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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 06.11.2007
Aktenzeichen: 32 Wx 146/07
Rechtsgebiete: GG, WEG, BGB
Vorschriften:
GG Art. 4 Abs. 1 | |
GG Art. 4 Abs. 2 | |
GG Art. 5 Abs. 1 | |
WEG § 10 Abs. 2 | |
WEG § 14 Nr. 1 | |
WEG § 14 Nr. 3 | |
WEG § 15 | |
BGB § 242 |
2. Bei der erforderlichen Abwägung kommt neben dem Informationsinteresse auch der Freiheit der Religionsausübung und in deren Rahmen der Ermöglichung der Teilnahme an gottesdienstlichen Handlungen ein besonderer Stellenwert zu, insbesondere wenn die Teilnahme an Gottesdiensten einzelnen Bewohnern nicht möglich ist und Fernsehsender, die regelmäßig gottesdienstliche Handlungen ausstrahlen, nur über Satelliten zu empfangen sind.
3. Wird bei der Abwägung den Eigentumsrechten der anderen Eigentümer vor der Informations- und Religionsausübungsfreiheit mit der Begründung der Vorzug gegeben, dass ein "Schüsselwald" zu befürchten sei, müssen die Tatsachengerichte hierzu konkrete tatsächliche Feststellungen treffen. Bei dieser Feststellung muss die Anzahl der Wohnungen in einem Gebäude, die Struktur der Bewohner und der Umstand, dass die Wohnungseigentümer die Gestattung von dem Abschluss einer Vereinbarung abhängig machen können, nach der der Antragsteller verpflichtet wird, den Anschluss durch andere Eigentümer, die auf vom gleichen Satelliten ausgestrahlte Programme angewiesen sind, bei Bedarf zu gestatten, berücksichtigt werden.
Tatbestand:
Die türkischen Antragsteller sind Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft und gehören der alevitischen Glaubensrichtung des Islam an. In der Eigentümerversammlung vom 31.3.2005 beantragten sie eine Parabolantenne anbringen zu dürfen.
Nach dem Protokoll dieser Versammlung wurde kein ausdrücklicher Beschluss hierzu gefasst; vielmehr wies die Hausverwaltung mit großer Zustimmung und ohne Einwände darauf hin, dass die Möglichkeit bestehe, einen zusätzlichen Decoder über eine Kabelgesellschaft für ausländische Sender zu besorgen und bisher Satellitenanlagen von den Eigentümern kategorisch abgelehnt wurden, was auch hier zu erfolgen habe.
Das Amtsgericht wies den Antrag, die Antragsgegner zu verpflichten, das Anbringen einer Satellitenempfangsanlage auf dem Balkon der Wohnung der Antragsteller, bzw. hilfsweise an einer Stelle des Gemeinschaftseigentums zu gestatten, die den ordnungsgemäßen Empfang ermögliche und das äußere Erscheinungsbild des Anwesens möglichst wenig beeinträchtige mit Beschluss vom 29.12.2006 zurück.
Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde wies das Landgericht, nachdem sich herausgestellt hatte, dass eine Anbringung der Antenne am Balkon keinen ordnungsgemäßen Empfang gewährleiste, am 7.8.2007 zurück.
Gegen diesen am 17.8.2007 zugestellten Beschluss legten die Antragssteller am 27.8.2007 formgerecht sofortige weitere Beschwerde ein, mit der sie nur noch den Hilfsantrag weiterverfolgen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige sofortige weitere Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an die Vorinstanz.
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:
Ein Anspruch auf Duldung der Parabolantenne bestehe nicht. Zwar könnten aufgrund der besonderen Interessenlage der Antragssteller als Aleviten die Miteigentümer verpflichtet sein, der Aufstellung an einem möglichst wenig oder geringfügig beeinträchtigenden Ort z.B. auf dem Balkon ihrer Wohnung zuzustimmen. Da aber aus empfangstechnischen Gründen nur eine Aufstellung auf dem Dach möglich sei, stelle dies eine Beeinträchtigung des Gesamtbildes der Anlage dar, die im Rahmen der Abwägung nach Treu und Glauben der Grundrechte der Antragsteller auf Informations- und Religionsausübungsfreiheit gegenüber den Eigentumsrechten nicht zu dulden sei, zumal durch Nachfolgeeffekte zu befürchten sei, dass ein "Schüsselwald" auf dem Dach entstehe.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 43 Abs. 1 WEG, § 27 Abs. 2 FGG, § 546 ZPO).
