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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 04.08.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 36/05
Rechtsgebiete: GG, BGB, FGG
Vorschriften:
GG Art. 19 Abs. 4 | |
BGB § 1846 | |
BGB § 1906 | |
FGG § 69f | |
FGG § 70h Abs. 3 |
2. Das Gericht ist in Eilfällen einer zivilrechtlichen Unterbringung verpflichtet, gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass dem Betroffenen unverzüglich ein Betreuer oder jedenfalls ein vorläufiger Betreuer (§ 69f FGG) zur Seite gestellt wird.
Tatbestand:
Das Amtsgericht hat durch einstweilige Anordnung vom 23.11.2004 gemäß § 1846 BGB, § 70h Abs. 3 FGG die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 3.1.2005 einstweilen angeordnet. Der Betroffene leide an einer Schizophrenie/paranoiden Psychose. Es bestehe deshalb die Gefahr, dass er sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge.
Gegen diese Entscheidung legte der Betroffene am 10.12.2004 sofortige Beschwerde ein. Es liege keine Eigen- oder Fremdgefährdung vor. Am 22.12.2004 wurde er aus der geschlossenen Abteilung in die offene Station des Bezirksklinikums verlegt und am 5.1.2005 entlassen.
Mit Beschluss vom 17.1.2005 verwarf das Landgericht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 23.11.2004. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, der die Feststellung erstrebt, dass die mit Beschluss vom 23.11.2004 angeordnete vorläufige Unterbringung rechtswidrig gewesen sei.
Das Amtsgericht hatte parallel zum Unterbringungsverfahren am 25.11.2004 ein Betreuungsverfahren eingeleitet und die Stadt C um Stellungnahme zur Frage der eventuellen Errichtung einer vorläufigen Betreuung gebeten. Nach Stellungnahmen der Stadt C vom 10.12.2004 und vom 7.2.2005, wonach ein Fürsorgebedürfnis zur Errichtung einer Betreuung nicht erkennbar sei, wurde das Betreuungsverfahren, ohne dass es zur Bestellung eines Betreuers gekommen wäre, mit Beschluss vom 7.2.2005 eingestellt. Die zulässige sofortige weitere Beschwerde hatte in der Sache Erfolg.
Gründe:
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet: Das Rechtsmittel habe sich mit der Verlegung des Betroffenen auf die offene Station, spätestens aber mit der bis 3.1.2005 befristeten vorläufigen Unterbringung bzw. mit dessen Entlassung aus dem Bezirksklinikum am 5.1.2005 erledigt. Es sei somit unzulässig geworden, weil für eine Anfechtung kein Rechtsschutzbedürfnis mehr bestehe. Die Beschwerde sei weder auf den Kostenpunkt beschränkt worden noch darauf gerichtet, dass die Rechtswidrigkeit der getroffenen Maßnahme festgestellt werden solle.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.
a) Das Landgericht hat dem nicht von einem Rechtsanwalt vertretenen Betroffenen keine Gelegenheit gegeben, seinen Antrag im Beschwerdeverfahren nach Erledigung der Hauptsache umzustellen.
Die Hauptsache hat sich nach Einlegung der sofortigen Beschwerde dadurch erledigt, dass der Betroffene mit seinem Einverständnis am 22.12.2004 auf die offene Abteilung des Bezirksklinikums verlegt und schließlich am 5.1.2005 entlassen wurde.
Nach Erledigung der Hauptsache im Beschwerdeverfahren ist eine Entscheidung über den erledigten Verfahrensgegenstand nicht mehr zulässig. Beschränkt der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel auf die Kosten, hat das Gericht nur noch über die Kosten des gesamten Verfahrens zu befinden (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 783; Keidel/Zimmermann FGG 15. Aufl. § 13a Rn. 47 m.w.N.). Der Betroffene kann im Falle einer geschlossenen Unterbringung aber auch einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit derselben stellen. Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es, in den Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tief greifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. BVerfGE NJW 2002, 2456; BayObLGZ 2002, 304/306.). Auf die Möglichkeit eines solchen Feststellungsantrags hat das Gericht einen nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, seinen Antrag entsprechend umzustellen. Dies gebietet der Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren. Einen derartigen Hinweis hat das Landgericht hier nicht gegeben, obwohl der Betroffene bereits bei Einlegung der sofortigen Beschwerde erkennbar die Rechtmäßigkeit der Unterbringungsanordnung angreifen wollte.
Auf diesem Verfahrensmangel beruht die Entscheidung. Es ist davon auszugehen, dass der Betroffene bei einem entsprechenden Hinweis des Gerichts - wie nunmehr im Verfahren der weiteren Beschwerde - einen Antrag auf Rechtswidrigkeitsfeststellung gestellt hätte.
b) Eine Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung ist nicht erforderlich, weil der Senat in der Sache selbst entscheiden kann.
Die Voraussetzungen für eine Anordnung der vorläufigen Unterbringung gemäß § 1846, § 1908i Abs. 1 BGB, § 70h Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 FGG, § 1906 BGB lagen zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht vor.
Ordnet das Vormundschaftsgericht wegen der Dringlichkeit des Falles eine Unterbringung ohne Beteiligung eines Betreuers nach § 1846, § 1908i Abs. 1 BGB an, hat es gleichzeitig mit der Anordnung dafür Sorge zu tragen, dass unverzüglich ein Betreuer bestellt wird, der die Interessen des Betreuten wahrnehmen und die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB in eigener Verantwortung treffen kann. Regelmäßig ist zeitgleich mit der Anordnung der Unterbringung ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers einzuleiten. Das Gericht muss zudem sicherstellen, dass dem Betroffenen innerhalb weniger Tage ein Betreuer zur Seite steht. Daher ist es erforderlich, gleichzeitig mit der Einleitung eines Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers ein Verfahren zur Bestellung eines vorläufigen Betreuers nach § 69f FGG einzuleiten (BayObLG FGPrax 2003,145/146, BGH NJW 2002, 1801/1802).
Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Entscheidung vom 23.11.2004 nicht gerecht. Ein (vorläufiges) Betreuungsverfahren wurde erst 2 Tage später eingeleitet, ein Betreuer bis zum Ende der geschlossenen Unterbringung nach einem Monat überhaupt nicht bestellt. Dies allein führt zur Feststellung, dass die Unterbringung nicht unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens angeordnet worden und deshalb formell nicht rechtmäßig ergangen ist (BayObLG aaO, BGH aaO).
Darüber hinaus erscheint es auch fraglich, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorlagen.
Das Amtsgericht hat die Unterbringungsanordnung damit begründet, dass der Betroffene zur ärztlichen Behandlung geschlossen untergebracht werden müsse, weil er derzeit mit dem Leben nicht zurecht kommen würde. Mit dem Aufschub des Freiheitsentzugs wären erhebliche, momentan anderweitig nicht abwendbare Gefahren verbunden. Diese Feststellungen enthalten keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung des Betroffenen. Auch aus dem ärztlichen Attest vom 23.11.2004 und aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen am 23.11.2004 lassen sich solche nicht entnehmen.
Im Ergebnis war daher die Rechtswidrigkeit der Unterbringungsanordnung festzustellen.
Ende der Entscheidung
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