Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 02.06.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 47/05
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 69g Abs. 5
1. Hat der Betroffene während einer erstinstanzlichen richterlichen Anhörung in Gegenwart eines Sachverständigen und eines Mitarbeiters der Betreuungsstelle beharrlich geschwiegen und alle Gesprächsversuche über den Fortbestand der Betreuung verweigert, ist es nicht zu beanstanden, wenn das Beschwerdegericht nach ausbleibender Reaktion auf die schriftliche Anfrage, ob der Betroffene sich nunmehr bei einer erneuten richterlichen Anhörung äußern werde, von einer entsprechenden Ladung absieht. Das gilt jedenfalls dann, wenn dem Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt wird.

2. Verweigert der Betroffene jede mündliche oder schriftliche Äußerung gegenüber dem Sachverständigen, ist das daraufhin mit dem Ergebnis einer "wahnhaften Störung im Sinne eines Querulantenwahns" erstellte Gutachten trotz ausschließlich fremdanamnestischer Erkenntnisse jedenfalls dann verwertbar, wenn es sich auf mehrere frühere Begutachtungen durch andere Sachverständige, einen umfangreichen Akteninhalt sowie die Beobachtung des Betroffenen während der von ihm schweigend verbrachten richterlichen Anhörung stützen kann.


Tatbestand:

Für den Betroffenen besteht seit 1996 eine Betreuung, die mit Beschluss vom 1.11.2004 auf die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung; Gesundheitsfürsorge; Vermögenssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern erweitert wurde. In demselben Beschluss hat das Vormundschaftsgericht die bestehenden Einwilligungsvorbehalte für die Vermögenssorge und die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern aufrechterhalten.

Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel des Betroffenen hat das Landgericht nach Bestellung einer Verfahrenspflegerin mit Beschluss vom 18.2.2005, dem Betroffenen am 25.2.2005 zugestellt, zurückgewiesen.

Hiergegen legte der Betroffene am 1.3.2005 zu Protokoll des Rechtspflegers am Landgericht sofortige weitere Beschwerde und weitere Beschwerde ein. Das Rechtsmittel erwies sich als zulässig, insbesondere formgerecht und unter Beachtung der hinsichtlich der Einwilligungsvorbehalte geltenden Frist eingelegt, aber nicht begründet.

Gründe:

1. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:

Sowohl die medizinischen als auch die tatsächlichen Voraussetzungen einer Betreuung im Sinne von § 1896 Abs. 1 BGB lägen vor.

Der Betroffene sei psychisch krank, weil er an einer wahnhaften Störung leide, die seine freie Willensbestimmung ausschließe. Dies stehe aufgrund des überzeugenden Gutachtens des Arztes für Psychiatrie Dr. S. vom 5.8.2004 fest. Dieses Gutachten stimme mit der Diagnose der Sachverständigen Dr. L. überein, welche bei dem Betroffenen eine schleichend verlaufende chronische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis festgestellt habe. Auch der Sachverständige Dr. P. habe insoweit übereinstimmend beim Betroffenen eine expansive chronifizierte Wahnentwicklung beobachtet, deren Rückbildung ohne Behandlung sehr unwahrscheinlich sei. Da die Krankheit derzeit nicht behandelt werde, sei die Prognose für den Betroffenen ungünstig und eine Überprüfung der Betreuung in den bestehenden Aufgabenkreisen erst in fünf Jahren sinnvoll.

Die Erkrankung habe auch zur Folge, dass der Betroffene für die Vermögenssorge sowie den Umgang mit Behörden und Behördenentscheidungen als nicht mehr geschäftsfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB zu erachten sei; andere Hilfsmöglichkeiten als die Anordnung der Betreuung mit den beschriebenen Aufgabenkreisen seien nicht gegeben.

Auch die bestehenden Einwilligungsvorbehalte seien erforderlich, weil die dringende Gefahr bestehe, dass der Betroffene durch das Betreiben verschiedener - vor allem gerichtlicher - Verfahren sein noch vorhandenes Vermögen verliere.