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings der Ausgangspunkt der landgerichtlichen Entscheidung, dass aufgrund der besonderen Interessenlage der Antragssteller als Aleviten die Miteigentümer verpflichtet sein können, der Aufstellung an einem möglichst wenig oder geringfügig beeinträchtigenden Ort z.B. auf dem Balkon ihrer Wohnung zuzustimmen und die Grundrechte der Antragsteller auf Informations- und Religionsausübungsfreiheit gegenüber den Eigentumsrechten der Miteigentümer nach Treu und Glauben abzuwägen seien (BGHZ 157, 322 ff.; OLG München ZMR 2006, 309; OLG Zweibrücken ZMR 2007, 143 ff.; vgl. auch BGH WuM 2007, 381).
Insbesondere hat das Landgericht zu Recht auch die Religionsausübungsfreiheit mitberücksichtigt (Art. 4 Abs. 2 GG, Art 107 Abs. 2 BayVerf). Zentrales Element der Ausübung der Religion ist die Teilnahme an gottesdienstlichen Handlungen (vgl. Maunz/Dürig/Herzog GG Stand März 2006 Art. 4 Rn. 99). Ist eine persönliche Teilnahme nicht unter zumutbaren Voraussetzungen möglich, besteht aber die Möglichkeit der Teilnahme durch moderne Kommunikationsmittel, ist dies in die erforderliche Einzelabwägung miteinzubeziehen.
In diesem Zusammenhang können im Übrigen auch deutsche Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Duldung der Anbringung einer Parabolantenne haben, wenn ihnen die Teilnahme an Gottesdiensten z.B. wegen Lebens in der Diaspora oder länger dauernder persönlicher Gebrechlichkeit nicht möglich ist und Fernsehsender, die regelmäßig gottesdienstliche Handlungen ausstrahlen, nur über Satelliten zu empfangen sind.
Bislang hat das Landgericht entsprechend seiner Rechtsauffassung unterstellt, dass der Antragsteller Programme aus seinem Kulturkreis und Gottesdienste seiner Religionsgemeinschaft nur mittels Satellitenempfangsanlage beziehen kann; dies wird das Landgericht gegebenenfalls zu überprüfen haben (§ 43 Abs. 1 WEG, § 12 FGG). Die in der Rechtsbeschwerdeerwiderung aufgeführten etwaigen anderen Informationsmöglichkeiten haben dabei insoweit außer Betracht zu bleiben, als sie nicht die Möglichkeit der Teilnahme an gottesdienstlichen Handlungen bieten. b) Ein Anspruch auf Duldung einer Parabolantenne kann nicht schon allein deshalb verneint werden, weil die Anbringung aus empfangstechnischen Gründen nur auf dem Dach eines Gebäudes möglich ist. Entscheidend hierfür ist nämlich nicht der Aufstellungsort, sondern ausschließlich, ob der Gebrauch des Sondereigentums oder des gemeinschaftlichen Eigentums zu einem Nachteil führt, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht (§ 14 Nr. 1 WEG). Ist dies nicht der Fall, dann haben die übrigen Wohnungseigentümer die Aufstellung einer Parabolantenne auch dann zu dulden (§ 14 Nr. 3 WEG, § 1004 Abs. 2 BGB), wenn sie als bauliche Veränderung zu qualifizieren ist (BGHZ 157, 322/326).
Ein Nachteil ist im Sinne des § 14 Nr. 1 WEG nicht hinzunehmen, wenn er eine nicht ganz unerhebliche, konkrete und objektive Beeinträchtigung darstellt (BGHZ 116, 392/396; 146, 241/246). Hierfür kann auch eine Veränderung des optischen Gesamteindrucks einer Wohnanlage genügen (BayObLG, WuM 2002, 443; OLG Hamm, ZWE 2002, 280/281; Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 14 Rn. 33/34). Im vorliegenden Fall hat das Beschwerdegericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob die von den Antragsgegnern begehrte Parabolantenne so positioniert werden kann, dass sie nicht von außen sichtbar ist. Sollte dies der Fall sein, wäre eine ästhetische Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes der Anlage von vorneherein ausgeschlossen. Aber selbst wenn die Parabolantenne den optischen Gesamteindruck der Wohnanlage nicht nur unerheblich beeinträchtigen sollte, kann der darin liegende Nachteil von den übrigen Wohnungseigentümern hinzunehmen sein, sofern auf Grund einer fallbezogenen Abwägung der beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen das Interesse des Antragstellers überwiegt (vgl. hierzu BGHZ 157, 322/326 f.).
Die Aufstellung am Dach führt aber dazu, dass bei der Feststellung der optischen Beeinträchtigungen und der Abwägung nicht nur die Beeinträchtigung durch die Antenne als solche, sondern auch durch die Verbindungsleitung zwischen Wohnung und Antenne zu berücksichtigen sind, wenn nicht die Leitungsführung in bereits vorhandenen Kabelschächten möglich ist.
