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Gericht: Oberlandesgericht München
Beschluss verkündet am 20.12.2007
Aktenzeichen: 34 Wx 76/07
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 21 Abs. 5 Nr. 4
1. Ist das Ziel der Beschwerdeführer nicht in erster Linie die Freistellung von der mit dem angefochtenen Beschluss verbundenen anteiligen finanziellen Belastung sondern die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung, nämlich die Frage, ob Wohngeldausfälle durch Rücklagenentnahme (vorübergehend oder auf Dauer) ausgeglichen werden können oder eine andere Finanzierung der Deckungslücke stattfinden muss, ist dies bei der Bemessung des Beschwerdewertes zu berücksichtigen; insoweit geht es nicht um die Höhe sondern um die Art der Finanzierung.

2. Grundsätzlich widerspricht es der Zweckbestimmung einer Instandhaltungsrücklage und bewegt sich damit nicht mehr im Rahmen einer ordnungsmäßigen Verwaltung, wenn diese für andere Maßnahmen, etwa zum Ausgleich von Wohngeldausfällen, verwendet wird; in mehr oder minder engen Grenzen kommen jedoch Ausnahmen in Betracht.

3. In der Instandhaltungsrückstellung gebundene Mittel, die jedenfalls eine angemessene Höhe übersteigen, können für andere Zwecke verwendet werden; erforderlich ist aber der Erhalt einer "eisernen Reserve", der sich nicht abstrakt festlegen lässt sondern von den Umständen des Einzelfalles, etwa dem Zustand der Anlage, ihrem Alter und ihrer Reparaturanfälligkeit abhängt.

4. Im Allgemeinen ist es nicht rechtsmissbräuchlich, auf die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung hinzuwirken, auch wenn über mehrere Jahre hin abweichend verfahren wurde; dies gilt umso mehr, wenn anderweitige Finanzierungsmöglichkeiten für die Wohngeldausfälle nicht unzumutbar erscheinen.


Gründe:

I.

Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Den drei Antragstellern gehört zu Bruchteilseigentum das Sondereigentum an der Wohneinheit Nr. 253 mit einem 36,395/10.000-stel Miteigentumsanteil.

Die Gemeinschaftsordnung bestimmt in § 3 Nr. 1, dass die Wohnungs- und Teileigentumseinheiten ausschließlich als fremdenverkehrsgewerbliche Hotelappartements genutzt werden und jeder Eigentümer seine Wohnung an eine Gesellschaft zu vermieten hat, die die Appartements mit ständig wechselnder Belegung hotelmäßig nutzt. Nach § 8 Nr. 2 sind die Eigentümer zur Ansammlung einer Instandhaltungsrückstellung verpflichtet, aus der die Kosten für die Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums bestritten werden.

In der Eigentümerversammlung vom 10.6.2006 wurden zu den Tagesordnungs-punkten (TOP) 3.1, 3.2 und 3.3 (Sonderumlage für uneinbringliche Forderungen; Jahresabrechnung 2005; Verwalterentlastung) Beschlüsse gefasst. Nach der im Protokoll wiedergegebenen Diskussion hatte die Hausverwaltung eine Sonderumlage wegen uneinbringlicher Hausgeldzahlungen in Höhe von 24.250 EUR angeregt. Die Eigentümer entschieden sich hingegen, den Betrag in Höhe der Sonderumlage aus der Rücklage zu entnehmen, "bis im Januar 2007 eine exakte Abrechnung möglich ist". Der Beschluss zu TOP 3.1 hat folgenden Wortlaut:

"Es wird beschlossen, die Liquiditätsumlage über die Rücklage auszugleichen, bis genau abgerechnet werden kann. Die genaue Abrechnung aller bisherigen Sonderumlagen erfolgt bei der nächsten Eigentümerversammlung."

Die Antragsteller haben beantragt, die Beschlüsse zu TOP 3.1, 3.2 und 3.3 für ungültig zu erklären. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 16.2.2007 wurde dem Antrag hinsichtlich der Beschlüsse zu TOP 3.2 und 3.3 im Wesentlichen stattgegeben; hinsichtlich des Beschlusses zu TOP 3.1 wurde der Antrag abgewiesen.

Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsteller, bezogen auf die Abweisung ihres Anfechtungsantrags zum Beschluss über die Liquiditätsumlage, hat das Landgericht mit Beschluss vom 30.4.2007 als unzulässig verworfen, weil der Beschwerdewert nicht erreicht sei. Zugleich hat das Landgericht über die Beschwerde der Antragsteller gegen die amtsgerichtliche Geschäftswertfestsetzung entschieden, ohne die weitere Beschwerde insoweit zugelassen zu haben. Der Beschluss wurde den Antragstellern am 15.5.2007 ohne Rechtsmittelbelehrung zugestellt.

