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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 20.07.2005
Aktenzeichen: 33 Wx 75/05
Rechtsgebiete: GG 103, FGG
Vorschriften:
GG 103 Art. 1 | |
FGG § 20 | |
FGG § 34 |
2. Interessen des Betreuers an der Geheimhaltung des Akteninhalts überwiegen nicht das verfassungsrechtlich gewährleistete Informationsinteresse des Verfahrensbeteiligten, wenn die Akteneinsicht diesem auch die Beurteilung der Geeignetheit des Betreuers ermöglichen kann und im Übrigen nicht offensichtlich rechtsmissbräuchlich verlangt wird.
Tatbestand:
Das Vormundschaftsgericht bestellte am 4.12.2002 für die Betroffene einen ihrer Söhne, den Beteiligten zu 1, als Betreuer mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Aufgabenkreis, Organisation der ambulanten Versorgung. Für die Konten der Betroffenen besaß der Beteiligte zu 1 Vollmachten. Mit Anwaltsschreiben vom 21.4.2004 "beantragte" der Beteiligte zu 2, ein weiterer Sohn der Betroffenen, die Entlassung seines Bruders wegen Interessenkollisionen im Vermögensbereich und seine eigene Bestellung als Betreuer. Das Vormundschaftsgericht bestellte mit Beschluss vom 2.8.2004 eine Rechtsanwältin als berufsmäßige weitere Betreuerin mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Bevollmächtigten (einschließlich Widerruf der Vollmacht). Der Beteiligte zu 2 beantragte mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 25.11.2004 Übersendung von Ablichtungen eines etwa vorhandenen Vermögensverzeichnisses und Schlussberichts zur Rechnungslegung sowie mit Anwaltsschreiben vom 18.12.2004 umfassende Akteneinsicht. Dieses Gesuch lehnte das Vormundschaftsgericht mit Beschluss vom 21.12.2004 ab. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 2 hob das Landgericht am 22.3.2005 nach Anhörung des Beteiligten zu 1, der weiteren Betreuerin und der für die Betroffene für das Beschwerdeverfahren bestellten Verfahrenspflegerin den vormundschaftsgerichtlichen Beschluss auf und verfügte, dem Beteiligten zu 2 Akteneinsicht zu gewähren. Mit seiner hiergegen im eigenen Namen eingelegten weiteren Beschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1 das Ziel, den vormundschaftsgerichtlichen Beschluss wieder herzustellen. Sie erwies sich als zulässig, aber unbegründet.
Gründe:
1. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist statthaft und entspricht der gesetzlichen Form, § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 FGG. Der Beteiligte zu 1 ist beschwerdeberechtigt. Er hat die weitere Beschwerde nicht als Betreuer und Vertreter der Betroffenen (§ 1901 BGB), sondern im eigenen Namen eingelegt.
a) Es kann dahinstehen, ob sich aus § 69g Abs. 2 Satz 1 FGG ein eigenes Beschwerderecht des Betreuers ableiten lässt, ohne dass es auf die Voraussetzungen des § 20 FGG ankäme (vgl. Keidel/Kayser FGG 15.Aufl. § 69g Rn.20). Durch die gerichtliche Entscheidung ist der Aufgabenkreis des Beteiligten zu 1 nicht berührt.
b) Dem Beteiligten zu 1 steht jedoch im vorliegenden Fall ein Beschwerderecht nach § 20 Abs. 1 FGG zu. In der Regel ist der Betreuer im Verfahren der Akteneinsichtsgewährung nicht beschwerdeberechtigt, da die Betreuungsakten normalerweise nur wenige Informationen über Person und Privatleben des Betreuers enthalten. Hier liegt jedoch kein derartiger Sachverhalt vor. Vielmehr enthält die Betreuungsakte eine Fülle von Informationen über die private und die Einkommens- und Vermögenssituation des Beteiligten zu 1, so dass auch sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Gewährung von Akteneinsicht berührt wird.
2. Das Rechtsmittel des Beteiligten zu 1 hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:
Der Beteiligte zu 2 gehöre zum Kreis der gemäß § 69a Satz 3, § 69g Abs. 1 FGG privilegierten Verfahrensbeteiligten, die im Interesse der Betroffenen Rechtsmittel einlegen könnten. Als Verfahrensbeteiligter habe er gemäß Art. 103 Abs. 1 GG Anspruch auf rechtliches Gehör und brauche ein berechtigtes Interesse an Akteneinsicht nicht glaubhaft zu machen. Allerdings sei das Interesse der Betroffenen am Schutz ihrer personenbezogenen Daten im Rahmen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art.1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) mit dem Akteneinsichtsinteresse des Beteiligten zu 2 abzuwägen. Das Grundrecht der Betroffenen stehe der Akteneinsichtsbefugnis des Beteiligten zu 2 hier jedoch nicht entgegen, da jedenfalls der natürliche Wille der Betroffenen nicht gegen eine Gewährung der Aktensicht gerichtet sei und sich darüber hinaus aus den Akten keine Anhaltspunkte für besonders schutzwürdige Daten der Betroffenen ergäben, die dem Beteiligten zu 2 nicht ohnehin bereits bekannt seien. Die Interessen des Beteiligten zu 1 als Betreuer könnten im Rahmen der Gesamtabwägung regelmäßig nicht zu einer Versagung der Aktenkenntnis durch den Beteiligten zu 2 führen, zumal gerade auch die Frage der Geeignetheit des Beteiligten zu 1 als Betreuer Gegenstand des anhängigen Betreuungsverfahrens sei.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).
