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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 09.02.2006
Aktenzeichen: 33 Wx 237/05
Rechtsgebiete: VBVG
Vorschriften:
VBVG § 5 Abs. 1 | |
VBVG § 5 Abs. 2 |
2. Wird nach dem Tod des Betreuers ein neuer Betreuer bestellt, kann dies jedenfalls dann nicht einer Erstbebestellung mit entsprechend erhöhtem Stundenansatz gleichgestellt werden, wenn die zeitliche Lücke innerhalb der Betreuung drei Monate nicht überschreitet.
Gründe:
I.
Für den mittellosen und in einem Pflegeheim lebenden Betroffenen besteht seit 3.9.2002 eine Betreuung. Ihr Aufgabenkreis umfasst nunmehr: Aufenthaltsbestimmung; Gesundheitsfürsorge; Vermögenssorge; Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heimvertrages; Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post. Jeweils bis zu ihrem Tod waren zunächst die Ehefrau bis 15.8.2003 und sodann die Tochter des Betroffenen bis 31.1.2005 nacheinander als ehrenamtliche Betreuerinnen tätig. Mit Beschluss vom 14.4.2005 bestellte das Amtsgericht den nunmehrigen berufsmäßig tätigen Betreuer.
Für die Zeit vom 1.7.2005 bis 30.9.2005 beantragte der Betreuer, ausgehend von einem Betreuungsbeginn am 15.4.2005, eine Vergütung von 484,69 EUR aus der Staatskasse. Das Amtsgericht setzte mit Beschluss vom 4.11.2005 jedoch die Vergütung nur auf 264 EUR fest, wobei es zugrunde legte, dass die Betreuer im maßgeblichen Zeitraum bereits seit 3 Jahren bestand.
Das Landgericht bestätigte diese Entscheidung mit Beschluss vom 15.11.2005. Hiergegen wendet sich der Betreuer mit seiner zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig; insbesondere wurde sie fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:
Das Amtsgericht habe zu Recht die Vergütung nur auf 264 EUR festgesetzt. Maßgebend sei die Erstanordnung der Betreuung am 3.9.2002. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte des § 5 VBVG. Der Bundesrat habe nämlich in der Begründung seines Gesetzesentwurfs sinngemäß ausgeführt: Die als Grundlage der Pauschalierung ausgewerteten Akten enthielten bereits besondere Betreuungssituationen, so dass diese in die Pauschalen eingeflossen seien. Der mit dem Betreuerwechsel einhergehende Mehraufwand sei dabei schon berücksichtigt. Maßgebend für die Anwendung der Pauschalen sei die erstmalige Bestellung eines Betreuers, auch wenn es sich hierbei um einen ehrenamtlichen Betreuer handle und erst später ein Berufsbetreuer bestellt werde. Bei zeitlichen Lücken in der Betreuung sei im Einzelfall zu klären, ob eine Erstbetreuung vorliege. Die Lücke von ca. 2 1/2 Monaten führe nicht zu einer Erstbetreuung, da keine Aufhebung der Betreuung vorgelegen habe; vielmehr sei die Betreuung durchgehend angeordnet gewesen und habe nur aus tatsächlichen Gründen für eine kurze Zeit nicht ausgeführt werden können.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand (§ 27 Abs.1 FGG, § 546 ZPO).
a) Der dem Betreuer zu vergütende Zeitaufwand ist aufgrund der Neuregelung durch das 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz zum 1.7.2005 nach einem pauschalierten Stundenansatz zu bestimmen (§ 5 VBVG). Dieser beträgt nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift für einen mittellosen Betreuten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat, in den ersten drei Monaten der Betreuung viereinhalb Stunden monatlich. Im vierten bis sechsten Monat verringert sich der monatliche Stundenansatz auf dreieinhalb, im siebten bis zwölften Monat auf drei Stunden. Für anschließende Zeiträume ist der Zeitaufwand mit zwei Stunden im Monat anzusetzen.
b) Bereits der Gesetzeswortlaut legt die Auslegung nahe, dass hierbei - ebenso wie für die jeweiligen Stundenansätze in den übrigen Fallkonstellationen des § 5 VBVG - auf den Lauf der Betreuung als solcher abzustellen ist, unabhängig davon, ob diese von Anfang an von dem anspruchstellenden Betreuer geführt wurde (ebenso Schleswig-Holst. OLG Beschluss vom 25.1.2006 - 2 W 240/05; Palandt/Diederichsen BGB 65. Aufl. Anh. zu § 1836 - § 5 VBVG Rn. 6 f.)
c) Auch die Systematik des Gesetzes zwingt nicht etwa dazu, demgegenüber erst den Zeitpunkt der Übernahme der Betreuung durch einen Berufsbetreuer für maßgebend zu halten (a. A. Deinert JurBüro 2005, 285/286 und BtPrax Spezial 2005, 13/15). Zwar regeln die Vorschriften des VBVG den Vergütungs- bzw. Aufwendungsersatz berufsmäßig tätiger Vormünder und Betreuer. Das schließt aber nicht denknotwendig aus, hierbei mit der Dauer der Betreuung an ein Merkmal anzuknüpfen, das insoweit "neutral" ist, d. h. auch bei zuvor ehrenamtlicher Führung der Betreuung erfüllt sein kann.