Mit eigenhändigem Schreiben vom 20.5.2007, eingegangen beim Landgericht am 22.5.2007, hat der Antragsteller zu 3 für sich und zugleich für die Antragsteller zu 1 und 2 sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Nach der ihm am 14.6.2007 zugegangenen Belehrung über Form und Frist des zulässigen Rechtsmittels hat der Antragsteller zu 3 zugleich für die Antragsteller zu 1 und 2 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts am 21.6.2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 22 Abs. 2 FGG beantragt und zugleich sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 28.11.2007 hat der Senat den Antragstellern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 30.4.2007 bewilligt.

II.

Nach gewährter Wiedereinsetzung ist das in der Hauptsache eingelegte Rechtmittel auch im Übrigen zulässig. Auf die Erreichung der Beschwerdesumme von mehr als 750 EUR (§ 45 Abs. 1 WEG a.F.) kommt es nicht an, weil das Rechtsmittel unabhängig vom Wert der Beschwer zulässig ist; denn die Erstbeschwerde wurde als unzulässig verworfen (BGH NJW 1992, 3305).

Unzulässig ist die (unbefristete) weitere Beschwerde indes, soweit sie sich gegen die zur Geschäftswertfestsetzung des Amtsgerichts getroffene Beschwerdeentscheidung des Landgerichts richtet. Das folgt aus § 31 Abs. 3 Satz 5 i. V. m. § 14 Abs. 5 Satz 1 KostO, wonach die weitere Beschwerde nur zulässig ist, wenn sie das Landgericht zugelassen hat. Dies ist hier nicht geschehen.

Die sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Die Beschwerde sei im Hauptantrag mangels Erreichens des Beschwerdewerts unzulässig. Maßgeblich sei nicht der Geschäftswert des Verfahrens, sondern ausschließlich das vermögenswerte Interesse der Beschwerdeführer an der Änderung der angefochtenen Entscheidung. Die Interessen der übrigen Wohnungseigentümer und die Bedeutung der Sache für die Gemeinschaft blieben unberücksichtigt. Werde ein Antrag auf Ungültigerklärung eines Eigentümerbeschlusses abgewiesen, bemesse sich die Beschwer an der finanziellen Belastung, die aufgrund des angefochtenen Beschlusses anteilsmäßig auf den Beschwerdeführer entfalle. Dieses Interesse belaufe sich nach dem eigenen Vortrag der Antragsteller auf circa 200 EUR. Es könne auch nicht darauf verwiesen werden, dass die Entscheidung für die Zukunft Signalwirkung habe, der mögliche Gesamtschaden also weit höher liege. Künftige möglicherweise gleichlautende Beschlüsse seien nicht zu berücksichtigen. Sie müssten, um anfechtbar zu sein, erst einmal gefasst werden.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht ist zwar von zutreffenden Grundsätzen für die Bemessung des Beschwerdewerts nach § 45 Abs. 1 WEG a.F. ausgegangen (vgl. BGH NJW 1992, 3305; Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. § 45 Rn. 9 - 11 m.w.N.). Es hat jedoch im konkreten Fall nicht berücksichtigt, dass das Ziel der Beschwerdeführer nicht in erster Linie die Freistellung von der mit dem Beschluss verbundenen anteiligen finanziellen Belastung ist, die sich bei einem - unstreitigen - Forderungsausfall von 24.250 EUR für die Antragsteller anteilig auf knapp 90 EUR beläuft. Im Vordergrund steht vielmehr die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung, nämlich die Frage, ob die Wohngeldausfälle durch Rücklagenentnahme (vorübergehend oder auf Dauer) ausgeglichen werden können oder eine andere Finanzierung der Deckungslücke stattfinden muss. Mithin geht es nicht um die Höhe, sondern um die Art der Finanzierung. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass die Rücklagenentnahme die Finanzdecke für Instandhaltungen zu Lasten aller Wohnungseigentümer schmälert. Bei der aus Rechtsschutzgründen gebotenen großzügigen Betrachtungsweise (vgl. BayObLG ZMR 2000, 625) ist vom Erreichen des Beschwerdewerts, damit von der Zulässigkeit des Rechtsmittels auszugehen und in der Sache zu entscheiden.

b) Das Landgericht hat sich, aus seiner Sicht folgerichtig, nicht mit der Sache befasst. Der Senat als Rechtsbeschwerdegericht kann die maßgeblichen Tatsachen, die zur rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Eigentümerbeschlusses erforderlich sind, nicht selbständig ermitteln. Dies bedingt die Zurückverweisung an das Landgericht (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO analog; Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 58).