a) Zu Recht hat das Landgericht die Prüfung des berechtigten Interesses des Beteiligten zu 2 an der Akteneinsicht nicht lediglich auf § 34 Abs. 1 FGG, sondern auf den Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör nach Art.103 Abs. 1 GG gestützt (vgl. Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG Art.103 Rn.74). Dieser Anspruch gewährleistet jedem an einem Verfahren Beteiligten ein Recht auf Information über den Verfahrensstoff und den Akteninhalt (Keidel/Kahl § 34 Rn.1 m.w.N.). Der Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses bedarf es nicht (BayObLG FamRZ 2005, 232; OLG Düsseldorf BtPrax 1996, 198). Als Sohn der Betroffenen gehört der Beteiligte zu 1 zu dem gem. § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG privilegierten Personenkreis, dem auch ohne Beeinträchtigung eigener Rechte (§ 20 FGG) ein Beschwerderecht zusteht, wobei dieses sich auch nur gegen die Auswahl des Betreuers, nicht gegen die Betreuung insgesamt richten kann (vgl. Keidel/Kayser aaO Rn.13; BayObLGZ 1995, 220; BGH NJW 1996, 1825). Das Recht auf rechtliches Gehör steht dem Beteiligten zu 2 bereits vor Beschwerdeeinlegung zu, da die sinnvolle Ausübung der Beschwerdebefugnis Informationen über den Verfahrensstand voraussetzt (vgl. BayObLG Beschluss vom 19.1.2005, Az. 3Z BR 220/04).
Auch das grundrechtsgleiche Recht des Art.103 Abs. 1 GG besteht nicht schrankenlos (vgl. Jarass/Pieroth GG 7.Aufl. Art.103 Rn.4). Das Landgericht hat das Interesse des Beteiligten zu 2 auf Akteneinsicht abgewogen gegen das Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung, das als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Art.1 Abs. 1, Art.2 Abs. 1 GG geschützt ist, sowie gegen das auf das gleiche Recht gestützte Geheimhaltungsinteresse des Beteiligten zu 1 und ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass das Akteneinsichtsinteresse des Beteiligten zu 2 überwiegt.
Die Ermessensentscheidung des Gerichts der Tatsacheninstanz ist im Verfahren der weiteren Beschwerde nur beschränkt nachprüfbar, insbesondere darauf hin, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden, das Tatsachengericht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und von zutreffenden und verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen ausgegangen ist (vgl. BayObLG FGPrax 1997, 32; Beschluss vom 19.1.2005; Keidel/Meyer-Holz aaO § 27 Rn.23).
Soweit dem Senat danach eine Prüfung möglich ist, sind Rechtsfehler nicht zu erkennen. Das Landgericht hat die natürliche Fähigkeit der Betroffenen, über die Einsicht in die sie betreffenden Unterlagen durch den Beteiligten zu 2 zu entscheiden, rechtsfehlerfrei angenommen und im Übrigen zutreffend festgestellt, dass der Betreuungsakte keine Anhaltspunkte für besonders schutzbedürftige Daten der Betroffenen zu entnehmen seien, die dem Beteiligten zu 2 nicht ohnehin bekannt wären. Das Beschwerdegericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass Interessen des Beteiligten zu 1 hier ebenfalls nicht zur Versagung der Akteneinsicht führen können. Es hat das Geheimhaltungsinteresse des Beteiligten zu 1 zutreffend in die Gesamtabwägung einbezogen, wobei auch gegen den grundsätzlichen Ausgangspunkt, dass im Regelfall Betreuerinteressen der Akteneinsicht nicht entgegenstünden, nichts zu erinnern ist. Dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe ist zu entnehmen, dass sich das Landgericht bei der Abwägung nicht allein von diesem Grundsatz hat leiten lassen, sondern die Besonderheiten des hier vorliegenden Falles gewürdigt hat. Wenn es im Hinblick darauf, dass es um die Überprüfung der Geeignetheit des Beteiligten zu 1 geht, dem Akteneinsichtsinteresse des Beteiligten zu 2 bei der Gesamtabwägung den Vorzug gegeben hat, ist darin ein Rechtsfehler nicht zu erkennen. Für das verfassungsrechtlich geschützte Akteneinsichtsinteresse eines Verfahrensbeteiligten ist es unschädlich, wenn er neben den Zwecken des Betreuungsverfahrens mit der Akteneinsicht noch andere, seine eigene erb- und schadensersatzrechtliche Position betreffende, Interessen verfolgt. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Schwelle einer schikanösen oder unlauteren und damit rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme des Akteneinsichtsinteresses überschritten ist (vgl. BayObLG FamRZ 2005, 237/238; Beschluss vom 19.1.2005) bestehen auch unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Beteiligten zu 1 nicht. Dies gilt umso mehr, als dessen finanzielle Schwierigkeiten und die Interessenkollision in Geldangelegenheiten zwischen dem Beteiligten zu 1 und der Betroffenen dem Beteiligten zu 2 nicht unbekannt sind.
Ende der Entscheidung
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