d) Für diese Auslegung spricht auch der Zweck der Neuregelung. Der Gesetzgeber wollte mit einer konsequenten Pauschalierung des Zeitaufwandes für die Betreuung ein "einfaches, Streit vermeidendes und an der Realität orientiertes, für die Betreuer auskömmliches Abrechnungssystem" schaffen (Bericht des BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. 15/4874 S. 73). Das nunmehr eingeführte System, das nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes keine Ausnahmen durch Einzelfallbetrachtung zulassen soll, beruht auf einer im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz durchgeführten rechtstatsächlichen Untersuchung des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) unter Auswertung von mehr als 1.800 Betreuungsakten. Dieser wurde u. a. die nahe liegende Erkenntnis entnommen, dass im Regelfall der Betreuungsaufwand, nach Spitzenwerten während der ersten drei Monate, kontinuierlich und stark abnimmt, wobei in den Phasen vom vierten bis sechsten Monat, vom siebten bis zwölften Monat und ab dem zweiten Jahr jeweils merkliche Verringerungen festzustellen sind (BT-Drs. 15/2494 S. 31 ff.).
Dieser Erfahrungswert ist im Grundsatz auch dann zu unterstellen, wenn die Betreuung, was das Gesetz in § 1836 Abs. 1, § 1908i Abs. 1 BGB schließlich als typisch voraussetzt, zunächst ehrenamtlich geführt wird.
Der Wechsel von einem ehrenamtlichen zu einem Berufsbetreuer wird vor allem in zwei Fallkonstellationen in Betracht kommen: Der ehrenamtliche Betreuer ist mit seinem Amt überfordert bzw. übt dieses missbräuchlich aus; durch Tod oder langfristige Verhinderung eines ehrenamtlichen Betreuers wird eine Neubestellung erforderlich, für die aus tatsächlichen Gründen nur ein berufsmäßiger Betreuer in Betracht kommt.
Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass in der ersten Fallgruppe vielfach ein höherer Zeitaufwand für den Betreuer notwendig sein wird, um zuletzt ungeordnet gebliebene Verhältnisse in den Griff zu bekommen (vgl. Deinert a.a.O.). Soweit etwaige Haftungsansprüche gegen den früheren Betreuer geltend zu machen sind, müssen diese allerdings nicht zwangsläufig mit dem Zeitkontingent des § 5 VBVG abgegolten sein, weil ein anwaltlicher Betreuer insoweit Aufwendungsersatz über § 1835 Abs. 3 BGB geltend machen und ein sonstiger Berufsbetreuer einen Rechtsanwalt beauftragen kann.
Aber schon die zweite Fallgruppe zeigt, dass nicht jeder Wechsel von der ehrenamtlichen zur berufsmäßigen Betreuung mit einer überdurchschnittlichen zeitlichen Belastung des neuen Betreuers verbunden sein muss. Bereits hieran wird deutlich, wie problematisch es sein kann, die Forderung nach Ausnahmen vom gesetzlichen Regelfall schlüssig zu begründen.
Eine solche Ausnahme entspräche aber auch nicht dem aus der Gesetzesbegründung zu erschließenden gesetzgeberischen Willen. Im Entwurf des Bundesrates (BT-Drs. 15/2494 S. 34) ist zu den vorgeschlagenen Vorschriften, die als § 5 Abs. 1 und 2 VBVG im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmend Gesetz geworden sind, ausgeführt:
"Um den mit der Pauschalierung verfolgten Zweck der Vereinfachung und Streitvermeidung nicht zu vereiteln, müssen Ausnahmen von dem vorgeschlagenen Pauschalierungsmodell so weit wie möglich begrenzt werden. Zudem sind in den vom ISG ausgewerteten Akten die Fälle besonderer Betreuungssituationen enthalten und somit in die gebildeten Pauschalen eingeflossen. Aus den oben dargestellten Gründen enthält der Entwurf im Fall eines Betreuerwechsels keine Ausnahme von dem vorgeschlagenen Pauschalierungsmodell. Der mit einem Betreuerwechsel regelmäßig einhergehende Mehrbedarf ist in den vom ISG erhobenen Zahlen enthalten. Maßgebend für die Anwendung der Pauschalen ist daher die erstmalige Bestellung eines Betreuers. Dies soll auch dann gelten, wenn es sich hierbei um einen ehrenamtlichen Betreuer handelt und später ein Berufsbetreuer bestellt wird. Geschieht dies z. B. im 3. Jahr einer Betreuung, kann der Berufsbetreuer nur die Pauschale für den Zeitraum ab dem 2. Jahr beanspruchen."