(1) Die Rücklage hat den gesetzlichen, hier von der Gemeinschaftsordnung auch nicht modifizierten, Zweck, notwendige größere Reparaturen des gemeinschaftlichen Eigentums zu sichern (vgl. Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten WEG 8. Aufl. § 21 Rn. 103). Über Entnahmen aus der Instandhaltungsrücklage kann die Eigentümerversammlung mit Mehrheit beschließen (BayObLG NZM 2004, 745; Staudinger/Bub WEG Bearb. 2005 § 21 Rn. 203, Rn. 209; Müller Praktische Fragen des Wohnungseigentums 4. Aufl. Rn. 586). Grundsätzlich widerspricht es der Zweckbestimmung einer Instandhaltungsrücklage und bewegt sich damit nicht mehr im Rahmen einer ordnungsmäßigen Verwaltung, wenn diese für andere Maßnahmen, etwa zum Ausgleich von Wohngeldausfällen, verwendet wird (Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten § 21 Rn. 106). Jedoch lassen Rechtsprechung (OLG Saarbrücken NJW-RR 2000, 87; LG Saarbrücken NZM 1999, 870) und Schrifttum (Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 21 Rn. 170; Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten § 21 Rn. 106; Staudinger/Bub § 21 Rn. 209) in mehr oder minder engen Grenzen Ausnahmen zu. In der Instandhaltungsrückstellung gebundene Mittel, die jedenfalls eine angemessene Höhe übersteigen, können für andere Zwecke verwendet werden (Staudinger/Bub aaO; großzügiger Merle in Bärmann/Pick/Merle § 21 Rn. 170). Erforderlich ist aber der Erhalt einer "eisernen Reserve", der sich nicht abstrakt festlegen lässt, sondern von den Umständen des Einzelfalles, etwa dem Zustand der Anlage, ihrem Alter und ihrer Reparaturanfälligkeit abhängt (vgl. OLG Saarbrücken NJW-RR 2000, 87; LG Saarbrücken NZM 1999, 870). Für die Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses kann es hier, abgesehen von Feststellungen zur Höhe der seinerzeit vorhandenen Instandhaltungsrücklage, auch eine Rolle spielen, welche absehbaren Instandsetzungsmaßnahmen in der nächsten Zeit anstanden und welchen Kapitaleinsatz sie erforderten, ferner welche Aussichten vorhanden waren, einerseits die Rückstände doch noch einzutreiben und andererseits die Rücklage wieder aufzufüllen. Insoweit ist nach der nächstliegenden Bedeutung des Beschlusses davon auszugehen, dass der Ausgleich jedenfalls (zunächst) nur vorübergehend stattfinden sollte, bis im Folgejahr abgerechnet werden würde.

(2) Soweit das Amtsgericht von einem rechtsmissbräuchlichen Antrag ausgegangen ist, weil die Antragsteller in früheren Jahren den Rückgriff auf die Instandhaltungsrücklage geduldet und die Finanzierung mittels Sonderumlage abgelehnt hätten, dürfte dies der Anfechtung nicht entgegenstehen. Denn auf die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung hinzuwirken ist im Allgemeinen nicht rechtsmissbräuchlich (vgl. Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten § 46 Rn. 13 ff.), auch wenn über mehrere Jahre hin abweichend verfahren wurde. Dies gilt umso mehr, als anderweitige Finanzierungsmöglichkeiten für die Wohngeldausfälle nicht unzumutbar erscheinen.

Das Landgericht wird jedoch Feststellungen dazu zu treffen haben, inwieweit der konkrete Beschluss durch die in Aussicht genommene Abrechnung "in der nächsten Eigentümerversammlung" überholt ist und sich die Anfechtung inzwischen erledigt hat.

III.

Eine Kostenentscheidung ist an dieser Stelle nicht veranlasst.

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren bestimmt sich gemäß § 48 Abs. 3 WEG a.F. nach dem Interesse aller Wohnungseigentümer in der Gesamthöhe der aus der Instandhaltungsrücklage zu entnehmenden Summe von 24.250 EUR.



Ende der Entscheidung

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