Gegen die Person des eingesetzten Betreuers bestünden keine Bedenken. Zwar habe dieser seit September 2002 keinen persönlichen Kontakt mit dem Betroffenen, halte aber die Betreuung im Hintergrund für erforderlich, da es sonst erneut finanzielle Probleme sowie Schwierigkeiten mit Behörden geben würde. Maßgebend sei, dass die dem Betreuer übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß erledigt würden, wie die Stabilisierung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen belege.

Das Landgericht habe von einer mündlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren abgesehen, da insoweit keine neuen und erheblichen Erkenntnisse zu erwarten seien. Das Gericht habe schriftlich beim Betroffenen angefragt, ob er sich persönlich in einer richterlichen Anhörung äußern wolle. Ansonsten würde angenommen, dass er wie schon am 29.7.2004 vor dem Vormundschaftsgericht eine mündliche Anhörung ablehnen würde. Der Betroffene habe sich dazu nicht geäußert. Dieses "trotzige Schweigen" entspreche seinem Verhalten gegenüber dem Sachverständigen Dr. S. und dem Erstrichter.

Auch die Verfahrenspflegerin habe sich schriftlich für die Zurückweisung der Beschwerde ausgesprochen.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Unter den hier vorliegenden Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht ohne eine persönliche Anhörung des Betroffenen entschieden hat.

Zwar hat das Gericht vor der Bestellung eines Betreuers den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen, § 68 Abs. 1 Satz 1 FGG. Diese Vorschrift gilt auch für das Beschwerdeverfahren (§ 69g Abs. 5 Satz 1 FGG). Das Beschwerdegericht kann von solchen Verfahrenshandlungen absehen, wenn sie bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden sind und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 69g Abs. 5 Satz 3 FGG). In diesem Fall hat das Beschwerdegericht die maßgebenden Gründe darzulegen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Anhörung keinerlei verwertbare Erkenntnisse für die Entscheidung hätte erbringen können (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 1555; OLG Hamm FamRZ 2000, 494; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 69g FGG Rn. 41). Hatten sich zwischen der erstinstanzlichen Entscheidung und der Beschwerdeentscheidung die Verhältnisse geändert oder sind wesentliche neue Tatsachen vorgetragen oder zu erörtern, die für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Betreuung erheblich sind, ist aber in jedem Fall eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen (BayObLG BtPrax 2004, 197).

Im vorliegenden Fall hat der erstinstanzliche Richter am 29.7.2004 den Versuch einer persönlichen Anhörung des Betroffenen in Gegenwart des Sachverständigen Dr. S. sowie eines Vertreters der Betreuungsstelle unternommen. Im Protokoll ist hierzu festgehalten, dass der Betroffene "weder durch Gestik, Mimik oder ein Gespräch" bereit sei, zur Frage der Verlängerung der Betreuung Stellung zu nehmen oder sich einem Explorationsgespräch zu unterziehen. Er schweige über eine Stunde beständig. Sowohl von Seiten der Betreuungsstelle als auch des Richters seien Alternativen zu einer Betreuung wie Vollmacht oder Einschränkung des Aufgabenkreises ins Gespräch gebracht worden. Der Betroffene habe jedoch auf alles mit Schweigen reagiert.

Eine gerichtliche Anhörung ist kein Selbstzweck, sondern eine zielgerichtete Verfahrenshandlung, die auch richterliche Arbeitskraft bindet. Gibt der Betroffene in erster Instanz durch beharrliches Schweigen zu erkennen, dass er hieran nicht mitwirken will - wodurch er sich selbst eine Gelegenheit des rechtlichen Gehörs und dem Gericht eine Möglichkeit der Sachaufklärung nimmt, ist es vertretbar, wenn das Beschwerdegericht unter Bezugnahme hierauf zunächst anfragt, ob der Betroffene bereit sei, sich in einer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht zu äußern. Reagiert der Betroffene hierauf nicht, ist die Schlussfolgerung nicht zu beanstanden, dass er sich auch auf eine Ladung hin ebenso wie bei der erstinstanzlichen Anhörung verhalten werde und deshalb von einem solchen Termin keine verfahrensfördernden Erkenntnisse zu erwarten seien. Hat das Landgericht dem Betroffenen darüber hinaus einen Verfahrenspfleger für das Beschwerdeverfahren bestellt, kann das Absehen vom Versuch einer persönlichen Anhörung auch unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht gerügt werden.

b) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Betroffenen gegen seinen Willen, setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann, d.h. nicht der Lage ist, ihn unbeeinflusst von der Krankheit oder Behinderung zu bilden und nach zutreffend gewonnener Einsicht zu handeln (vgl. BGH NJW 1996, 918/919; BayObLG FamRZ 2000, 189; 2002, 703; BtPrax 2004, 239).

