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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: 34 Wx 123/06
Rechtsgebiete: FreihEntzG, AufenthG


Vorschriften:

FreihEntzG § 16
AufenthG § 62 Abs. 2
1. Erstattungsschuldner außergerichtlicher Auslagen eines Betroffenen in einem Abschiebungshaftverfahren ist nicht die Staatskasse (Justizfiskus), sondern der Landkreis oder die kreisfreie Stadt, bei dem (der) die antragstellende Behörde besteht (im Anschluss an BayObLGZ 1980, 288).

2. Eine Verpflichtung des Trägers der Ausländerbehörde, die außergerichtlichen Kosten eines Betroffenen zu tragen, besteht auch dann, wenn sich die Hauptsache im Laufe des Verfahrens erledigt hat und das Verfahren ergeben hat, dass kein begründeter Anlass für die Antragstellung bestand.


Gründe:

I.

Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines türkischen Staatsangehörigen. Dieser reiste am 24.8.2006 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein, ohne im Besitz eines gültigen Reisepasses oder Visums zu sein. Er besaß lediglich einen türkischen Personalausweis, aus dem sich ergab, dass er zum Zeitpunkt seiner Festnahme 16 Jahre alt war. Die Ausländerbehörde beantragte am 25.8.2006 beim zuständigen Amtsgericht, den Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von zwei Wochen in Haft zu nehmen, da er illegal eingereist sei und der Verdacht bestehe, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle. Mit Beschluss vom 25.8.2006 ordnete das Amtsgericht mit sofortiger Wirksamkeit Abschiebungshaft gegen den Betroffenen bis längstens 7.9.2006 an.

Auf Antrag der Ausländerbehörde hat das Amtsgericht mit Folgebeschluss vom 31.8.2006 die Abschiebungshaft antragsgemäß vom 8.9.2006 bis längstens 5.10.2006 verlängert. Anlass für den Verlängerungsantrag war, dass die Vorführung des Betroffenen bei seiner konsularischen Vertretung notwendig wurde. Im Rahmen der Vorführung am 12.9.2006 ergab sich, dass die in der Türkei lebende Mutter des Betroffenen die erforderliche Unterschrift für die Ausstellung eines Heimreisescheins verweigerte. Das türkische Generalkonsulat erklärte daraufhin, dass der Heimreiseschein erst beantragt werden könne, wenn der Betroffene das 18. Lebensjahr vollendet habe. Da die Abschiebung des Betroffenen somit vor dem 10.10.2007 nicht weiter betrieben werden kann, wurde der Betroffene am 13.9.2006 aus der Sicherungshaft entlassen.

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 31.8.2006 hat der Betroffene am 7.9.2006 sofortige Beschwerde eingelegt. Nach seiner Entlassung hat der Betroffene beantragt, festzustellen, dass der Beschluss vom 31.8.2006 rechtswidrig war und die Ausländerbehörde seine notwendigen Auslagen zu tragen hat. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27.9.2006 festgestellt, dass die verhängte Abschiebungshaft rechtswidrig war und die notwendigen Auslagen des Betroffenen dem "Landratsamt R. als Antragsteller" auferlegt. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Ausländerbehörde.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Ausländerbehörde ist zulässig entsprechend § 7 Abs. 2, 2. Halbsatz FreihEntzG, § 29 Abs. 4 FGG i.V.m. § 20 Abs. 1 FGG. Die Ausländerbehörde ist auch nach Erledigung der Hauptsache durch die Entscheidung des Landgerichts beschwert, weil dadurch die Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung festgestellt wird. Die Entscheidung bindet nämlich hinsichtlich möglicher anschließender Rechtsstreitigkeiten betreffend Schadenersatz und Schmerzensgeld (vgl. BGH NVwZ 2006, 963).

2. Das Landgericht hat ausgeführt:

Zwar sei der Betroffene ohne Reisepass und gültiges Visum unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist und deshalb vollziehbar ausreisepflichtig. Auch habe seine Ausreise der Überwachung bedurft. Der Betroffene sei auch nur zufällig an der Autobahn aufgegriffen worden, woraus sich der Verdacht ableite, er werde sich einer Abschiebung entziehen. Die Haftgründe gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG lägen daher vor. Gleichwohl habe kein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags auf Anordnung der Abschiebungshaft vorgelegen, da die Ausländerbehörde den Sachverhalt in Bezug auf die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht hinreichend aufgeklärt habe. Zwar schließe die Minderjährigkeit eines Ausländers nicht generell die Anordnung von Sicherungshaft aus, es seien jedoch erhöhte Anforderungen an die Beachtung des Beschleunigungsgebots und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu stellen. Minderjährige seien besonders schutzwürdig; sie würden durch den Vollzug der Haftanordnung typischerweise erheblich betroffen und könnten dadurch dauerhaft psychische Schäden davontragen. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs erfordere es deshalb regelmäßig, dass die Ausländerbehörde prüfe, ob mildere Mittel als Haft zur Sicherung der zwangsweisen Ausreise in Betracht kämen, z.B. die Unterbringung in einer Jugendeinrichtung oder bei Angehörigen. So habe der Betroffene im Rahmen der Anhörung auch angegeben, Verwandte in Köln und Duisburg zu haben. Falls die Ausländerbehörde solche Möglichkeiten nicht sehe, habe sie dies im Einzelnen im Rahmen der Antragstellung auszuführen. Darlegungen dazu, dass mildere Mittel als Haft zur Sicherung der zwangsweisen Ausreise nicht in Betracht kämen, fehlten; es sei daher davon auszugehen, dass die Ausländerbehörde die erforderliche Prüfung in dieser Richtung unterlassen habe und die Haftvoraussetzungen nicht vorlägen. Nach alledem sei die vom Beschwerdeführer begehrte Feststellung zu treffen gewesen, wonach die Haftanordnung rechtswidrig sei. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens beruhe auf § 106 Abs. 2 AufenthG, § 16 FreihEntzG.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Überprüfung stand.