Damit ist auch nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Wechsel von einem ehrenamtlichen Betreuer zu einem Berufsbetreuer wie ein Übergang von einem Berufsbetreuer zu einem anderen zu behandeln und führt nicht zu einer Neuorientierung hinsichtlich der Grundlage des monatlichen Stundenansatzes.
e) Es besteht im Lichte dieser Erwägungen auch kein Anlass, durch eine teleologische Auslegung des Gesetzes einem vermeintlich anderen Gesetzeszweck oder einer abweichenden Absicht des Gesetzgebers Geltung zu verschaffen. Zweck der höheren Stundenansätze im ersten Betreuungsjahr ist zwar der Ausgleich der Mehrarbeit des Betreuers in diesem Jahr. Wenngleich bei von anderen Betreuern übernommenen Betreuungen vielfach ein höherer Zeitaufwand erforderlich ist als bei Betreuungen, in die der Betreuer bereits eingearbeitet ist, wurde jedoch dieser Mehrbedarf ausweislich der Gesetzesmaterialien bereits bei den dem Gesetz zu Grunde liegenden Erhebungen berücksichtigt. Eine Möglichkeit, ausnahmsweise einen außergewöhnlich hohen Zeitaufwand des Betreuers in besonderen Fallkonstellationen zu berücksichtigen, sieht das Gesetz nicht vor. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass auch die Erweiterung des Aufgabenkreises für ein und denselben Betreuer nicht zu einem erhöhten Zeitansatz führt, obwohl sie zeitlichen Mehraufwand bedeuten kann, der einer Erstbetreuung kaum nachsteht.
f) Der Senat vermag darin auch keinen Verstoß gegen Art 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu erkennen. Ein gesetzlicher Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung setzt voraus, dass die Regelung durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfGE 61, 291/312 m.w.N.; 76, 196/207; 82, 18/28; 83, 1/16). Die Pauschalierung der Betreuervergütung ohne Ausnahmen ist nicht zuletzt durch das Bestreben gerechtfertigt, einer übermäßigen Belastung der Länderhaushalte entgegenzuwirken und die berufsmäßigen Betreuer wie die Gerichte von zeitaufwändiger Abrechnungs- bzw. Überprüfungstätigkeit zu entlasten. Die Neuregelung erscheint auch verhältnismäßig. Der Gesetzgeber hat die Stundenansätze des § 5 VBVG nicht willkürlich, sondern auf Grund empirischer Erhebungen festgesetzt und hierbei umfassend alle Schwierigkeitsgrade berücksichtigt sowie auch auf die Auskömmlichkeit der Vergütung Bedacht genommen.
g) Zu Recht nimmt das Landgericht auch an, dass die zwischen dem Tod der früheren Betreuerin und der Bestellung des neuen Betreuers bestehende Lücke nicht dazu zwinge, eine im Sinne des § 5 VBVG erstmalige Betreuung zu bejahen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die durch einen Betreuerwechsel gegebenenfalls entstehende zeitliche Lücke gleichzusetzen ist mit der Situation, die durch Aufhebung der Betreuung und Wiederbestellung eines Betreuers entstehen kann. Jedenfalls eine verhältnismäßig kurzer Stillstand der Betreuertätigkeit kann nach Auffassung des Senats nicht dazu führen, dass ab der Bestellung des neuen Betreuers die Stundensätze für eine erstmalige Betreuungsbestellung maßgebend sind. Zwar ist bei Unterbrechungen einer Betreuung in der Regel danach wieder von einer Erstbetreuung auszugehen (Palandt/Diederichsen § 5 VBVG Rn. 7; vgl. auch BT-Drucks 14/2494 S. 35), doch kann dies bei verhältnismäßig kurzen Zeiträumen nicht gelten.
Durch die erhöhten Stundenansätze im ersten Betreuungsjahr soll pauschaliert der höhere Arbeitsaufwand bei Neubetreuungen abgegolten werden. Dies ist zwar - nach den rechtstatsächlichen Erhebungen im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens - in der Regel berechtigt. Bei nur kurzfristigen Unterbrechungen der Betreuertätigkeit innerhalb einer fortbestehenden Betreuung kann dies aber nicht gleichermaßen gelten. Bei einem mittellosen in einem Heim lebenden Betreuten und einem dreimonatigen Stillstand z. B. durch Tod oder Auswechslung des Betreuers erhielte der neue Betreuer einen um den Zeitansatz für 18 Stunden erhöhten Vergütungsanspruch gegenüber einer lückenlosen Fortsetzung der Betreuung, obwohl allenfalls - bei Zugrundelegung einer ab dem zweiten Jahr bestehenden Betreuung - ein pauschalierter Betreuungsrückstand von sechs Stunden entstanden ist.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Stundenansätze Ausdruck einer Mischkalkulation sind und damit auch Arbeitsmehraufwand abzudecken haben. Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass die Anwendung des Gesetzes ohne Annahme einer Erstbetreuung im vorliegenden Fall dazu führt, dass der Betreuungsrückstand gar nicht vergütet wird. Unterschreitet jedoch die Unterbrechungsdauer, wie hier, drei Monate, wäre die Mehrvergütung bei Annahme einer Erstbetreuung deutlich unangemessen überhöht. All das spricht dafür, bei dieser Fallgestaltung die Fortdauer der Erstbetreuung mit dem für das aktuelle Stadium maßgebenden Zeitansatz zu bejahen.
Ende der Entscheidung
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