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die medizinischen Voraussetzungen der Betreuungsbedürftigkeit nach § 1896 Abs.1 Satz 1 BGB festgestellt. Es konnte sich hierfür auf die Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen Dr. S. stützen. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass dieses Gutachten - abgesehen von der einstündigen Beobachtung des Betroffenen während der "Anhörung" am 29.7.2004 - ausschließlich auf der Grundlage fremdanamnestischer Erkenntnisse erstattet wurde, da der Betroffene selbst weder mündlich noch schriftlich irgendwelche Angaben gegenüber dem Sachverständigen gemacht hat. Jedoch waren sowohl die Vorgutachten als auch die Auswertung des Akteninhalts und das Gespräch mit dem Betreuer eine ausreichende Erkenntnisquelle für den Sachverständigen, der überzeugend und in sich schlüssig eine wahnhafte Störung (ICD-10: F22.0) im Sinne eines Querulantenwahns diagnostiziert hat, bei der die Symptomatik über eine paranoide (querulatorische) Persönlichkeitsstörung hinausgehe.

Die Angriffe des Betroffenen gegen die Verwertung dieses Gutachtens gehen fehl. Weder war die Untersuchung "rechtswidrig angeordnet" noch ist das Gutachten "schuldhaft rechtswidrig verwertet" worden bzw. "unvollständig und nicht nachvollziehbar". Wenn der Betroffene sich weigert, gegenüber dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen Angaben zu machen und auch nicht zu einem ihm angebotenen späteren Untersuchungstermin erscheint, kann er später nicht mit Erfolg rügen, dass das daraufhin erstattete Gutachten vom Landgericht verwertet wurde

Angesichts des Verhaltens des Betroffenen erschien es auch nicht geboten, in der Beschwerdeinstanz ein weiteres Gutachten einzuholen (vgl. § 69g Abs. 5 Satz 3 FGG).

Die Würdigung des Sachverständigengutachtens ist Sache des Tatrichters und vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüft war, also darauf, ob er bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen gesetzliche Beweisregeln oder Denkgesetze oder feststehende Erfahrungssätze verstößt, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (vgl. BayObLGZ 1993, 18/19 m.w.N; BayObLG-Report 2002, 265 und RuP 2004, 33). Solche Rechtsfehler lässt die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht erkennen.

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Feststellung der Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen in den genannten Aufgabenkreisen. Das gilt auch für die Anordnung der Einwilligungsvorbehalte bezüglich der Vermögenssorge sowie der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern. Das Gericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. S. ausgeführt, dass der Betroffene in diesen Bereichen aufgrund seiner querulatorischen Persönlichkeitsstörung geschäftsunfähig sei und vor allem die Gefahr einer erheblichen Vermögensschädigung durch unbegründete gerichtliche Verfahren bestehe. Auch diese tatrichterliche Würdigung kann im Verfahren der weiteren Beschwerde nur in dem vorgenannten Rahmen auf Rechtsfehler hin überprüft werden. Solche sind hier weder ersichtlich noch von dem Betroffenen dargetan. Vielmehr sind der Inhalt und die Diktion der von ihm zur Niederschrift des Rechtspflegers eingelegten weiteren Beschwerde mit der Schilderung zahlreicher Vorfälle seit 1994 und massiven Vorwürfen gegen angeblich beteiligte Ärzte bzw. Beamte sowie gegen den bestellten Betreuer eher geeignet, die vom Landgericht zu Grunde gelegten Annahmen zu bestätigen.

Das Rechtsmittel des Betroffenen ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück