Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 10.01.2007
Aktenzeichen: 34 SchH 7/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 1037 Abs. 3
ZPO § 1062 Abs. 1 Nr. 1
Zur Ablehnung eines Schiedsrichters wegen Besorgnis des Befangenheit, weil dieser mit der Erstattung einer Strafanzeige gegen die Verfahrensbevollmächtigte der Partei droht.
Gründe:

I.

Die Parteien führen im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis ein schiedsgerichtliches Verfahren. Vorsitzender des aus drei Personen bestehenden Schiedsgerichts ist ein pensionierter Richter, der in seiner aktiven Berufszeit auch Vorsitzender einer Strafkammer war. In dem schiedsgerichtlichen Verfahren wurde am 15.3.2006 mündlich verhandelt und Beweis darüber erhoben, ob der Schiedsbeklagte den Schiedskläger und dessen Ehefrau tätlich angegriffen hat. Am 15.3.2006 erging ein Teilschiedsspruch zu Lasten des Schiedsbeklagten, dessen Aufhebung der Schiedsbeklagte u.a. wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs begehrte (34 Sch 16/06). Die Verfahrensbevollmächtigte des Schiedsbeklagten gab mit Schriftsatz vom 29.6.2006 gegenüber dem zur Entscheidung über die Aufhebung des Teilschiedsspruchs berufenen Senat eine Versicherung an Eides Statt mit (auszugsweise) folgendem Wortlaut ab:

"Ich habe daher gefragt, ob das Gericht den Schiedsbeklagten nicht zunächst persönlich anhören wolle, um sich ein Bild von seiner Sicht und auch von seiner Person zu machen. (...) Der Vorsitzende verneinte und winkte in etwa mit den - natürlich ironisch gemeinten - Worten, auch bei seinen Mördern seien nette Menschen gewesen, ab."

Diese Versicherung an Eides statt wurde dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts bekannt. Mit Schreiben vom 22.7.2006 wandte er sich an die Verfahrensbevollmächtigte des Schiedsbeklagten und erklärte, die von ihr in der eidesstattlichen Versicherung gemachten Angaben seien unwahr. Er werde die Akten spätestens nach Abschluss des Schiedsgerichtsverfahrens der Staatsanwaltschaft vorlegen, falls es der Verfahrensbevollmächtigten nicht gelingen sollte, diese unerfreuliche Angelegenheit auf anständige Weise, verbunden mit einer Entschuldigung, aus der Welt zu schaffen. Im Übrigen rege er an, die vom Schiedskläger aufgeworfene Frage, ob sie, die Verfahrensbevollmächtigte, wegen vorangegangener Vertretung beider Parteien in einer Rechtssache nicht von der Mandatsausübung ausgeschlossen sei, dem Oberlandesgericht zur Prüfung eines möglichen Parteiverrats vorzulegen.

Aufgrund dieses Schreibens an seine Verfahrensbevollmächtigte hat der Schiedsbeklagte den Vorsitzenden des Schiedsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit mit Schriftsatz vom 4.8.2006 an das Schiedsgericht abgelehnt. Das Schreiben des Richters könne nur als massiver Einschüchterungsversuch verstanden werden. Mit Beschluss vom 9.8.2006 hat das Schiedsgericht den Antrag zurückgewiesen. Mit am 7.9.2006 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Schiedsbeklagte beantragt, die von ihm erklärte Ablehnung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts für begründet zu erklären. Dem widersetzt sich der Antragsgegner.

Am 9.8.2006 hat das Schiedsgericht einen weiteren Teilschiedsspruch erlassen. Das Schiedsverfahren dauert an.

Der Senat hat dem betroffenen Schiedsrichter Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Dieser hat angegeben, die ihm von der Verfahrensbevollmächtigten unterstellten Äußerungen in der Verhandlung vom 15.3.2006 nicht gemacht zu haben. Die Vorfälle sind nach wie vor streitig.

II.

1. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts München ergibt sich aus § 1037 Abs. 3, § 1062 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 ZPO i.V.m. § 8 der gerichtlichen Zuständigkeitsverordnung Justiz (GZVJu vom 16.11.2004, GVBl. S. 471).

2. Der Antrag gemäß § 1037 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist zulässig.

a) Die Parteien haben das Ablehnungsverfahren für Schiedsrichter nicht selbständig geregelt. Infolge dessen finden mangels abweichender Individualvereinbarungen die gesetzlichen Vorschriften über das Ablehnungsverfahren Anwendung (vgl. Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 64. Aufl. § 1037 Rn. 2, 3).

b) Die notwendige Vorabentscheidung des Schiedsgerichts über das Ablehnungsgesuch gemäß § 1037 Abs. 2 Satz 2 ZPO liegt mit der Entscheidung des Schiedsgerichts vom 9.8.2006 vor. Zu Recht hat auch der abgelehnte Schiedsrichter an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitgewirkt (vgl. Senat vom 5.7.2006, 34 SchH 005/06; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 27. Aufl. § 1037 Rn. 4).

c) Die Frist für die Entscheidung durch das staatliche Gericht (§ 1037 Abs. 3 ZPO) wurde gewahrt.

3. Das Ablehnungsgesuch ist jedoch nicht begründet.

a) Der Prüfungsmaßstab für die Befangenheit eines Schiedsrichters richtet sich grundsätzlich nach denselben Kriterien, die für die Ablehnung eines staatlichen Richters wegen Besorgnis der Befangenheit gelten (vgl. Mankowski SchiedsVZ 2004, 304/307; Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 7. Aufl. Kap. 14 Rn. 5). Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 1037 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 42 Abs. 2 ZPO abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Ausübung des Richteramtes zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden scheiden daher aus (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl. § 42 Rn. 9).

b) Bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise sind die erhobenen Vorwürfe nicht geeignet, bei dem Ablehnenden die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

(1) Die Aufforderung an die Verfahrensbevollmächtigte des Schiedsbeklagten, sich zur Vermeidung eines Parteiverrats beim Oberlandesgericht kundig zu machen, kann nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. Denn ein solcher Hinweis auf einen möglichen Parteiverrat schützt gerade die betroffene Partei. Auch hat der Richter offen ausgesprochen, dass ihm die genauen Umstände des Vorprozesses nicht bekannt sind, insoweit ein möglicher Parteiverrat von ihm nicht beurteilt werden kann. Ob die Anregung selbst zielführend ist, bedarf keiner Vertiefung.

Soweit in den Formulierungen des Schreibens persönliche Spannungen des abgelehnten Richters zu der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zum Ausdruck kommen, kann dies den Ablehnungsantrag nicht begründen. Der Verfahrensbevollmächtigte hat aus eigener Person kein Ablehnungsrecht (BayObLG NJW 1975, 699). Die Besorgnis der Befangenheit kann sich zwar im Einzelfall auch auf das Bestehen starker Spannungen zwischen dem Richter und dem Verfahrensbevollmächtigten der Partei gründen. Dies gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass die ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten auch dem von diesem vertretenen Verfahrensbeteiligten gegenüber irgendwie in Erscheinung getreten ist; denn im Regelfall wird nur das Verhalten des Richters im konkreten Verfahren erkennen lassen, ob er nicht in der Lage ist, sein Verhältnis zu dem Verfahrensbevollmächtigten hinreichend vom Verfahren selbst zu trennen (BayObLG aaO.; OLG Köln NJW-RR 1988, 694; Borg in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 42 Rn. 7). Hier liegen Anhaltspunkte dafür, dass diese Spannungen sich auf die Unparteilichkeit des Richters auswirken, nicht vor. Insbesondere erging die betreffende Aufforderung in einem persönlichen Brief an die Parteivertreterin und damit nicht im Verfahren selbst. Der Brief wurde zwar zur Kenntnis an andere Verfahrensbeteiligte, nicht aber an die vertretene Partei versandt. Die Kenntnis möglicher persönlicher Spannungen zwischen dem Richter und seiner Verfahrensbevollmächtigten beruht damit nicht darauf, dass der Richter dies in das Verfahren eingebracht hat, sondern auf der eigenen Entscheidung der Verfahrensbevollmächtigten.

(2) Die Äußerung des Richters, die eidesstattliche Versicherung der Parteivertreterin sei falsch und er gedenke, die Akten der Staatsanwaltschaft vorzulegen, rechtfertigt ebenfalls nicht die Besorgnis einer Befangenheit des Richters gegenüber dem Schiedsbeklagten.

Der strafrechtliche Vorwurf richtet sich gegen die Verfahrensbevollmächtigte, nicht gegen den Antragsteller selbst. Auch hier gilt wiederum, dass der Parteivertreter selbst kein Ablehnungsrecht hat (s.o.). Die Auseinandersetzung wurde nicht vom Richter in das Schiedsverfahren hineingetragen, sondern erfolgte in dem persönlichen Brief an die Verfahrensbevollmächtigte mit der Möglichkeit der Stellungnahme und der Entschuldigung. Diese Vorgehensweise des Richters zeigt seine Trennung dieses Vorgangs vom Schiedsverfahren und ist deswegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit beim Antragsteller zu begründen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt hier allerdings deswegen in Betracht, weil sich der strafrechtliche Vorwurf durch den Vorsitzenden auf Vorfälle im unmittelbaren Zusammenhang mit der Sitzung vom 15.3.2006 bezog.

Einer Aufklärung durch den Senat, wessen Sachverhaltsschilderung der Ereignisse vom 15.3.2006 den Tatsachen entspricht, bedurfte es dennoch nicht. Denn von einer vorsätzlich falschen Sachverhaltsdarstellung durch den Vorsitzenden geht auch der Schiedsbeklagte nicht aus, sondern hält im Schriftsatz vom 4.9.2006, S. 10, eine "divergierende Erinnerung" für möglich. Seine Besorgnis der Befangenheit gründet damit nicht auf der Annahme, der Richter wolle gegenüber der Staatsanwaltschaft bewusst unwahre Angaben machen, um ein Strafverfahren gegen seine Verfahrensbevollmächtigte in Gang zu bringen. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Partei zu Recht die Besorgnis der Befangenheit hegt, kann dahinstehen, ob der Richter die Ereignisse so geschildert hat, wie sie tatsächlich waren oder aber so, wie er sie (objektiv falsch) wahrgenommen hat. In jedem Fall liegt eine aus subjektiver Sicht des Richters richtige Schilderung der Ereignisse vor, in der eine Parteilichkeit nicht zum Ausdruck kommt. Der betroffene Schiedsrichter musste die Schilderung der Vorgänge durch die Verfahrensbevollmächtigte unter diesen Umständen als zu Unrecht erhobenen Vorwurf fehlerhaften richterlichen Verhaltens hinsichtlich der Verfahrensführung und der angemessenen Wortwahl empfinden. Dagegen darf sich ein betroffener Richter mit den gebotenen Mitteln zur Wehr setzen. Es besteht keine Verpflichtung eines Richters, aufgrund eines laufenden Verfahrens Angriffe einer Partei ohne Gegenwehr hinnehmen zu müssen. Seine Reaktion muss jedoch hinreichend sachlich und angemessen sein und sich auf gesetzlich vorgesehene Abwehrmittel beschränken (vgl. Münchner Kommentar/Feiber ZPO 2. Aufl. § 42 Rn. 18). Dies ist hier der Fall, da der betroffene Richter die Bekanntgabe an die Staatsanwaltschaft in einem persönlichen Brief an die Verfahrensbevollmächtigte angekündigt und ihr die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt hat. Eine richterliche Äußerung gegenüber der Partei selbst erfolgte zu keinem Zeitpunkt.

Der Brief des Richters an die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers kann auch nicht deswegen die Besorgnis der Befangenheit begründen, weil der Antragsteller ihn als "massiven Einschüchterungsversuch bei der Wahrnehmung seiner Rechte" verstehen muss. Er selbst wurde ohnehin nicht angeschrieben, infolgedessen auch nicht "eingeschüchtert". Der Richter drohte auch nicht mit persönlichen Konsequenzen für das Verfahren, sondern nahm gesetzlich vorgesehene Abwehrmittel für ein (auch) gegen ihn gerichtetes Verhalten wahr. Da aber jedenfalls aus Sicht des betroffenen Richters eine falsche Versicherung an Eides statt abgegeben und damit eine Straftat (§ 156 StPO) begangen wurde, darf der Richter auch auf deren Verfolgung hinwirken.

III.

Der Antragsteller hat als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Verfahren ist gemäß § 3 ZPO, §§ 48, 63 GKG nach freiem Ermessen des Gerichts zu bestimmen. In Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung hält der Senat es nicht mehr für angemessen, Nebenverfahren in schiedsrichterlichen Angelegenheiten mit dem vollen Wert der Hauptsache anzusetzen (vgl. ausführlich Beschluss vom 10.1.2007, 34 SchH 8/06). Vielmehr wird im Regelfall bei Bestellung und Ablehnung von Schiedsrichtern ebenso wie bei vergleichbaren Entscheidungen über die Beendigung des Schiedsrichteramtes ein Bruchteil des Hauptsachestreitwertes, nämlich rund ein Drittel, angemessen sein. Der Streitwert der Hauptsache liegt, nachdem über einen Teilanspruch bereits entschieden wurde, bei noch rund 1.000.000 EUR. Der Streitwert für den gestellten Antrag auf Schiedsrichterablehnung ist damit auf 333.000 EUR festzusetzen.

Ende der Entscheidung

Zurück