a) Gegenstand der sofortigen Beschwerde des Betroffenen vom 7.9.2006 in der Fassung des Antrags vom 18.9.2006 ist der Beschluss des Amtsgerichts vom 31.8.2006. Hingegen wurde der Beschluss vom 25.8.2006, auf dessen Grundlage die Haft bis einschließlich 7.9.2006 vollzogen wurde, nicht angegriffen.

Das notwendige Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaftanordnung vom 31.8.2006 liegt auch nach seiner Haftentlassung jedenfalls deshalb vor, weil der angefochtene Beschluss in der Zeit vom 8.9.2006 bis 13.9.2006 vollzogen wurde.

b) Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Verhängung (bzw. Verlängerung) von Abschiebungshaft gegen Minderjährige nicht vorlagen. Die Anordnung von Abschiebungshaft darf als "ultima ratio" nur dann erfolgen, wenn mildere Mittel zur Sicherung der Abschiebung nicht in Betracht kommen (vgl. OLG Köln, FamRZ 2003, 1475; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.1.2006, Az. 20 W 565/05, OLG München, OLGR 2005, 393/394; OLG Zweibrücken FGPrax 2006,188). Im amtsgerichtlichen Beschluss sind dazu keine Ausführungen enthalten. Darlegungen fehlen auch in den Anträgen der Ausländerbehörde, und zwar sowohl in dem Verlängerungsantrag vom 30.8.2006 als auch schon im Erstantrag vom 25.8.2006. Auf die Ausführungen des Landgerichts, was im Einzelnen anzugeben gewesen wäre, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Diese Angaben können jedenfalls jetzt nach Erledigung der Hauptsache auch nicht mehr nachgeholt werden.

c) Klargestellt hat der Senat den Tenor des landgerichtlichen Beschlusses auch insoweit, als - wie vom Betroffenen beantragt - konkret der Beschluss vom 31.8.2006 für rechtswidrig erklärt wurde.

4. Auch die Kostenentscheidung des Landgerichts gemäß § 106 AufenthG, § 16 FreihEntzG unterliegt im Ergebnis keinen Bedenken.

Die beteiligte Behörde ist verpflichtet, die Auslagen des Betroffenen zu tragen, weil sie unterlegen ist im Sinn des § 16 FreihEntzG. Ein solches Unterliegen der Behörde ist nicht nur gegeben, wenn ihr Antrag auf Freiheitsentziehung (in welcher gerichtlichen Instanz auch immer, also auch im Rechtsmittelverfahren) abgelehnt wird. Es liegt auch dann vor, wenn sich die Hauptsache im Laufe des Verfahrens erledigt und das Verfahren ergeben hat, dass kein begründeter Anlass für die Antragstellung bestand (Marschner/Volckart Freiheitsentziehung und Unterbringung 4.Aufl. § 16 FreihEntzG Rn. 2).

Das Verfahren hat ergeben, dass kein begründeter Anlass für den Antrag auf Abschiebungshaft vorlag. Dabei kommt es darauf an, wie die Behörde den Sachverhalt zur Zeit der Antragstellung beurteilen durfte, wenn sie alle zumutbaren Ermittlungen angestellt hätte (vgl. Marschner/Volckart § 16 FreihEntzG Rn. 3). Gerade an diesen zumutbaren Ermittlungen fehlt es vorliegend (s.o.).

Der Senat stellt die Kostenentscheidung des Landgerichts insoweit richtig, als Kostenschuldner nicht das Landratsamt, sondern der Träger des Landratsamtes, somit der Landkreis R., ist. Der Vollzug des Ausländergesetzes stellt eine dem Landratsamt als Staatsbehörde übertragene Aufgabe dar. Auch bei Erfüllung rein staatlicher Aufgaben "gehören" die Ausländerbehörden, die auf der Kreisebene zuständig sind, dem Landkreis und nicht dem Freistaat "an" (vgl. BayObLGZ 1980, 288/292 f.).



Ende der Entscheidung

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