Bei der Feststellung von optischen Beeinträchtigungen kann gegebenenfalls die Einholung eines Augenscheins erforderlich sein.
c) Die Abwägung obliegt in erster Linie den Tatgerichten und kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden (OLG München aaO.), ob das Tatsachengericht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und von zutreffenden und verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen ausgegangen ist (vgl. BayObLG FGPrax 1997, 32; Keidel/Meyer-Holz aaO. § 27 Rn. 23). In diesem Rahmen erweist sich der landgerichtliche Beschluss als unvollständig.
Das Landgericht seine Abwägungsentscheidung nur darauf gestützt, dass durch Nachfolgeeffekte die Anbringung einer Vielzahl von Parabolantennen auf dem Dach zu befürchten sei, ohne hierzu konkrete tatsächlichen Feststellungen zu treffen. Der Bedeutung der Grundrechte der Informations- und Religionsfreiheit würde es nicht gerecht werden, wenn man allein die abstrakte Gefahr von Nachfolgeeffekten, die bei Mehrwohnungsobjekten immer besteht, ausreichen ließe, um bei der Abwägung der Grundrechte dem Eigentumsrecht der Miteigentümer den Vorzug zu geben. Vielmehr ist es erforderlich, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die es befürchten lassen, dass eine solche Anzahl von Bewohnern die Gestattung der Errichtung von Parabolantennen fordern, dass insgesamt eine Beeinträchtigung der Eigentumsrechte der Miteigentümer eintritt. Bei dieser Feststellung kann die ethnische Zusammensetzung der Bewohner berücksichtigt werden. Ferner darf nicht außer Betracht bleiben, dass die Wohnungseigentümer die Gestattung von dem Abschluss einer Vereinbarung abhängig machen können, nach der der Antragsteller verpflichtet wird, den Anschluss durch andere Eigentümer, die auf vom gleichen Satelliten ausgestrahlte Programme angewiesen sind, bei Bedarf zu gestatten; technisch ist dies ohne weiteres durch Austausch des sog. LNB durch ein Mehrfach-LNB möglich.
Zu einer konkreten Befürchtung des Entstehens eines "Schüsselwaldes" hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen. Die Eigentümerliste des verfahrensgegenständlichen Einzelhauses spricht eher gegen eine solche, da dort nur 6 Wohnungen vorhanden sind. Da heute auch ausländische Bewohner über die Kabelanlage mit Programmen in ihrer Sprache und mit Inhalten ihrer Kultur versorgt werden können, besteht auch nicht die Gefahr, dass jeder ausländischer Bewohner die Errichtung auf dem Dach erfolgreich fordern kann.
3. Ferner wird auf folgendes hingewiesen:
Die Wohnungseigentümer können im Rahmen des Interessenausgleichs und des ihnen zustehenden Ermessensspielraums die Gestattung durch Mehrheitsbeschluss davon abhängig machen (Staudinger/Bub BGB 13. Bearbeitung 2005 WEG § 21 Rn. 219), dass
- die Parabolantenne baurechtlich und denkmalschutzrechtlich zulässig ist;
- die Parabolantenne an einem von ihnen bestimmten unauffälligen, aber technisch geeigneten Ort installiert wird (BGH7 157, 322 ff.; OLG Celle WE 2002, 8; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 141; OLG Frankfurt NZM 2005, 427 f.); bei der Auswahl zwischen mehreren gleich geeigneten Standorten steht den Wohnungseigentümern ein verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Bestimmungsrecht zu, das aber nur dann berücksichtigt werden kann, wenn es tatsächlich ausgeübt wurde. Die Aufstellung darf erhebliche, aber keine unzumutbaren Kosten verursachen, da das Recht auf Information nicht den kostengünstigsten Zugang umfasst (OLG Frankfurt NZM 2005, 427 f.).
- die Installation auf Kosten des betreffenden Wohnungseigentümers durch einen Fachmann erfolgt, um eine Beschädigung oder eine erhöhte Reparaturanfälligkeit des Gemeinschaftseigentums zu vermeiden (BGH aaO.; OLG Celle NJW-RR 1994, 977; OLG Düsseldorf FGPrax 1995, 228 f.)
- der begünstigte Wohnungseigentümer ein etwaiges Haftungsrisiko durch den Nachweis des Abschlusses einer Versicherung abdeckt und Sicherheit für die voraussichtlichen Kosten des Rückbaus der Anlage erbringt (OLG Celle WE 2002, 8).
Durch diese Maßnahmen werden weitestgehend mögliche Nachteile, die durch die Aufstellung der Anlage entstehen ausgeglichen.
Sollten die Wohnungseigentümer von ihrem Bestimmungsrecht keinen Gebrauch machen wird das Tatsachengericht nach billigem Ermessen zu entscheiden haben.
Ende der Entscheidung
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