzansprüche gilt § 32b ZPO nach Auffassung des Senats nicht (Senatsbeschluss vom 27.7.2006 a.a.O; zustimmend Weck, AG 2006, R470).
Der Wortlaut der Vorschrift, auf den sich die abweichende Meinung anderer Gerichte stützen kann, schließt ihre Anwendbarkeit auf den "grauen Kapitalmarkt" allerdings nicht von vornherein aus. Der in § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO verwandte Begriff der "öffentlichen Kapitalmarktinformation" ist in § 1 Abs. 1 Satz 3 KapMuG grundsätzlich offen definiert. Die Aufzählung verschiedener Typen öffentlicher Kapitalmarktinformationen in Satz 4 ist nicht abschließend, wie das Wort "insbesondere" zeigt. Es fällt jedoch auf, dass sie ausschließlich den Wertpapier- und sonstigen geregelten Kapitalmarkt betrifft. Der Grund hierfür erhellt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung war auf Kapitalanlagen in Wertpapieren beschränkt (BT-Drucks. 15/5091). Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1 KapMuG und des § 32b ZPO auf "Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen" geht auf die Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages zurück (BT-Drucks. 15/5695). Maßgeblich für diese Empfehlung war die Erwägung, dass durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz vom 28. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2630) auch andere Vermögensanlagen prospektpflichtig geworden waren (BT-Drucks. 15/5695 S. 23). Das Anlegerschutzverbesserungsgesetz hat weite Bereiche des bisherigen grauen Kapitalmarkts in den reglementierten Markt überführt, d.h. der Prospektpflicht unterworfen, Anforderungen an den Inhalt aufgestellt und die Haftung bei fehlerhaftem und bei fehlendem Prospekt spezialgesetzlich geregelt (vgl. §§ 8f, 8g, 13, 13a Verkaufs-prospektG in der seit 1.7.2005 geltenden Fassung). Die Einbeziehung derartiger Ansprüche nach dem Verkaufsprospektgesetz in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG sowie in die Zuständigkeitsnorm des § 32b ZPO, die insoweit die bisherige Zuständigkeitskonzentration am Sitz der Börse oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ersetzt (vgl. § 13 Abs. 2 VerkaufsprospektG in der bis 31.10.2005 geltenden Fassung) erscheint ohne weiteres plausibel und folgerichtig.
Nichts deutet hingegen darauf hin, dass damit auch diejenigen Kapitalanlagen erfasst werden sollten, die nach wie vor ungeregelt sind, sei es dass sie ihrer Art nach keiner Prospektpflicht unterliegen, sei es, dass sie zwar als Neuemission heute prospektpflichtig wären, aber - wie hier - als Altemission dem zeitlichen Anwendungsbereich der 2005 eingeführten Prospektpflicht nicht unterliegen. Für auf solche Anlagen des nicht reglementierten Kapitalmarkts bezogene, mangels spezialgesetzlicher Regelung auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung gestützten Schadensersatzansprüche gab es im Übrigen weder vor noch nach Inkrafttreten des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes eine spezielle Zuständigkeitsnorm; es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber daran etwas ändern wollte.
Hiergegen lässt sich auch nicht einwenden, dass das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren als auf zunächst fünf Jahre befristetes Erprobungsgesetz erlassen wurde, dem deshalb möglichst viele Anwendungsfälle unterfallen sollten. Die Befristung wurde im Gesetzgebungsverfahren bereits zu einem Zeitpunkt diskutiert und für sinnvoll angesehen, als der Gesetzentwurf die "sonstigen Vermögensanlagen" überhaupt noch nicht erfasst hatte (vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung und Gegenäußerung der Bundesregierung hierzu, BT-Drucks. 15/5091 S. 47, 52).
Im Ergebnis zieht der Senat aus Entstehungsgeschichte und Regelungszusammenhang den Schluss, dass § 32b ZPO nicht Vermögensanlagen des ungeregelten so genannten grauen Kapitalmarkts umfasst. Er hält seine Auslegung auch in Kenntnis der abweichenden Entscheidungen anderer Gerichte nach wie vor für richtig.
3. Auf der Grundlage der vorstehend vertretenen Rechtsauffassung hätte der Senat die Bestimmung vorzunehmen. Hieran sieht er sich durch die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Nürnberg und Koblenz (je a.a.O.) gehindert. Diese Oberlandesgerichte gehen davon aus, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in einem Fall wie dem vorliegenden greift, und zwar - anders als etwa die von den Parteien im Verfahren vorgelegten Beschlüsse der Oberlandesgerichte Dresden (28.6.2006, 1 AR 38/06), Stuttgart (6.7.2006, 5 AR 3/06) und Frankfurt am Main (31.7.2006, 21 AR 65/06) - auch soweit Ansprüche aus Verletzung des Beratungsvertrages gegen den Vermittler der Kapitalanlage (hier: Beklagte zu 2) geltend gemacht werden. Bei Zugrundelegung dieser Rechtsansicht der Oberlandesgerichte Nürnberg und Koblenz wäre hier für alle Beklagten der besondere Gerichtsstand des § 32b ZPO gegeben und die Bestimmung abzulehnen. Der Senat müsste folglich eine andere als die von ihm beabsichtigte Endentscheidung treffen. Die Abweichung ist somit entscheidungserheblich und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen (§ 36 Abs. 3 ZPO).
Ende der Entscheidung
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